Urteil vom Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 13 KN 2837/05

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 31. Mai 2005 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat der Beklagten deren außergerichtliche Kosten für beide Instanzen zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin (Beklagte des Ausgangsverfahrens) begehrt die Wiederaufnahme des durch Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg (SG) vom 21. Juni 2004 rechtskräftig abgeschlossenen Klageverfahrens S 2 KN 2619/03.
Die 1931 geborene Beklagte (Klägerin des Ausgangsverfahrens) zog am 1. Februar 1998 aus K. kommend in die Bundesrepublik Deutschland zu. Sie ist als Spätaussiedlerin anerkannt (Bescheinigung des Landratsamts H. Nr. vom 18. Mai 1998) und bezieht seit 1. Februar 1998 Regelaltersrente von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg (früher: Landesversicherungsanstalt Württemberg; Rentenbescheid vom 14. August 1998). Herbei wurden die nach dem Fremdrentengesetz (FRG) berücksichtigten Entgeltpunkte (EP) auf 25 begrenzt. Am 6. Februar 1998 beantragte die Beklagte die Gewährung von Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres am 1927 geborenen und 1997 im Herkunftsland verstorbenen Ehemanns D. W.. Mit (bestandskräftigem) Bescheid vom 12. Januar 1999 anerkannte die Klägerin einen Anspruch der Beklagten auf große Witwenrente. Ein Zahlbetrag ergebe sich allerdings nicht, da der Höchstwert von nach dem FRG berücksichtigungsfähigen EP bereits bei der Rente aus eigener Versicherung erreicht sei.
Am 15. April 2003 beantragte die Beklagte unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG; Urteil vom 30. August 2001 – B 4 RA 118/00 R) die große Witwenrente unter teilweiser Zurücknahme des Bescheids vom 12. Januar 1999 neu festzustellen. Mit Bescheid vom 23. April 2003 lehnte die Klägerin den Antrag ab und führte zur Begründung aus, dem zitierten Urteil des BSG werde über den Einzelfall hinaus nicht gefolgt. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 6. August 2003 zurück. Auf die am 22. August 2003 erhobene Klage (S 2 KN 2619/03) hob das SG – nach vorherigem Hinweis auf die beabsichtigte Verfahrensweise (Verfügung der Kammervorsitzenden vom 1. Juni 2004) – mit Gerichtsbescheid vom 21. Juni 2004 den Bescheid vom 23. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. August 2003 auf und verurteilte die Klägerin, der Beklagten unter teilweiser Zurücknahme des Bescheids vom 12. Januar 1999 große Witwenrente unter Berücksichtigung von 12,7759 EP zu gewähren. In der Rechtsmittelbelehrung wurde darauf hingewiesen, dass der Gerichtsbescheid mit der Berufung angefochten werden könne. Diese sei binnen eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten den Geschäftsstelle einzulegen. Der Gerichtsbescheid wurde der Klägerin am 1. Juli 2004 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Am 9. Juli 2004 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf die Regelung des § 105 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Zur Begründung trug sie vor, ihr sei das rechtliche Gehör versagt worden. Die Mitteilung über die Absicht des Gerichts durch Gerichtsbescheid zu entscheiden sei ihr erst am 14. Juni 2004 zugegangen, eine ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme habe für sie deshalb nicht bestanden. Nach telefonischem Hinweis der Kammervorsitzenden auf die Unzulässigkeit des gestellten Antrags beantragte die Klägerin mit Schriftsatz vom 6. August 2004 sinngemäß die Umdeutung des Antrags auf mündliche Verhandlung in eine Berufung (Az. des LSG: L 13 KN 3486/04). Diesen Antrag nahm die Klägerin am 2. September 2004 zurück.
Am 26. November 2004 hat die Klägerin beim SG unter Berufung auf „§§ 179 SGG, 579 Nr. 4 ff. ZPO“ Nichtigkeitsklage erhoben und die Wiederaufnahme des Klageverfahrens S 2 KN 2619/03 beantragt. Eine ausreichende Frist zur Stellungnahme sei ihr vor Erlass des Gerichtsbescheids vom 21. Juni 2004 nicht eingeräumt worden. Dies stelle eine Versagung des nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG zwingend zu gewährenden rechtlichen Gehörs und damit einen wesentlichen Verfahrensmangel dar. Der Gerichtsbescheid vom 21. Juni 2004 entspreche zudem nicht der geltenden Rechtslage. Der Gesetzgeber habe mit dem Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz) vom 21. Juli 2004 (BGBl. I S. 1791) klargestellt, dass die Begrenzung auf 25 EP auch beim Zusammentreffen von Hinterbliebenenrenten mit Renten aus eigener Versicherung gelte. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Mit Urteil vom 31. Mai 2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Nichtigkeitsklage sei weder zulässig noch begründet.
