Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (2. Strafsenat) - 2 Ws 258/16

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 33 als Strafvollstreckungskammer, vom 20. Oktober 2016 wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe

I.

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Der Beschwerdeführer ist durch Urteil des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 22, vom 14. April 2014 wegen bandenmäßig begangener unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubten Handeltreibens mit diesen zu einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren und 3 Monaten verurteilt worden. Gleichzeitig ist der Verfall eines Geldbetrages in Höhe von 7,9 Millionen Euro als Wertersatz angeordnet worden.

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Auf seine hiergegen eingelegte Revision hin ist durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 14. Januar 2015 der Schuldspruch insoweit geändert worden, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen der Einfuhr entfällt und die Aufhebung im Schuldspruch über den Verfall von Wertersatz unter Zurückverweisung der Sache insoweit erfolgt.

3

Durch Urteil des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 16, vom 18. Mai 2015, rechtskräftig seit dem 27. Oktober 2015 ist der Verfall von Wertersatz in Höhe von einer Millionen Euro angeordnet worden.

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Der Verurteilte befindet sich seit dem 05. Dezember 2012 in Untersuchungs- und seit dem 15. Januar 2015 in dieser Sache in Strafhaft. Endstrafentermin ist für den 19. Februar 2024 notiert.

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Die Staatsanwaltschaft betreibt die Vollstreckung aus der Verfallanordnung. Mit Beschluss vom 19. Juli 2016 des Amtsgerichts Hamburg-St.Georg ist die Zwangsversteigerung der im Eigentum des Verurteilten stehenden Wohnung, S... Straße in Hamburg zugunsten der Freien und Hansestadt Hamburg als Gläubigerin angeordnet worden.

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Der Verurteilte hat durch seinen bevollmächtigten Verteidiger unter dem 14. April 2016 beantragt, „gemäß §§ 459 d, 459 g, 462 StPO“ „das Unterbleiben der Vollstreckung des angeordneten Verfalls aus dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 18. Mai 2015 in die Eigentumswohnung, S... Straße in Hamburg, und die Grundpfandrechte anzuordnen“.

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Nach mehrfachen Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft – zuletzt unter dem 22. September 2016 – und des Verurteilten – zuletzt unter dem 21. September 2016 – hat das Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 33 als Strafvollstreckungskammer, mit Beschluss vom 20. Oktober 2016 den Antrag auf Unterbleiben der Vollstreckung des angeordneten Verfalls abgelehnt.

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Gegen die am 31. Oktober 2016 zugestellte Entscheidung hat der Verurteilte mit am gleichen Tage beim Landgericht eingegangenem Verteidigerschriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, auf deren kostenpflichtige Verwerfung die Generalstaatsanwaltschaft angetragen hat.

II.

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Die gemäß § 462 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 StPO i.V.m. §§ 459 g Abs. 2, 459 d Abs. 1 Nr. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere gemäß § 311 Abs. 2 StPO fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde bleibt auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens in der Sache ohne Erfolg.

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1. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist verfahrensfehlerfrei ergangen.

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Die gemäß §§ 462 Abs. 1 S. 1, 462 a Abs. 1 S. 1 StPO – der Verurteilte befindet sich weiterhin in Strafhaft – zuständige Strafvollstreckungskammer hat in der gemäß § 78 b Abs. 1 Nr. 2 GVG vorgeschriebenen Besetzung und nach Durchführung der gemäß § 462 Abs. 2 S.1 StPO vorgeschriebenen Anhörung der Staatsanwaltschaft entschieden.

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2. Die Kammer hat zu Recht die Anordnung des Unterbleibens der Vollstreckung des angeordneten Verfalls von Wertersatz gemäß §§ 459 d Abs. 1 Nr. 1, 459 g Abs. 2 StPO abgelehnt.

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a. Die Kammer hat zutreffend eine Sachentscheidung auf beantragte Anordnung des gesamten Unterbleibens der Vollstreckung gemäß §§ 459 d Abs. 1 Nr. 1, 459 g Abs. 2 StPO – entgegen dem Wortlaut des Antrages nicht nur bezogen auf die Zwangsvollstreckung in das Wohneigentum – getroffen.

