Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 5 U 125/15
Tenor
Die Berufung der Verfügungskläger gegen das am 03.09.2015 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hagen wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden den Verfügungsklägern auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 6.000,00 Euro.
1
Gründe:
2A.
3Die Verfügungskläger sind Eigentümer des Grundstücks H Str. xx in M (G3 – Land, Flur X, Flurstücke X, X und X). Das südlich gelegene Flurstück X ist mit einem Wohnhaus bebaut. Daran schließt nördlich das Flurstück X und daran wiederum nördlich das Flurstück X an, welches über einen Abhang an die H Straße angrenzt. Neben der Straße ist auf dem Flurstück X eine Parkbucht mit Stellplätzen für mindestens 2 Kraftfahrzeuge angelegt. Von dort ist das Flurstück X über eine Treppe mit 36 Stufen und Zwischenpodest zu erreichen. Vom Treppenaufgang bis zum Wohnhaus der Verfügungskläger besteht ein Höhenunterschied von ca. 5 ½ Metern; bis zur Haustür sind ca. 50 Treppenstufen insgesamt zu begehen.
4Die Verfügungsbeklagten sind Miteigentümer des östlich vom klägerischen Hausgrundstück gelegenen Nachbargrundstückes H Str. xx (G – Land, Flur X, Flurstücke X, X, X und X). Auf dem Flurstück X befindet sich das Wohnhaus der Verfügungsbeklagten. Das Flurstück X ist im Liegenschaftskataster als Weg ausgewiesen. Es verbindet u. a. das Grundstück der Verfügungsbeklagten mit der H Straße. Das Flurstück X grenzt im Westen an das klägerische Flurstück X und im Osten an das Flurstück X an. In der Vergangenheit ist das Flurstück X auch als Weg zum Grundstück der Kläger von deren Rechtsvorgängern genutzt worden. Darüber verhält sich das Verfahren der Eheleute C2 gegen S u. a. (Az.: xx C xx/08 Amtsgericht M = 10 S xx/08 Landgericht I).
5Auf den vom Hausgrundstück der Kläger westlich gelegenen Nachbargrundstücken mit den Flurstücken X, X und X befindet sich ein weiterer privater Verbindungsweg von der H Straße zum Grundstück der Verfügungskläger.
6Wegen der weiteren Einzelheiten der Örtlichkeiten wird auf die Kataster- bzw. Liegenschaftskarten Bl. 10 und 59 d. A. verwiesen.
7Am 18.05.2015 untersagte die Verfügungsbeklagte zu 1) den Verfügungsklägern die Nutzung des Flurstücks X als Zufahrt zu den klägerischen Grundstücken. Daraufhin wurde von den Verfügungsklägern zunächst die westliche Zufahrt über die Flurstücke X, X und X zur H Straße bzw. zu ihren Flurstücken X und X genutzt.
8In der Folge untersagte zunächst die Eigentümerin C des Flurstücks X den Klägern die weitere Benutzung ihres Privatweges. Sodann untersagte am 15.07.2015 die Eigentümerin T2 des Flurstücks X durch anwaltliches Schreiben die weitere Nutzung ihres Grundstücks.
9Die Verfügungskläger haben die Ansicht vertreten, es bestehe seit der Nutzungsuntersagung vom 15.07.2015 keinerlei Verbindung ihres Grundstücks zu einer öffentlichen Straße mehr. Die Erreichbarkeit eines Wohngrundstückes mit Kraftfahrzeugen sei jedoch in der Regel erforderlich. Deswegen stehe ihnen an dem Flurstück X ein Notwegerecht gem. § 917 BGB zu.
10Die Verfügungskläger haben beantragt,
111.
