Beschluss vom Landgericht Stendal (5. Zivilkammer) - 25 T 107/10

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 25.02.2010 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stendal vom 22.02.2010 (Az. 7 N 83/96) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Der vorherige Gesamtvollstreckungsverwalter (im Folgenden: Vorverwalter) war zunächst als Sequester in zwei bei dem Amtsgericht Stendal anhängigen Sequestrationsverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin (Az. 7 N 276/94 und 7 N 83/96) tätig.

2

Bei Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen der Gemeinschuldnerin durch Beschluss des Amtsgerichts Stendal vom 30.07.1996 wurde er zum Verwalter bestellt.

3

Aufgrund des Beschlusses der ersten Gläubigerversammlung richtete der Vorverwalter bei der FF-Bank ein Gesamtvollstreckungssonderkonto und ein Festgeldkonto ein.

4

Die durch das Insolvenzgericht festgesetzten Vergütungen für die Sequestrationsverfahren in Höhe von 4.840,74 DM und 1.819,51 DM entnahm der Vorverwalter dem Sonderkonto.

5

Weiter bezahlte der Vorverwalter aus der Masse Rechnungen von Hilfskräften in Höhe von 637,30 Euro.

6

In seinem Bericht zum Prüfungstermin am 26.11.1996 zeigte der Vorverwalter streitbefangene Forderungen an, die jedoch in absehbarer Zeit nicht durchzusetzen seien.

7

In einem Schreiben vom 13.8.1997 teilte der Vorverwalter dem Insolvenzgericht mit, dass er zur Zeit mit der Erstellung der Schlussrechnung befasst sei.

8

Nachfolgend konnte der Vorverwalter in 2001 und 2002 noch zwei Forderungen in Höhe von 173,04 Euro und 198,28 Euro zur Masse ziehen.

9

Ende 2004/Anfang 2005 wechselte der Vorverwalter als Verwalter in anderen Insolvenzverfahren von der FF-Bank zur GG-Bank als Verwalterbank. Er schloss als Insolvenzverwalter in 33 Insolvenzverfahren Vermögensverwaltungsverträge mit der GG-Bank, Zweigstelle …, ab. In diesen war eine jährliche, an die GG-Bank zu zahlende Vermögensverwaltungsgebühr in Höhe von 1,75 % des Gesamtwerts des verwalteten Vermögens per 31.12. des Vorjahres bzw. zum Zeitpunkt der Beendigung oder Teilverfügung vereinbart.

10

Unter dem 20.03.2009 erstattete der Vorverwalter im vorliegenden Gesamtvollstreckungsverfahren Schlussbericht. Er reichte die Schlussrechnung per 17.09.2008 ein und beantrage die Einstellung des Verfahrens mangels kostendeckender Masse. Des Weiteren beantragte der Vorverwalter die Festsetzung seiner Vergütung auf insgesamt 27.460,31 Euro. Ausgehend von einer Teilungsmasse in Höhe von 52.458,28 Euro legte er bei seiner Berechnung die fünffache Staffelvergütung als Regelvergütung in Höhe von 32.237,50 DM (16.482,77 Euro), einen Vergütungszuschlag in Höhe von 12.895,00 DM (6.593,11 Euro) für eine Verfahrensdauer von weit mehr als 8 Jahren sowie die gesetzliche Umsatzsteuer in Höhe von 19 % zugrunde.

11

Mitte des Jahres 2009 leitete die Staatsanwaltschaft … ein Ermittlungsverfahren gegen den Vorverwalter wegen des Verdachts der Untreue in 33 Fällen ein. Die Ermittlungen wurden aufgrund einer Verdachtsanzeige der GG-Bank gemäß § 11 GwG aufgenommen.

12

Unter dem 19.01.2010 erging ein Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts … von Räumlichkeiten des Vorverwalters und seiner Lebensgefährtin in … und … wegen des Verdachts der Untreue bzw. Beihilfe zur Untreue.

