Beschluss vom Landgericht Stralsund (6. Zivilkammer) - 6 O 369/10
Tenor
Das Gericht erklärt sich für funktionell unzuständig und verweist den Rechtsstreit nach Anhörung der Parteien an das zuständige Amtsgericht Bergen auf Rügen als Familiengericht.
Gründe
I.
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Die derzeit noch miteinander verheirateten, seit Herbst 2006 jedoch getrennt lebenden Parteien streiten um die Berechtigung der Verfügungsbeklagten, an einer im Bruchteilseigentum der Parteien stehenden Immobilie Sanierungsmaßnahmen vorzunehmen.
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Die Parteien sind bruchteilige Miteigentümer zweier Immobilien in G., u.a. des hier in Rede stehenden, mit einem Mehrparteienwohnhaus bebauten Grundstückes in der D.-Straße 3. Eine Wohnung in dem betreffenden Gebäude bewohnt der Verfügungskläger, weitere Wohnungen sind bzw. waren - zumindest teilweise - vermietet. Auf dem Grundstück lasten im Einzelnen von den Parteien nicht näher vorgetragene Grundpfandrechte zur Sicherung von Kreditverbindlichkeiten, für die beide Parteien - die Verfügungsbeklagte wenigstens als Bürgin - haften. Der Verfügungskläger bedient die laufenden Tilgungs- und Zinsraten gegenwärtig nur insoweit, als die tatsächlich eingehenden Nettokaltmieten aus der Vermietung der auf dem darlehensfinanzierten Grundstück vermieteten Wohnungen dies zulassen. Darüber hinaus trägt er aus eigenen Mitteln derzeit nicht zur Tilgung bei. Die Verfügungsbeklagte hat dem Verfügungskläger mit Schreiben vom 01.11.2010 für den Folgetag den Beginn von Sanierungsmaßnahmen an dem betreffenden Objekt in der D.-Straße 3 angekündigt. Zwischen den Parteien ist beim Amtsgericht Bergen unter dem Aktenzeichen ... ein Ehescheidungsverfahren anhängig.
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Der Verfügungskläger behauptet sinngemäß, Sanierungen seien nicht veranlasst. Die Gebäudesubstanz sei nicht bedroht und die Vermietung hinge nicht von der Sanierung des Objektes ab. Auch ohne Sanierung hätten sich bereits Kaufinteressenten für die Immobilie gefunden. Es sei davon auszugehen, dass die Verfügungsbeklagte ihn anteilig auf die Kosten der Sanierung in Anspruch nehmen würde. Dies hätte sie bei einer anderen Immobilie in der Vergangenheit bereits getan bzw. angekündigt. Damit würde die güterstandsrechtliche Auseinandersetzung unnötig verkompliziert.
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Auf Antrag des Verfügungsklägers hat die Kammer der Verfügungsbeklagten die von ihr angekündigten Sanierungsarbeiten am gemeinschaftlichen Grundstück am 03.11.2010 im Wege einer einstweiligen Verfügung, für deren näheren Inhalt auf Bl. 20 ff. d.A. Bezug genommen wird, vorläufig untersagt. Hiergegen hat die Verfügungsbeklagte Widerspruch eingelegt, mit dem sie die Aufhebung der einstweiligen Verfügung begehrt.
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Der Verfügungskläger beantragt,
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den Widerspruch zurückzuweisen.
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Die Verfügungsbeklagte beantragt,
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die einstweilige Verfügung aufzuheben.
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Die Verfügungsbeklagte behauptet, das Gebäude sei sanierungsbedürftig. Es müsse saniert werden, um es weiter ertragreich vermieten und aus den Mieteinnahmen die laufende Darlehensschuld bedienen zu können. Es hätte sich Gebäudeschimmel gebildet. Zudem seien u.a. einzelne Balken faulig. Es bestünde Handlungsbedarf, den im September 2010 auch der Verfügungskläger in einem Brief an die gemeinsame Tochter - für dessen Inhalt auf die Anlage AG 2 (Bl. 65 d.A.) - Bezug genommen wird, ausdrücklich eingeräumt hätte. Außerdem hätte sie, die Verfügungsbeklagte, angeboten, die Sanierung auf eigene Kosten durchzuführen.
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Im Übrigen wird für den Sach- und Streitstand ergänzend auf das schriftsätzliche Vorbringen der Beteiligten un den sonstigen Inhalt der Prozessakten Bezug genommen.
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Der aus dem Tenor ersichtlichen Verweisung haben beide Parteien zugestimmt, die Verfügungsbeklagte bereits im mündlichen Verhandlungstermin vom 13.12.2010 (Bl. 75 f. d.A.), der Verfügungskläger mit Schriftsatz vom 14.12.2010 (Bl. 78 f. d.A.).
II.