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aa. Die §§ 459 d Abs. 1 S. 1, 459 g Abs. 2 StPO gewähren einem Verurteilten Rechtsschutz durch ein Unterbleiben der Vollstreckung ausschließlich im Hinblick auf die vollständige oder anteilige Höhe der zu vollstreckenden Geldsumme, nicht hingegen in Bezug auf einzelne Sachen, in die die Vollstreckung erfolgt.

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Dies folgt schon daraus, dass gemäß § 459 g Abs. 2 StPO Nebenfolgen, die zu einer Geldzahlung verpflichten – zu denen auch der Verfall des Wertersatzes gemäß § 73 a StGB gehört (KK-Appl § 459 g Rn. 11) – vollstreckungsrechtlich wie Geldstrafen behandelt werden (vgl. BGH NStZ 2012, 382, 383).

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Eine gesetzliche Regelung der Vollstreckung einer Wertersatzverfallanordnung durch Wegnahme von Gegenständen enthält die Vorschrift – anders als § 459 g Abs. 1 StPO, der im Falle einer Verfalls-, Einziehungs- oder Unbrauchbarmachungsanordnung einer Sache die Vollstreckung durch Wegnahme dieser Sache anordnet, jedoch auf den Verfall von Wertersatz nicht anwendbar ist, da diesem seiner Rechtsnatur nach gerade keine bestimmte zu verwertende Sache zugeordnet ist – nicht. Durch die Anordnung des Verfalls des Wertersatzes entsteht vielmehr ein staatlicher Zahlungsanspruch (BGH a.a.O., Fischer § 73 a Rn. 8), der gemäß §§ 459, 459 g Abs. 2 StPO wie eine Geldstrafe nach den Regelungen der Justizbeitreibungsordnung in Verbindung mit den unterschiedliche Möglichkeiten eröffnenden Regelungen der ZPO vollstreckt wird (vgl. BGH a.a.O.). Macht ein Verurteilter das Vorliegen der Voraussetzungen des § 459 d StPO geltend, kann sich diese Einwendung mithin nur auf das (teilweise) Unterbleiben der Durchsetzung des entstandenen Zahlungsanspruchs als solchen, nicht auf vollstreckungsrechtliche Folgemaßnahmen und damit die Auswahl bestimmter Gegenstände – wie hier das Wohnungseigentum – beziehen. Damit kann das zur Entscheidung berufene Gericht auch ausschließlich anordnen, dass die vollständige oder summenmäßig bestimmte anteilige Vollstreckung dieses Zahlungsanspruch unterbleibt, nicht hingegen, dass bestimmte Gegenstände von der Vollstreckung ausgenommen werden.

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Das ergibt sich darüber hinaus auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung der §§ 459 d, 459 g Abs. 2 StPO, wonach aus Resozialisierungsgründen die Entscheidung des erkennenden Gerichts nachträglich korrigiert werden kann (KG Berlin NStZ-RR 2016, 151; BT-Drs 7/550 S. 310). Dieser Regelungszweck bestimmt auch die Grenzen der zulässigen nachträglichen Korrektur der Entscheidung des erkennenden Gerichts anhand der von diesem tatrichterlich im Rahmen der Wertersatzverfallanordnung gemäß § 73 a StGB getroffenen Entscheidung. § 73 a StGB sieht aber nur die Anordnung des Verfalls eines Geldbetrags in vom Tatgericht zu bestimmender Höhe vor, nicht das Treffen einer Anordnung über einzelne zu verwertende Sachen aus dem Vermögen des Verurteilten. Daher kann das nachträglich entscheidende Gericht auch nur bezüglich eines Geldbetrags, nicht hingegen bezüglich einer einzelnen Sache eine gegenständliche Korrektur der tatrichterlichen Entscheidung vornehmen.

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bb. Daraus folgt, dass das Begehren des Beschwerdeführers – Unterbleiben der Zwangsvollstreckung in eine Wohnung – nur im Rahmen des Rechtsbehelfs der §§ 459 d, 459 g Abs. 2 StPO erreichbar ist, wenn die Vollstreckung des Wertersatzverfalls in voller Höhe unterbleibt. Daher ist sein Antrag gemäß § 300 StPO so auszulegen, dass er rechtlich das erreichen kann, was er tatsächlich begehrt.