13

Am 08.02.2010 wurde Insolvenzrichtern des Amtsgerichts Stendal der Durchsuchungsbeschluss durch die Staatsanwaltschaft Hannover zur Kenntnis gegeben.

14

Der Vorverwalter wurde daraufhin in allen Gesamtvollstreckungs- und Insolvenzverfahren, in denen er durch das Amtsgericht Stendal zum Verwalter bestellt worden war, entlassen.

15

Vorliegend wurde er durch Beschluss der zuständigen Rechtspflegerin des Amtsgerichts Stendal vom 22.02.2010 ohne vorherige Anhörung abberufen. Ein neuer Gesamtvollstreckungsverwalter wurde bestellt. Der Massebestand belief sich zu diesem Zeitpunkt auf 16.820,06 Euro.

16

Zur Begründung der Abberufung wurde auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren Bezug genommen und ausgeführt, dass aufgrund der Selbstanzeige der GG-Bank und der von den Beschuldigten gestellten Rechnungen ausreichend konkrete Anhaltspunkte bestünden, welche den Verdacht der Untreue und Beihilfe zur Untreue stützten. Da in 33 Fällen eine schwere Verletzung von Verwalterpflichten anzunehmen sei, sei auf die grundsätzliche Ungeeignetheit des Verwalters und die Gefahr, dass der Verwalter durch weitere Maßnahmen der jeweiligen Masse weitere Schäden zufüge, zu schließen. Eine vorherige Anhörung sei unterblieben, da der Masse aufgrund des pflichtwidrigen Verhaltens des Verwalters ein Schaden drohe. Die Anhörung werde mit Zustellung des Beschlusses nachgeholt.

17

Gegen den ihm am 24.02.2010 zugestellten Beschluss legte der Vorverwalter unter dem 25.02.2010, eingegangen bei dem Amtsgericht Stendal am 01.03.2010, sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung führte er aus, dass das Gesamtvollstreckungsverfahren mit der Schlussrechnung und seinem Vergütungsantrag sachlich vollständig erledigt gewesen sei. Allein die Regelvergütung, die dem Vorverwalter zustehe, liege deutlich über dem Massebestand. Es habe daher keine Veranlassung bestanden, den Vorverwalter bei diesem Verfahrensstand noch abzuberufen. Von Gefahr im Verzuge, die eine Abberufung ohne vorherige Anhörung rechtfertigen könnte, könne keine Rede sein.

18

Durch Beschluss vom 12.05.2010 half das Amtsgericht Stendal der sofortigen Beschwerde nicht ab und legte die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vor.

19

Unter dem 16.07.2010 beantragte der Vorverwalter, die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Weiter wies er darauf hin, dass der neue Verwalter nur noch Kosten produzieren könne und eine Gläubigergefährdung nicht erkennbar sei.

II.

20

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 1 Abs. 3, 20 GesO i. V. m. §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt. Gemäß Art. 103 EGInsO ist die Gesamtvollstreckungsordnung auf vor dem 1.1.1999 beantragte Gesamtvollstreckungsverfahren weiterhin anzuwenden.

21

In der Sache hat die sofortige Beschwerde indes keinen Erfolg.

22

Die Rechtspflegerin des Insolvenzgerichts hat den Vorverwalter zu Recht gemäß § 8 Abs. 3 S. 2 GesO als Gesamtvollstreckungsverwalter abberufen.

23

Gemäß § 8 Abs. 3 S. 2 GesO kann das Gericht den Gesamtvollstreckungsverwalter aus wichtigem Grund abberufen.

24

Die Voraussetzungen für eine Abberufung lagen und liegen vor.

