Urteil vom Landgericht Magdeburg - 11 O 258/15

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 309,03 € zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % der zu vollstreckenden Forderung abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Im Übrigen ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % der zu vollstreckenden Forderung vorläufig vollstreckbar.

Zugleich wird beschlossen: Der Streitwert wird auf 30.097 € festgesetzt

Tatbestand

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Die Klägerin verlangt vom Beklagten, einem Steuerberater, Schadensersatz wegen schlecht erbrachter Steuerberaterleistungen.

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Die Klägerin ist als Berufsbetreuerin in den Jahren 2007 – 2012 bestandskräftig zur Umsatzsteuer veranlagt worden. Ihre Jahresabschlüsse und Steuererklärungen hat sie in dieser Zeit vom Beklagten erstellen lassen. Ab dem Jahre 2012 übernahm der Beklagte auch die Buchhaltung.

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Am 17.2.2009 entschied der BFH, dass ein zu einem anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege gehörender gemeinnütziger Verein sich für die Inanspruchnahme einer Steuerbefreiung für Betreuungsleistungen unmittelbar auf Art 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g. i.V.m. Abs. 2 der Richtlinie 77/388 EWG berufen kann.

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Mit Beschluss vom 2.3.2011 XI R 47/07 (BFHE 232,568) legte der BFH eine Rechtssache dem EuGH mit der Fragestellung vor, ob sich die Umsatzsteuerbefreiung auch auf Berufsbetreuer erstrecke die keine Vereinsbetreuer sind und setzte später weitere, bei ihm anhängige Verfahren (etwa V R 7/11, Beschluss vom 12.1.2012), die sich mit dieser Frage beschäftigten, aus. Den Beschlussgründen lässt sich entnehmen, dass für die Beurteilung, ob ein Betreuer umsatzsteuerbefreit ist, es als erheblich angesehen worden ist, ob es auf die rechtliche Organisationsform ankomme, in der die Betreuungsleistung erbracht werde. Dagegen ist u.a. gehalten worden, dass ein Berufsbetreuer als natürliche Person nicht als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt gewesen sei und deshalb einem Vereinsbetreuer nicht gleichgestellt werden könne. Der EuGH entschied am 5.11.2012 (C-174/11) zugunsten der Umsatzsteuerbefreiung.

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Die Klägerin wirft dem Beklagten vor, nicht erkannt zu haben, dass bereits die Entscheidung des BFH vom 17.2.2009 - unabhängig von der rechtlichen Organisationsform - auch für die Umsatzsteuerveranlagung einer Berufsbetreuerin erheblich gewesen wäre und er es deshalb pflichtwidrig verabsäumt habe, gegen ihre Umsatzsteuerbescheide Einspruch einzulegen. Das hätte er erkennen müssen, weil der EuGH bereits im Jahre 2005 entschieden habe, dass der Begriff "Einrichtung" in der streitgegenständlichen Richtlinie sowohl natürliche als auch juristische Personen umfasst habe. Das lasse sich auch einem Schreiben des BMF vom 22.11.2013 (Anlage K 1) entnehmen. Als Steuerberater sei der Beklagte verpflichtet, sich auch über Vorschläge zur Änderung des Steuerrechts die in der Tages- und Fachpresse publiziert werden, zu informieren. Da die Einlegung von Rechtsbehelfen unterblieben sei, habe die Klägerin aus diesem Grunde nicht an einem Urteil des BFH, das allerdings erst am 25.4.2013 ergangen ist, partizipieren können. Der BFH habe in dieser Entscheidung erkannt, dass unabhängig von der rechtlichen Organisationsform auch die Betreuungsvergütung für Berufsbetreuer nicht der Umsatzsteuerpflicht unterlegen habe. Die Klägerin sei die einzige Berufsbetreuerin, die im Bereich des Finanzamts Quedlinburg keine Umsatzsteuererstattungen erhalten habe.

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Hätte der Kläger auf das Urteil des BFH vom 17.2.2009 reagiert, hätte erstmals mit Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 2008, die er am 31.12.2009 eingereicht hat, eine Umsatzsteuerbefreiung erreicht werden können.

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Der Steuerschaden den sie insgesamt mit 51.476,60 € angenommen habe, ist vom Beklagten bzw. seiner Haftpflichtversicherung nur ab den Jahren 2011 und 2012 akzeptiert und mit 12.170,33 € ausgeglichen worden.