Gegen das ihr gemäß Empfangsbekenntnis am 17. Juni 2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11. Juli 2005 schriftlich beim LSG Berufung eingelegt. Die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 SGG hätten nicht vorgelegen. Bei erfolgter Anhörung mit ausreichender Fristsetzung hätte sie einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid niemals zugestimmt und auf der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bestanden. Dieser wesentliche Verfahrensmangel hätte – bei fristgerechter Einlegung der Berufung – zwingend die Aufhebung des Gerichtsbescheids und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG nach Maßgabe des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG zur Folge gehabt. Ein Wiederaufnahmegrund nach § 159 SGG liege damit vor; die Notfrist des § 586 der Zivilprozessordnung (ZPO) sei entgegen den Ausführungen des SG gewahrt. In der Sache sei der angefochtene Gerichtsbescheid angesichts der mit dem RV-Nachhaltigkeitsgesetz erfolgten Klarstellung nicht haltbar. Die von der Klägerin hierzu vertretene Rechtsansicht sei nunmehr auch vom 8. Senat des BSG (Urteile vom 21. Juni 2005 – B 8 KN 1/05 R, B 8 KN 10/04 R, B 8 KN 9/04 R und B 8 KN 4/04 R) bestätigt worden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 31. Mai 2005 aufzuheben, das durch Gerichtsbescheid vom 21. Juni 2004 rechtskräftig abgeschlossene Klageverfahren S 2 KN 2619/03 wieder aufzunehmen und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
10 
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.
11 
Mit Schreiben vom 19. August 2005 hat der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass weder Restitutions- noch Nichtigkeitsgründe ersichtlich sind.
12 
Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die bei gezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Klage- (S 2 KN 4219/04) und Vorakten (S 2 KN 2619/03) des SG sowie die Berufungs- (L 13 RJ 2837/05) und Vorakten (L 13 KN 3486/04) des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
13 
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
14 
Sie ist statthaft, da Berufungsbeschränkungen nicht vorliegen (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG) und auch sonst zulässig, da sie unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt wurde. Die Berufung ist jedoch nicht begründet; das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht als unzulässig verworfen (§ 589 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
15 
Ein rechtskräftig beendetes Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit kann – neben den hier nicht einschlägigen Fällen der §§ 179 Abs. 2, 180 Abs. 1 und 2 SGG – entsprechend den Vorschriften des Vierten Buches der ZPO wieder aufgenommen werden (§ 179 Abs. 1 SGG). Gemäß § 578 Abs. 1 ZPO kann die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens durch die Restitutionsklage (§ 580 ZPO) und die – hier allein in Betracht kommende – Nichtigkeitsklage (§ 579 ZPO) erfolgen. § 578 Abs. 1 ZPO erfasst neben Sach- und Prozessurteilen jeder Instanz auch rechtskräftige Entscheidungen durch Gerichtsbescheid (Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 179 Rdnr. 3). Der hier angefochtene – mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehene und der Klägerin am 1. Juli 2004 zugestellte – Gerichtsbescheid vom 21. Juni 2004 ist mit Ablauf der Berufungsfrist am 2. August 2004 rechtskräftig geworden, nachdem die Klägerin diesen mit der – allein zulässigen – Berufung nicht angefochten hat. Den Eintritt der Rechtskraft hindert nicht, dass die Klägerin innerhalb der Berufungsfrist den wegen Statthaftigkeit der Berufung nicht statthaften (vgl. § 105 Abs.2 Satz 2 SGG) Rechtsbehelf des Antrags auf mündliche Verhandlung erhoben und den anschließenden Antrag auf seine Umdeutung in eine Berufung zurückgenommen hat; unabhängig davon hätte die Klägerin den Antrag auf mündliche Verhandlung, über den das Sozialgericht nicht förmlich entschieden und den die Klägerin nach dem aufklärenden Schreiben des Sozialgerichts vom 27.Oktober 2004 auch nicht mehr weiterverfolgt hat, spätestens mit Erhebung der jetzigen den Eintritt der formellen Rechtskraft voraussetzenden Klage konkludent zurückgenommen.
