Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 4 RVs 48/19
Tenor
1.
Dem Angeklagten wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gewährt.
2.
Der Beschluss des Landgerichts Paderborn vom 03.07.2018 ist gegenstandslos.
3.
Das angefochtene Urteil wird
a) im Schuldspruch mit den zu Grunde liegenden Feststellungen, soweit das besondere subjektive Tatbestandsmerkmal des § 145d Abs. 3 StGB („… um eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe nach § 46b dieses Gesetzes oder § 31 des Betäubungsmittelgesetzes zu erlangen“) betroffen ist und
b) im Rechtsfolgenausspruch mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Paderborn zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
1
Gründe
2I.
3Das Amtsgericht Paderborn hat den Angeklagten mit Urteil vom 09.01.2018 wegen Vortäuschens einer Straftat unter Auflösung der Gesamtstrafe im Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 07.03.2017 (65 Ls 2/17) und unter Einbeziehung der dort verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
4Auf die rechtzeitige Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Paderborn mit Urteil vom 19.04.2018 die Berufung des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil des Amtsgerichts Paderborn verworfen.
5Das Landgericht hat folgende Feststellungen zur Sache getroffen:
6„In dem Verfahren vor dem Amtsgericht Paderborn Az.: 65 Ls 22 Js 968/16 – 2/17 gab der Angeklagte in der Hauptverhandlung vom 07.03.2017 bewusst wahrheitswidrig an, dass er seinerzeit das MDMA nicht alleine, sondern gemeinsam mit Bekannten gekauft habe. Man habe das Geld zusammengelegt und gemeinsam für den Eigenkonsum erworben.
7Dabei beabsichtigte der Angeklagte durch diese Einlassung milder bestraft zu werden, was auch erfolgte.
8Tatsächlich hat der Angeklagte das MDMA alleine gekauft und anschließend gewinnbringend weiterveräußert. Aufgrund der falschen Angaben des Angeklagten über die vermeintlichen weiteren Beteiligten an dem Erwerb wurde ein UJs-Verfahren eingeleitet, in welchen auch Ermittlungen durchgeführt wurden.“
9Die Einzelstrafe für die vorbezeichnete Tat hat das Landgericht auf vier Monate Freiheitsstrafe festgesetzt.
10Gegen dieses auf Anordnung der Vorsitzenden vom 11.05.2018 seinem Verteidiger am 16.05.2018 zugestellte Urteil hat der Angeklagte mit am 20.04.2018 bei dem Landgericht Paderborn auf dem Telefaxweg eingegangenem Schreiben seines Verteidigers vom selben Tag Revision eingelegt. Eine Revisionsbegründung ist innerhalb der aus § 345 Abs. 1 StPO folgenden Frist nicht zur Akte gelangt.
11Mit Beschluss vom 03.07.2018 hat das Landgericht Paderborn die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 19.04.2018 als unzulässig verworfen. Der vorbezeichnete Beschluss des Landgerichts Paderborn ist auf Anordnung der Vorsitzenden vom 03.07.2018 dem Verteidiger des Angeklagten am 04.07.2018 zugestellt worden. Mit auf dem Telefaxweg am 06.06.2018 bei dem Landgericht Paderborn eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom 05.07.2018 hat der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist und gerichtliche Entscheidung gem. § 346 Abs. 2 StPO gegen den Beschluss des Landgerichts Paderborn vom 03.07.2018 beantragt und die eingelegte Revision mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet.
12Der Angeklagte hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und ihn freizusprechen, hilfsweise, die Sache zurückzuverweisen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, dem Angeklagten die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, festzustellen, dass der Beschluss des Landgerichts Paderborn vom 03.07.2018 gegenstandslos ist und – unter Verwerfung der Revision im Übrigen – das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch (wegen eines Rechtsfehlers bei der Begründung zur Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe, § 47 StGB) mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache insoweit zurückzuverweisen.
13II.