8

Der Steuerschaden der Jahre 2008 – 2010 betrage weitere 29.788,93 €.

9

Ferner verlangt die Klägerin die Erstattungszinsen nach § 233 AO für die Jahre 2008 – 2011 und beziffert diese wie folgt:

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2008: 2.052,71 €

11

2009: 1.677,01 €

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2010: 997,71 €

13

2011: 309,03 € .

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Wegen der Einzelheiten der Zinsberechnung und der weiteren Nebenforderungen wird auf ihr Vorbringen Bezug genommen.

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Die Klägerin beantragt,

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den Beklagten zu verurteilen an sie, 34.825,39 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.7.2014 zu bezahlen, ferner den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin weiter 1.954, 46 € zu bezahlen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er wendet ihm Wesentlichen ein, er habe vor dem Jahr 2011 nicht wissen müssen, dass die Umsatzsteuerbefreiung auch für selbstständige Berufsbetreuer gelten könne und verweist hierzu insbesondere auf den Aussetzungsbeschluss des BFH vom 12.1.2012 .

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Bis dahin sei die Instanzrechtsprechung, wie auch die dem Aussetzungsbeschluss vom 12.1.2012 zugrunde liegende Entscheidung des Finanzgerichts Düsseldorf vom 26.11.2010 zeige, von der Umsatzsteuerpflicht ausgegangen. Erstattungszinsen nach § 233 AO könne die Klägerin auch nicht verlangen, da es keine Zinserstattung bei Rechtsmitteleinlegungen zur Offenhaltung und Entscheidung über das Rechtsmittel nach Ausgang des VerfA gäbe.

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Im Übrigen seien die geltend gemachten Schadensersatzansprüche auch verjährt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das gewechselte Vorbringen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist nur zu einem geringen Teil in Höhe der geltend gemachten Erstattungszinsen des Jahre 2011 in Höhe von 309, 03 € begründet.

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Im Übrigen ist die Klage unbegründet.

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Die Klägerin hat keine weiteren Ansprüche nach § 280 Abs. 1 BGB wegen Schlechterfüllung des Steuerberatervertrages, weil er jedenfalls im Jahre 2011 noch davon ausgehen konnte, dass ein Berufsbetreuer umsatzsteuerpflichtig ist.

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a) Der Steuerberater ist im Rahmen des ihm erteilten Auftrags zwar verpflichtet, den Mandanten umfassend zu beraten und ungefragt über alle steuerlichen Einzelheiten und deren Folgen zu unterrichten. Er hat seinen Mandanten möglichst vor Schaden zu schützen. Hierzu hat er den relativ sichersten Weg zu dem angestrebten steuerlichen Ziel aufzuzeigen und die für den Erfolg notwendigen Schritte vorzuschlagen ( BGHZ 129, 386; WM 1995, 2075, 2076; WM 1998, 301, 302). Die mandatsbezogen erheblichen Gesetzes- und Rechtskenntnisse, einschließlich geänderter Rechtsnormen muss er sich gegebenenfalls hierzu auch verschaffen ( BGH NJW 1971, 1704; NJW 1978, 1486; vgl. auch OLG Celle VersR 2001, 1437, 1438).

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b) Eine schuldhafte vertragliche Pflichtverletzung des Beklagten lässt sich nach diesen Maßstäben allerdings nicht feststellen, weil die Klägerin den Sorgfaltsmaßstab der an die mandatsbezogene Tätigkeit des Beklagten bei der Beschaffung der Gesetzes- und Rechtskenntnisse anlegt, überspannt ist.

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Die Klägerin hat mit der herangezogenen Entscheidung des BFH vom 17.2.2009 ihre Rechtsauffassung zur Frage der Umsatzsteuerbefreiung des Berufsbetreuers entgegen der Historie bereits in das Jahr 2009 vorverlegt. Das lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen. Vielmehr ist gerade die von der Klägerin herangezogene Entscheidung des BFH noch davon ausgegangen, dass das von einem Berufsbetreuer in Rechnung gestellte Entgelt mit Umsatzsteuer belastet wird (BFH vom 17.2.2009, XI R 67/06 bei juris Rn 29). Dem entsprach auch noch der Umsatzsteueranwendungserlass vom 1.10.2010 des Bundesministeriums der Finanzen (BStBl. I, S. 846), der ausweislich der vorgelegten Anlage K 1 nicht vor 2013 geändert wurde.