16 
Nach § 579 Abs. 1 ZPO findet die Nichtigkeitsklage statt, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war (Nr. 1), wenn ein Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs oder eines Rechtsmittels ohne Erfolg geltend gemacht ist (Nr. 2), wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war (Nr. 3) und wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat (Nr. 4). In den Fällen der Nr. 1, 3 findet die Klage nicht statt, wenn die Nichtigkeit mittels eines Rechtsmittels geltend gemacht werden konnte (§ 579 Abs. 2 ZPO). Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Klage an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist (vgl. § 589 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Fehlt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Klage als unzulässig zu verwerfen (Satz 2 der Vorschrift).
17 
Der Senat kann offen lassen, ob der Statthaftigkeit der Klage bereits entgegensteht, dass die Klägerin das Vorliegen eines zulässigen Wiederaufnahmegrundes nicht schlüssig behauptet hat (vgl. BSG, Beschluss vom 2. Juli 2003 – B 10 LW 8/03 B, vorgehend LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. März 2003 – L 8 LW 14/01 – beide veröffentlicht in Juris; Hessisches LSG, SGb 76, 386; Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, NVwZ 95, 95; Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 179 Rdnr. 9). Dies liegt nahe, nachdem sich die Klägerin, bei der als Trägerin der gesetzlichen Sozialversicherung die notwendigen Rechtskenntnisse zu unterstellen sind, zur Begründung der Klage – in Anbetracht des Gesetzeswortlauts nicht nachvollziehbar – auf Wiederaufnahmegründe nach § „579 Nr. 4 ff. ZPO“ berufen und im Berufungsverfahren einen (nicht existenten) Wiederaufnahmegrund nach § 159 SGG geltend gemacht hat. Auch nach einem ausführlichen rechtlichen Hinweis des Senats, dass Wiederaufnahmegründe vorliegend weder dargetan, noch nach Aktenlage ersichtlich sind, hat die Klägerin einen solchen nicht substantiiert dargelegt, sondern lediglich um eine Entscheidung gebeten. Die Klägerin hat neben der materiell-rechtlichen Unrichtigkeit des angefochtenen Gerichtsbescheids lediglich einen (ihres Erachtens) wesentlichen Verfahrensfehler gerügt und zur Begründung auf die Ungeeignetheit des Sachverhalts für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid (vgl. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG) sowie eine unzulässige Verkürzung der Anhörungsfrist hingewiesen. Beide Gesichtspunkte sind im ordentlichen Rechtsmittelverfahren geltend zu machen und stellen keinen der in §§ 579, 580 ZPO abschließend aufgezählten Wiederaufnahmegründe (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 579 Rdnr. 1; Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 179 Rdnr. 4) dar.
18 
Lediglich für den – hier nicht vorliegenden – Fall eines besonders gravierenden Verstoßes gegen das rechtliche Gehör wird in Rechtsprechung und Literatur eine analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Satz 4 ZPO - hier wäre allerdings eine entsprechende Anwendung des § 579 Abs. 2 ZPO zu prüfen (bejahend Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, Urteil vom 11. August 2004 - 23 U 28/04 - veröffentlicht in Juris) - diskutiert (vgl. zum Meinungsstand Hartmann in Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl. 2005, § 579 Rdnr. 13). Zur Begründung wird vertreten, dass z. B. bei unterbliebener Ladung zur mündlichen Verhandlung (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, NJW 1986, 209) oder zu Unrecht erfolgter öffentlicher Zustellung eines Urteils (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10. Januar 2000 - 6 UF 120/99 - veröffentlicht in Juris) nichts anderes gelten dürfe, als bei einer nicht gesetzmäßigen Vertretung im Verfahren. Eine analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO kann also – ohne dass diese Frage hier abschließend entschieden werden muss – allenfalls bei einer gänzlichen Versagung des rechtlichen Gehörs in Betracht kommen, der Beteiligte also überhaupt keine Gelegenheit hatte, seinen Rechtsstandpunkt vorzubringen oder mangels Kenntnis von der mit der Nichtigkeitsklage angefochtenen Entscheidung das gegebene Rechtsmittel nicht einlegen konnte. Denn nur bei einer solchen Konstellation könnte eine für die Bildung einer Analogie erforderliche vergleichbare Interessenlage mit dem gesetzlich normierten Fall des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO angenommen werden (vgl. Bundesarbeitsgericht , Beschluss vom 21. Juli 1993 - 7 ABR 25/92 - BAGE 73, 378, veröffentlicht auch in Juris). Der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat in seinem Urteil vom 11. Dezember 2002 (XII ZR 51/00) allerdings entschieden, dass eine analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Satz 4 ZPO selbst dann nicht in Betracht kommt, wenn einer Partei (aufgrund arglistigen Verhaltens der anderen Partei) die Klageschrift, die Ladung zum Termin und das Urteil öffentlich zugestellt worden sind und sie deshalb unverschuldet keine Kenntnis vom Verfahren hatte (BGHZ 153, 189 = NJW 2003, 1326). Ein diesen Sachverhalten auch nur annähernd vergleichbarer Fall liegt hier nicht vor.