14Die zulässige Revision des Angeklagten hat auf die Sachrüge teilweise Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Paderborn in dem o.g. Umfang (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO) und Verwerfung im Übrigen (§ 349 Abs. 2 StPO).
151.
16Soweit der Angeklagte wegen Vortäuschens einer Straftat in der Qualifikationsvariante nach § 145d Abs. 3 Nr. 1 StGB verurteilt worden ist, weist das Urteil einen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten auf. Das Urteil ist lückenhaft hinsichtlich des Vorliegens des subjektiven Tatbestandsmerkmals „um eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe nach § 46b dieses Gesetzes oder § 31 des Betäubungsmittelgesetzes zu erlangen“ (§ 145d Abs. 3 StGB). Dessen Vorliegen ergeben die Feststellungen nicht.
17Zutreffend weist die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift darauf hin, dass für die Strafbarkeit nach § 145d Abs. 3 Nr. 1 StGB nicht relevant ist, ob die Strafmilderung nach dem (hier relevanten) § 31 BtMG auch tatsächlich erlangt wurde. Vielmehr bedarf es lediglich einer hierauf gerichteten Absicht (Fischer, StGB 66. Aufl., § 145d Rdn. 14; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB 30. Aufl., § 145d Rdn. 21), wie schon der Wortlaut deutlich macht. Indes ergibt sich eine entsprechende Absicht vorliegend weder aus den Feststellungen zur Sache noch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe. Die Hilfe zur Aufklärung von Straftaten bzw. Tatbeteiligungen kann zum einen Voraussetzung für eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 31 BtMG oder 46b StGB sein. Sie kann aber auch – etwa wenn die Aussage verspätet gemacht wurde und Präklusion eingetreten ist – im Rahmen der Strafzumessung allgemein nach § 46 StGB mildernd berücksichtigt werden (BGH Urt. v. 22.02.2017 – 2 StR 291/16 – juris m.w.N.). Dass der Angeklagte hier die Angaben machte, gerade um eine Strafrahmenverschiebung zu erlangen, ergeben die Feststellungen nicht. Dagegen könnte insbesondere sprechen, dass der Angeklagte bis zum Zeitpunkt seiner Aussage noch nicht über einschlägige strafrechtliche Erfahrung verfügte (es also keine Anhaltspunkte im Urteil dafür gibt, dass ihm diese Möglichkeit überhaupt bewusst gewesen war) und, dass er die (falschen) drittbelastenden Angaben erst in der Hauptverhandlung machte, zu einem Zeitpunkt also, als eine Strafrahmenverschiebung wegen der Präklusion ohnehin ausschied.
18Folge dieses Rechtsfehlers ist die aus dem Tenor ersichtliche Teilaufhebung des angefochtenen Urteils. Da die Strafe aus dem Strafrahmen des § 145d Abs. 3 StGB gewählt wurde, war auch der Rechtsfolgenausspruch aufzuheben. Es kann daher dahinstehen, ob der von der Generalstaatsanwaltschaft bemängelte Rechtsfehler bei Anwendung des § 47 StGB vorliegt. Die Begründung des Landgerichts enthält allerdings insoweit einen gewissen Widerspruch, als es einerseits für erforderlich hält, dem Angeklagten nachdrücklich zu verdeutlichen, dass die Milde des Amtsgerichts bei der vorangegangenen Verurteilung allein auf seiner (abermaligen) Missachtung der Rechtsordnung beruhe und falsche Angaben zu anderen Tatbeteiligten wegen der damit verbundenen Ressourcenbindung der Strafverfolgungsbehörden schwer wögen, andererseits aber ausgeführt wird, dass sich der Angeklagte dieser Umstände nicht bewusst gewesen sei (UA S. 8).
19Sollte der neue Tatrichter die Voraussetzungen des § 145d Abs. 3 StGB nicht feststellen können, so läge lediglich eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 145d Abs. 2 Nr. 1 StGB vor.
202.