12die Verfügungsbeklagten zu verpflichten, es zu dulden, dass die Antragsteller den Zugang und die Zufahrt mit Personenkraftwagen, Versorgungsfahrzeugen sowie Nothilfefahrzeugen von der H Straße über einen mindestens drei Meter Grundstücksstreifen des Grundstücks der Antragsgegner G3 – Land, Flur X, Flurstück X
13a)
14von der Grenze des Flurstücks X zum Flurstück X bis zur
15b)
16Grenze des Flurstücks X zum Grundstück der Antragsteller G2 – Land, Flur X, Flurstück X zu allen Tages- und Nachtzeiten begehen und mit Kraftfahrzeugen befahren,
172.
18den Verfügungsbeklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten anzudrohen.
19Die Verfügungsbeklagten haben beantragt,
20den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
21Sie haben die Auffassung vertreten, dass es aufgrund des Flurstücks X nicht an einer notwendigen Verbindung des klägerischen Grundstücks mit einer öffentlichen Straße fehle. Außerdem sei auf den Flurstücken X und X im Grundbuch ein wirksames Wegerecht zugunsten der Verfügungskläger eingetragen. Deswegen bestehe eine Alternative über den westlich gelegenen Verbindungsweg, welche die Verfügungskläger zu nutzen hätten. Der sei ohnehin kürzer als der östlich gelegene Weg über das Flurstück X.
22Replizierend haben die Verfügungskläger darauf verwiesen, dass es sich bei dem Wegerecht betreffend der Flurstücke X und X um eine fehlerhafte Eintragung ins Grundbuch handele. Es bestehe tatsächlich nur auf dem Flurstück X eine Grunddienstbarkeit an einem 5 m breiten Streifen, welcher direkt an die Flurstücke X und X grenze und eben nicht zur H Straße führe.
23Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
24Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung als unbegründet zurückgewiesen. Die Verfügungskläger hätten das Bestehen eines Verfügungsanspruchs aus § 917 Abs. 1 S. 1 BGB nicht glaubhaft gemacht.
25Der Anspruch auf Einräumung eines Notwegerechts setze voraus, dass dem betroffenen Grundstück die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehle. Zwar könne ausnahmsweise diese notwendige Verbindung auch dann fehlen, wenn die vorhandene Verbindung für eine ordnungsgemäße Benutzung des Grundstücks unzureichend sei. Eine derartige unzureichende Verbindung über das vorhandene Flurstück X hätten die Verfügungskläger jedoch nicht glaubhaft gemacht. So komme es für die Feststellung der Notwendigkeit nicht darauf an, dass ein anderweitiger Zugang zu einem öffentlichen Weg bequemer sei. Insofern könne also nicht alleine darauf abgestellt werden, dass der Zugang zum klägerischen Wohnhaus über eine Treppe mit 36 Stufen und mit einem zu überwindenden Höhenunterschied von 5 ½ Metern unbequemer sei als die Nutzung über das Flurstück X der Beklagten. Auch setze die ordnungsgemäße Nutzung eines Wohngrundstückes nicht voraus, dass eine Anfahrt bis zum Hauseingang möglich sein müsse. Es komme vielmehr darauf an, dass das Grundstück als solches mit dem Kraftfahrzeug unmittelbar erreicht werden könne. Eine solche direkte Erreichbarkeit des Grundstücks sei jedenfalls gewährleistet. So befänden sich direkt vor der Treppe des Flurstücks X an der H Straße zwei für das Grundstück vorgesehene Parkbuchten.
26Abgesehen davon hätten die Verfügungskläger nicht schlüssig dargelegt, warum die Verbindung gerade über die östliche Zufahrt des Flurstücks X und nicht über die westliche Zufahrt der Flurstücke X, X und X zu erfolgen habe. Bei mehreren möglichen Verbindungen müsse die Benutzung der konkreten Verbindung notwendig sein. Dies erfordere eine Abwägung zwischen dem Interesse an der geringsten Belastung und der größten Effektivität des Notweges. Eine derartige Interessenabwägung hätten die Verfügungskläger nicht vorgenommen. Insoweit könne nicht allein auf die behauptete kürzere Strecke des Flurstücks X abgestellt werden. Auch sei in diesem Zusammenhang nicht entscheidend, dass das Flurstück X in der Vergangenheit bereits als Zufahrt zum Hausgrundstück der Kläger genutzt worden sei.