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cc. Ob es daneben weitere Rechtsbehelfe gibt, mit denen der Beschwerdeführer die Zwangsvollstreckung in sein Wohnungseigentum angreifen könnte, hat der Senat nicht zu entscheiden.

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b. Indes liegen die sachlichen Voraussetzungen für die Anordnung eines Unterbleibens der Vollstreckung des angeordneten Verfalls des Wertersatzes gemäß §§ 459 d Abs. 1 Nr.1, 459 g Abs. 2 StPO nicht vor.

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aa. Insoweit kann zunächst dahinstehen, ob die Anordnung bereits deshalb unzulässig ist, weil der Antrag verfrüht gestellt wurde, da die gegen den Verurteilten verhängte Freiheitsstrafe weiterhin vollstreckt wird; bislang sind von den ausgeurteilten 11 Jahren und 3 Monaten Freiheitsstrafe erst 4 Jahre und etwas mehr als 1 Monat verbüßt.

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Gemäß § 459 d Abs. 1 Nr. 1 StPO ist aber die Anordnung des Unterbleibens der Vollstreckung einer Geldstrafe erst zulässig, wenn die Freiheitsstrafe tatsächlich vollstreckt, durch Erlass erledigt oder zur Bewährung ausgesetzt ist (vgl. bereits Senat, Beschluss vom 14. Juli 2003 – Az.: 2 Ws 169-171/03 und vom 14. Januar 2002 – Az.: 2 Ws 4-6/02; BGHSt 30, 263, 264; Meyer-Goßner/Schmitt § 459 d Rn. 5 m.w.N.). Ob diese Auslegung auch auf das Unterbleiben der Vollstreckung von Nebenfolgen übertragbar ist – insbesondere wenn diese bereits während der Vollstreckung der Freiheitsstrafe den Verurteilen in der der Vorschrift entsprechenden Weise beschweren und bei weiterem Zuwarten unumkehrbar werden – kann jedoch vorliegend dahinstehen.

23

bb. Denn der Antrag ist jedenfalls unbegründet, weil die vom Beschwerdeführer vorgetragen Umstände keine solchen im Sinne der Vorschrift darstellen, die die Wiedereingliederung des Verurteilten erschweren.

24

(1) Bei einer Anordnung nach §§ 459 d Abs. 1 Nr. 1, 459 g Abs. 2 StPO ist zu beachten, dass es sich hierbei um einen nachträglichen Eingriff in ein rechtskräftiges Urteil handelt; deshalb ist der Ausnahmecharakter der Anordnung und das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bzw. der Umsetzung der Verfallanordnung zu beachten (KG Berlin NStZ-RR 2016, 151). Der Zweck der Regelung besteht nach der Zielsetzung des Gesetzgebers darin, solchen für die Resozialisierung bedeutsamen Umständen Rechnung zu tragen, die das Tatgericht nicht berücksichtigen konnte, weil sie erst nachträglich eingetreten oder bekannt geworden sind (OLG Düsseldorf NStZ-RR 2015, 150 m.w.N.; vgl. auch BT-Drs 7/550 S. 310 f.)

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Dabei reicht es nicht aus, wenn das Gericht die Wiedereingliederungsfrage anders beurteilt als der Tatrichter, da dieser bereits die Frage nach § 73 c StGB zu beurteilen hatte und das Verfahren nach §§ 459 d Abs. 1 Nr.1, 459 g Abs. 2 StPO nicht der (instanzlichen) Fehlerkontrolle dient. Vielmehr müssen sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten in einer die Resozialisierung beeinträchtigenden Weise nach Rechtskraft des Urteils verschärft haben (SK-StPO-Paeffgen § 459 d Rn. 5; KK-Appl § 459 d Rn. 3; LR-Graalmann-Scheerer § 459 d Rn. 7). Da der Gesetzgeber mit § 459 g Abs. 2 StPO zugleich an die Grundsätze anknüpft, die in § 73 c StGB zum Ausdruck kommen (vgl. BT-Drs a.a.O. S. 311), dienen die §§ 459 g Abs. 2, 459 d StGB (ebenso wie § 73 c StGB) dazu, einer nach Rechtskraft eintretenden Verletzung der Grundsätze der Billigkeit und des Übermaßverbots entgegenzutreten (vgl. BGH NStZ 1995, 495). Damit erfordert die Anordnung des Unterbleibens der Vollstreckung gemäß § 459 d Abs. 1 Nr. 1 StPO, dass nur solche nachträglich eingetretenen Umstände Berücksichtigung finden können, die der Verurteilte nicht selbst zum Zwecke der gezielten Umgehung der tatrichterlichen Wertersatzverfallanordnung geschaffen oder initiiert hat, sondern lediglich solche, von denen er im Sinne eines „unverschuldeten Zufalls“ (vgl. zu § 73 c dazu Fischer § 73 c Rn. 3a m.w.N.) betroffen wird. Denn der Rechtsschutz aus den §§ 459 d, 459 g Abs. 2 StPO soll nicht demjenigen zugutekommen, der in Kenntnis einer anstehenden Vollstreckung einer Nebenfolge gezielt Tatsachen zu schaffen sucht, um die Vollstreckung zu verhindern und sich den Besitz von Vermögen zu erhalten.

