Beschluss vom Oberlandesgericht Braunschweig (2. Senat für Familiensachen) - 2 UF 66/22

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Osterode am Harz vom 31. März 2022 in Ziffer II., dritter Absatz, des Tenors wie folgt geändert:

Zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (Versicherungsnummer ...) wird im Wege der internen Teilung zu Gunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 1,0061 Entgeltpunkten auf dessen Versicherungskonto bei der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover (Versicherungsnummer ...), bezogen auf den 31.05.2021, übertragen.

Zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (Versicherungsnummer ...) wird im Wege der internen Teilung zu Gunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 0,1209 Entgeltpunkten für langjährige Versicherung auf dessen Versicherungskonto bei der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover (Versicherungsnummer ...), bezogen auf den 31.05.2021, übertragen.

2. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen; die Beteiligten haben ihre außergerichtlichen Kosten für das Beschwerdeverfahren selbst zu tragen.

3. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.950,00 € festgesetzt.

4. Der Wert für das erstinstanzliche Verfahren wird von Amts wegen auf 13.650,00 € geändert.

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht – Familiengericht – Osterode am Harz hat im angefochtenen Beschluss vom 31.03.2022 im Rahmen der Ehescheidung auf der Basis zuvor eingeholter Auskünfte auch den Versorgungsausgleich geregelt.

2

Demnach verfügt der Ehemann neben einem Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung auch über ein solches aus einer privaten Altersvorsorge. Die diesbezüglichen Feststellungen und die Entscheidung des Amtsgerichts sind nicht angegriffen und daher nicht Gegenstand der Beschwerde.

3

Die Ehefrau verfügt über Anrechte nur in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der zuständige Versorgungsträger, die beschwerdeführende Beteiligte zu 1., hat in der Auskunft vom 28.02.2022 einen Ehezeitanteil der Ehefrau von 2,0121 Entgeltpunkten mitgeteilt und einen Ausgleichswert von 1,0061 Entgeltpunkten vorgeschlagen. Ferner besteht nach dieser Auskunft ein ehezeitlicher „Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung“ in Höhe von 0,2418 Entgeltpunkten, von denen nach dem Vorschlag 0,1209 Entgeltpunkte zum Ausgleich gebracht werden sollen.

4

Das Amtsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die letztgenannten beiden Anrechte addiert und, rechnerisch zutreffend, einen Ehezeitanteil von insgesamt 2,2539 Entgeltpunkten dem vorgenommenen Ausgleich von 1,1270 Entgeltpunkten zugrunde gelegt.

5

Gegen diese Entscheidung richtet die Beteiligte zu 1. ihre Beschwerde vom 22.04.2022 mit der Begründung, dass eine derartige Addition infolge der Besonderheit der Entgeltpunkteart für „langjährige Versicherung“, die wegen § 97a SGB VI einer Einkommensanrechnung unterliege, nicht erfolgen dürfe. Zwar seien die Entgeltpunkte beider Arten gleichwertig, jedoch ordne auch § 120f Abs. 2 Nr. 3 SGB VI die getrennte Regelung beider Entgeltpunktearten an.

6

Zum Hintergrund dieser seit 01.01.2021 gültigen Regelung ist auszuführen, dass die Entgeltpunkte für „langjährige Versicherung“ aus der Einführung der sog. Grundrente herrühren. Daher werden diese auch als „Grundrentenentgeltpunkte“ bezeichnet (vgl. allgemein zum Grundrentengesetz: Dünn/Bilgen/Heckenberger, DRV 2020, 325).

7

Der Senat hat den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Stellungnahmen sind nicht eingegangen.

II.

8

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Beteiligten zu 1. ist zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin beschwerdebefugt, § 59 Abs. 1 FamFG, weil die angefochtene Entscheidung sie in ihren Rechten beeinträchtigt.

9

Versorgungsträger haben neben ihren eigenen finanziellen Belangen auch die Gesetzmäßigkeit der Festlegung zukünftig von ihnen zu erbringender Versorgungsleistungen zu wahren (vgl. BGH NJW 1982, 448, 449; BGH NJW-RR 1990, 1156, 1157). Die Beschwerdeführerin macht vorliegend eine in der unrichtigen Anwendung des § 10 Abs. 2 VersAusglG auf ein bei ihr bestehendes Anrecht liegende Gesetzesverletzung geltend, die sich auf die Höhe der von ihr zu erbringenden Versorgungsleistungen auswirken kann, da im Rahmen der Rente für „langjährige Versicherung“ andere inhaltliche Anforderungen, insbesondere die Anrechenbarkeit im Sinne des § 97a SGB VI zu stellen sind. Sie bekämpft damit eine Beschwer im Sinne von § 59 Abs. 1 FamFG (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. Juni 2011 – 15 UF 74/11 – BeckRS 2011, 17583).

