Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 7 UF 55/14
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der am 12.03.2014 erlassene Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Warstein, Az.: 3a F 194/13, unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert.Der Antragsgegner bleibt verpflichtet, an die Antragstellerin
rückständigen Unterhalt für Juli und August 2013 in Höhe von jeweils 43,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 43,00 € seit dem 13.07.2013 und 01.08.2013 sowie
laufenden Unterhalt für die Zeit ab September 2013 in Höhe von 43,00 € monatlich, jeweils im Voraus eines jeden Monats, spätestens bis zum dritten Tag eines Monats zu zahlen.
Der weitergehende Unterhaltsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin zu 2/3 und der Antragsgegner zu 1/3.Die Entscheidung ist sofort wirksam.
Die Rechtsbeschwerde wird zu der Frage zugelassen, ob der eheangemessene Selbstbehalt die Leistungsfähigkeit des Schuldners begrenzt, wenn Familienunterhalt als Geldrente geschuldet ist.
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Gründe:
3I.
4Die Beteiligten sind Eheleute. Die Antragstellerin lebt seit dem 28.05.2013 im X-Pflegezentrum Y; seit dem 15.12.2009 ist sie aufgrund einer schweren Erkrankung durchgehend in Einrichtungen des X untergebracht. Als Zuschuss zu den Pflegekosten von 3.923,59 € monatlich erhält sie Sozialhilfe. Der Sozialhilfeträger errechnet seinen Kostenbeitrag unter Berücksichtigung der Leistungen aus der Grundsicherung sowie eines Eigenanteils der Antragstellerin von 132,56 € monatlich. Den Eigenanteil begründet der Hilfeträger mit dem Unterhaltsanspruch der Antragstellerin gegen den Antragsgegner. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid des Kreises F vom 29.05.2013 nebst Anlagen (Bl.4 ff GA) verwiesen. Der Antragsgegner ist Rentner und bezieht Renteneinkünfte von monatlich 1.042,82 € netto.Die Antragstellerin forderte den Antragsgegner mit Schreiben vom 28.06.2013 unter Fristsetzung zum 12.07.2013 vergeblich auf, ab Mai 2013 Familienunterhalt zu leisten.Sie hat vor dem Amtsgericht die Auffassung vertreten, der Antragsgegner schulde ihr Unterhalt bis zur Grenze des sozialhilferechtlichen Existenzminimums. Sie hat beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, an sie rückständigen Unterhalt in Höhe von 414,78 € nebst Zinsen für die Monate Mai 2013 bis einschließlich August 2013 und laufenden Unterhalt ab September 2013 in Höhe von 132,56 € zu zahlen. Der Antragsgegner ist dem entgegengetreten. Er hat vorgetragen, die eheliche Gemeinschaft bestehe nicht mehr; im Übrigen sei er leistungsunfähig.Das Amtsgericht hat den Antragsgegner antragsgemäß zur Zahlung von Familienunterhalt verpflichtet. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Getrenntleben der Beteiligten könne nicht festgestellt werden; der Antragsgegner müsse bis zur Grenze des sozialhilferechtlichen Existenzminimums Unterhalt zahlen.Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners.Er wiederholt seine Auffassung, lediglich Trennungsunterhalt zu schulden. Hilfsweise vertritt er die Ansicht, Familienunterhalt nur unter Berücksichtigung des eheangemessenen Selbstbehaltes zahlen zu müssen.Er beantragt,
5unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht - Warstein den Unterhaltsantrag zurückzuweisen.
6Die Antragstellerin beantragt,
7die Beschwerde zurückzuweisen.Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 29.07.2014 verwiesen.
8II.