27Die Verfügungskläger vermögen sich mit dieser Entscheidung nicht abzufinden.
28Zur Begründung ihrer Berufung weisen sie darauf hin, dass eine Belieferung ihres Hausgrundstücks mit Energie und die Entsorgung von Müll über die auf dem Flurstück X vorhandene 36-stufige Treppe, welche einen Höhenunterschied von ca. 5,5 Meter von der H Straße zum Haus überwinden müsse, nicht möglich sei. Zudem weise die Treppe eine Rechtsbiegung auf. Ebenso wenig könnten Rettungsfahrzeuge ihr Hausgrundstück über die 1,50 m breite Treppe erreichen. Dieser Zustand beeinträchtige die Nutzung ihres Hausgrundstücks in einem nicht mehr hinnehmbaren Maße. Es verhindere die Befriedigung von Bedürfnissen der Bewohner wie z. B. die problemlose Anlieferung von Gegenständen des täglichen Lebensbedarfs sowie die sichere Erreichbarkeit des Grundstücks.
29Mit einem etwaigen Notweg über die westliche Zufahrt über die Flurstücke X, X und X seien die dortigen Eigentümer aufgrund der längeren Wegstrecke von über 100 m weitaus mehr belastet als die Verfügungsbeklagten.
30Auch hätten sie – die Verfügungskläger – im Rahmen von Kanalarbeiten erfahren, dass der Bau einer eigenen Zufahrt von der H Straße zu ihrem Grundstück nicht zulässig sei, da die Steigung des an der H Straße gelegenen Flurstücks X über 40 % betrage. Nach Auskunft der die Kanalarbeiten durchführenden Mitarbeiter seien Zufahrten lediglich bis zu einer Steigung von 15 % möglich.
31Des Weiteren habe das Landgericht ihr Klagebegehren zu Unrecht zurückgewiesen, weil dadurch gegen die Widmung des streitgegenständlichen Flurstücks X aufgrund unvordenklicher Verjährung als Privatstraße verstoßen worden sei. Bereits seit 1973 bestünden unstreitig bezüglich des über die Parzelle X laufenden Weges Notwegerechte zugunsten des Grundstücks der Verfügungskläger, während der Weg selbst nachweislich schon vor 1900 bestanden habe.
32Die Verfügungskläger beantragen,
33unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Verfügungsbeklagten zu 1) bis 3) zu verurteilen,
34die Benutzung ihres Grundstücks G3 – Land, Flur X, Flurstück X
35a)
36von der Grenze des Flurstücks X zum Flurstück X bis zur
37b)
38Grenze des Flurstücks X zum Grundstück der Verfügungskläger G3 – Land, Flur X, Flurstück X
39als Notweg zum Zwecke des Zugangs und der Zufahrt mit Personenkraftwagen, Versorgungsfahrzeugen sowie Nothilfefahrzeugen von der H Straße über einen mindestens 3 m Grundstücksstreifen zu allen Tages-und Nachtzeiten zu dulden.
40Die Verfügungsbeklagten beantragen,
41die Berufung zurückzuweisen.
42Sie verteidigen das angefochtene Urteil, in dem sie ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholen und vertiefen.
43B.
44Die Berufung hat keinen Erfolg.
45I.
46Es fehlt bereits an einem Verfügungsgrund.
47Der Verfügungsgrund i. S. d. §§ 935, 940 ZPO besteht in der – objektiv begründeten – Besorgnis, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Verfügungskläger vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, und/oder zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Verfügungskläger. Hier ist der zweite Gesichtspunkt zu prüfen gewesen.