25

Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts war gemäß §§ 3 Ziffer 2 e, 18 Abs. 1 Ziffer 1 RPflG für die Entscheidung funktionell zuständig. Die Kammer bejaht zwar zumindest im vorliegenden Fall eine Verpflichtung des Rechtspflegers, gemäß § 18 Abs. 2 Satz 1 RPflG dem Richter die Möglichkeit zu geben, das Verfahren an sich zu ziehen. Zwar regelt § 18 Abs. 2 Satz 1 RPflG ausdrücklich nur den Fall, dass der Richter von sich aus einen Vorbehalt gemacht hat. Wo sich der Anlass aber erst ergibt, nachdem die Bearbeitung auf den Rechtspfleger übergegangen ist, ist der Richter darauf angewiesen, dass ihm der Vorgang zur Kenntnis gebracht wird. Ein solcher Fall ist das Entlassungsverfahren, wo die Umstände, die zur Entlassung des Verwalters geführt haben, erst im Verlauf des Verfahrens nach der richterlichen Bestellung des Verwalters entstanden sind (vgl. LG Braunschweig, Beschluss v. 29.04.2008, Az. 6 T 924/07). Vor allem in Fällen wie dem vorliegenden, wenn Umstände zu Tage getreten sind, die die generelle Geeignetheit des Verwalters zur Ausübung des Amtes bei Beurteilung strafrechtlicher Aspekte in Frage stellen, sieht die Kammer eine Verpflichtung, dem Richter den Vorbehalt zu ermöglichen. Denn nur wenn der Rechtspfleger dem Richter die Akten vorlegt, kann dieser entscheiden, ob er sich das Insolvenzverfahren vorbehalten will. Normzweck des § 18 Abs. 2 RPflG ist es nämlich, die Zuständigkeiten zwischen Rechtspfleger und Richter beweglich zu halten, um eine einzelfallbezogene Einschaltung des Richters zu ermöglichen (vgl. Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., §§ 27-29, Rn. 147, LG Braunschweig a. a. O.).

26

Eine Verletzung der Vorlagepflicht ist indes nicht gegeben. Der Akte ist zu entnehmen, dass der zuständige Insolvenzrichter durch die Staatsanwaltschaft … von dem Ermittlungsverfahren gegen den Vorverwalter in Kenntnis gesetzt wurde. In Kenntnis der Vorwürfe hat er von seinem Vorbehaltsrecht keinen Gebrauch gemacht.

27

Voraussetzung für eine Abberufung aus wichtigem Grund ist weiter, dass der Verwalter angehört wurde. Dies ist nunmehr in § 59 Abs. 1 S. 3 InsO ausdrücklich geregelt. § 59 Abs. 1 S. 3 InsO findet als eine gegenüber der Gesamtvollstreckungsordnung weitergehende Regelung - dort war die vorherige Anhörung, die indes aufgrund des Anspruchs auf rechtliches Gehör allgemein vorausgesetzt wurde (vgl. Hess/Binz/Wienberg, GesO, 3. Aufl., § 8 Rn 36; Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO, 4. Aufl., Rn. 101), nicht ausdrücklich geregelt - im Sinne einer Fortschreibung des Rechts durch den Gesetzgeber auch auf Gesamtvollstreckungsverfahren Anwendung (vgl. Schmahl in: Münchner Kommentar zur InsO, a. a. O., § 359 Rn 21).

28

Das Amtsgericht hat den Vorverwalter vor seiner Abberufung vorliegend nicht angehört.

29

Dahingestellt bleiben kann, ob von einer vorherigen Anhörung ausnahmsweise wegen Gefahr in Verzug abgesehen werden konnte (vgl. Uhlenbruck InsO, 12. Aufl., § 59 Rn 18, anders Graeber in: Münchner Kommentar zur InsO, a. a. O., § 57, der bei Gefahr in Verzug lediglich eine vorläufige Amtsenthebung ohne Gewährung rechtlichen Gehörs für zulässig erachtet).

