Endurteil vom Landgericht München II - 10 O 2676/20 Ver
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
„§ 1 Was ist Gegenstand der Versicherung?
I. Welchen Versicherungsschutz bietet Ihnen die Betriebsschließungsversicherung?
Die Betriebsschließungsversicherung bietet Ihnen Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz-IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger
1. den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; als Schließung ist es auch anzusehen, wenn sämtliche Betriebsangehörige Tätigkeitsverbote erhalten;
(…)
II. Wann ist der Versicherungsfall gegeben?
Ein Versicherungsfall ist
1. Im Fall des Abs.
I. Nr. 1: die behördliche Anordnung der Schließung;
(…)
III. Welche Krankheiten und Krankheitserreger sind meldepflichtig? Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger sind die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger.
1. Krankheiten (…)“
(Es folgt eine Aufzählung bestimmter Krankheiten. Nicht in dieser Aufzählung enthalten ist die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19).)
„2. Krankheitserreger (…)“
(Es folgt eine Aufzählung bestimmter Krankheitserreger. Nicht in dieser Aufzählung enthalten ist das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2).)
„Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen? (Ausschlüsse)
(…)
4. Krankheiten und Krankheitserreger
Wir haften nicht bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf.
(…)“
- Gem. Nr. 3 der Allgemeinverfügung der Bayerischen Staatsministerien für Gesundheit und Pflege sowie für Familie, Arbeit und Soziales vom 16.03.2020, Az.: 51-G8000-2020/122-67, wurde, gestützt auf § 28 I 2 IfSG, wurde mit Wirkung vom 18.03.2020 bis zum 30.03.2020 Folgendes bestimmt:
„Untersagt werden Gastronomiebetriebe jeder Art. Ausgenommen hiervon sind in der Zeit von 6.00 bis 15.00 Uhr Betriebskantinen sowie Speiselokale und Betriebe, in denen überwiegend Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben werden. Ausgenommen ist zudem die Abgabe von Speisen zum Mitnehmen bzw. die Auslieferung; dies ist jederzeit zulässig. Es muss sichergestellt sein, dass der Abstand zwischen den Gästen mindestens 1,5 Meter beträgt und dass sich in den Räumen nicht mehr als 30 Personen aufhalten. Weiter ausgenommen sind Hotels, soweit ausschließlich Übernachtungsgäste bewirtet werden.“
- Gem. Nr. 1 der Allgemeinverfügung vom 17.03.2020 zur Änderung der Allgemeinverfügung über Veranstaltungsverbote und Betriebsuntersagungen anlässlich der Corona-Pandemie vom 16. März 2020, Az. 51-G8000-2020/122-67, wurde mit Wirkung ab 18.03.2020 u.a. Folgendes bestimmt:
„e) In Nr. 3 wird nach dem ersten Satz folgender neuer Satz eingefügt: „Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststättenbereiche im Freien (z.B. Biergärten, Terrassen).
f) In Nr. 3 wird der letzte Satz durch folgende zwei Sätze ersetzt: „Untersagt ist der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken. Hiervon ausgenommen sind Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen.“
- Gem. Nr. 2 der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.03.2020, Az.: Z6a-G8000-2020/122-98, wurde, gestützt auf § 28 I 2 IfSG, wurde mit Wirkung vom 21.03.2020 bis zum 03.04.2020 Folgendes bestimmt:
„Untersagt werden Gastronomiebetriebe jeder Art. Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.“
- Gem. § 2 der Bayerischen Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie (Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung - BayIfSMV) vom 27.03.2020 wurde mit Wirkung vom 31.03.2020 bis zum 19.04.2020 u.a. Folgendes bestimmt:
„(2) Untersagt sind Gastronomiebetriebe jeder Art. Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststättenbereiche im Freien (z.B. Biergärten, Terrassen). Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.
(3) Untersagt ist der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken. Hiervon ausgenommen sind Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen.“
- Gem. § 2 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) vom 16.04.2020 wurde mit Wirkung vom 20.04.2020 bis zum 03.05.2020 Folgendes bestimmt:
„(2) Untersagt sind Gastronomiebetriebe jeder Art. Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststättenbereiche im Freien (z.B. Biergärten, Terrassen). Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.
(3) Untersagt ist der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken. Hiervon ausgenommen sind Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen.“
- Gem. § 4 der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (3. BayIfSMV) vom 01.05.2020 wurde mit Wirkung vom 04.05.2020 bis zum 10.05.2020 Folgendes bestimmt:
„(2) Untersagt sind Gastronomiebetriebe jeder Art. Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststättenbereiche im Freien (z.B. Biergärten, Terrassen). Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.