48Grundsätzlich hat der Gläubiger bzw. Verfügungskläger die Besorgnis darzulegen und die dazu behaupteten Tatsachen glaubhaft zu machen (vgl. zum Ganzen: Zöller-Vollkommer, 31. Aufl. 2016, § 935 Rdnr. 10 ff. u. 940 Rdnr. 4).
491.
50Die Kläger haben bislang nicht dazu vorgetragen, dass drohende wesentliche Nachteile ohne die begehrte Verurteilung der Beklagten zur Duldung der Nutzung ihres Flurstücks X als Zugang und Zufahrt von ihnen – den Verfügungsklägern – nicht abgewendet werden könnten. Insbesondere ist nach Aktenlage nicht ersichtlich, warum die Durchsetzung des geltend gemachten Wegerechts so dringend sein soll, dass die Klärung der Rechtslage durch ein Hauptsacheverfahren nicht abgewartet werden kann.
51Der Gesichtspunkt der „Dringlichkeit“ ist i. S. d. § 935, 940 ZPO im vorliegenden Fall von besonderer Bedeutung, weil die Kläger den Erlass einer sog. „Leistungsverfügung“ als ein Unterfall der Regelungsverfügung i. S. v. § 940 ZPO erwarten.
52Die Leistungsverfügung ist im Unterschied zur Sicherungsverfügung auf eine – zumindest vorläufige – Befriedigung des Gläubigers gerichtet. Sie setzt daher ein dringendes Bedürfnis für die begehrte Eilmaßnahme voraus. Der Gläubiger muss also darlegen und glaubhaft machen, dass er auf die sofortige Erfüllung dringend angewiesen ist (vgl. Zöller-Vollkommer, 31. Aufl. 2016, § 935 ZPO Rdnr. 2 u. § 940 ZPO Rdnr. 6 m. w. N.). Zumal die Gläubiger hier fremdes Eigentum in Anspruch nehmen wollen.
53Dieses dringende Bedürfnis haben die Verfügungskläger nicht dargetan. Es ist nach Aktenlage auch nicht ersichtlich. Die Verfügungskläger nutzen nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer die über ihr Flurstück X zu ihrem Haus führende Treppe. Ihre Nachbarin Frau C erlaubt ihnen zudem für den Transport größerer Gegenstände die Zufahrt über die westlich gelegene Zuwegung (vgl. Bl. 123 d. A.). Für Fahrten von Rettungs- und Löschfahrzeugen zum Haus der Verfügungskläger stehen wegen § 904 BGB (Notstand) ohnehin beide Zuwegungen – also die westlich gelegene wie auch die im Osten über das Flurstück Nr. X – zur Verfügung (vgl. Palandt-Bassenge, 75. Aufl. 2016, § 904 BGB, Rdnr. 4).
542.
55Sollte ein Verfügungsgrund entgegen den Ausführungen unter 1) angenommen werden, dürfte er infolge Selbstwiderlegung entfallen sein, weil die Kläger eine Klage in Hauptsache erst Ende Dezember 2015 erhoben haben (vgl. Bl. 180 d. A.).
56Eine Regelungsverfügung, wie sie im vorliegenden Fall von den Klägern begehrt wird, regelt den Streit zwischen Beteiligten von Rechtsverhältnissen vorläufig, weil dessen Fortdauer bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar wäre. Dieser Zweck schließt eine vorläufige Befriedigung während der Zeit der einstweiligen Regelung nicht aus. Eine solche würde auch hier mit Erlass der begehrten Verfügung (Leistungsverfügung) erfolgen. Die Regelung des einstweiligen Zustandes muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile jedoch nötig erscheinen. Hierzu hat eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen, da die einstweilige Maßnahme über eine bloße Sicherung hinausgeht. Hier dürfte bei der gebotenen Interessenabwägung zu Ungunsten der Kläger ins Gewicht fallen, dass sie erst 5 Monate nach Beantragung der einstweiligen Verfügung Mitte Juli 2015 Klage in der Hauptsache erhoben haben. Dadurch haben sie nämlich selbst die rechtskräftige Entscheidung in der Hauptsache und damit auch die Dauer einer etwaigen Regelungsverfügung erheblich hinausgezögert, was nicht zu billigen ist.
