Urteil vom Landgericht Münster - 108 O 4/20
Tenor
Der Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 18.08.2020 wird als unzulässig verworfen.
Dem Beklagten werden auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Der Kläger macht mit der Klage gegen den Beklagten Honoraransprüche wegen einer zahnärztlichen Behandlung geltend, welche er dem Beklagten mit Rechnungen
3 vom 18.07.2016 über 3.733,31 EUR (Rechnungsnr. 0000-000000),
4 vom 18.07.2016 über 4.322,41 EUR (Rechnungsnr. 0000-000000),
5 vom 31.01.2019 über 256,46 EUR (Rechnungsnr. 0000-000000)
6in Rechnung stellte.
7Unter Berücksichtigung bereits geleisteter Zahlungen hat der Kläger die offenen Rechnungsbeträge zunächst im Mahnverfahren verfolgt und sodann nach Widerspruchseinlegung im streitigen Verfahren beantragt,
8den Beklagten zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 5.312,18 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.09.2016 aus 5.055,72 EUR sowie aus weiteren 256,46 EUR seit dem 13.07.2019 zu zahlen.
9Nach gerichtlichem Hinweis auf die teilweise Unschlüssigkeit des Zinsantrags hat der Kläger nur noch beantragt,
10den Beklagten zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 5.312,18 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.11.2016 aus 5.055,72 EUR sowie aus weiteren 256,46 EUR seit dem 13.07.2019 zu zahlen.
11Die Kammer hat daraufhin gemäß § 331 Abs. 3 ZPO im schriftlichen Vorverfahren am 18.08.2020 ein antragsgemäßes Versäumnisurteil gegen den Beklagten erlassen. Dieses wurde dem Beklagten am 26.08.2020 und dem Kläger am 27.08.2020 zugestellt.
12Mit Schriftsatz vom 09.09.2020 meldete sich die Kanzlei B S für den Beklagten und legte gegen das Versäumnisurteil vom 18.08.2020 namens und in Vollmacht des Beklagten Einspruch ein. Der Schriftsatz wurde dem Gericht mit einfacher elektronischer Signatur über das besondere Anwaltspostfach (beA) des Rechtsanwalts B übermittelt und ging am 09.09.2020 bei Gericht ein. Der Schriftsatz schließt mit einer Unterschrift und dem Zusatz „Rechtsanwalt S i.V. für Rechtsanwalt B“. Mit gerichtlichem Schreiben vom 17.11.2020 wurde der Beklagte mit näherer Begründung darauf hingewiesen, dass erwogen werde, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen, da er nicht ordnungsgemäß innerhalb der Einspruchsfrist eingelegt worden sei.
13Entscheidungsgründe
14I.
15Der Einspruch war gemäß § 341 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, da er nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt worden ist. Einer mündlichen Verhandlung bedurfte es gemäß § 341 Abs. 2 ZPO nicht. Der Lauf der gemäß § 339 Abs. 1 ZPO zweiwöchigen Einspruchsfrist begann gemäß § 310 Abs. 3 S. 1 ZPO mit der letzten Zustellung des Versäumnisurteils vom 18.08.2020, welche am 27.08.2020 erfolgte, also gemäß §§ 187, 188 BGB, 222 Abs. 1 ZPO am 28.08.2020 und endete am 11.09.2020. Innerhalb dieser Frist wurde kein formwirksamer Einspruch eingelegt. Der Schriftsatz vom 09.09.2020 ging zwar vor Ablauf der Frist bei Gericht ein, entsprach aber nicht der vorgeschriebenen Form.
161. Gemäß § 340 Abs. 1 ZPO wird der Einspruch durch Einreichung einer Einspruchsschrift eingelegt. Schon hiernach (vgl. etwa BeckOK ZPO/Toussaint, 38. Ed. 1.9.2020, ZPO § 340 Rn. 4), im Übrigen aber auch aus der allgemeineren Überlegung heraus, dass es sich bei der Einspruchsschrift um einen bestimmenden Schriftsatz handelt (vgl. Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020 Rn. 1, ZPO § 340 Rn. 1), muss der Einspruch grundsätzlich schriftlich eingelegt werden. Eine schriftliche Einlegung ist hier nicht erfolgt.
172. Der Schriftform des § 340 Abs. 1 ZPO genügt allerdings unter den Voraussetzungen § 130a ZPO auch die Übermittlung eines elektronischen Dokuments. Gemäß § 130a Abs. 3 S. 1 ZPO muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Zu den sicheren Übermittlungswegen gehört dabei gemäß § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO auch der Übermittlungsweg zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts.
18a) Die Einspruchsschrift war nicht gemäß § 130a Abs. 3 S. 1 Var. 1 ZPO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen.