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c) Die weiteren Erwägungen der Klägerin, die auf bereits geführte Diskussionen zu dieser Frage in der Tagespresse und der Fachliteratur hinweist, gehören nach Auffassung des Gerichts dem politischen Raum an, berühren aber nicht das Mandat des Beklagten. Erörterungen die von interessierten Bürgern, Fachleuten, Berufsverbänden oder politischen Parteien auf allen Ebenen der Gesellschaft geführt werden und auf eine Veränderung bestehender Rechtsauffassungen und Rechtslagen hinwirken wollen, sind in einem demokratischen Gemeinwesen legitim und werden tagtäglich geführt. Der Inhalt dieser Erörterungen führt allerdings grundsätzlich nicht zu "Recht" das der Beklagte bei der Bearbeitung eines steuerberatenden Mandats zu beachten hat, wenn er einen Jahresabschluss und eine Steuererklärung zu erstellen hat. Insoweit handelt es sich nämlich nicht um Gesetzes – und Rechtskenntnisse, sondern um die Wahrnehmung und Ausübung der in Art 5 GG gewährleisteten Meinungsfreiheit. Ein rechtlich verfasstes Gemeinwesen weist in seinen jeweiligen Zuständigkeiten und auf der Grundlage einer rechtsförmlichen Legitimation, ausschließlich dem Staat und seinen Gliederungen, nicht aber seinen Bürgern, ein Gewaltmonopol zu. Diese Unterscheidung grenzt zugleich den freien und offenen Meinungsbildungsprozess der Bürger in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen von dem Recht des Staates ab, der die Rechtserheblichkeit aus der Vielfalt des Meinungsbildes in rechtsförmlich geführten Verfahren eingrenzt, rechtliche Erkenntnisse auf diese Weise institutionalisiert und damit erst überschaubar und für die rechtsberatenden Berufe beherrschbar macht.

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Veröffentlichungen von interessierten Gruppen, die sich mit institutionalisierten rechtlichen Erkenntnissen in zustimmender oder widersprechender Weise auseinander setzen, können deshalb auch nur dem Meinungsbildungsprozess eines demokratischen Gemeinwesens angehören. Inhalte die dieser Sphäre angehören, können für sich gesehen deshalb grundsätzlich auch keine Quelle einer schuldhaften Pflichtverletzung eines rechtsberatenden Berufs sein.

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c) Dem entspricht voll und ganz die höchstrichterliche Rechtsprechung, die verlangt, dass Angehörige rechtsberatender Berufe verpflichtet sind, sich bei der Gesetzesanwendung an der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu orientieren (BGH NJW 1993, 3324; 2009, 987, vgl. auch Palandt-Grüneberg, BGB 74. Aufl. § 280 Rn 68). Darüber hinaus müssen sie sich auch über die Rechtsprechung der Obergerichte orientieren, wenn zu Rechtsfragen noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt. Das schließt ferner mit ein, bereits vorgezeichnete rechtliche Grundgedanken, die sich aus einer bestimmten Entscheidung ergeben, einzubeziehen (etwa BGH NJW-RR 1993, 245 bei juris Rn 57).

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Insoweit hat die Klägerin allerdings nicht bewiesen, dass der BFH diese Frage der Umsatzsteuerbefreiung für Berufsbetreuer vor dem 2.3.2011 überhaupt erkannt, und aufgegriffen hart. Ein Vorlagebeschluss an den EuGH ist im Übrigen auch noch keine rechtsverbindliche Entscheidung. Es ist auch zutreffend, wenn der Beklagte darauf hinweist, dass die Finanzgerichte sowohl im Jahre 2010 (FG Düsseldorf 1 K 19814/10) als auch noch im Jahr 2011 (etwa FG Münster EFG 2011,2202 bei juris;) von der Umsatzsteuerpflicht des Berufsbetreuers ausgegangen sind. Klüger als die Finanzgerichte braucht der Beklagte nicht zu sein. Der EuGH hat diese Frage rechtsverbindlich im Übrigen erst im Jahre 2012 entschieden.

