Urteil vom Landgericht Köln - 12 O 15/20
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.052,50 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.02.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu 74 % und der Beklagten zu 26 % auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Die Klägerin geht aus fondsgebundenen Lebensversicherungsverträgen mit der B Lebensversicherung AG als Rechtsvorgängerin der Beklagten gegen diese vor, in denen jeweils ein Widerspruch gegen das Zustandekommen des Vertrages erklärt worden ist.
3Durch sogenannte "Forderungskauf- und Abtretungsverträge" einigte sich die Klägerin mit Versicherungsnehmern der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin dahingehend, dass die Klägerin jeweils einen Kaufpreis für die Abtretung von Ansprüchen der Versicherungsnehmer auf Rückabwicklung zahlte. In den Verträgen war vorgesehen, dass der Versicherungsnehmer die betreffenden Lebensversicherungsverträge jeweils bereits gekündigt hatte oder kündigen würde und im Zusammenhang mit dem Forderungskauf– und Abtretungsvertrag ein Widerrufs– oder Rücktrittsrecht ausüben würde. Der Rückkaufswert aus der Kündigung sollte allein dem Versicherungsnehmer zustehen, an ihn ausbezahlt werden und nicht Gegenstand der Vereinbarung mit der Klägerin sein. Diese sollte aber sämtliche Rechte und Ansprüche des Versicherungsnehmers nach Widerspruch, Widerruf oder Rücktritt erhalten.
4Der von der Klägerin mit den Versicherungsnehmern vereinbarte Kaufpreis entsprach jeweils einem Teil des Nominalwertes des dem Versicherungsnehmer nach Auffassung der Klägerin zustehenden maximalen Zahlungsanspruchs gegen seine Versicherung infolge eines Widerspruchs oder Rücktritts. Die Höhe dieses Nominalwertes wurde in dem Forderungskauf– und Abtretungsvertrag aufgeführt; die Klägerin stellte dem Versicherungsnehmer jeweils die Kalkulation zur Verfügung.
5Für den Fall, dass der ermittelte maximale Zahlungsanspruch im Zuge der Beitreibung gegen die Versicherung überstiegen werden würde, sollte dem Versicherungsnehmer von den Mehrerlös eine Beteiligung in Höhe von 20 % zu stehen.
6Wegen der Einzelheiten der „Forderungskauf- und Abtretungsverträge mit Erlösbeteiligung“ wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 09.09.2020 nebst Anlagen (Bl.383 ff. der Akten) verwiesen.
71. In einem Vertragsverhältnis eines Herrn T unter der Vertragsnummer #### #### ###, welches zum 01.05.2000 geschlossen sein sollte, war eine Widerspruchsbelehrung auf der zweiten Seite des Versicherungsscheins vom 28.04.2000 wie folgt erteilt worden:
8„Sie können dem Versicherungsvertrag ab Stellung des Antrags bis zum Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich der Versicherungsbedingungen und der übrigen Verbraucherinformationen widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.“
9Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Versicherungsschein (Bl.46/47 der Akte) verwiesen.
10Der Versicherungsnehmer wurde im März 2001 volljährig. Die Beklagte informierte ihn, dass er fortan selbst entscheiden könne, ob er den Vertrag genehmigen wolle. Der Versicherungsnehmer entrichtete weiterhin die Beiträge an die Beklagte. Im Oktober 2006 beantragte der Versicherungsnehmer die Herabsetzung des monatlichen Beitrags; die entsprechende Vertragsänderung wurde durchgeführt.
11Am 10.04.2018 erklärte der Versicherungsnehmer den Widerspruch gegen das Zustandekommen des Vertrages. Wegen der Erklärung wird auf Bl.48 der Akten verwiesen. Zeitgleich trat er seine Ansprüche an die Klägerin ab.
12Am 01.07.2018 kündigte die Klägerin den Versicherungsvertrag. Die Beklagte bestätigte die Kündigung und zahlte einen Rückkaufswert in Höhe von 16.284,03 € aus.
13Die Klägerin ließ die Beklagte mit einem Schreiben vom 07.11.2019 unter Fristsetzung von zwei Wochen ab Zugang zur Abrechnung des Vertragsverhältnisses auffordern. Wegen der Einzelheiten des Schreibens wird auf Bl.50 ff. der Akten verwiesen. Die Beklagte bot einen Vergleich an, der nicht zustande kam.