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Der mit der einstweiligen Verfügung vom 03.11.2010 vorläufig vollstreckungsfähig titulierte Anspruch des Verfügungsklägers auf Unterlassung von Sanierungsmaßnahmen aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB stellt einen Anspruch zwischen miteinander verheirateten Personen oder - sollte bereits ein rechtskräftiges Scheidungsurteil vorliegen - ehemals miteinander verheirateten Personen im Zusammenhang mit der Trennung oder Scheidung und damit eine sonstige Familiensache i.S. von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG dar, der in die funktionelle Zuständigkeit der Familienabteilung beim Amtsgericht - hier dem örtlich zuständigen Amtsgericht Bergen - fällt (vgl. §§ 23a Abs. 1 Nr. 1, 23b Abs. 1 GVG, 111 Nr. 10 FamFG). Daher war der Rechtsstreit nach Anhörung der Parteien, die der Verweisung übereinstimmend zugestimmt haben, gemäß § 17a Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 S. 1 GVG, der auch im einstweiligen Verfügungsverfahren zur Anwendung gelangt (vgl. Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl. 2010, GVG § 17a Rdnr. 3 i.V.m. § 17 Rdnr. 2 m.w.N.), dorthin zu verweisen. Eine vorherige vorläufige Sachentscheidung des Landgerichts über die Bestätigung, Abänderung oder Aufhebung der im Beschlussverfahren erlassenen einstweiligen Verfügung kam nicht in Betracht. Vielmehr war unmittelbar die Verweisung an das in der Hauptsache und insoweit auch zur Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein zuständige Familiengericht auszusprechen (vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 924 Rdnr. 6 m.w.N.).
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Streitbegriffen ist - wie ausgeführt und im Einzelnen aus der angefochtenen einstweiligen Verfügung zu ersehen - der vermeintliche Anspruch des Verfügungsklägers aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB auf Unterlassung von Sanierungsmaßnahmen. Dieser Anspruch steht - in der hier gegebenen Konstellation - mit der Auseinandersetzung der Parteien aus Anlass von Trennung und Scheidung in Zusammenhang. Wie in der einstweiligen Verfügung durch die Kammer dargelegt, hat sich die Verfügungsbeklagte - sinngemäß - auf eine von der Kammer bislang im Ergebnis verneinte Duldungspflicht des Verfügungsklägers aus §§ 1004 Abs. 2, 744 Abs. 2, 1. Halbs. BGB gestützt. Nach § 744 Abs. 2, 1. Halbs. BGB darf ein Gemeinschafter ausnahmsweise allein im Hinblick auf den Gemeinschaftsgegenstand handeln und gemäß § 748 BGB von den übrigen Gemeinschaftern hierfür anteilige Kostenmittragung verlangen, soweit dies aus objektiver Sicht im Interesse der Gemeinschaft notwendig und geboten erscheint, um die Sache zu erhalten. Bei der von der Verfügungsbeklagten streitig behaupteten Sanierungsbedürftigkeit käme die Anwendung des § 744 Abs. 2 BGB durchaus in Betracht. Der hier verfahrensgegenständliche Unterlassungsanspruch stellt sich mithin als unmittelbare Kehrseite des von der Verfügungsbeklagten sinngemäß in Anspruch genommenen ausnahmsweisen Selbstvornahmerechts aus § 744 Abs. 2, 1. Halbs. BGB dar. Dieses wiederum stellt eine unter den dort genannten Voraussetzungen ausnahmsweise eintretende Verdichtung des Anspruches aus § 745 Abs. 2 BGB, vermöge dessen ein einzelner Miteigentümer von den übrigen Gemeinschaftern - hier dem einzigen weiteren Gemeinschafter - Zustimmung zu einer bestimmten Verwaltung und Benutzung des gemeinschaftlichen Gegenstandes verlangen kann, zu einem einseitigen Handlungsrecht dar (vgl. Sprau, in: Palandt, 69. Aufl. 2010, § 744 Rdnr. 1, § 745 Rdnr. 5). Der Unterschied zwischen dem Anspruch aus § 745 Abs. 2 BGB, also dem Recht, Zustimmung zu verlangen (vgl. § 194 Abs. 1 BGB), und dem Recht, die betreffende Maßnahme auch ohne Zustimmung unmittelbar selbst vorzunehmen, ist insoweit in erster Linie ein qualitativer; es handelt sich nicht um ein aliud, sondern um eine Intensivierung des - im Ausgangspunkt - gleichen Rechts. Folgerichtig begrenzt die Regelung des § 745 Abs. 3 S. 1 BGB anerkanntermaßen nicht nur den Anspruch aus § 745 Abs. 2 BGB, sondern gleichermaßen auch das Selbstvornahmerecht aus § 744 Abs. 2 BGB (Sprau, ebd., § 744 Rdnr. 3).