19b) Die Voraussetzungen für eine formwirksame Einreichung mit einfacher Signatur gemäß § 130a Abs. 3 S. 1 Var. 2 ZPO liegen nicht vor. Zwar war die Einspruchsschrift mittels einer handschriftlichen Unterschrift signiert – wobei nach allgemeiner Auffassung wohl auch eine maschinenschriftliche Unterschrift ausreichend gewesen wäre – und sie wurde auch auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht. In Einklang mit der wohl mittlerweile herrschenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur (s. hierzu die Übersicht in BAG, NJW 2020, 2351, 2352) ist die Kammer aber der Auffassung, dass § 130a Abs. 3 S. 1 Var. 2 ZPO für eine formwirksame Einreichung eines elektronischen Dokuments mit lediglich einfacher elektronischer Signatur die Identität der den Schriftsatz verantwortenden Person mit der den Schriftsatz einreichenden Person voraussetzt. D.h.: Der Signateur muss den Schriftsatz über sein eigenes beA einreichen.
20aa) Maßgebend für die Gesetzesauslegung ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers. Zu dessen Ermittlung sind der Wortlaut der Norm, die Systematik, der Sinn und Zweck sowie die Gesetzesmaterialien und die Entstehungsgeschichte heranzuziehen. Unter diesen anerkannten Methoden hat keine unbedingten Vorrang. Welche Regelungskonzeption der Gesetzgeber mit dem von ihm gefundenen Wortlaut tatsächlich verfolgt, ergibt sich unter Umständen erst aus den anderen Auslegungsgesichtspunkten. Wird daraus der Wille des Gesetzgebers klar erkennbar, ist er zu beachten (vgl. etwa BVerfGE NJW 2018, 2542, 2548).
21bb) Zwar lässt sich dem Wortlaut des § 130a Abs. 3 S. 1 Var. 2 ZPO nicht eindeutig entnehmen, ob dort ein zweiaktiges Geschehen (Signatur und Einreichung) derselben Person vorausgesetzt wird oder nicht (so auch BAG NJW 2020, 2351, 2353; für eine derartige Wortlautauslegung aber etwa OLG Braunschweig NJW 2019, 2176, 2177). Mit Blick auf die Systematik sowie auf den Sinn und Zweck der Vorschrift ist jedoch eine einschränkende Auslegung diesen Inhalts geboten.
22In systematischer Hinsicht steht der sichere Übermittlungsweg bei einer Signatur durch die verantwortende Person gleichrangig neben der qualifizierten elektronischen Signatur, wobei die qualifizierte elektronische Signatur ihrerseits an die Stelle der eigenhändigen Unterschrift im Sinne des (für bestimmende Schriftsätze zwingenden) § 130 Nr. 6 ZPO tritt. Neben den sonstigen Funktionen der Unterschrift soll sie auch gewährleisten, dass das elektronische Dokument nicht spurenlos manipuliert werden kann (Perpetuierungs- oder Integritätsfunktion, vgl. BT-Drs. 14/4987, 24; BGH NJW 2013, 2034, 2035). Diese Funktionen sollen auch bei einer einfachen Signatur und einem sicheren Übermittlungsweg garantiert werden. Zum Ausdruck kommt dieser Aspekt in den sonstigen bundeseinheitlichen Übermittlungswegen nach § 130a Abs. 4 Nr. 4 ZPO. Sie sind nur dann als sichere Übermittlungswege anzusehen, wenn die Authentizität und Integrität der Daten gewährleistet ist. Der Gleichrang von qualifizierter elektronischer Signatur und sicherem Übermittlungsweg bei einfacher Signatur ergibt sich auch aus der Entwurfsbegründung. Auf Seite 25 heißt es dort, dass die das Dokument verantwortende Person das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen oder einen sicheren Übermittlungsweg nutzen muss (BT-Drs. 17/12634, 25). Beide Pflichten richten sich an die verantwortende Person.
