Urteil vom Landgericht Wuppertal - 2 O 256/14
Tenor
Die Beklagte wird dazu verurteilt, an den Kläger 833.037,03 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Juli 2010 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten um Rückgewähransprüche aus Insolvenzanfechtung.
3Am 1. Juli 2010 wurde aufgrund des Eigenantrages der Insolvenzschuldnerin (im Folgenden: Schuldnerin) vom 19. Mai 2010 durch das Amtsgericht Düsseldorf das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
4Die Schuldnerin war eine von insgesamt rund 20 Gesellschaften des Konzerns Vereinigte Verlagsanstalten (im Folgenden: VVA). Über das Vermögen der meisten Gesellschaften der VVA wurde ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Schuldnerin druckte vor allem Prospekte, die von den anderen Gesellschaften des Konzerns in Auftrag gegeben waren. Wirtschaftlich waren die Konzerngesellschaften durch Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge miteinander verbunden.
5Im März 2010 weigerte sich die O2 AG, bei der die Schuldnerin einen Kreditvertrag unterhielt, ausweislich eines Schreibens vom 30.3.2010, Bl. 130dA, die kurzfristigen und seitens der Schuldnerin mit 500.000 EUR ausgeschöpften Kreditlinien über den 31.3.2010 hinaus offen zu halten. Ferner hatte die Schuldnerin ihre Forderungen aus Lieferungen und Leistungen im Januar 2010 im Zuge einer Globalzession an die O AG abgetreten. Sie hatte darüber hinaus ihren gesamten Forderungsbestand zur Generierung von Liquidität an die D GmbH (im Folgenden: Xxx im Wege echten Factorings verkauft. Ab April 2010 war die Schuldnerin nicht mehr in der Lage, die dann fälligen Löhne und Gehälter auszuzahlen.
6Im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit stellte die Schuldnerin unter anderem auch die Flyer für den Konzern Aldi Nord her. Das für den Druck notwendige Papier bezog sie bis März 2010 bei der M GmbH (im Folgenden: ##). Im März 2010 beliefen sich die Außenstände bei der ## auf € 2.127.488,-. In Höhe von 1,5 Millionen Euro waren die Außenstände durch eine Warenkreditversicherung gedeckt. Die ## erklärte daraufhin, weitere Bestellungen der Schuldnerin nicht mehr entgegennehmen zu können. Vor der Entgegennahme eines neuen Auftrages bzw. vor dem Empfang weiterer Zahlungen seien zunächst die Altschulden zu begleichen.
7Die Schuldnerin war für die Erfüllung der Druckaufträge für Aldi Nord auf die Papierlieferungen existentiell angewiesen. Sie bediente sich deshalb der Beklagten, um bei der ## die von ihr zur Abwicklung des Druckauftrages benötigte Papiermenge zu beziehen und schloss mit dieser unter dem 20.3.2010, Bl. 102 d A, eine schriftliche Vereinbarung. In Erfüllung dieser Vereinbarung bestellte die Beklagte sodann bei der ## das für den Druckauftrag erforderliche Papier. Unmittelbar nach oder vor der Bestellung leistete die Schuldnerin an die Beklagte die nachfolgend aufgeführten Zahlungen. Die Zahlungen verwendete die Beklagte - unter Einbehalt eines Entgeltes - zur Erfüllung der ihr gegenüber der ## entstandenen Zahlungsverpflichtung. Das Druckpapier lieferte ## unmittelbar an die von der Schuldnerin für den Druck beauftragte Druckerei X in K.