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(2) Nach diesen Grundsätzen verbietet sich eine Anordnung nach §§ 459 d Abs. 1 Nr.1, 459 g Abs. 2 StPO.

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(a) Die Tatsache, dass die Mutter des Verurteilten in der Wohnung wohnt, ist schon kein nach Rechtskraft des Urteils eingetretener Umstand. Denn dies war – wie die Strafvollstreckungskammer zurecht ausführt – bereits in der Hauptverhandlung bekannt und ist vom erkennenden Gericht – wie sich den Urteilsgründen des Urteils vom 18. Mai 2015 entnehmen lässt – im Rahmen der Anordnung des Verfalls von Wertersatz auch umfassend bei der Prüfung des Vorliegens einer unbilligen Härte gemäß § 73 c Abs. 1 S. 1 StGB berücksichtigt worden.

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(b) Dem Prüfungsmaßstab entsprechend kann auch keine Berücksichtigung finden, dass der Verurteilte unter dem 08. Februar 2016 mit seiner Mutter einen Vertrag mit dem Inhalt geschlossen hat, dass diese zur Abgeltung von Unterhaltsansprüchen gegen den Verurteilten kostenfrei in der Wohnung wohnen kann. Dies ist zwar eine nachträglich eingetretene rechtliche Verpflichtung des Angeklagten. Diese ist der Angeklagte jedoch in Kenntnis und vollem Risiko, dass aufgrund der rechtskräftigen Wertersatzverfallanordnung aus dem Urteil vom 18. Mai 2015 die Vollstreckung in das Wohnungseigentum in Betracht kommt, eingegangen. Auch steht dieser Wertung nicht grundsätzlich seine etwaige Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner Mutter entgegen. Zum Unterhalt verpflichtet ist der Verurteilte gemäß § 1603 BGB nur, sofern er – was einer eigenständigen Überprüfung in einem selbständigen Verfahren obläge – leistungsfähig ist. Dass er nun mit diesem Vertrag eine von der gesetzlichen Regelung unabhängige, gleichsam der möglichen Unterhaltsverpflichtung vorauseilende Rechtsgrundlage geschaffen hat, hat infolgedessen unberücksichtigt zu bleiben.

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(c) Entsprechendes gilt auch für den neu eingetretenen Umstand, dass nunmehr – ausweislich der amtlichen Meldebestätigung am 27. Oktober 2016 – seine Ehefrau mit ihren Kindern in die von seiner Mutter bewohnte Wohnung eingezogen ist.

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Dem Verurteilten ist hinlänglich bekannt, dass die Zwangsversteigerung seiner Wohnung gerichtlich angeordnet ist. In diesem Lichte stellt sich der Einzug seiner Familie nach Erlass des hier angefochtenen Beschlusses als Ereignis dar, das den deutlichen Anschein einer gezielt der Verhinderung der Zwangsvollstreckung dienenden Schaffung neuer Umstände trägt. Aber auch ungeachtet dieses Anscheins hat der Verurteilte diesen Umstand allemal – den Ausführungen unter 2.b.bb.(2)(b) entsprechend – in Kenntnis aller Umstände herbeigeführt.

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(3) Mithin kommt es nicht mehr darauf an, ob diese Umstände überhaupt geeignet wären, die Wiedereingliederung des Verurteilten zu erschweren.

III.

32

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 StPO.

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