Beschluss vom Landgericht Mainz - 8 T 82/16
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Betroffenen vom 7. April 2016 wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Trier vom 24. März 2016 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
2. Die Staatskasse wird verpflichtet, die Dolmetscherkosten für das Beratungsgespräch mit Rechtsanwalt … vom 6. April 2016 in Höhe von 155,00 € zu tragen.
3. Dem Betroffenen wird auf seinen Antrag vom 7. Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … bewilligt.
4. Gerichtskosten werden in beiden Instanzen nicht erhoben. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen in beiden Instanzen werden der antragstellenden Behörde auferlegt.
5. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
- 1
Der Betroffene ist georgischer Staatsangehöriger.
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Er wurde erstmals im Januar 2014 in Bielefeld festgenommen und kurzzeitig in Untersuchungshaft genommen. Von der dort zuständigen Ausländerbehörde wurde ihm in der JVA ein Anhörungsschreiben zur Ausweisung zugestellt. Nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft tauchte der Betroffene unter. Er wurde daraufhin von der Staatsanwaltschaft Bielefeld zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben. Am 16. Juni 2015 wurde der Betroffene erneut festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt. In der Folgezeit war er zunächst in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Düsseldorf und anschließend in Karlsruhe untergebracht, die er wieder verließ und erneut untertauchte.
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Der Betroffene wurde schließlich am Abend des 23. März 2016 in … festgenommen. Die antragstellende Behörde beantragte mit Antrag vom 24. März 2016 beim Amtsgericht Trier die Anordnung der Festnahme und Abschiebehaft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 4. Mai 2016 im Wege der einstweiligen Anordnung.
- 4
Nach Anhörung des Betroffenen ordnete das Amtsgericht Trier mit Beschluss vom 24. März 2016 8BI. 49 ff. d.A.) Abschiebehaft, die nicht über den 4. Mai 2016 hinaus andauern dürfe, sowie die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an. Zugleich belehrte es den Betroffenen darüber, dass gegen den Beschluss die binnen eines Monats einzulegende Beschwerde statthaft sei. Auf die Gründe dieses Beschlusses wird ergänzend Bezug genommen.
- 5
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Beschwerde vom 7. April 2016. In der Beschwerdeschrift beantragt der Betroffene zugleich, das Land Rheinland-Pfalz zu verpflichten, die ihm entstandenen Dolmetscherkosten für das Beratungsgespräch mit Rechtsanwalt … vom 6. April 2016 in der Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige in Ingelheim i.H.v. 155 € zu tragen.
- 6
Das nach Abgabe des Verfahrens zuständige Amtsgericht Bingen/Rhein hat der Beschwerde des Betroffenen mit Beschluss vom 11. April 2016 nicht abgeholfen.
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Der Betroffene wurde am 15. April 2016 nach Georgien abgeschoben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
- 8
Der nach § 62 Abs. 1 FamFG analog eröffnete Antrag auf Feststellung einer Rechtsverletzung durch den Beschluss des Amtsgerichts Trier vom 24. März 2016 ist zulässig und begründet.
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Im Hinblick auf die vorgenommene Freiheitsentziehung liegt bis zum Zeitpunkt der Abschiebung des Betroffenen am 15.04.2016 ein berechtigtes Feststellungsinteresse gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG analog vor. Bei behaupteter rechtswidriger Freiheitsentziehung ist ein schutzwürdiges Interesse an der richterlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit anzuerkennen, das weder von dem Ablauf des Verfahrens noch vom Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme abhängt (BGH, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09 -, juris, Rn. 9; BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - V ZB 238/11 -, juris, Rn. 6). Der Betroffene kann neben dem Antrag auf Haftaufhebung zulässigerweise auch einen Antrag auf Feststellung einer Rechtsverletzung stellen, denn beide Anträge verfolgen nicht dasselbe Rechtsschutzziel. Ziel einer Beschwerde gegen die Haftanordnung oder eines Antrags auf Haftaufhebung ist die Beseitigung der Freiheitsentziehung. Ziel des Feststellungsantrags ist die Rehabilitierung des Betroffenen in Bezug auf den mit der Haftanordnung verbundenen Verwurf rechtswidrigen Verhaltens (BGH, Beschluss vom 06. Oktober 2011 - V ZB 314/10 -, juris, Rn. 7).
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Der Antrag ist auch begründet, da die vom Amtsgericht im Hauptsacheverfahren angeordnete Haft ohne den gern. § 417 Abs. 1 FamFG erforderlichen Antrag der Behörde auf den Erlass einer Hauptsacheentscheidung ergangen ist. Die Behörde hat nämlich in ihrem Antrag vom 24. März 2016 ausdrücklich den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.