30

Die nicht erfolgte Anhörung vor der Abberufung führt vorliegend jedenfalls nicht zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs des Vorverwalters. Denn das rechtliche Gehör konnte im Abhilfeverfahren vor dem Insolvenzgericht und im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden (vgl. BGH; Beschluss v. 03.04.2003 Az. IX ZB 373/02; v. 16. Oktober 2003 – ZVI 2004, 24, 25; Beschluss v. 09.07.2009, Az. IX ZB 35/09). Dies ist vorliegend geschehen. Der Vorverwalter konnte sich vor der Entscheidung der Kammer zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen äußern.

31

Des Weiteren liegt ein wichtiger Grund für die Abberufung des Gesamtvollstreckungsverwalters gemäß § 8 Abs. 3 S. 2 GesO vor.

32

Denn es besteht der begründete, auf konkrete Anhaltspunkte gestützte Verdacht, dass der Vorverwalter sich in 33 Fällen als Insolvenzverwalter schwerster gegen Insolvenzmassen gerichteter Straftaten, nämlich der Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB, strafbar gemacht hat und daher charakterlich ungeeignet für das Verwalteramt ist.

33

Grundsätzlich setzt die Entlassung eines Insolvenzverwalters voraus, dass nicht nur ein bloßer Verdacht besteht, sondern die Tatsachen, die den Entlassungsgrund bilden, zur vollen Überzeugung des Insolvenzgerichts nachgewiesen sind. Denn die Ausübung des Insolvenzverwalteramtes ist durch Art. 12 GG geschützt. Eingriffe sind nur zulässig, soweit sie durch höherwertige Interessen des gemeinen Wohls gerechtfertigt sind, nicht weiter gehen, als es erforderlich ist, und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Außerdem ist die in Art. 6 Abs. 2 EMRK niedergelegte Unschuldsvermutung auch von den Zivilgerichten zu beachten (BGH, Urt. v. 08.12.2005, Az. IX ZB 308/04 Rn 8, zitiert nach Juris, m. w. N.).

34

Ob von diesem Grundsatz eine Ausnahme anzuerkennen ist, wenn der Verdacht von gegen die Masse gerichteten Straftaten besteht, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden (vgl. BGH a. a. O. Rn 13).

35

In der Rechtsprechung (vgl. LG Halle ZIP 1993, 1739) und in der Literatur (vgl. Schmid GesO, 3. Aufl., § 8 Rn 392, Hess/Binz/Wienberg a. a. O. Rn 34 e, Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 59 Rn 8 f; auch KTS 1989, 229, 249 in Fußnote 631, Graeber a. a. O. § 59 Rn 24; Kind in: Braun, InsO 4. Aufl., § 59 Rn 8) wird anerkannt, dass bei gegen die Masse gerichteten, schwersten Straftaten bereits der Verdacht eine Entlassung rechtfertigen kann, insbesondere wenn hinreichend konkrete Verdachtsgründe bestehen (vgl. LG Halle a. a. O., Hess/Binz/Wienberg a. a. O., Uhlenbruck a. a. O. Rn 9, Graeber a. a. O.).

36

Die Kammer folgt diesem Grundsatz für den Fall, dass anhand der strengen, durch das Bundesarbeitsgericht für die so genannte Verdachtskündigung entwickelten Grundsätze ein dringender Verdacht besteht, dass der Insolvenzverwalter gegen die Masse gerichtete Straftaten begangen hat (vgl. Schmid a. a. O., Uhlenbruck a. a. O. Rn 8).

37

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gemäß § 626 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund fristlos kündigen, wenn auf objektiven Tatsachen beruhende Verdachtsmomente einer Straftat vorliegen und diese geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnis erforderliche Vertrauen bei einem verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören (vgl. BAG Urteil vom 29.11.2005, Az. AZR 724/06, Rn 30 zitiert nach Juris, std. Rechtsprechung). Dabei sind an die Darlegung und Qualität der schwerwiegenden Verdachtsmomente besonders strenge Anforderungen zu stellen, weil bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr besteht, dass ein “Unschuldiger” betroffen ist. Der notwendige, schwerwiegende Verdacht muss sich aus den Umständen ergeben bzw. objektiv durch Tatsachen begründet sein. Er muss ferner dringend sein, das heißt, bei einer kritischen Prüfung muss eine auf Beweisanzeichen (Indizien) gestützte große Wahrscheinlichkeit für die erhebliche Pflichtverletzung (Tat) gerade dieses Arbeitnehmers bestehen. Bloße auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus. Schließlich muss der Arbeitgeber alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan haben, insbesondere dem Arbeitnehmer ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben (BAG a. a. O. m. w. N.).