19 
Die Klage ist – wie das SG zutreffend entscheiden hat – jedenfalls wegen Nichteinhaltung der Notfrist des § 586 Abs. 1 ZPO unzulässig. Nach dieser Vorschrift sind Restitutions- und Nichtigkeitsklage vor Ablauf der Notfrist eines Monats zu erheben. Gemäß § 586 Abs. 2 Satz 1 ZPO beginnt die Frist mit dem Tage, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhalten hat, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft des Urteils. Bei der Nichtigkeitsklage wegen mangelnder Vertretung läuft die Frist für die Erhebung der Klage demgegenüber von dem Tage, an dem der Partei und bei mangelnder Prozessfähigkeit ihrem gesetzlichen Vertreter zugestellt ist (§ 586 Abs. 3, 2. Halbsatz ZPO). Es kann offen bleiben, ob sich die Frist bei einem hier allein in Betracht kommenden auf eine analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gestützten Nichtigkeitsgrund nach Maßgabe des § 586 Abs. 2 (so für den Fall der unterbliebenen Zustellung der Entscheidung BGH, NJW 1994, 589; OLG Frankfurt, a.a.O; OLG Hamm, a.a.O.) oder – was hier angesichts der erfolgten Zustellung der Entscheidung näher liegt – nach § 586 Abs. 3 ZPO (so das SG) bemisst. Spätestens mit der am 1. Juli 2004 erfolgten Zustellung des Gerichtsbescheids vom 21. Juni 2004 erlangte die Klägerin Kenntnis von den zur Begründung der Nichtigkeitsklage vorgebrachten Gründen (Entscheidung durch Gerichtsbescheid, Verkürzung der Anhörungsfrist). Da diese Kenntnis vor dem Eintritt der Rechtskraft des angefochtenen Gerichtsbescheids erlangt wurde, hätte die Frist zur Erhebung der Nichtigkeitsklage in Anwendung des § 586 Abs. 2 ZPO mit Ablauf der Berufungsfrist, hier also am Montag, dem 2. August 2004 begonnen. Nach Maßgabe des § 586 Abs. 3 ZPO würde der Fristbeginn bereits auf den Zeitpunkt der Zustellung des Gerichtsbescheids fallen. Die erst am 26. November 2004 beim SG eingegangene Nichtigkeitsklage ist damit nach beiden Varianten verfristet.