8Dergestalt leistete die Schuldnerin nachfolgende Zahlungen an die Beklagte:
9- 10
24.3.2010: 125.000 EUR
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30.3.2010: 125.000 EUR
- 12
06.4.2010: 145.000 EUR
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14.4.2010: 70.000,- EUR
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19.4.2010: 145.000,- EUR
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26.4.2010: 122.000,- EUR
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3.5.2010: 117.500,- EUR
Von den insgesamt 849.500,- EUR behielt die Beklagte einen Betrag von 16.462,97 Euro ein. Die übrigen Zahlungen leitete sie an die ## weiter. Über den Betrag von 16.462,97 Euro führten die Parteien vor der hiesigen Kammer einen Rechtsstreit un-
18ter dem Az. 2 O 3 200/12, aufgrund dessen die Beklagte rechtskräftig zur Rückzahlung aufgrund wirksamer Insolvenzanfechtung verurteilt wurde. Die restlichen Zahlungen ficht die Schuldnerin nunmehr an und verlangt deren Rückgewähr.
19Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte sei aufgrund Insolvenzanfechtung zur Rückzahlung auch der Beträge verpflichtet, die Beklagte von der Schuldnerin erhalten und dann der ## zugewandt habe. Die Schuldnerin sei im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlungen zahlungsunfähig gewesen. Die Antragstellung am 19. Mai 2010 sei infolge des desolaten wirtschaftlichen Zustands der Schuldnerin überfällig gewesen. Hiervon habe die Beklagte auch Kenntnis gehabt, da der Geschäftsführer der Beklagten für den Geschäftsführer der Schuldnerin zumindest bis kurz vor Durchführung des hier streitgegenständlichen Geschäftes als enger Berater tätig gewesen sei.
20Der Kläger beantragt,
21die Beklagte zu verurteilen, an ihn 833.037,03 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2010 zu zahlen.
22Die Beklagte beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Die Beklagte behauptet, es habe ein tragfähiges Sanierungskonzept der Kanzlei Görg vorgelegen, das letztlich nur an der Restfinanzierung durch die Banken gescheitert sei. Ferner sei die Schuldnerin Bestandteil eines Konzerns gewesen, der Umsätze in Millionenhöhe gemacht habe und insgesamt profitabel gearbeitet habe. Da sämtliche Konzerngesellschaften durch Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge miteinander verbunden seien, müssten sie auch insolvenzrechtlich als eine Einheit gesehen werden. Ursächlich für die Insolvenz der Schuldnerin sei letztlich eine Liquiditätslücke wegen der Notwendigkeit der Vorfinanzierung von neu hereingekommen Großaufträgen gewesen. Diese habe 2010 wegen der noch herrschenden Finanzkrise nicht gedeckt werden können.
25Die Beklagte ist der Meinung, die geleisteten Zahlen hätten die Gläubiger der Schuldnerin nicht benachteiligt. Der Schuldnerin hätten vielmehr aufgrund des mit Xxx abgeschlossenen Factoring-Vertrages unmittelbar liquide Mittel zur Verfügung gestanden. Auch sei die Globalzession an die O2 AG für die Gläubiger der Schuldnerin nicht nachteilig gewesen. Infolge des mit Xxx vereinbarten Factorings seien keine Forderungen begründet worden, die der Globalzession unterlegen hätten. Das Factoring gehe sowohl zeitlich als auch faktisch der Globalzession vor. Im Übrigen sei der Globalzessionsvertrag nichtig gewesen. Auch sei die Globalzession vor Insolvenzantragstellung nicht offen gelegt worden. Damit hätten Vertragspartner bis zur Offenlegung schuldbefreiend ausschließlich an die Schuldnerin leisten können. Die Beklagte ist schließlich der Auffassung, eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht scheide aus, da die Schuldnerin durch die erbrachte Leistung eine kongruente Gegenleistung erhalten habe, die zur Fortführung ihres eigenen Unternehmens nötig gewesen sei und damit den Gläubigern im allgemeinen genutzt habe.
26Die Beklagte erhebt ferner den Einwand des Bargeschäftes. Die Beklagte habe die Lieferantenrechnungen der ## unmittelbar aus dem als Vorauszahlung durch die Schuldnerin geflossenen Geldbetrag ausgeglichen.
Entscheidungsgründe
27Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Beklagte ist gemäß §§ 143 Abs. 1, 130 InsO zur Rückgewähr der angefochtenen Zahlungen verpflichtet.