14Der Versicherungsnehmer zahlte insgesamt 13.226,28 € an Prämien auf den Vertrag.
152. In einem weiteren Vertragsverhältnis des Herrn T unter der Vertragsnummer #### #### ###, welches zum 01.04.2000 geschlossen sein sollte, war eine wortgleiche Widerspruchsbelehrung auf der zweiten Seite des Versicherungsscheins vom 06.04.2000 erteilt worden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Versicherungsschein (Bl.57/58 der Akte) verwiesen.
16Auch in diesem Vertragsverhältnis entrichtete der Versicherungsnehmer die Beiträge auch nach dem Erreichen der Volljährigkeit. Ebenso wurde auf Antrag des Versicherungsnehmers eine Herabsetzung des monatlichen Beitrags umgesetzt.
17Mit einem Schreiben vom 10.04.2018 erklärte der Versicherungsnehmer die Kündigung des Versicherungsvertrages. Wegen der Erklärung wird auf Bl.205 der Akten verwiesen. Die Beklagte bestätigte die Kündigung zum 01.07.2018 und rechnete das Vertragsverhältnis ab. Sie zahlte einen Rückkaufswert in Höhe von 11.938,69 € an den Versicherungsnehmer aus.
18Ebenfalls am 10.04.2018 erklärte der Versicherungsnehmer den Widerspruch gegen das Zustandekommen des Vertrages. Wegen der Erklärung wird auf Bl.59 der Akten verwiesen. Zeitgleich trat er seine Ansprüche an die Klägerin ab. Die Beklagte bot einen Vergleich an, der nicht zustande kam.
19Der Versicherungsnehmer zahlte insgesamt 9.289,27 € an Prämien auf den Vertrag.
203. In einem Vertragsverhältnis eines Herrn T1 unter der Vertragsnummer #### #### ###, welches zum 01.04.2000 geschlossen sein sollte, war ebenfalls eine wortgleiche Widerspruchsbelehrung auf der zweiten Seite des Versicherungsscheins vom 28.03.2000 erteilt worden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Versicherungsschein (Bl.64/65 der Akte) verwiesen.
21Das Vertragsverhältnis lief vereinbarungsgemäß zum 01.04.2017 aus. Die Beklagte zahlte dem Versicherungsnehmer eine Ablaufleistung in Höhe von 6.208,67 € aus.
22Am 28.03.2018 erklärte der Versicherungsnehmer den Widerspruch gegen das Zustandekommen des Vertrages. Wegen der Erklärung wird auf Bl.110 der Akten verwiesen. Zeitgleich trat er seine Ansprüche an die Klägerin ab. Die Beklagte bot einen Vergleich an, der nicht zustande kam. Der Versicherungsnehmer zahlte insgesamt 10.430,52 € an Prämien auf den Vertrag.
23Die Klägerin berechnet die Klageforderungen aktuell ab Blatt 388 der Akten.
24Die Klägerin ist der Ansicht, die erteilten Widerspruchsbelehrungen seien inhaltlich unzureichend. Sie habe die Forderungen der Versicherungsnehmer angekauft, sodass sie aktivlegitimiert sei.
25Die Klägerin hatte zwischenzeitlich angekündigt zu beantragen, die Beklagte zu verurteilen, an sie insgesamt 73.169,49 € nebst Zinsen zu zahlen.
26Nach teilweiser Klagerücknahme beantragt die Klägerin nunmehr noch,
27die Beklagte zu verurteilen, an sie
287.158,73 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.11.2019,
294.432,07 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.11.2019 und
306.658,08 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.08.2019 zu zahlen.
31Die Beklagte beantragt,
32die Klage abzuweisen.
33Sie ist der Ansicht, die Klägerin sei bereits nicht aktivlegitimiert. Sie sei als gewerbliche Policenaufkäuferin nicht Inhaberin der Forderungen aus den Versicherungsverträgen geworden. Die Forderungskaufverträge seien wegen Verstoßes gegen §§ 2 Abs.2 RDG i.V.m. 134 BGB nichtig. Deshalb sei auch die Abtretung nichtig.