57Nach Allem fehlt es bereits an einem Verfügungsgrund für den Erlass der begehrten Verfügung.
58II.
59Darüber hinaus dürfte es auch an einem Verfügungsanspruch fehlen.
601.
61Die Verfügungskläger begründen ihr Klagebegehren u. a. mit dem Rechtsinstitut der unvordenklichen Verjährung. Seine Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor.
62a)
63Die unvordenkliche Verjährung ist ein Rechtsinstitut, das aus dem kanonischen Recht (Kirchenrecht der römisch-katholischen Kirche) stammt. Liegen die Voraussetzungen der unvordenklichen Verjährung vor, so wird widerleglich vermutet, dass ein bestimmtes Recht in früherer Zeit entstanden ist, auch wenn dies nicht mehr nachgewiesen werden kann. So kann z. B. mittels der unvordenklichen Verjährung angenommen werden, dass ein über ein privates Grundstück führender Weg in früherer Zeit durch die zuständige Obrigkeit ausdrücklich oder stillschweigend als öffentlicher Weg gewidmet wurde und von der Allgemeinheit entsprechend genutzt werden durfte, auch wenn die Widmung selbst nicht mehr nachweisbar ist (vgl. zur verfassungsrechtlichen Einordnung des Rechtsinstituts im Hinblick auf Art. 14 GG: BVerG NVWZ 2009, 1158 ff. – Rdnr. 23 zitiert nach juris).
64Die unvordenkliche Verjährung ersetzt also nicht die Widmung, sondern entbindet nur davon, den Widmungsakt nachzuweisen. Nachgewiesen werden müssen jedoch die Voraussetzungen der unvordenklichen Verjährung. Dafür ist erforderlich, dass der als Recht beanspruchte Zustand in einem Zeitraum von 40 Jahren als Recht besessen worden ist und dass weitere 40 Jahre vorher keine Erinnerung an einen anderen Zustand seit Menschengedenken bestand (BGH MDR 2009, 374 ff. – Rdnr. 14/Weg und BGHZ 16, 234 ff. – Rdnr. 54 ff./Wehr).
65Das Rechtsinstitut der unvordenklichen Verjährung ist nicht im BGB geregelt. Es gilt in der Regel für Rechtsgebiete, die nicht im Bundesrecht geregelt sind, insbesondere im Straßen-und Wegerecht, im Wasserrecht und im Nachbarrecht.
66b)
67Im vorliegenden Fall ist keine Widmung der privaten Wegeparzelle X für den Gemeingebrauch kraft unvordenklicher Verjährung gegeben. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung der 40-Jahre-Zeiträume ist das Inkrafttreten des Straßen-und Wegegesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen im Jahr 1962. Somit begann der erste Zeitraum im Jahr 1882 zu laufen. Dass damals das Flurstück X, auf der heute der Privatweg verläuft, als Zuwegung zu den Grundstücken beider Parteien diente, kann nicht festgestellt werden. Es ist nach Aktenlage nämlich noch nicht einmal festzustellen, dass auf den heutigen Flurstücken X und X bzw. X in den 90iger Jahren des 19. Jahrhunderts bereits Häuser standen. Derartiges ergibt sich auch nicht aus dem in diesem Zusammenhang von den Verfügungsklägern angeführten Schreiben von Frau C vom 12.06.2015 (Bl. 11 f. d. A.).
682.
69Auch ein von den Verfügungsklägern bemühtes Gewohnheitsrecht greift nicht.
70a)
71Gewohnheitsrecht ist ungeschriebenes Recht, welches durch eine andauernde Anwendung, also längere tatsächliche Übung, von Rechtsvorstellungen oder Regeln, die von den Beteiligten als verbindlich akzeptiert worden sind, zustande kommt und als gleichwertige Rechtsquelle neben dem Gesetzesrecht steht (vgl. BVerfG NJW 2009, 1469 ff. – Rdnr. 62 zitiert nach juris; BGHZ 37, 219 ff. u. Palandt-Sprau, a.a.O., Einleitung Rdnr. 22).