21Die weitergehende Revision – soweit sie nicht den Rechtsfolgenausspruch betrifft - ist hingegen offensichtlich unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO. Insbesondere sind die Annahme des Vorliegens der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des Grundtatbestandes des § 145d Abs. 2 Nr. 1 StGB und die zu Grunde liegende Beweiswürdigung rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat tritt insoweit nach eigener Prüfung den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft bei, welche (u. a.) wie folgt lauten:
22„Der Schuldspruch wegen Vortäuschens einer Straftat gem. § 145d Abs. 2 Nr. 1 StGB unterliegt auch in rechtlicher Hinsicht keinen Bedenken. Insoweit geht die Revision im Ansatz zutreffend davon aus, dass zur Erfüllung des vorbezeichneten Tatbestandes erforderlich ist, dass eine rechtswidrige Tat auch wirklich begangen worden ist. Soweit die Revision jedoch dann einwendet, dass die Kammer in ihren Urteilsgründen davon ausgehe, dass die Tat tatsächlich nicht stattgefunden und es daher keine Beteiligten gegeben habe, greift dieser Einwand nicht durch. Kennzeichnend für die Erfüllung des Tatbestandes des § 145d Abs. 2 Nr. 1 ist, dass über die tatsächlich Beteiligten an einer tatsächlich begangenen rechtswidrigen Tat getäuscht wird. Dabei setzen weder der Wortlaut der vorbezeichneten Vorschrift noch der Sinn und Zweck dieser Vorschrift voraus, dass es sich bei der tatsächlich begangenen Tat um eine solche handelt, an der der Täuschende gar nicht beteiligt war. Vielmehr reicht es aus, dass der Täuschende die Tat tatsächlich begangen hat, sodann aber über die Tatbeteiligung Dritter getäuscht hat. Der Begriff des Tatbeteiligten im Sinne des § 145d Abs. 2 StGB erfasst nicht nur den Fall, dass die Tat durch einen anderen als den Täuschenden begangen worden ist, dass also dieser andere tatsächlich der Haupttäter ist. Denn der juristische Sprachgebrauch versteht unter einem Beteiligten nicht nur den Täter, sondern auch einen Anstifter oder Gehilfen (zu vgl. etwa Fischer, StGB, 65. Aufl., § 257, Rn. 5). Daraus folgt, dass den Tatbestand des § 145d Abs. 2 Nr. 1 auch erfüllen kann, wer als Haupttäter die Tat selber und alleine begangen hat, sodann indes bewusst wahrheitswidrig vortäuscht, dass er noch weitere Mittäter oder Gehilfen der Tat gehabt hat. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift spricht für diese Sichtweise. Denn es soll durch diese Vorschrift gerade verhindert werden, dass ein Täter einer Tat weitere Mittäter oder Gehilfen zu dieser Tat bewusst wahrheitswidrig benennt, um so in den ungerechtfertigten Vorteil einer aus § 46b StGB oder § 31 BtMG folgenden Strafmilderung zukommen. Da Aufklärungshilfe auch bei Taten mit eigener Tatbeteiligung in Betracht kommt, ist daher auch das Aufbauschen tatsächlich begangener Straftaten (etwa - wie hier - durch Benennung weiterer Beteiligter) eine typische Begehungsform (zu vgl. MüKoStGB/Zopfs, 3. Aufl., StGB, § 145d, Rn. 41). Dementsprechend ist die Kammer hier zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte, indem er angegeben hat, die Betäubungsmittel mit weiteren Personen zusammen bestellt zu haben, über weitere Beteiligte an der von ihm begangenen Tat getäuscht hat. Dementsprechend ist auch die Schlussfolgerung der Revision, die Kammer sei davon ausgegangen, dass die Tat als solches nicht stattgefunden habe, unzutreffend. Vielmehr belegen die Ausführungen im Urteil, dass die Kammer davon ausgegangen ist, dass die Bestellung der Betäubungsmittel durch den Angeklagten tatsächlich erfolgt ist, er sodann jedoch über die weiteren Beteiligten getäuscht hat.“
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