34Sie behauptet, die Klägerin bringe zu geringe Risikokosten in Ansatz. Auch die Abschlusskosten und die Verwaltungskosten seien falsch angesetzt. Sämtliche Kostenpositionen beruhten auf reinen Vermutungen und seien nicht schlüssig dargelegt. Kickback-Zahlungen habe es nicht gegeben. Sie ist der Ansicht, es seien die kalkulierten und nicht lediglich sogenannte tatsächlichen Risikokosten anrechenbar.
35Sie ist der Ansicht, jedenfalls seien auch sämtliche möglichen Ansprüche verwirkt. Die Abtretung an einen Policenaufkäufer laufe dem ursprünglichen Zweck des Widerspruchsrechts zuwider. Das Geschäftsmodell der Klägerin, nämlich die gewerbliche Verwertung von Lebensversicherungsverträgen, stehe nicht im Einklang mit den Schutzzweck des § 5a VVG a.F.. Das Vorgehen der Klägerin sei rechtsmissbräuchlich. Für die Bewertung als rechtsmissbräuchlich sei auch zu berücksichtigen, welche Einwirkungen die Versicherungsnehmer auf ihre Verträge vorgenommen hätten.
36Entscheidungsgründe
37Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
38Insbesondere ist die Klägerin aktivlegitimiert. Aufgrund des jeweiligen "Forderungskauf– und Abtretungsvertrages mit Erlösbeteiligung" mit den Versicherungsnehmern der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin ist die Klägerin Inhaberin von Ansprüche geworden, die nach den jeweils erklärten Widersprüchen der Versicherungsnehmer im Zuge der Rückabwicklung gegen die Beklagte bestehen.
39Die Klägerin hat die Rückabwicklungsansprüche der Versicherungsnehmer aus den jeweiligen Verträgen im Wege eines echten Forderungskaufs erworben. Für die Frage, ob es sich um einen Forderungskauf oder lediglich die Einziehung einer abgetretenen Forderung auf fremde Rechnung, also eine Inkassozession, handelt, ist ausschlaggebend, ob das wirtschaftliche Ergebnis der Einziehung dem Abtretenden zukommen soll (BGH, Urteil vom 11.12.2013, - IV ZR 46/13 - juris Rz 18 m.w.N.). Unter Berücksichtigung nicht allein des Wortlauts der vertraglichen Vereinbarung, sondern der gesamten ihr zugrunde liegenden Umstände und der wirtschaftlichen Zusammenhänge ist zu prüfen, ob die Forderung endgültig auf den Erwerber übertragen wird und dieser insbesondere das volle wirtschaftliche Risiko der Beitreibung der Forderung übernimmt (BGH, a.a.O.).
40Davon ist im vorliegenden Fall auszugehen.
41Zunächst ist unzweifelhaft, dass die Klägerin durch die jeweiligen Forderungskauf– und Abtretungsverträge die möglichen Bereicherungsansprüche der Versicherungsnehmer infolge des Widerspruchs oder Rücktritts endgültig auf sich übertragen erhalten hat.
42Sie hat zudem mit den Verträgen auch das Bonitätsrisiko übernommen. Denn die Vertragsparteien haben einen festen Kaufpreis im Gegenzug für die Abtretung vereinbart, welcher unabhängig von dem Ausgang der Beitreibungsversuche gegenüber der Versicherung vier Wochen nach dem Zustandekommen des Forderungskauf- und Abtretungsvertrages fällig geworden ist. Das wirtschaftliche Risiko des jeweiligen Beitreibungsversuchs liegt nach der Vertragsvereinbarung bei der Klägerin als Zessionarin. Sie allein trägt das Risiko vergeblicher Aufwendungen, zum Beispiel für Prozesskosten, und das alleinige Ausfallrisiko.
43Daran ändert nichts, dass der Versicherungsnehmer für den Fall, dass es zu einem Beitreibungserlös käme, der höher als der von der Klägerin kalkulierte Anspruch läge, eine zusätzliche Beteiligung erhalten könnte. Diese vereinbarte Beteiligung stellt erkennbar nicht den wirtschaftlichen Zweck der Verträge mit der Klägerin da. Mit der Zahlung des Kaufpreises soll der von der Klägerin kalkulierte Bereicherungserlös aus dem Lebensversicherungsvertrag abgegolten sein; nur für den Fall, dass die bereits erfolgte Berechnung des maximal erzielbaren Erlöses durch die Klägerin unzutreffend sein und ein Erlös erzielt werden sollte, der den kalkulierten übersteigt, ist eine solche vorgesehen. Die wirtschaftliche Bedeutung einer solchen Möglichkeit stellt sich als gering da. Die Kalkulationen von Forderungsaufkäufern sind nach der Erfahrung der mit Rechtsstreitigkeiten im Personenversicherungsverhältnis in befassten Kammer ebenso wie diejenigen der maßgeblich mit der Geltendmachung von Widersprüchen von im Internet aufmerksam gewordenen Versicherungsnehmern betrauten Rechtsanwälten meist deutlich zu hoch, so dass ein darüber hinausgehender Erlös bereits nach der Lebenswahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist.