72b)
73Hier ist nicht festzustellen, dass die Parteien und gegebenenfalls ihre Nachbarn die Wegeparzelle X über einen langen Zeitraum als Zuwegung zum Anwesen der Kläger ungehindert genutzt bzw. deren Nutzung als Gewohnheitsrecht akzeptiert haben. Vielmehr ergibt sich aus der beigezogenen Akte xx C xx/08 Amtsgericht M, dass schon die Rechtsvorgänger auf Klägerseite (Eheleute C2) gegen den Rechtsvorgänger der Verfügungsbeklagten zu 1) ( S ) im Jahre 2008 um die Nutzung des Flurstücks X als Weg ebenso gestritten haben, wie wiederum deren Rechtsvorgänger (Q) auf Klägerseite und ( S ) auf Beklagtenseite bereits Anfang der 70iger Jahre. Die vorbezeichnete Akte des Amtsgerichts M enthält als Anlage das Protokoll einer Sitzung vor dem Amtsgericht M vom 12.04.1972. Daraus ergibt sich der Abschluss eines Vergleichs zwischen Q als Kläger und S als Beklagte, wonach S den Klägern ein Notwegrecht über ihr Grundstück in M-H, H Str. xx als Verbindung zur H Straße hin einräumte Zug um Zug gegen Zahlung einer monatlichen Notwegerente von 20,00 DM.
74Mithin kann von einer Anerkennung des Flurstücks X als Zuwegung zum Flurstück X durch die beteiligten Rechtsobjekte, wie sie Gewohnheitsrecht voraussetzt, nicht ausgegangen werden.
753.
76Der geltend gemachte Duldungsanspruch dürfte auch nicht aus § 917 Abs. 1 BGB (Notwegrecht) begründet sein.
77a)
78Dazu müsste dem Grundstück des Berechtigten eine Verbindung zum öffentlichen Weg fehlen.
79Die Verbindung fehlt, wenn das betroffene Grundstück von dem öffentlichen Weg durch dazwischenliegende Grundstücke völlig abgeschnitten ist. Ferner fehlt sie, wenn eine vorhandene Verbindung für eine ordnungsgemäße Benutzung nicht ausreicht. Eine Verbindung fehlt schließlich, wenn eine vorhandene Zugangsmöglichkeit unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht in Betracht kommt. Davon ist auszugehen, wenn eine technisch mögliche Verbindung mit unzumutbar hohen Aufwendungen verbunden wäre. Dabei kommt es darauf an, in welchem Verhältnis die entstehenden Kosten zum Gesamtertrag des Grundstücks stehen und nicht darauf, wie sie sich zu den Kosten des Notwegs verhalten (vgl. Staudinger-Roth, a.a.O., § 917 BGB, Rdnr. 11).
80Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass die fehlende Verbindung für die ordnungsgemäße Benutzung des eingeschlossenen Grundstücks notwendig sein muss. Das Merkmal der „ordnungsgemäßen Benutzung“ dient dem Bedürfnis des eingeschlossenen Grundstücks für eine wirtschaftlich sinnvolle Ausnutzung. § 917 setzt also nicht voraus, dass dem betreffenden Grundstück oder Grundstücksteil jede Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt. Es reicht vielmehr aus, dass keine Verbindung vorhanden ist, die eine ordnungsgemäße Benutzung zulässt (vgl. Staudinger-Roth, a.a.O., § 917 BGB, Rdnr. 11).