- 11
Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 114/13 -, juris, Rn. 9, m.w.N.). Die ordnungsgemäße Antragstellung der Behörde nach § 417 FamFG stellt eine Verfahrensgarantie dar, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 GG fordert (BVerfG, NVwZ-RR 2009, 304, 305; BGH, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, juris, Rn. 19; Beschluss vom 9. Februar 2012 - V ZB 305/10, juris Rn. 10). Das gilt sowohl, wenn der Haftantrag nicht den in § 417 Abs. 2 FamFG aufgestellten Begründungserfordernissen entspricht (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13 -, Rn. 15, juris), als auch, wenn es an dem für die angeordnete Freiheitsentziehung erforderlichen Haftantrag der Behörde überhaupt fehlt (BGH, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09 -, Rn. 22, juris). Ein Antrag der Behörde auf eine vorläufige Freiheitsentziehung im Wege einstweiliger Anordnung ist dabei keine geeignete Grundlage für den Erlass einer Haftanordnung im Hauptsacheverfahren (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 114/13 - Rn. 11, juris) und kann einen Antrag in der Hauptsache auch nicht ersetzen (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 114/13 -, juris, Rn. 13). Wegen der unterschiedlichen verfahrensrechtlichen Anforderungen für einstweilige Anordnungen nach § 427 FamFG und denen für Entscheidungen in der Hauptsache nach § 422 FamFG muss für das Gericht und den Betroffenen stets klar sein, in welchem Verfahren die Behörde die Freiheitsentziehung beantragt (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 114/13-, juris, Rn. 13).
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Vorliegend hat die Behörde in ihrem Antrag vom 24. März 2016 ausdrücklich den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 427 Abs. 1 FamFG, 62 Abs. 3 Nr. 5 AufenthG beantragt. Bei der gerichtlichen Entscheidung handelt es sich demgegenüber um eine Hauptsacheentscheidung.
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Maßgebend für die rechtliche Qualifikation des freiheitsentziehenden Beschlusses ist dabei nicht der Antrag der Behörde, sondern der Inhalt der gerichtlichen Entscheidung. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Haftanordnung im Hauptsacheverfahren sind das Fehlen von Feststellungen zur Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung, eine abschließende, nicht nur vorläufige Feststellung der Haftgründe, die Überschreitung der für einstweilige Haftanordnungen geltenden Höchstdauer von sechs Wochen (§ 427 Abs. 1 Satz 2 FamFG) und die Rechtsmittelbelehrung (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 -V ZB 114/13 -, Rn. 7, juris; Beschluss vom 21. November 2013 - V ZB 96/13, FGPrax2014, 87 Rn. 5).
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Nach diesen Maßstäben ist die Entscheidung des Amtsgerichts Trier vom 24. März 2016 als Hauptsacheentscheidung anzusehen. In der Entscheidung des Amtsgerichts Trier vom 24. März 2016 wird zwar die für einstweilige Anordnungen geltende Vorschrift des § 427 FamFG angeführt und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet, allein hieraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass das Amtsgericht eine vorläufige Anordnung nach § 427 Abs. 1 Satz 1 FamFG getroffen hat. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Beschluss weder Feststellungen zur Frage der Notwendigkeit einer zunächst vorläufigen Regelung enthält und in den Entscheidungsgründen die Voraussetzungen der Abschiebungshaft abschließend festgestellt werden. Zudem weist die erteilte Rechtsmittelbelehrung auf die Monatsfrist nach § 63 Abs. 1 FamFG und nicht auf die - im Fall der einstweiligen Anordnung maßgebliche - Zwei-Wochen-Frist nach § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG hin.
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Der für die ergangene Haftanordnung erforderliche Antrag in der Hauptsache ist von der beteiligten Behörde auch nicht nachträglich im Beschwerdeverfahren gestellt worden, so dass eine - an sich mögliche - Beendigung der Verletzung des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG in der Beschwerdeinstanz nicht eingetreten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014-V ZB 114/13-, Rn. 15, juris).
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Der Anspruch auf Erstattung verauslagter Dolmetscherkosten für eine Verständigung zwischen dem Betroffenen und seinem Verfahrensbevollmächtigten ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von Art. 6 Abs. 3 e) EMRK, weil die Beiziehung eines Dolmetschers zu dem betreffenden Gespräch notwendig war (vgl. OLG München, NJW-RR 2006, 1511, 1512; OLG Celle, Beschluss vom 5. April 2005 - 22 W 12/05 -, juris, Rdnr. 10; LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 26. November 2010 - 2/29 T 171/10 -, juris, Rdnr. 9). Bei der Beurteilung der Notwendigkeit kommt es konkret auf die Sprachkenntnisse sowohl des Betroffenen als auch seines Verfahrensbevollmächtigten und die daraus resultierenden Verständigungsmöglichkeiten - gegebenenfalls unter Beiziehung eines privaten Sprachmittlers - an (vgl. OLG München, NJW-RR 2006, 1511, 1512). Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen hat hierzu dargelegt, dass der Betroffene nach seinen Angaben weder Deutsch noch Englisch gesprochen habe und er selbst weder russisch noch georgisch spreche, so dass die Kosten für die Beiziehung des Dolmetschers in Höhe von 155,00 € notwendig waren.
- 17
Die Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe folgt aus § 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. §§114 ff. ZPO.
- 18
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1, 83 Abs. 2, 430 FamFG, die Entscheidung über den Beschwerdewert auf § 36 Abs. 3 GNotKG.
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