23Diese systematischen Erwägungen werden durch die teleologische Auslegung gestützt. Mit der Änderung des § 130a ZPO wollte der Gesetzgeber keine Abkehr vom bisher geltenden Recht vornehmen, sondern es ergänzen. Nach der Entwurfsbegründung zur Neufassung des § 130a ZPO sollte mit dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs auf die hinter den Erwartungen zurückgebliebene Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs reagiert werden, die auf die mangelnde Akzeptanz der qualifizierten elektronischen Signatur zurückgeführt wurde. Abhilfe sollte eine anwenderfreundliche Kommunikation schaffen, die die Zugangshürden für die elektronische Kommunikation mit der Justiz bedeutend senken und das Nutzervertrauen stärken würde. Die Nutzung der qualifizierten elektronischen Signatur sollte nicht mehr zwingend erforderlich sein, wenn das elektronische Dokument stattdessen einfach signiert und auf einem sicheren Kommunikationsweg an die Justiz übermittelt wird. Dem Gesetzgeber ging es insbesondere darum, auch mit der Einführung zusätzlicher Kommunikationsmöglichkeiten weiterhin die Authentizität des übermittelten Dokuments zu gewährleisten. Das findet sich in der Entwurfsbegründung wieder, wo angeführt ist, dass eine Kommunikation per EGVP bei Versendung aus einem beA oder einem Postfach mit vergleichbarem Authentizitätsgrad als sicher angesehen werden könne (vgl. BT-Drs. 17/12634, dort insb. S. 20). Daran wird deutlich, dass ein abschließender Akt, mit dem die Verantwortung übernommen wird, auch dann erforderlich ist, wenn ein lediglich einfach signiertes elektronisches Dokument übermittelt wird. Gestützt wird dieses Ergebnis durch die Stellungnahme des Bundesrats, der hervorhob, dass Wertungswidersprüche zwischen Papierverfahren und elektronischem Verfahren zu vermeiden seien. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die leicht von Dritten anzubringende einfache Signatur durch ein Verfahren ergänzt wird, das die Authentizität, aber auch die Integrität des Dokuments sicherstellt. Authentizität und Integrität des Dokuments sind nur dann sichergestellt, wenn es entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist oder von der verantwortenden Person selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist. Übernimmt eine andere Person den Versand des nur einfach signierten Dokuments über das ihr zugeordnete beA, fehlt es an der erforderlichen Authentifizierungs- und Finalisierungswirkung dieses Aktes (vgl. zur vorhergehenden Auslegung grundlegend BAG, NJW 2020, 2351, 2552 m.w.N.).
24cc) Die demnach für eine formwirksame Einreichung der Einspruchsschrift mit nur einfacher elektronischer Signatur erforderliche Identität zwischen der den Schriftsatz verantwortenden Person und der den Schriftsatz einreichenden Person ist vorliegend nicht gewahrt.
25Die die Einspruchsschrift verantwortende Person war Rechtsanwalt S, der die Einspruchsschrift signierte. Dass er seiner Signatur einen Vertretungsvermerk hinzusetzte, ist ohne Belang. Denn nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung bringt der Zusatz „i.V.“ vor der Unterschrift eines postulationsfähigen Rechtsanwalts zum Ausdruck, dass der Rechtsanwalt als Unterbevollmächtigter die Verantwortung für den von ihm unterzeichneten Schriftsatz übernehmen will (vgl. nur etwa BGH, NJW 2020, 618, 619; auch Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 129 Rn. 9; Leuering, NJW 2019, 2739, 2742). Für einen Rechtsanwalt verstehe es sich, so der BGH, im Zweifel von selbst, mit seiner Unterschrift auch die Verantwortung für einen bestimmenden Schriftsatz zu übernehmen und nicht lediglich als Erklärungsbote tätig zu werden (BGH, NJW 2020, 618, 619). Dies gilt selbst dann, wenn der unterschreibende Rechtsanwalt seiner Unterschrift maschinenschriftlich den Namen des Rechtsanwalts beifügt, der den Schriftsatz erstellt hat (BGH, NJW-RR 2017, 760, 761; von Selle, in: BeckOK ZPO, Stand 01.09.2020, § 130 Rn. 11.1). Dass vorliegend der signierende Rechtsanwalt den Vertretungszusatz nicht vor, sondern hinter seine Signatur setzte, führt zu keiner anderen Einschätzung, da hiermit kein abweichender Erklärungsgehalt verbunden war.
26Eingereicht wurde die Einspruchsschrift jedoch nicht über das besondere elektronische Anwaltspostfach des verantwortenden Rechtsanwalts S, sondern über das besondere elektronische Anwaltspostfach von Rechtsanwalt B.
27Soweit der Beklagtenvertreter die Auffassung vertritt, der die Einspruchsschrift verantwortende Rechtsanwalt wäre nicht befugt gewesen, den Schriftsatz über sein eigenes besonderes elektronisches Anwaltspostfach einzureichen, da er nicht der Sachbearbeiter sei, führt dies zu keiner anderen Einschätzung. Für die interne Kanzleiorganisation mag von Bedeutung sein, wer der Sachbearbeiter eines Mandats ist, im elektronischen Rechtsverkehr mit dem Gericht dagegen ist - wie ausgeführt - allein entscheidend, wer die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat.
28II.
29Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 97 ZPO (in entsprechender Anwendung) und § 708 Nr. 3 ZPO.
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