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d) Zwar ist der Klägerin zuzustimmen, dass im Hinblick auf der von ihr angeführten Entscheidung des EUGH vom 26.5.2005, Az C-498/03, UR 2005, 453-458) möglicherweise bereits wesentlich früher auch der rechtliche Schluss hätte gezogen werden können, dass der noch um Jahr 2011 vertretene Standpunkt der Finanzgerichte sich wohl nicht aufrecht erhalten lässt. Allerdings überfordert die Klägerin mit dieser Anspruchshaltung das Mandat des Beklagten. Denn dieser war unstreitig nur mit der Erstellung des Jahresabschlusses und einer Jahressteuererklärung beauftragt und nicht mit der Erstellung einer rechtswissenschaftlichen Analyse der Rechtsprechungsentwicklung beauftragt. Ein derartiger Auftrag führt qualitativ allerdings zu einem anderen Haftungsmaßstab, als nur die Pflicht bei der Ausübung seiner Tätigkeit sich an der Rechtsprechung zu orientieren. Da auch in den rechtsberatenden Berufen die eingegangenen Vertragspflichten aber stets mandatsbezogen beurteilt werden müssen, muss sich der Beklagte deshalb nach § 276 Abs. 1 BGB auch kein Verschulden entgegen halten lassen. Die Umsatzsteuer 2010 entstand unstreitig schon am 31.12.2010 und ist bereits am 11.10.2011 (SS 2.6.2015, Seite 5), also noch vor der Entscheidung des EuGH festgesetzt gewesen.

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e) Der in den Jahren 2011 und 2012 entstandene Steuerschaden ist unstreitig bereits ausgeglichen.

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Der Anspruch auf Erstattungszinsen für das Jahr 2011 in Höhe von 309, 03 € folgt aus den §§ 280 Abs 1 i.V.m. § 233a Abs. 1 und 3 AO und war der Höhe nach ebenfalls unstreitig. Der Beklagte hat ihn nur dem Grunde nach in Abrede gestellt. Da es sich hierbei in der Sache um eine Zinsforderung handelt, kommt eine weitere Verzinsung nach § 289 Satz 1 BGB nicht in Betracht.

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Im Übrigen ist die Klage auch hinsichtlich der weiter geltend gemachten Nebenforderung unbegründet. Es fehlt auch an einer ordnungsgemäßen Rechnungslegung nach den §§ 10 Abs. 1 und 2 RVG Der Steuerschaden der Jahre 2011 und 2012 war nämlich nicht Gegenstand des Rechtsstreits, weshalb insoweit auch keine nichtanrechenbaren Rechtsverfolgungskosten die über 69, 61 € hinausgehen (Erstattungszinsen 2011 als Hauptforderung bei einem Streitwert bis max. 500 € ) haben entstehen können. Das ist in der Rechnung (Anlage K 6, Blatt 28 d.A.) bereits nicht gesondert ausgewiesen.

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Im Übrigen beträgt der Gesamtwert der anwaltlichen Beratungsleistung, wie er dargestellt worden ist und sich aus Steuerschaden und Erstattungszinsen zusammensetzt auch nicht 51.476,60 € sondern nur 41.959, 26 €, wovon 12.170,33 € bereits nicht mehr Streitgegenstand gewesen sind und 5.036,45 € auf Erstattungszinsen entfallen. Die Erstattungszinsen werden als Nebenforderung nach den §§ 4 ZPO und 43 Abs. 2 GKG wiederum nicht zum Streitwert gerechnet, solange sie im Zusammenhang mit einer Hauptforderung stehen und nicht als Hauptforderung geltend gemacht werden, etwa weil die Hauptforderung mit der der Zinsanspruch zusammenhängt bereits erledigt ist (bei Thomas/Putzo, ZPO 34. Aufl. § 4 Rn 9 m.w.N). Infolgedessen waren bei der Wertbemessung dem noch geltend gemachten Steuerschaden von 29.788, 93 nur die Erstattungszinsen des bereits vorprozessual erledigten Jahres 2011 in Höhe von 309,03 € hinzuzurechnen. Im Übrigen gelten die Erstattungszinsen als Nebenforderung die bei der Wertbemessung außer Betracht zu bleiben hatten.

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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91, 92 Abs 2 ZPO der entsprechend auch dann anzuwenden ist, wenn eine exorbitant hohe Forderung nur in einer Bagatellgröße gerechtfertigt ist (bei Thomas/Putzo, ZPO 34. Aufl. § 92 Rn 8).

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Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 11, 711, 709 ZPO.


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