10

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

11

Die Vorgaben des § 120f Abs. 2 SGB VI ordnen für bestimmte Entgeltpunkte, namentlich solche aus dem Beitrittsgebiet (Nr. 1) und der knappschaftlichen Versicherung (Nr. 2) Ausnahmen von § 10 Abs. 2 VersAusglG an. Entsprechend werden und wurden diese Anwartschaften jeweils separat betrachtet und ausgeglichen.

12

Die mit Art. 1 Nr. 10 des Gesetzes vom 12.08.2020 (BGBl. I 1879, sog. Grundrentengesetz) mit Wirkung zum 01.01.2021 eingefügte Nummer 3 des § 120f Abs. 2 SGB VI führt dazu, dass derartige Anrechte ebenso gesondert auszuweisen und auszugleichen sind (Wick, FuR 2021, 78, 79; Ruland, NZS 2021, 241, 248; Schlegel/Voelzke-Dankelmann, juris-PK SGB, 3. Aufl., Stand 03.12.2021, § 120f SGB VI, Rn. 7, 44 und 49; RegE, BT-Drucks. 19/18473, S. 44).

13

Neben der gesetzlichen Regelung liegt dieser separaten Betrachtung der Anrechte für „langjährige Versicherung“ auch zugrunde, dass die Entgeltpunkte für „langjährige Versicherung“ unabhängig von der Einkommensanrechnung ermittelt werden. Selbst wenn wegen der Einkommensanrechnung eine Grundrente nicht zu leisten ist, sind die ihr zugrunde liegenden Entgeltpunkte auszugleichen, da die Einkommensanrechnung das Stammrecht nicht verdrängt (Ruland, ebenda; Bachmann/Borth, FamRZ 2020, 1609, 1612).

14

Somit war anhand der von der Beteiligten zu 1. bereits erstinstanzlich vorgelegten Auskunft eine Trennung der Entgeltpunkte, trotz des hiermit für die Beteiligten und letztlich auch die Gerichte verbundenen Mehraufwands, dahingehend vorzunehmen, dass zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund im Wege der internen Teilung (vgl. dazu Wick, FuR 2021, 78, 80) zu Gunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 1,0061 Entgeltpunkten sowie ein weiteres in Höhe von 0,1209 Entgeltpunkten für langjährige Versicherung auf dessen Versicherungskonto bei der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover jeweils bezogen auf den 31.05.2021 als Ende der Ehezeit, zu übertragen waren.

15

Nachdem der Ausgleich, ebenso wie der nicht beschwerdegegenständliche in Gegenrichtung, innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherungssysteme erfolgt, besteht trotz der Geringfügigkeit der Anrechte kein Anlass, den Ausgleich nicht durchzuführen.

16

Nach § 18 Abs. 2 VersAusglG soll das Familiengericht einzelne Anrechte mit einem geringen Ausgleichswert nicht ausgleichen. Denn in diesen Fällen steht der Verwaltungsaufwand des Versorgungsträgers in keinem Verhältnis zum wirtschaftlichen Wert für den ausgleichsberechtigten Ehegatten/Lebenspartner; außerdem soll die Entstehung von Splitterversorgungen vermieden werden (Palandt-Brudermüller, BGB, 80. Auflage 2021, § 18 VersAusglG, Rn. 3). Andererseits ist der Halbteilungsgrundsatz nach wie vor Maßstab des Versorgungsrechts. Insoweit hat das Gericht einen Ermessensspielraum, der von nachfolgendem Gesichtspunkt geprägt ist. Der Ausschluss eines Ausgleichs von Bagatellrechten zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung findet seine Grenze in einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Halbteilungsgrundsatzes. Eine solche Beeinträchtigung wird insbesondere bei gleichartigen Versorgungen i.S.v. § 10 Abs. 2 VersAusglG angenommen (BGH, FamRZ 2012, 192 für Anrechte auf Entgeltpunkte Ost und Entgeltpunkte West). Letztgenannter Gedanke findet, ausgehend von obigen Erwägungen zu § 120f Abs. 2 Nr. 3 SGB VI, auch und gerade auf die Entgeltpunkte für langjährige Versicherung Anwendung.

III.

17

Der Senat hat – wie angekündigt – gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von einer mündlichen Verhandlung abgesehen.

18

Die Kostenentscheidung für die Beschwerdeinstanz beruht auf 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG. Die Festsetzung des Wertes für das Beschwerdeverfahren beruht unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nunmehr über zwei Anrechte zu entscheiden war, auf § 50 Abs. 1 FamGKG (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 24. Mai 2022 – 10 WF 65/22 – zur Veröffentlichung bestimmt).

19

Entsprechend war auch gemäß § 55 Abs. 3 Nr. 2 FamGKG die erstinstanzliche Wertfestsetzung zu ändern, da diese, insoweit folgerichtig, nur von drei statt insgesamt vier zu betrachtenden Anrechten ausging.

20

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, § 70 Abs. 1 FamFG. Die gesetzliche Regelung des § 120f Abs. 2 Nr. 3 SGB VI ist eindeutig.

 


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