81b)
82Diese allgemeinen Überlegungen vorausgeschickt, ist nach Aktenlage nicht schlüssig erläutert, warum im konkreten Fall dem Flurstück X der Kläger eine Verbindung zur ordnungsgemäßen Nutzung des dort aufstehenden Wohnhauses fehlen soll. Das Flurstück grenzt – ausweislich des beiliegenden Lageplans – im Norden an die ebenfalls im Eigentum der Kläger stehenden Flurstücke X und X und Letzteres wiederum unmittelbar an die H Straße. Direkt an der Straße befindet sich auf dem Flurstück X eine Fläche, auf der mehrere Pkw, aber alternativ wohl auch ein kleinerer Lkw, abgestellt werden könnten (vgl. Fotos Bl. 207 f.).
83Richtig ist allerdings, dass es sich bei dem Flurstück X der Verfügungskläger um ein Grundstück handelt, was eine Böschung bzw. Hanglage aufweist. Ausweislich der genannten Fotos müssen, wenn man das Haus der Kläger erreichen will, ca. fünf Höhenmeter über eine Treppe mit 36 Stufen und sodann weitere 14 Stufen bis zum Hauseigang überwunden werden.
84Durch diesen Umstand wird jedoch eine ordnungsgemäße Nutzung des Hausgrundstückes (Flurstück X) nicht gehindert. Dazu fehlt entsprechender konkreter Vortrag. Dies betrifft insbesondere die Versorgung des Anwesens der Kläger mit Energie und die Abfallentsorgung. Beides ist nach den Erklärungen der Kläger im Senatstermin geregelt. Dies dürfte auch für die Anlieferung größerer Gegenstände zutreffen, weil insoweit die Nachbarin Frau C die Zufahrt über den westlich gelegenen Weg erlaubt. Überhaupt führt die Überlegung, dass das Befahren des Privatweges durch die Kläger im Einzelfall notwendig sein könnte, z.B. bei Baumaßnahmen auf ihrem Grundstück oder bei Transporten schwerer Güter, nicht zu einem Notwegrecht. In solchen Fällen käme unter den Voraussetzungen des § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB ein zeitlich befristeter Duldungsanspruch in Betracht (vgl. BGH MDR 2009, 374 ff, Rdnr. 21 zitiert nach juris). Die Anlieferung von Gegenständen des täglichen Lebensbedarfs zum Haus der Kläger dürfte durch die vorbeschriebenen örtlichen Gegebenheiten ebenso wenig verhindert werden wie eine sichere Erreichbarkeit des Hauses durch seine Bewohner als solche. Beides ist über die Treppe, die vom Flurstück X zum Haus der Verfügungskläger führt, gewährleistet. Dies hat allerdings zu Fuß zu erfolgen. Die Verfügungskläger können also ihr Grundstück über ihre Parzelle X mit einem Kraftfahrzeug erreichen bzw. anfahren und es dort auch abstellen. Sie können es wegen der örtlichen Gegebenheiten nur nicht direkt an ihrem Haus abstellen bzw. nicht mit einem Kraftfahrzeug bis vor den Eingangsbereich ihres Hauses fahren, um das Kraftfahrzeug dort abzustellen. Das Abstellen von Kraftfahrzeugen unmittelbar am Haus und/oder in einer dortigen Garage ist für die Benutzung eines Wohngrundstückes jedoch nicht notwendig (vgl. zum Ganzen: BGH MDR 2009, 374 ff – Rdnr. 19 bis 24 zitiert nach juris; BGH MDR 2014, 149 f. – Rdnr. 12 zitiert nach juris und Palandt-Bassenge, a.a.O., § 917 BGB, Rdnr. 6). Dem Eigentümer einer Wohnung im 3. oder 4. Stockwerk eines Mehrfamilienhauses ist dies auch nicht möglich.
85Bei erforderlichen Anfahrten von Rettungs- und Löschfahrzeugen greift § 904 BGB (s.o.).