44Da die Verträge der Klägerin mit den Versicherungsnehmern somit nicht unter das Gesetz über außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen (RDG) fallen, liegen keine Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit vor.
45Von einer solchen wäre aber auch nicht auszugehen, wenn man die Tätigkeit der Klägerin anders bewertete. Denn selbst dann, wenn sie auf der Grundlage der Forderungskauf– und Abtretungsverträge Inkassodienstleistungen gemäß § 2 Abs.2 S.1 RDG ausübte, wäre zu berücksichtigen, dass eine Inkassodienstleistung nach dem RDG eine rechtliche Prüfung umfasst. Die Ansicht der Beklagten, die Klägerin dürfe Versicherungsnehmern die Vorname der Prüfung eines Widerspruchs oder Rücktritts nicht versprechen, ist nicht zutreffend. Die Klägerin ist jedenfalls registrierte Inkasso-Dienstleisterin und erbringt in diesem Zusammenhang eigenständige Geschäfte im Sinne von § 2 Abs.2 S.1 RDG. Das frühere, enge Verständnis von den Befugnissen eines Inkassounternehmens wurde durch die Vorschriften des RDG nicht aufrechterhalten. Eine Rechtsdienstleistung ist bei Tätigkeiten in konkreten fremden Angelegenheiten auch dann gegeben, wenn sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert (BGH, Urteil vom 27.11.2019, - VIII ZR 285/18 -, juris Rz 144 ff.).
46Da auch eine Nichtigkeit gemäß § 138 BGB nicht ersichtlich ist, insbesondere aufgrund des durch die Klägerin übernommenen, vollständigen Risikos bei der Beitreibung der Forderung auch der nur gering bemessene Kaufpreis in den streitgegenständlichen Fällen kein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung (Wucher) nahelegt, bestünden auch unter der Annahme der Ausübung einer Rechtsdienstleistung durch die Klägerin keine Bedenken gegen ihre Aktivlegitimation.
471.
48Der Klägerin stehen nach dem erklärten Widerspruch des Versicherungsnehmers T und der erfolgten Abtretung bereicherungsrechtliche Ansprüche gegen die Beklagte aus § 812 Abs.1 Satz 1 1.Alt BGB zu. Die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin hat die eingezahlten Beiträge des Versicherungsnehmers ohne rechtlichen Grund erlangt, weil der Versicherungsvertrag keine Grundlage für die erfolgten Zahlungen darstellen kann. Der Widerspruch des Versicherungsnehmers berührt die Wirksamkeit des Vertrages, da er fristgerecht erfolgt ist.
49Gemäß der zum Zeitpunkt des Abschlusses des streitgegenständlichen Versicherungsvertrages geltenden Fassung des § 5a VVG galt für den Fall, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10a VAG unterlassen hatte, der Vertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen als geschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht binnen bestimmter Frist widersprach. Die Widerspruchsfrist betrug in der vom 29.07.1994 bis zum 31.07.2001 geltenden Fassung des § 5a VVG 14 Tage, wobei der Lauf dieser Frist erst dann begann, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1 der Norm, nämlich die Versicherungsbedingungen sowie die Verbraucherinformationen nach § 10a VAG a.F., vollständig vorlagen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden war.
50Die Widerspruchsfrist war zum Zeitpunkt des erklärten Widerspruchs im April 2018 noch nicht verstrichen, da nicht sämtliche Voraussetzungen für den Beginn ihres Laufes vorlagen. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hat den Kläger nicht ordnungsgemäß über das ihm zustehende Widerspruchsrecht belehrt. Denn die streitgegenständliche Widerspruchsbelehrung nennt die erforderliche Form des Widerspruchs, nämlich die Schriftform, nicht. Die Angabe, dass die rechtzeitige „Absendung“ der Widerspruchserklärung hinreichend ist, ist in diesem Zusammenhang nicht ausreichend, da damit nur über die Frist, nicht aber über die Form belehrt wird (ständige Rechtsprechung des BGH, z.B. Urteil vom 28.09.2016 – IV ZR 210/14 -, juris, Rz 13).