38

Nach eingehender, kritischer Prüfung der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft … ist die Kammer zum Ergebnis gekommen, dass vorliegend ein dringender Verdacht im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts besteht, dass der Vorverwalter sich der Begehung einer Untreue durch Treubruch gemäß § 266 Abs. 1 StGB in 33 Fällen strafbar gemacht hat.

39

Gemäß § 266 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer die ihm kraft Gesetzes obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt.

40

Mit der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens und der Bestellung zum Verwalter bestand gemäß § 8 Abs. 2 GesO eine Vermögensbetreuungspflicht des Vorverwalters gegenüber dem Schuldner sowie gegenüber den Gesamtvollstreckungs- und Massegläubigern einschließlich der absonderungsberechtigten Gläubiger (vgl. Ott/Vuia in: Münchner Kommentar zur InsO, a. a. O., § 80 Rn 146).

41

Es besteht der dringende Verdacht, dass der Vorverwalter diese Vermögensbetreuungspflicht durch das Versprechenlassen und die Entgegennahme eines Sondervorteils zum Nachteil der Masse in 33 Fällen verletzt hat, indem er sich für die Vermittlung bzw. den Abschluss von 33 Vermögensverwaltungsverträgen über Treugelder von der GG-Bank eine jährliche Vergütung hat versprechen und nachfolgend in Höhe von insgesamt 162.432,27 Euro hat gewähren lassen, wobei er billigend in Kauf nahm, dass die Bank diese Vergütung durch eine erhöhte Verwaltungsgebühr zu Lasten des verwalteten Vermögens finanzierte.

42

Der dringende Verdacht besteht aufgrund der Verdachtsanzeige der GG-Bank unter dem 24.07.2009, mit welcher den Verfolgungsbehörden der Inhalt bankintern geführter Mitarbeitergespräche bekannt gemacht wurde. Danach wurde am 26.06.2009 ein Gespräch zwischen einem beauftragten Rechtsanwalt der GG-Bank und dem Mitarbeiter der GG-Bank, NN, über das Kundenengagement des Vorverwalters und seiner Lebensgefährtin geführt. Im Verlauf dieses Gesprächs erklärte Herr NN ausweislich der Aktennotiz des Rechtsanwalts, dass er mit dem Vorverwalter über die Anlage von Treugeldern aus Insolvenzverwaltungen in Höhe von etwa 7 Mio. Euro bei der GG-Bank im Jahr 2004 verhandelt habe, die zu diesem Zeitpunkt noch bei der FF-Bank angelegt waren. Laut dieser Aktennotiz hat Herr NN Folgendes erklärt: „Das Gespräch entwickelte sich dann dahingehend, dass AA fragte, was denn bei einem solchen Wechsel der Bankverbindung für ihn „hängen bleiben“ würde. Ich kann das heute nicht mehr wörtlich rekonstruieren, aber das war sinngemäß die Aussage und der Inhalt der Frage, was es ihm bringen würde, die verwalteten Gelder zu uns zu transferieren … Man hat darüber gesprochen, dass die Gebühren bei 1,75 % liegen, denn das war damals die Standardgebühr einer Vermögensverwaltung. Als stellvertretender Vertriebsleiter hatte ich damals die Kompetenz, die Gebühren bis auf 1 % jährliche Verwaltungsgebühr zu reduzieren, also in diesem Rahmen zu verhandeln…Insoweit war das Modell dann 1 % Verwaltungsgebühr verbleiben bei der Bank, 0,75 % sollten an Herrn AA fließen…AA hätte zu 1 % Verwaltungsgebühr abschließen können angesichts der von ihm eingebrachten Vermögensverwaltungen…“.