86c)
87Des Weiteren ist zu beachten, dass grundsätzlich der Grundstückseigentümer den Zugang von dem öffentlichen Weg zu abgeschnittenen Grundstücksteilen auf dem eigenen Grundstück selbst herzustellen hat. Das gilt auch dann, wenn das für den Grundstückseigentümer umständlicher, weniger bequem oder kostspieliger ist als die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks. Der Eigentümer muss deshalb grundsätzlich Umbaumaßnahmen vornehmen, um eine vorhandene Verbindung seines Grundstücks zu einem öffentlichen Weg nutzen zu können – hier also von Flurstück X zum Hausgrundstück X. Erst wenn die mit der Schaffung eines Zugangs auf dem eigenen Grundstück verbundenen Erschwernisse so groß sind, dass die Wirtschaftlichkeit der Grundstücksbenutzung aufgehoben oder in unzumutbarer Weise geschmälert wird, ist der Nachbar zur Duldung der Benutzung seines Grundstücks als Zugang verpflichtet. Maßgeblich ist das Verhältnis der für die Schaffung einer Zuwegung notwendigen Kosten zu der Wirtschaftlichkeit der Nutzung des Grundstücks (vgl. BGH MDR 2007, 209 f. – Rdnr. 12 zitiert nach juris).
88Zu diesem Gesichtspunkt fehlt jedenfalls substantiierter Vortrag der Kläger. Ihre pauschale Behauptung, es bedürfe für eine direkte Anbindung des Hausgrundstückes an die H Straße unter Überwindung der Höhenunterschiede einer Investition von 100.000,00 Euro, ist insoweit nicht ausreichend. Das Gleiche gilt für ihren Vortrag, der Bau einer eigenen Zufahrt von der H Straße zu ihrem Grundstück sei wegen der starken Steigung unzulässig. Die Kläger müssten schon im Einzelnen darlegen, welche konkreten Maßnahmen sie geplant hatten, ob diese genehmigt worden sind oder nicht und welche Kosten bei Genehmigung für die Umsetzung der Planung anfallen würden.
89Nach allem liegen die Voraussetzungen für einen zeitlich unbefristeten Duldungsanspruch aus § 917 BGB nicht vor.
90d)
91Auf die im angefochtenen Urteil zutreffend erörterte Abwägung, warum die Verbindung zum klägerischen Hausgrundstück ausgerechnet über die östliche Zufahrt des Flurstücks X und nicht über die westliche Zufahrt zu erfolgen hat, kommt es mithin nicht entscheidend an (vgl. dazu Palandt-Bassenge, a.a.O., § 917 BGB, Rdnr. 6a).
924.
93Der geltend gemachte Duldungsanspruch ergibt sich auch nicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis.
94Die Rechten und Pflichten von Grundstücksnachbarn haben insbesondere durch die Vorschriften der §§ 903 ff BGB und die Bestimmungen der Nachbarrechtsgesetze der Länder eine ins Einzelne gehende Sonderregelung erfahren. Auch auf sie ist allerdings der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) anzuwenden. Daraus folgt für die Nachbarn eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, deren Auswirkungen auf den konkreten Fall man unter den Begriff des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zusammenfasst. Eine solche Pflicht zur Rücksichtnahme ist jedoch mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen eine Ausnahme und kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint (vgl. BGH MDR 2003, 624 f. – Rdnr. 8 zitiert nach juris).
95Diese Voraussetzung liegt hier schon deswegen nicht vor, weil die konkret vorliegende Fallkonstellation über § 917 BGB zu regeln ist. Dessen Voraussetzungen dürften hier allerdings nicht vorliegen.
96C.
97Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO, der Anspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO
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Referenzen
- BGB § 917 Notweg 10x
- ZPO § 935 Einstweilige Verfügung bezüglich Streitgegenstand 2x
- ZPO § 713 Unterbleiben von Schuldnerschutzanordnungen 1x
- BGB § 904 Notstand 2x
- §§ 903 ff BGB 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 940 Einstweilige Verfügung zur Regelung eines einstweiligen Zustandes 3x
- BGB § 242 Leistung nach Treu und Glauben 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x