51Ein Anspruch der Klägerin bezüglich dieses Versicherungsvertrages scheitert auch entgegen der Ansicht der Beklagten nicht bereits daran, dass eine Ausübung des Widerspruchsrechts aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls rechtsmissbräuchlich ist. Die Ausübung des Widerspruchsrechts stellt nämlich nur bei Vorliegen besonders gravierender Umstände ein (objektiv) grob widersprüchliches und damit gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßendes Verhalten des Versicherungsnehmers dar (vgl. BGH, Beschluss vom 27.01.2016, - IV ZR 130/15 -, RuS 2016, S.230). Entscheidend ist, ob der Versicherungsnehmer durch sein Verhalten bei dem Versicherer den Eindruck erweckt hat, den Vertrag unbedingt fortsetzen zu wollen. Im vorliegenden Einzelfall lagen zwar etwa 18 Jahre zwischen dem Abschluss des Vertrages und dem Widerspruch. Trotzdem kann auch unter Berücksichtigung der Beitragszahlung des Versicherungsnehmers nach Eintritt seiner Volljährigkeit, des Abschlusses zweier Verträge durch ihn und des weiteren Vertragsverlaufes nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte davon ausgehen durfte, dass der Versicherungsnehmer keinen Widerspruch mehr erklären würde und das jetzige Vorgehen der Klägerin daher rechtsmissbräuchlich ist. Insbesondere geht das Gericht auch nicht davon aus, dass die Abtretung der Forderungen der Versicherungsnehmer an die Klägerin für sich allein oder in Zusammenschau mit den weiteren Umständen des Vertragslaufes das Vorgehen der Klägerin zu einem rechtsmissbräuchlichen machen. Denn ein vertraglicher Bindungswille des Versicherungsnehmers wird durch die Abtretung seiner Rechte gerade nicht bekräftigt. Vielmehr macht die Vereinbarung des Versicherungsnehmers mit der Klägerin gerade deutlich, dass er von einer Widerspruchsmöglichkeit ausging und diese auch nutzen wollte.
52Auch kommt im vorliegenden Fall nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln keine Verwirkung des Widerspruchsrechts des Klägers unter Anwendung des in § 124 Abs.3 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens einer Ausschlussfrist von zehn Jahren in Betracht, weil neben dem Zeitmoment auch ein Umstandsmoment erforderlich wäre, welches nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Fällen wie dem hier vorliegenden fehlt, weil der Versicherer die Situation durch die nicht ordnungsgemäße Belehrung selbst herbeigeführt hat (OLG Köln, Urteil vom 22.12.2015, - 20 U 99/15 -, Rz 30).
53Der Höhe nach hat die Klägerin zunächst Ansprüche auf Erstattung der von dem Versicherungsnehmer geleisteten Prämien in Höhe von 13.226,28 € abzüglich der Prämienanteile, die auf den Risikoschutz entfallen sind. Sie hat sich nämlich den Wert des Versicherungsschutzes des Versicherungsnehmers anrechnen zu lassen. In diesem Zusammenhang sind entsprechend den Ausführungen der Beklagten 613,35 € in Ansatz zu bringen. Denn die Klägerin hat nicht darzulegen vermocht, dass die kalkulierten Risikokosten der Beklagten geringer waren. Entgegen der Ansicht der Klägerin sind auch nicht lediglich tatsächliche Risikokosten in Unterschied zu kalkulierten Risikokosten anzusetzen. Vielmehr kann der Wert des Versicherungsschutzes unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden
54(BGH, Urteil vom 24.02.2016, - IV ZR 126/15 -, juris, Rz 26).
55Unstreitig zwischen den Parteien ist im Ansatz, dass sich die Beklagte gezogenen Nutzungen entgegenhalten lassen muss. Ebenso ist unstreitig, dass sich in dem der Lebensversicherung zugrunde liegenden Fonds ein Gewinn von 7.100,82 € ergeben hat. Dieser Betrag ist daher von einem Anspruch der Klägerin in Abzug zu bringen.