(3) Untersagt ist der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken. Hiervon ausgenommen sind Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen.“
- Gem. der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) vom 05.05.2020 wurde mit Wirkung vom 11.05.2020 bis zum 17.05.2020 u.a. Folgendes bestimmt:
„§ 13 Gastronomie
Gastronomiebetriebe jeder Art sind untersagt. Ausgenommen sind:
1. Die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen und Getränken,
2. nicht öffentlich zugängliche Betriebs- und Schulkantinen, wenn gewährleistet ist, dass der Abstand zwischen den Gästen mindestens 1,5 m beträgt.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 hat der Betreiber ein Schutz- und Hygienekonzept auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen. § 12 Abs. 4 gilt entsprechend.
§ 14 Hotellerie
(1) Der Betrieb von Hotels, Beherbergungsbetrieben, Schullandheimen, Jugendherbergen und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte ist vorbehaltlich der Regelungen des Abs. 2 untersagt. Insbesondere darf für private touristische Zwecke keine Übernachtungsmöglichkeit angeboten werden.
(2) Zulässig ist die Beherbergung
-
1.von Geschäftsreisenden,
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2.in Seminar- und Bildungshäusern, Wohnheimen und vergleichbaren Einrichtungen zu Zwecken der beruflichen Aus- oder Fortbildung, und
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3.von privat Reisenden, soweit der Aufenthalt nicht touristisch begründet ist.“
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1.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 83.370,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 15.04.2020 zu bezahlen.
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2.Die Beklagte wird verurteilt, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.367,71 € zu bezahlen.
Die Klage wird abgewiesen.
Gründe
I.
„Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind. Bei der hier in Rede stehenden Betriebsschließungsversicherung ist überdies zu berücksichtigen, dass der typische Adressaten- und Versichertenkreis nicht in Verbraucherkreisen zu suchen ist, sondern vielmehr geschäftserfahren und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertraut ist, nachdem die Versicherung ihrem Zweck und Inhalt nach auf Gewerbebetriebe abzielt (vgl. dazu allgemein BGH, Urteile vom 18.11.2020 - IV ZR 217/19 Rn. 11 und vom 21.04.2010 - IV ZR 308/07 Rn. 12).“
„Damit wird nicht der Eindruck erweckt, der Versicherer verstehe den Katalog (…) nicht als abschließend. Es handelt sich lediglich um einen klarstellenden Hinweis. Ein Rückschluss von dieser Ausnahme auf den Umfang der Leistungspflicht liegt für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer gerade nicht nahe, schon gar nicht kann hieraus bei verständiger Betrachtung der Schluss gezogen werden, der in Ziff. 2 AVB erkennbar und eindeutig („nur“) abschließend formulierte und ohne ausdrücklichen Bezug zu den §§ 6 f. IfSG aufgestellte Katalog solle wieder geöffnet werden.“
„Damit wird nicht der Eindruck erweckt, der Versicherer verstehe den Katalog in Ziff. 1.2 AVB nicht als abschließend. Es wird vielmehr lediglich darauf hingewiesen, dass eine Mitursächlichkeit einer anderen Erkrankung ebenso wie die Mitursächlichkeit anderer, äußerer Faktoren den Versicherungsschutz entfallen lässt. Ein Rückschluss von dieser Ausnahme auf den Umfang der Leistungspflicht liegt für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer gerade nicht nahe, schon gar nicht kann hieraus bei verständiger Betrachtung der Schluss gezogen werden, der in Ziff. 1.2 AVB erkennbar abschließend formulierte Katalog solle wieder geöffnet werden.“
II.
III.
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Referenzen
- §§ 6 f. IfSG 1x (nicht zugeordnet)
- § 1 AVB 4x (nicht zugeordnet)
- § 4 AVB 1x (nicht zugeordnet)
- IfSG § 6 Meldepflichtige Krankheiten 4x
- IfSG § 7 Meldepflichtige Nachweise von Krankheitserregern 1x
- BGB § 307 Inhaltskontrolle 4x
- § 2 I Nr. 1 AVB 1x (nicht zugeordnet)
- § 1 I Nr. 1 AVB 1x (nicht zugeordnet)
- IfSG § 28 Schutzmaßnahmen 2x
- ZPO § 348a Obligatorischer Einzelrichter 1x
- BGB § 305c Überraschende und mehrdeutige Klauseln 1x
- § 1 III AVB 1x (nicht zugeordnet)
- § 1 III Nr. 1 AVB 2x (nicht zugeordnet)
- § 4 Nr. 4 AVB 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- 7 U 335/20 2x (nicht zugeordnet)
- 7 U 351/20 2x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 217/19 1x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 308/07 1x (nicht zugeordnet)