28Die Voraussetzungen für eine Anfechtung nach § 130 InsO liegen vor.
29Die angefochtenen Zahlungen erfolgten innerhalb von drei Monaten vor Antragstellung durch die Schuldnerin.
30Es handelt sich auch um kongruente Zahlungen. Eine Leistung ist immer dann kongruent, wenn der Gläubiger das erhalten hat, was er beanspruchen konnte. So liegt es hier. Aus der Vereinbarung zwischen der Schuldnerin und der Beklagten vom 20.3.2010 folgte die Verpflichtung für die Schuldnerin, die Zahlungen zu leisten, die die Beklagte für die Papierbestellung bei der ## aufwenden musste. Die Zahlungen an die Beklagte erfolgten damit in Erfüllung eben dieser Verpflichtung.
31Die Schuldnerin war im Zeitpunkt der vorgenommenen Rechtshandlungen auch zahlungsunfähig im Sinne von § 17 Abs. 2 InsO. Dies folgt aus der Zahlungseinstellung als gesetzlicher Vermutung der Zahlungsunfähigkeit, § 17 Abs. 2 S. 2 InsO.
32Eine Zahlungseinstellung ist das nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, mit dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außer Stande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus (BGH, Urteil vom 21.06.2117 – IX ZR 231/04). Die Nichtzahlung einer Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist. Sind derartige Indizien vorhanden, bedarf es nicht einer darüber hinausgehenden Darlegung und Feststellung der genauen Höhe der gegen den Schuldner bestehenden Verbindlichkeiten oder gar einer Unterdeckung von mindestens 10 v.H. (BGH, Urteil vom 30.06.2011 – IX ZR 134/10, Urteil vom 29.03.2012 – IX ZR 40/10, Urteil vom 7.5.2015 –IX ZR 95/15). So liegt es hier. Die Schuldnerin war im anfechtungsrelevanten Zeitraum nicht in der Lage, ihre erheblichen Außenstände (über 2 Mio. EUR) bei der für sie existenziell wichtigen Papierlieferantin ## zu begleichen, was dazu führte, dass sie letztlich im Zeitpunkt der Vereinbarung mit der Beklagten handlungsunfähig war. Ohne die Einschaltung der Beklagten wäre sie weder in der Lage gewesen, bestehende Außenstände abzubauen, noch Neuverpflichtungen einzugehen. Sie war ferner seit April nicht in der Lage, die geschuldeten Löhne und Gehälter auszuzahlen. Weder die Außenstände gegenüber der ##, noch die ausstehenden Löhne und Gehälter wurden bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens beglichen. Da die Schuldnerin als GmbH über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt, von daher auch selbst insolvenzfähig ist, ist für die Frage der Zahlungsunfähigkeit auch nur auf sie und nicht auf die mit ihr verbundenen Unternehmen abzustellen.
33Es bestand zu diesem Zeitpunkt auch keine ernsthafte Aussicht auf eine erfolgreiche Sanierung der Schuldnerin. Ein in sich schlüssiges Sanierungskonzept, das bei der Schuldnerin eine ernsthafte und begründete Aussicht auf Erfolg gerechtfertigt hätte und nicht nur eine bloße Hoffnung darstellte, lag, auch nach dem eigenen Vortrag der Beklagten, nicht vor. Denn selbst die Beklagte trägt nicht vor, dass das behaupte-
34te Sanierungskonzept mindestens in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt worden sei und bei der Insolvenzschuldnerin die ernsthafte und begründete Aussicht auf Erfolg gerechtfertigt hätte (vergleiche zu den Voraussetzungen des Entfallens des Benachteiligungsvorsatzes bei Sanierungsbemühungen OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.4.2013). Vielmehr wollten die Banken nach dem eigenen Vortrag der Beklagten die in jedem Fall nötige Finanzierungsspritze für eine Sanierung nicht aufbringen. Die Antragstellung erfolgte dann auch aufgrund des aus eigenen Kräften nicht überbrückbaren Liquiditätsengpasses.