20 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe

 
13 
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
14 
Sie ist statthaft, da Berufungsbeschränkungen nicht vorliegen (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG) und auch sonst zulässig, da sie unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt wurde. Die Berufung ist jedoch nicht begründet; das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht als unzulässig verworfen (§ 589 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
15 
Ein rechtskräftig beendetes Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit kann – neben den hier nicht einschlägigen Fällen der §§ 179 Abs. 2, 180 Abs. 1 und 2 SGG – entsprechend den Vorschriften des Vierten Buches der ZPO wieder aufgenommen werden (§ 179 Abs. 1 SGG). Gemäß § 578 Abs. 1 ZPO kann die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens durch die Restitutionsklage (§ 580 ZPO) und die – hier allein in Betracht kommende – Nichtigkeitsklage (§ 579 ZPO) erfolgen. § 578 Abs. 1 ZPO erfasst neben Sach- und Prozessurteilen jeder Instanz auch rechtskräftige Entscheidungen durch Gerichtsbescheid (Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 179 Rdnr. 3). Der hier angefochtene – mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehene und der Klägerin am 1. Juli 2004 zugestellte – Gerichtsbescheid vom 21. Juni 2004 ist mit Ablauf der Berufungsfrist am 2. August 2004 rechtskräftig geworden, nachdem die Klägerin diesen mit der – allein zulässigen – Berufung nicht angefochten hat. Den Eintritt der Rechtskraft hindert nicht, dass die Klägerin innerhalb der Berufungsfrist den wegen Statthaftigkeit der Berufung nicht statthaften (vgl. § 105 Abs.2 Satz 2 SGG) Rechtsbehelf des Antrags auf mündliche Verhandlung erhoben und den anschließenden Antrag auf seine Umdeutung in eine Berufung zurückgenommen hat; unabhängig davon hätte die Klägerin den Antrag auf mündliche Verhandlung, über den das Sozialgericht nicht förmlich entschieden und den die Klägerin nach dem aufklärenden Schreiben des Sozialgerichts vom 27.Oktober 2004 auch nicht mehr weiterverfolgt hat, spätestens mit Erhebung der jetzigen den Eintritt der formellen Rechtskraft voraussetzenden Klage konkludent zurückgenommen.
16 
Nach § 579 Abs. 1 ZPO findet die Nichtigkeitsklage statt, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war (Nr. 1), wenn ein Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs oder eines Rechtsmittels ohne Erfolg geltend gemacht ist (Nr. 2), wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war (Nr. 3) und wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat (Nr. 4). In den Fällen der Nr. 1, 3 findet die Klage nicht statt, wenn die Nichtigkeit mittels eines Rechtsmittels geltend gemacht werden konnte (§ 579 Abs. 2 ZPO). Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Klage an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist (vgl. § 589 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Fehlt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Klage als unzulässig zu verwerfen (Satz 2 der Vorschrift).
17 
Der Senat kann offen lassen, ob der Statthaftigkeit der Klage bereits entgegensteht, dass die Klägerin das Vorliegen eines zulässigen Wiederaufnahmegrundes nicht schlüssig behauptet hat (vgl. BSG, Beschluss vom 2. Juli 2003 – B 10 LW 8/03 B, vorgehend LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. März 2003 – L 8 LW 14/01 – beide veröffentlicht in Juris; Hessisches LSG, SGb 76, 386; Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, NVwZ 95, 95; Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 179 Rdnr. 9). Dies liegt nahe, nachdem sich die Klägerin, bei der als Trägerin der gesetzlichen Sozialversicherung die notwendigen Rechtskenntnisse zu unterstellen sind, zur Begründung der Klage – in Anbetracht des Gesetzeswortlauts nicht nachvollziehbar – auf Wiederaufnahmegründe nach § „579 Nr. 4 ff. ZPO“ berufen und im Berufungsverfahren einen (nicht existenten) Wiederaufnahmegrund nach § 159 SGG geltend gemacht hat. Auch nach einem ausführlichen rechtlichen Hinweis des Senats, dass Wiederaufnahmegründe vorliegend weder dargetan, noch nach Aktenlage ersichtlich sind, hat die Klägerin einen solchen nicht substantiiert dargelegt, sondern lediglich um eine Entscheidung gebeten. Die Klägerin hat neben der materiell-rechtlichen Unrichtigkeit des angefochtenen Gerichtsbescheids lediglich einen (ihres Erachtens) wesentlichen Verfahrensfehler gerügt und zur Begründung auf die Ungeeignetheit des Sachverhalts für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid (vgl. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG) sowie eine unzulässige Verkürzung der Anhörungsfrist hingewiesen. Beide Gesichtspunkte sind im ordentlichen Rechtsmittelverfahren geltend zu machen und stellen keinen der in §§ 579, 580 ZPO abschließend aufgezählten Wiederaufnahmegründe (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 579 Rdnr. 1; Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 179 Rdnr. 4) dar.