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Für den Anspruch aus § 745 Abs. 2 BGB aber ist anerkannt, dass er - sofern die in Rede stehende Gemeinschaftsimmobilie den Ehegatten bruchteilig gehört und er im Rahmen und aus Anlass der Trennung geltend gemacht wird - einen mit der Trennung bzw. Scheidung zusammenhängenden Anspruch i.S. des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG darstellt (vgl. Erbarth, in: MünchKommZPO, 3. Aufl. 2010, FamFG § 266 Rdnr. 96). Dann aber muss Gleiches für den Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB gelten, wenn damit - wie hier - in der Sache gerade das einseitige Handlungsrecht aus § 744 Abs. 2 BGB bestritten und eine Inanspruchnahme auf einen Anteil an den Sanierungskosten gemäß § 748 BGB abgewendet werden soll, die sich bei Anwendung von § 744 Abs. 2 BGB ergäbe. Anderenfalls hinge die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen dem allgemeinen Zivilgericht und dem Familiengericht von der bloßen Zufälligkeit ab, welcher Ehegatte zuerst die - prozessuale - Initiative ergreift. Hätte die Verfügungsbeklagte nämlich vor dem angekündigten Beginn von Sanierungsmaßnahmen ihr Recht hierzu aus § 744 Abs. 2, 1. Halbs. BGB mit einer Feststellungsklage gerichtlich feststellen oder den Verfügungskläger mit im Wesentlichen gleicher prozessualer Wirkung im Wege einer Leistungsklage auf die deklaratorische Zustimmung nach § 744 Abs. 2, 2. Halbs. BGB oder, hilfsweise, auf die konstitutive Zustimmung nach § 745 Abs. 2 BGB in Anspruch genommen (vgl. zu diesen Möglichkeiten Sprau, in: Palandt, aaO, § 744 Rdnr. 3, § 745 Rdnr. 5), wäre - unzweifelhaft - das Familiengericht zuständig gewesen. Insoweit ist eine auch prozessual gleichmäßige Behandlung geboten, zumal der Zusammenhangsbegriff des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG grundsätzlich weit auszulegen ist (Erbarth, aaO, § 266 Rdnr. 74, dort Fußn. 176, i.V.m. Rdnr. 26 a.E.), um dem gesetzgeberischen Ziel Rechnung zu tragen, das früher vor die allgemeine Zivilabteilung gehörende so genannte "Nebengüterrecht" unter Geltung des neuen FamFG möglichst umfassend in den familiengerichtlichen Güterrechtsprozess zu integrieren und insoweit eine einheitliche Zuständigkeit des Familiengerichts zu begründen. Zu berücksichtigen war hier insoweit auch, dass die Frage der Sanierung des Objekts von Seiten der Parteien im bisherigen Verfahrensverlauf durchweg auch unter dem Gesichtspunkt der späteren Aufhebung der Bruchteilsgemeinschaft durch Teilungsversteigerung oder freihändigen Verkauf erörtert worden ist. Der Aufhebungsanspruch aus § 749 Abs. 1 BGB aber gehört, soweit er im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung zwischen Eheleuten im Fall von Trennung oder Scheidung geltend gemacht werden soll, ebenfalls unstreitig zu den von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG erfassten Ansprüchen (Erbarth, aaO, § 266 Rdnr. 100).
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Überhaupt kann der Verfügungsanspruch respektive die ihn bedingende drohende Kostenlast für den Verfügungskläger aus § 748 BGB - dies haben insbesondere die nach Widerspruchseinlegung eingereichten Parteischriftsätze gezeigt - vorliegend nicht losgelöst von der güterrechtlichen Auseinandersetzung betrachtet und insoweit außerhalb des familiengerichtlichen Verfahrens letztlich nicht sinnvoll bewältigt werden. Insoweit weist auch die Bevollmächtigte des Verfügungsklägers in ihrem Schriftsatz vom 14.12.2010 zurecht darauf hin, dass die Fragen, die sich im vorliegenden Verfahren stellen, die vermögensrechtliche Auseinandersetzung zwischen den Parteien dergestalt "streifen", dass eine gespaltene Zuständigkeit nicht sachgerecht erscheint.
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Nach alldem war - wie aus dem Tenor ersichtlich - zu verweisen.
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Referenzen
- GVG § 23b 1x
- FamFG § 266 Sonstige Familiensachen 4x
- BGB § 748 Lasten- und Kostentragung 3x
- BGB § 744 Gemeinschaftliche Verwaltung 4x
- GVG § 23a 1x
- BGB § 1004 Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch 3x
- GVG § 17a 1x
- BGB § 745 Verwaltung und Benutzung durch Beschluss 6x
- BGB § 194 Gegenstand der Verjährung 1x
- FamFG § 111 Familiensachen 1x
- BGB § 749 Aufhebungsanspruch 1x