43

Auch aus den Befragungen der Mitarbeiter … und des Justiziars HH durch den beauftragten Rechtsanwalt am 26.06.2009 ergeben sich konkrete Anhaltspunkte, dass der Vorverwalter sich eine Vermittlungsgebühr zu Lasten der Massen hat versprechen und gewähren lassen. So hat Herr HH erklärt: „Es war deutlich, dass die Massen etwas mehr hätten bekommen können, wenn die Verwaltungsgebühr der Bank niedriger angesetzt worden wäre.“ Herr … hat bekundet: „… mir damals nicht klar genug war, dass wir dem Insolvenzverwalter hier einen Teil der Filialmarge überlassen haben, d. h. einen Teil der Marge, auf den die Filiale verzichtet hat.“

44

Aus der Aktennotiz über die Befragung des NN am 26.06.2009 ergeben sich weiter konkrete Anhaltspunkte, dass die GG-Bank dem Vorverwalter den versprochenen Vorteil auch gewährt hat. Denn Herr NN hat unter Vorhalt der Rechnung des Vorverwalters für das Jahr 2005 unter dem 27.12.2005 über 31.582,28 Euro erklärt, dass entgegen des Rechnungstextes, der auf Beraterleistungen im Zusammenhang mit notleidenden Kreditengagements abstellt, „…die Rechnung Gegenstand einer mündlichen Vereinbarung war, dass wir einen Kick Back zahlen…“. Hinsichtlich drei weiterer Rechnungen der Lebensgefährtin des Vorverwalters, Frau JJ, mit demselben Rechnungstext für das Jahr 2006 unter dem 22.12.2006 über 46.121,99 Euro, unter dem 21.12.2007 über 44.982,00 Euro und für das Jahr 2008 unter dem 19.01.2009 über 39.746,00 Euro hat Herr NN die Änderung in der Person des Rechnungsstellers damit erklärt, dass der Justiziar der GG-Bank, Herr HH, empfohlen habe, „die Rechnung auf eine andere Person lauten zu lassen oder von einer anderen Person schreiben zu lassen.“ Herr HH hat dies in seiner Befragung am 26.06.2009 bestätigt.

45

Die Rechnungsbeträge über insgesamt 162.432,27 Euro sind auch nach der Einlassung des Vorverwalters an ihn bzw. an seine Lebensgefährtin ausgezahlt und vereinnahmt worden.

46

Es bestehen auch konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Vorverwalter eine Schädigung der von ihm verwalteten Massen durch die Vereinbarung und Auszahlung des Vermittlungshonorars billigend in Kauf genommen hat. Ausweislich einer ergänzenden bankinternen Befragung des NN am 08.07.2009 hat Herr NN erklärt: „Ein normaler Kunde mit diesem Verwaltungsvolumen hätte die 1,75 % nicht akzeptiert.“ Hieraus ergibt sich der Verdacht, dass dem Vorverwalter, zumal er Diplom-Kaufmann ist, bewusst war, dass die vereinbarte Verwaltungsgebühr im Hinblick auf die an ihn zu zahlende Vergütung überhöht ist. Für seinen Vorsatz sprechen darüber hinaus die sich aus der Befragung der Bankmitarbeiter am 26.06.2009 ergebenden Indizien, dass der Vorverwalter um eine Verschleierung der Zahlung einer Vermittlungsgebühr bemüht war. So hat Herr NN erklärt, es gebe - völlig untypisch für Bankgeschäfte - „gar nichts Schriftliches zu der Frage der Vergütungsstruktur.“ Weiter hat Herr NN erklärt, er könne „heute schließen, dass es bei diesem Rechnungstext das Bemühen von Herrn AA war, nicht ganz offen darzulegen, dass es sich um Rückvergütungen aus den Vermögensverwaltungen für die Insolvenzmassen handelte.“ Des Weiteren hat Herr NN geschildert, der Vorverwalter habe „weniger bekommen, als das was zunächst mündlich vereinbart war. Die Zahlen liegen deutlich unter dem was rechnerisch bei 0,75 % von dem verwalteten Vermögen heraus kommen würde. Insofern habe ich natürlich auch kaufmännisch gedacht, für das Institut. Also: Was die Rechnungen hier widerspiegeln ist die gelebte Praxis, da es ja auch keinen geschriebenen Vertrag oder keine schriftliche Vereinbarung hierzu gab. Ich habe insofern, am Beispiel der letzten Rechnung Herrn AA gebeten, eine Rechnung über 40.000 Euro zu schreiben…“. Die letzte von Frau JJ eingereichte Rechnung beläuft sich auf 39.740,00 Euro. Mithin hat der Vorverwalter eine geringere Vergütung akzeptiert als vereinbart. Auch dies lässt darauf schließen, dass er um eine Nichtaufdeckung der Zahlung bemüht war und folglich um die Unrechtmäßigkeit seines Handelns wusste.