9Die zulässige Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.Die Antragstellerin hat gegen den Antragsgegner einen Anspruch auf Familienunterhalt aus §§ 1360, 1360a Abs.3 i.V.m. 1613 Abs.1 BGB in Höhe von 43,00 € monatlich ab Juli 2013. Für die Monate Mai und Juni 2013 besteht kein Unterhaltsanspruch, da die Antragstellerin den Antragsgegner erstmals mit Schreiben vom 28.06.2013 zur Zahlung aufgefordert hat.In Höhe des titulierten Betrages ist der Antragsgegner unter Berücksichtigung des eheangemessenen Selbstbehaltes von 1.000,00 € (vgl. Zif. 21.4 HLL) leistungsfähig.Zwar hängt der nach dem Halbteilungsgrundsatz zu errechnende Anspruch auf Familienunterhalt grundsätzlich nicht von der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners i.S.d. §§ 1581, 1603 Abs.1 BGB ab. Auf die Selbstbehaltssätze der Leitlinien kann deshalb in der Regel nicht abgestellt werden (BVerfG FamRZ 1984, 346 Tz.54; Scholz in Wendl/Dose, 8.A., § 3 Rn.9).Dennoch begrenzt der eheangemessene Selbstbehalt in diesem Fall ausnahmsweise den Anspruch der Antragstellerin auf Familienunterhalt.1. Familienunterhalt ist geschuldet, weil der Senat ein Getrenntleben der Ehegatten i.S.d. §§ 1361, 1567 BGB nicht feststellen kann.Allein die Unterbringung eines Ehegatten in einem Pflegeheim erfüllt die Voraussetzungen des Getrenntlebens nicht, es sei denn, es kann zusätzlich ein Trennungswille festgestellt werden (Palandt/Brudermüller, 73.A., § 1567 Rn.2; Bömelburg in Wendl/Dose, 8.A., § 4 Rn.26). Dabei muss der Wille, die Lebensgemeinschaft aufgeben zu wollen, deutlich erkennbar sein und sich etwa dadurch manifestieren, dass der in der vormaligen Ehewohnung verbleibende Teil die persönlichen Dinge des anderen Ehegatten entfernt (Palandt, a.a.O., § 1567 Rn.5) oder sich einem anderen Partner zuwendet.Objektive Anhaltspunkte für die Absicht des Antragsgegners, getrennt leben zu wollen, hat das Amtsgericht unter zutreffender Würdigung des Vortrags der Beteiligten in erster Instanz nicht festgestellt. Das Beschwerdevorbringen des Antragsgegners lässt keinen Anhalt dafür erkennen, dass die erstinstanzlichen Feststellungen unrichtig sind. Einen inneren Willen, die eheliche Gemeinschaft mit der Antragstellerin ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr fortsetzen zu wollen, oder äußere Umstände, aus denen sich eine Trennungsabsicht ergibt, legt der Antragsgegner auch in der Beschwerde nicht dar.2. Allerdings rechtfertigt sich die Begrenzung des Anspruchs auf Familienunterhalt und der Leistungsfähigkeit des Antragsgegners durch den eheangemessenen Selbstbehalt in diesem Fall deshalb, weil der Anspruch auf Familienunterhalt nicht auf den Naturalunterhalt, sondern auf eine Geldrente geht. In diesem Fall wird der Antragsgegner im Ergebnis durch die Unterhaltsverpflichtung in gleicher Weise belastet, als schulde er Trennungsunterhalt.In der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur besteht Einigkeit, dass dem Schuldner zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhaltes ein bestimmtes Einkommen zu belassen ist, soweit Familienunterhalt in Form einer Geldrente zu gewähren ist (Scholz in Wendl/Dose, 8.A., § 3 Rn.9; Staudinger/Voppel, BGB, Std.2012, § 1360 Rn.15; OLG Düsseldorf NJW 2002, 1353; OLG Köln FamRZ 2010, 2076).Nicht einheitlich beurteilt wird jedoch, ob dem Unterhaltsschuldner lediglich das Existenzminimum (so Staudinger a.a.O.) oder der eheangemessene Selbstbehalt (so Scholz in Wendl/Dose, 8.A., § 3 Rn.44; OLG Düsseldorf NJW 2002, 1353 Tz.14) zu belassen ist.Diese Frage ist höchstrichterlich nicht entschieden. Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an.Zwar ist den Ehegatten innerhalb der intakten Ehe ein größeres Maß an ehelicher Solidarität gegenüber dem pflegebedürftigen Gatten abzuverlangen als nach dem Scheitern der ehelichen Lebensgemeinschaft. Die wirtschaftlichen Konsequenzen der Unterbringung eines Ehegatten in einem Pflegeheim treffen den unterhaltspflichtigen Ehegatten jedoch gleichermaßen und unabhängig davon, ob die eheliche Lebensgemeinschaft fortbesteht oder durch eine Trennung aufgehoben ist. Mit der Unterbringung des pflegebedürftigen Ehegatten entfallen dauerhaft die Synergieeffekte, die das eheliche Zusammenleben wirtschaftlich erheblich mitbestimmen. Dies rückt die vorliegende Fallkonstellation in die Nähe der Trennungssituation.In Folge der Pflegebedürftigkeit eines Ehegatten, die dessen stationäre Unterbringung erforderlich macht, deckt der unterhaltspflichtige Ehegatte durch Ausgaben für die Unterkunft, allgemeine Lebenshaltung und soziale Teilhabe nicht mehr zugleich den eigenen und den Bedarf des Ehegatten. Dem Pflichtigen erwächst vielmehr eine wirtschaftlich ungleich höhere Belastung dadurch, dass er nicht nur den eigenen Lebensunterhalt bestreiten muss, sondern zusätzlich für Kosten aufzukommen hat, die aus der ehelichen Gemeinschaft resultieren. Zu nennen sind hier etwa die Kosten der eheangemessenen Wohnung, eines Fahrzeugs oder Verbindlichkeiten des anderen Ehegatten, ohne dass diese Leistungen dem pflegebedürftigen Ehegatten noch zu Gute kommen. Zu dem Lebensunterhalt des bedürftigen Ehegatten muss der Schuldner vielmehr gesondert beitragen. 3. Unter Berücksichtigung des eheangemessenen Selbstbehaltes für den nichterwerbstätigen Schuldner von 1.000,00 € schuldet der Antragsgegner aus seinem Einkommen ab Juli 2013 monatlichen Unterhalt von 43,00 €. Im Hinblick auf den rückständigen Unterhalt für die Monate Juli und August 2013 ist der Betrag gem. §§ 280 Abs.2, 286 Abs.1, 1613 Abs1. BGB mit dem gesetzlichen Zinssatz (§§ 288 Abs.1, 247 BGB) zu verzinsen.4. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 116 Abs.3, 243 Nr.1 FamFG; die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 70 Abs.2 Nr.1 u.2 FamFG.
10Rechtsbehelfsbelehrung:
11Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde statthaft. Beschwerdeberechtigt ist derjenige, dessen Rechte durch den Beschluss beeinträchtigt sind. Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Herrenstr. 45a, 76133 Karlsruhe einzulegen. Diese muss durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt unterschrieben sein. Dem Anwaltszwang unterliegen nicht Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie Beteiligte, die durch das Jugendamt als Beistand vertreten sind. Wegen der weiteren Details wird auf § 10 Abs. 4 Satz 2 FamFG (für Familienstreitsachen i.S.v. § 112 FamFG auf § 114 Abs. 3 und Abs. 4 Nr. 2 FamFG) Bezug genommen.
12Die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde beträgt ebenfalls einen Monat und beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses.
13Die weiteren Einzelheiten zu den zwingenden Förmlichkeiten und Fristen von Rechtsbeschwerdeschrift und Begründung ergeben sich aus §§ 71 und 72 FamFG.
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Referenzen
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- BGB § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden 1x
- BGB § 1603 Leistungsfähigkeit 1x
- BGB § 1361 Unterhalt bei Getrenntleben 1x
- FamFG § 116 Entscheidung durch Beschluss; Wirksamkeit 1x
- BGB § 1567 Getrenntleben 1x
- BGB § 1613 Unterhalt für die Vergangenheit 1x
- BGB § 247 Basiszinssatz 1x
- BGB § 1581 Leistungsfähigkeit 1x
- FamFG § 70 Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde 1x
- BGB § 286 Verzug des Schuldners 1x
- FamFG § 243 Kostenentscheidung 1x
- BGB § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung 1x