56Soweit die Klägerin als zusätzliche Position Nutzungen auf Verwaltungskosten begehrt, ist der zur Bestreitung der Verwaltungskosten der Beklagten aufgewandte Prämienanteil nur zur Berechnung von Nutzungszinsen heranzuziehen, soweit die Beklagte auf diese Weise den Einsatz sonstiger Finanzmittel erspart hat, die sie zur Ziehung von Nutzungen verwenden konnte (BGH, Urteil vom 26.09.2018, - IV ZR 304/15, juris, Rz 31). Die Klägerin hat bereits nicht dargelegt, dass diese Voraussetzungen vorliegen. Erforderlich wäre eine konkrete Darlegung der Klägerin, dass und inwieweit tatsächlich aus diesen Beitragsanteilen Erträge erzielt worden sind (OLG Köln, Urteil vom 13.12.2019, - 20 U 204/18 -; Urteil vom 28.10.2016, - 20 U 30/16 -, juris, Rz 54). Der Klägerin ist zudem zur Höhe eines solchen Anspruches ein Vortrag abzuverlangen, der nicht ohne Bezug zur Ertragslage der Beklagten Rückschlüsse auf eine tatsächliche Gewinnerzielung in bestimmter Höhe zulässt (z.B. BGH, Urteil vom 11.11.2015, - IV ZR 513/14 -, juris Rz 47). In diesem Zusammenhang kann nicht auf die Nettoverzinsung der Kapitalanlagen des Versicherers abgehoben werden (OLG Köln, Beschluss vom 05.06.2020, - 20 U 57/20 -; Urteil vom 13.12.2019, - 20 U 204/18 -, jeweils mit Verweis auf BGH, Beschluss vom 24.02.2016, - IV ZR 512/14 -, juris Rz 27 a.E.).
57Die von der Klägerin darüber hinaus geforderten sonstigen Nutzungen im Fonds aus sogenannten „Kickbacks“ hat sie bereits der Sache nach nicht substantiiert darzustellen vermocht. So hat sie lediglich vorgetragen, es „sei davon auszugehen“, dass die Beklagte Rückflüsse aus den Verwaltungskosten der Fonds zu Lasten des Fondsertrags erhalten habe, und diese der Höhe nach mit 1 % des jährlichen vorhandenen Fondsvermögens angesetzt. Die Beklagte hat demgegenüber den Erhalt solcher Kick-Back-Zahlungen bestritten.
58Es kommt daher bereits nicht mehr darauf an, dass eventuelle Rückvergütungen der Fondsgesellschaften nicht als von der Vertragsrückabwicklung betroffene Prämienbestandteile, sondern Einnahmen außerhalb des Portfolios anzusehen sind, so dass der Versicherer keine Nutzungen gezogen haben kann (BGH, Urteil vom 21.06.2017, - IV ZR 176/15 -, juris Rz 27).
59Unter Anrechnung des von der Beklagten ausgezahlten Betrages in Höhe von 16.284,03 € ergibt sich ein berechtigter Anspruch der Klägerin aus dem ersten Vertragsverhältnis in Höhe von 3.429,72 €.
602. Nach dem erklärten Widerspruch des Versicherungsnehmers T im zweiten Vertragsverhältnis stehen der Klägerin infolge der Abtretung ebenfalls bereicherungsrechtliche Ansprüche gegen die Beklagte aus § 812 Abs.1 Satz 1 1.Alt BGB zu. Auch insoweit hat die Beklagte die eingezahlten Beiträge des Versicherungsnehmers ohne rechtlichen Grund erlangt, weil der Versicherungsvertrag keine Grundlage für die erfolgten Zahlungen darstellen kann. Das Gericht verweist insoweit auf die Darlegungen unter Ziffer 1., die auch in diesem Vertragsverhältnis, in dem der Versicherungsnehmer wortgleich belehrt worden ist, Geltung haben.
61Auch bezüglich dieses Vertrages stellt sich die Ausübung des Widerspruchsrechts nicht als rechtsmissbräuchlich dar. Hinreichende, besonders gravierende Umstände liegen unter Berücksichtigung des konkreten Vertragsverlaufs nicht vor. Eine Verwirkung scheidet mangels ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung ebenfalls aus.