47

Der dargelegte Verdacht ist dringend. Die Selbstanzeige der Bank nach umfänglicher bankinterner Überprüfung belegt einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit, dass die mitgeteilten Vorgänge zutreffend sind.

48

Aufgrund des dringenden Verdachts der Begehung schwerwiegender Vermögensdelikte war der Vorverwalter als Gesamtvollstreckungsverwalter auch im vorliegenden Verfahren abzuberufen.

49

Denn die Begehung schwerwiegender Vermögensdelikte belegt eine persönliche Ungeeignetheit für die Ausübung des Verwalteramtes. Zu den persönlichen Voraussetzungen für die Bestellung als Insolvenzverwalter gehören peinliche finanzielle Korrektheit und Ehrlichkeit (vgl. Graeber a. a. O. § 56 Rn 55). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist die betreffende Person generell ungeeignet für das Verwalteramt (vgl. Uhlenbruck a. a. O. Rn 8, Graeber a. a. O. § 59 Rn 23). Sie hat das Amt unabhängig von einer konkreten Gefahr für das verwaltete Vermögen nicht weiter auszuüben. Ein Gesamtvollstreckungsverwalter, der durch die rechtskräftige Verurteilung wegen gegen verwaltete Massen gerichtete Straftaten schwerwiegende Zweifel an seiner beruflichen Zuverlässigkeit und Redlichkeit begründet, ist aufgrund der besonderen Vertrauensstellung, die dem Amt des Verwalters innewohnt, für die Verfahrensbeteiligten nicht länger tragbar (vgl. BGH Beschluss v. 06.05.2004 Az. IX ZB 349/02 Rn 19). Seine Berufsausübungsfreiheit tritt vollständig hinter den Gläubigerinteressen sowie dem öffentlichen Interesse an einer ordnungsgemäßen Durchführung der Insolvenzverfahren durch ausschließlich geeignete Verwalter zurück.

50

Besteht wie vorliegend der dringende Verdacht der Begehung schwerwiegender, gegen verwaltetes Vermögen gerichteter Straftaten durch den Verwalter, überwiegt ebenfalls der Schutz der durch die Amtsausübung betroffenen Interessen vor charakterlich ungeeigneten Verwaltern die Berufsausübungsfreiheit des Verwalters. Seine sofortige Entlassung ist vorliegend angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, dass anderenfalls ein ungeeigneter Verwalter das Amt ausüben könnte, erforderlich. Sie ist angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit der Begehung schwerstwiegender Vermögensstraftaten auch verhältnismäßig. Es ist Gläubigern und Gericht angesichts des hohen Verdachtgrades nicht zumutbar abzuwarten, bis sich der böse Schein eines charakterlich ungeeigneten Verwalters, den der Vorverwalter selbst verursacht hat, zu einer rechtskräftig bewiesenen Tatsache erhärtet hat (vgl. Uhlenbruck a. a. O., Graeber a. a. O. Rn 13).