18 
Lediglich für den – hier nicht vorliegenden – Fall eines besonders gravierenden Verstoßes gegen das rechtliche Gehör wird in Rechtsprechung und Literatur eine analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Satz 4 ZPO - hier wäre allerdings eine entsprechende Anwendung des § 579 Abs. 2 ZPO zu prüfen (bejahend Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, Urteil vom 11. August 2004 - 23 U 28/04 - veröffentlicht in Juris) - diskutiert (vgl. zum Meinungsstand Hartmann in Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl. 2005, § 579 Rdnr. 13). Zur Begründung wird vertreten, dass z. B. bei unterbliebener Ladung zur mündlichen Verhandlung (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, NJW 1986, 209) oder zu Unrecht erfolgter öffentlicher Zustellung eines Urteils (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10. Januar 2000 - 6 UF 120/99 - veröffentlicht in Juris) nichts anderes gelten dürfe, als bei einer nicht gesetzmäßigen Vertretung im Verfahren. Eine analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO kann also – ohne dass diese Frage hier abschließend entschieden werden muss – allenfalls bei einer gänzlichen Versagung des rechtlichen Gehörs in Betracht kommen, der Beteiligte also überhaupt keine Gelegenheit hatte, seinen Rechtsstandpunkt vorzubringen oder mangels Kenntnis von der mit der Nichtigkeitsklage angefochtenen Entscheidung das gegebene Rechtsmittel nicht einlegen konnte. Denn nur bei einer solchen Konstellation könnte eine für die Bildung einer Analogie erforderliche vergleichbare Interessenlage mit dem gesetzlich normierten Fall des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO angenommen werden (vgl. Bundesarbeitsgericht , Beschluss vom 21. Juli 1993 - 7 ABR 25/92 - BAGE 73, 378, veröffentlicht auch in Juris). Der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat in seinem Urteil vom 11. Dezember 2002 (XII ZR 51/00) allerdings entschieden, dass eine analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Satz 4 ZPO selbst dann nicht in Betracht kommt, wenn einer Partei (aufgrund arglistigen Verhaltens der anderen Partei) die Klageschrift, die Ladung zum Termin und das Urteil öffentlich zugestellt worden sind und sie deshalb unverschuldet keine Kenntnis vom Verfahren hatte (BGHZ 153, 189 = NJW 2003, 1326). Ein diesen Sachverhalten auch nur annähernd vergleichbarer Fall liegt hier nicht vor.
19 
Die Klage ist – wie das SG zutreffend entscheiden hat – jedenfalls wegen Nichteinhaltung der Notfrist des § 586 Abs. 1 ZPO unzulässig. Nach dieser Vorschrift sind Restitutions- und Nichtigkeitsklage vor Ablauf der Notfrist eines Monats zu erheben. Gemäß § 586 Abs. 2 Satz 1 ZPO beginnt die Frist mit dem Tage, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhalten hat, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft des Urteils. Bei der Nichtigkeitsklage wegen mangelnder Vertretung läuft die Frist für die Erhebung der Klage demgegenüber von dem Tage, an dem der Partei und bei mangelnder Prozessfähigkeit ihrem gesetzlichen Vertreter zugestellt ist (§ 586 Abs. 3, 2. Halbsatz ZPO). Es kann offen bleiben, ob sich die Frist bei einem hier allein in Betracht kommenden auf eine analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gestützten Nichtigkeitsgrund nach Maßgabe des § 586 Abs. 2 (so für den Fall der unterbliebenen Zustellung der Entscheidung BGH, NJW 1994, 589; OLG Frankfurt, a.a.O; OLG Hamm, a.a.O.) oder – was hier angesichts der erfolgten Zustellung der Entscheidung näher liegt – nach § 586 Abs. 3 ZPO (so das SG) bemisst. Spätestens mit der am 1. Juli 2004 erfolgten Zustellung des Gerichtsbescheids vom 21. Juni 2004 erlangte die Klägerin Kenntnis von den zur Begründung der Nichtigkeitsklage vorgebrachten Gründen (Entscheidung durch Gerichtsbescheid, Verkürzung der Anhörungsfrist). Da diese Kenntnis vor dem Eintritt der Rechtskraft des angefochtenen Gerichtsbescheids erlangt wurde, hätte die Frist zur Erhebung der Nichtigkeitsklage in Anwendung des § 586 Abs. 2 ZPO mit Ablauf der Berufungsfrist, hier also am Montag, dem 2. August 2004 begonnen. Nach Maßgabe des § 586 Abs. 3 ZPO würde der Fristbeginn bereits auf den Zeitpunkt der Zustellung des Gerichtsbescheids fallen. Die erst am 26. November 2004 beim SG eingegangene Nichtigkeitsklage ist damit nach beiden Varianten verfristet.
20 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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