62Der Höhe nach hat die Klägerin zunächst Ansprüche auf Erstattung der von dem Versicherungsnehmer geleisteten Prämien in Höhe von 9.289,27 € abzüglich der Prämienanteile, die auf den Risikoschutz entfallen sind. In diesem Zusammenhang ist auch in diesem Vertragsverhältnis mangels substantiierter Angabe der Klägerin von den kalkulierten Risikokosten in Höhe von 334,26 € auszugehen.
63Für die Nutzungen gilt ebenfalls das zu dem Vertragsverhältnis unter Ziffer 1. Ausgeführte. Anzusetzen ist daher der unstreitige Fondsgewinn in Höhe von 5.035,71 €.
64Unter Anrechnung des von der Beklagten ausgezahlten Betrages in Höhe von 11.993,10 € ergibt sich ein berechtigter Anspruch der Klägerin aus dem zweiten Vertragsverhältnis in Höhe von 1.997,62 €.
653. Nach dem erklärten Widerspruch des Versicherungsnehmers T1 stehen der Klägerin infolge der Abtretung ebenfalls bereicherungsrechtliche Ansprüche gegen die Beklagte aus § 812 Abs.1 Satz 1 1.Alt BGB zu. Auch insoweit hat die Beklagte die eingezahlten Beiträge des Versicherungsnehmers ohne rechtlichen Grund erlangt, weil der Versicherungsvertrag keine Grundlage für die erfolgten Zahlungen darstellen kann. Das Gericht verweist insoweit ebenfalls auf die Darlegungen unter Ziffer 1., die auch in diesem Vertragsverhältnis, in dem der Versicherungsnehmer wortgleich belehrt worden ist, Geltung haben.
66Auch bezüglich dieses Vertrages stellt sich die Ausübung des Widerspruchsrechts nicht als rechtsmissbräuchlich dar. Hinreichende, besonders gravierende Umstände liegen im konkreten Vertragsverlauf nicht vor. Eine Verwirkung scheidet mangels ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung ebenfalls aus.
67Der Höhe nach hat die Klägerin zunächst Ansprüche auf Erstattung der von dem Versicherungsnehmer geleisteten Prämien in Höhe von 10.430,52 € abzüglich der Prämienanteile, die auf den Risikoschutz entfallen sind. In diesem Zusammenhang ist auch in diesem Vertragsverhältnis mangels substantiierter Angabe der Klägerin von den kalkulierten Risikokosten in Höhe von 4.405,26 € auszugehen.
68Für die Nutzungen gilt ebenfalls das zu dem Vertragsverhältnis unter Ziffer 1. Ausgeführte. Anzusetzen ist daher der unstreitige Fondsgewinn in Höhe von 1.808,57 €.
69Unter Anrechnung des von der Beklagten ausgezahlten Betrages in Höhe von 6.208,67 € ergibt sich ein berechtigter Anspruch der Klägerin aus dem dritten Vertragsverhältnis in Höhe von 1.625,16 €.
70Die Summe der berechtigten Forderungen aus den drei Vertragsverhältnissen umfasst den zugesprochenen Hauptsachebetrag.
71Zinsen kann die Klägerin lediglich als Prozesszinsen gemäß §§ 288 Abs.1, 291 BGB beanspruchen. Soweit sie Verzugszinsen begehrt, hat sie lediglich bezüglich des ersten Versicherungsvertrages dargetan, dass sie die Beklagte mit einem Schreiben vom 07.11.2019 zu einer Abrechnung aufgefordert hat. Ein solches Schreiben ist bereits inhaltlich nicht verzugsbegründend im Sinne einer ordnungsgemäßen Mahnung nach § 286 Abs.1 S.1 BGB. Soweit die Beklagte zu den weiteren Versicherungsverträgen auch die Schreiben der Klägerin vom gleichen Tag vorgelegt hat, gilt das Gleiche.
72Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs.1, 269 Abs.2 S.2, 708 Nr.11, 709 ZPO
73Streitwert: Bis zum 08.09.2020: bis 80.000 €, danach: bis 19.000 €
74Rechtsbehelfsbelehrung:
75Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
761. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
772. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Landgericht zugelassen worden ist.
78Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Oberlandesgericht Köln, Reichenspergerplatz 1, 50670 Köln, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils (Datum des Urteils, Geschäftsnummer und Parteien) gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
79Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Oberlandesgericht Köln zu begründen.
80Die Parteien müssen sich vor dem Oberlandesgericht Köln durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
81Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
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