51

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht insoweit, als der Vorverwalter meint, vorliegend sei seine Abberufung durch nichts zu rechtfertigen, da das Verfahren sachlich vollständig erledigt gewesen sei und seine an ihn auszuzahlende Regelvergütung über dem Massebestand liege.

52

Die Abberufung des Vorverwalters ist aufgrund seiner zu Tage getretenen, sehr wahrscheinlichen Ungeeignetheit als Insolvenzverwalter gerechtfertigt. Aufgrund seiner höchstwahrscheinlichen Ungeeignetheit als Insolvenzverwalter hat er das Amt eines Insolvenzverwalters nicht länger auszuüben. Er ist in dem Amt, dem eine Vertrauensstellung innewohnt und das öffentliche Ansehen genießt, nicht mehr tragbar. Daher ist nicht entscheidend, ob er eine konkrete Gefahr für das verwaltete Vermögen darstellt bzw. zu befürchten ist, dass er den Massebestand durch strafbare Handlungen schmälern könnte. Darüber hinaus verfängt auch nicht die Argumentation, dass vorliegend eine Gefährdung des Massebestands wegen eines vermeintlich über dem Massebestand liegenden Vergütungsanspruchs des Vorverwalters von vornherein ausgeschlossen sei. Zum einen bestand mangels Festsetzung der Vergütung zum Zeitpunkt der Abberufung noch kein Entnahmerecht des Vorverwalters. Zum anderen ist auch zweifelhaft, ob ein Vergütungsanspruch in beantragter und den Massebestand übersteigender Höhe überhaupt besteht. Denn es dürfte nicht nur zu prüfen sein, ob die aus der Masse bezahlten Dienstleistungstätigkeiten von Hilfskräften mangels Delegierbarkeit der Tätigkeiten von der Vergütung abzuziehen sind. Insbesondere bedarf auch einer Prüfung, ob statt eines Zuschlags eine Minderung der Regelvergütung gerechtfertigt ist, da die Verfahrensdauer trotz zweier vorausgegangener Sequestrationsverfahren, die die Abwicklung des Gesamtvollstreckungsverfahrens erleichtert haben, dem Vorverwalter zurechenbar überlang gewesen ist. Ferner dürfte zu prüfen sein, ob der Vergütungsanspruch des Vorverwalters für seine erste Tätigkeit als Sequester lediglich eine Tabellenforderung dargestellt und so die Entnahme der Vergütung in Höhe von 4.840,74 DM (2.475,03 Euro) zu Unrecht erfolgt ist. Dies zeigt auch, dass das Verfahren noch keinesfalls vollständig erledigt ist.

53

Liegt wie vorliegend ein wichtiger Grund für eine Abberufung vor, besteht hinsichtlich der Abberufung kein Ermessensspielraum des Gerichts mehr (vgl. Uhlenbruck, aaO Rn 14).

54

Die Kostenentscheidung beruht auf § 1 Abs. 3 GesO i. V. m. § 97 ZPO.

55

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, da die Frage klärungsbedürftig ist, ob der Verdacht der Begehung strafbarer Handlungen einen wichtigen Grund im Sinne von § 8 Abs. 3 S. 2 GesO darstellen kann. Das Auftreten dieser Frage ist in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten, so dass das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist. Die Fortbildung des Rechts erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, da der vorliegende Fall Veranlassung gibt, einen Leitsatz für die Auslegung des § 8 Abs. 3 S. 2 GesO aufzuzeigen. § 574 ZPO ist auf Gesamtvollstreckungsverfahren, die vor dem 01.01.1999 beantragt wurden, anwendbar (vgl. BGH NJW-RR 1994, 575).

56

Von der Festsetzung eines Beschwerdewertes wurde abgesehen, da eine Festgebühr anfällt (§ 3 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 2361 KostVGKG).


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