35Die Beklagte kannte schließlich die Umstände, die auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schließen ließen (vgl § 130 Abs. 2 InsO). Die mangelnde Liquidität der Schuldnerin war unbestritten der Grund für die die Leistungspflicht der Schuldnerin begründende Vereinbarung vom 20.3.2010.
36Die Anfechtung nach § 130 InsO ist auch nicht nach § 142 InsO ausgeschlossen. Die angefochtenen Zahlungen stellen kein Bargeschäft im Sinne von § 142 InsO dar. Ein Bargeschäft liegt vor, wenn der Schuldner in engem zeitlichen Zusammenhang mit seiner Leistung aufgrund einer Vereinbarung mit dem Anfechtungsgegner eine gleichwertige Gegenleistung erhalten hat (vergleiche statt aller Uhlenbruck Hirte, InsO, § 142 Rn. 5). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Durch die Zahlungen an die Beklagte erfüllte die Schuldnerin ihre Verpflichtungen aus der schuldrechtlichen Vereinbarung mit der Beklagten vom 20.3.2010. Hierfür erhielt sie jedoch keine der Leistung entsprechende unmittelbare Gegenleistung. Da der Kaufvertrag über das Papier unmittelbar zwischen der Beklagten und der ## abgeschlossen wurde, wurde nicht die Schuldnerin, sondern zunächst ausschließlich die Beklagte Eigentümerin des gelieferten Papiers. Die Schuldnerin erhielt aufgrund des zwischen ihr und der Beklagten bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrages lediglich einen Anspruch gegen die Beklagte auf Abschluss eines Vertrages mit einem durch sie zu bestimmenden Papierlieferanten oder, für den Fall, dass die Bestellung durch die Beklagte schon vor der Zahlung erfolgt war, einen Anspruch auf Übertragung des der Beklagten gegen diesen Lieferanten zustehenden Erfüllungsanspruches bzw. des Anspruches auf Eigentumsverschaffung. Die von der Schuldnerin erbrachte Leistung sollte damit letztlich erst dann die entsprechende Mehrung in dem schuldnereigenen Vermögen finden, wenn der Druckauftrag durch das von der Schuldnerin eingesetzte Subunternehmen erfolgreich erfüllt und der Auftraggeber, nämlich Aldi Nord, die Rechnung an die Schuldnerin beglichen hat. Voraussetzung für diese Mehrung ist jedoch nicht zuletzt, dass bei der Abwicklung dieses Streckengeschäftes keine den jeweiligen Vertragsparteien zustehenden gesetzlichen Leistungsstörungs- und/oder Pfandrechte entstehen. Damit ist dieser Anspruch aber weder gleichwertig noch unmittelbar.
37Der Zinsanspruch folgt aus §§ 143 Abs. 1 S. 2 InsO, 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291, 288 Abs. 1 BGB. Die Zinspflicht beginnt mit der Insolvenzeröffnung. Hierbei handelt es sich um eine Ereignisfrist, so dass der Zinsanspruch gemäß § 187 Abs. 1 BGB erst mit dem auf die Insolvenzeröffnung folgenden Tag einsetzt.
38Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 ZPO.
39Streitwert: 833.037,03 €
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Referenzen
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- BGB § 819 Verschärfte Haftung bei Kenntnis und bei Gesetzes- oder Sittenverstoß 1x
- InsO § 17 Zahlungsunfähigkeit 2x
- ZPO § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen 1x
- InsO § 143 Rechtsfolgen 1x
- IX ZR 134/10 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 143 Anfechtungserklärung 1x
- BGB § 187 Fristbeginn 1x
- BGB § 291 Prozesszinsen 1x
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- BGB § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden 1x
- InsO § 142 Bargeschäft 2x
- IX ZR 231/04 1x (nicht zugeordnet)
- IX ZR 40/10 1x (nicht zugeordnet)