Urteil vom Hanseatisches Oberlandesgericht (6. Zivilsenat) - 6 U 133/16

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 10.06.2016, Az. 412 HKO 51/15, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die angefochtene Entscheidung ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 433.171,74 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht auf Ersatz eines Transportschadens in Anspruch.

2

Die Klägerin ist führender Verkehrshaftungsversicherer der Firma C. B.V., Rotterdam, ein Speditions- und Lagerunternehmen (künftig: Versicherungsnehmerin). Die Versicherungsnehmerin war von der A., London, beauftragt worden, 13 Container mit insgesamt 310.440 kg Ferronickel von Santos, Brasilien, nach Rotterdam zu befördern. Die A., London, hatte diese Partie zum Preis von USD 1.983.460,33 von der A. Brasil Ltda., Brasilien, gekauft (Handelsrechnung vom 08.06.2014/Anl. K 2). Die Versicherungsnehmerin beauftragte über die ebenfalls zur C.-Gruppe gehörende C. (Brasil) Ltda. die Beklagte mit der Seebeförderung der 13 Container vom Hafen Santos, Brasilien, zum Hafen Rotterdam (Buchungsbestätigung der Beklagten vom 27.05.2014/Anl. K 3). Die Beklagte stellte am 08.06.2014 ein Konnossement über die Übernahme der Container an Bord des Schiffes „C. S. R.“ aus (Anl. K 1). Im Konnossement ist die Verkäuferin A. Brasil Ltda. als „Shipper“ eingetragen, die Versicherungsnehmerin als „Consignee“ und die Käuferin A. Ltd., London, als „Notify Party“ (Anl. K 1).

3

Der Betreiber des Euromax-Terminals im Hafen Rotterdam, die Firma E. C. T. (künftig: ECT), liefert Container der Beklagten im Rahmen eines mit der Beklagten etablierten PIN Code Systems nur unter Verwendung von PIN Nummern aus. Auf die Vorlage eines Konnossements wird verzichtet. Rund eine Woche vor dem Eintreffen eines für Rotterdam bestimmten Schiffes vergibt die niederländische Niederlassung der Beklagten in Rotterdam für jeden Container eine computergenerierte siebenstellige Ziffer. Vor diesem Hintergrund bat die Versicherungsnehmerin die Niederlassung der Beklagten in Rotterdam mit E-Mail vom 25.06.2014 um Aufgabe der PIN Nummern für die 13 Container (Anl. B 1), was diese mit E-Mail vom selben Tag erledigte (Anl. B 2). Ebenfalls noch am 25.06.2014 erklärte die Beklagte in einer „Release Order“ unter Angabe der PIN Nummern die Freistellung der Container gegenüber dem Terminal ECT (Anl. K 3).

4

Das Schiff „C. S. R.“ lief am 26.06.2014 den Hafen von Rotterdam an. Die 13 Container wurden am Euromax Terminal entladen. Die Versicherungsnehmerin beauftragte die Firma H.N. P. & Z. B.V. (künftig: P. & Z.) mit der Abholung der Container und übersandte die PIN Codes. Nachdem die P. & Z. die ersten drei Container bereits am 26.06.2014 bei ETC abgeholt hatte, stellte sich bei der beabsichtigten Übernahme der übrigen 10 Container am nächsten Tag heraus, dass nur noch zwei Container am Terminal waren. Acht Container hatte bereits unberechtigterweise ein Transportunternehmen „A naar B T. “ im Auftrag von unbekannten Dritten unter Verwendung der PIN Nummern abgeholt.

5

In einer Abfindungsvereinbarung vom 08.04.2015 - 11.05.2015 vereinbarten die Käuferin A. Ltd., London, die Verkäuferin A. Brasil Ltda. und deren Transportversicherer auf der einen Seite mit der Versicherungsnehmerin und deren Haftpflichtversicherern auf der anderen Seite, dass letztere den Schaden durch Zahlung von USD 875.000,00 regulierten (Anl. K 9), was auch geschah. Die Käuferin A. Ltd., London, und die Verkäuferin A. Brasil Ltda. traten in Ziffer 2 der Abfindungsvereinbarung ihre Ansprüche im Zusammenhang mit dem Schadensfall an die Klägerin und die übrigen Mitversicherer ab.

6

Unter dem 18.06.2015 gaben die Versicherungsnehmerin (Anl. K 8) und ihre brasilianische Schwestergesellschaft C. (Brasil) Ltda. (Anl. K 7) Abtretungserklärungen zu Gunsten der Klägerin und den Mitversicherern ab, wobei für die Abtretung die Anwendbarkeit des niederländischen Rechts vereinbart wurde („This letter of assignment is subject to Dutch law“.)

7

Die Mitversicherer traten am 14./15.07.2015 ihre Ansprüche an die Klägerin ab (Anl. K 10).

8

Die Klägerin hat in der ersten Instanz die Ansicht vertreten, die Beklagte sei ihr für den durch den Verlust der acht Container entstandenen Schaden gem. §§ 498 Abs. 1 HGB in Höhe der Gewichtshaftung von zwei SZR pro kg zum Schadensersatz verpflichtet.

9

Ihre Aktivlegitimation ergebe sich aus den Abtretungserklärungen ihrer Versicherungsnehmerin (Anl. K 8) und der C. (Brasil) Ltda. (Anl. K 7). Ebenso wie beim gesetzlichen Forderungsübergang gem. § 86 VVG Ansprüche auf Befreiung von einer Verbindlichkeit übergingen, könne der Anspruchsübergang auch durch Abtretung erreicht werden, wenn der Haftpflichtversicherer direkt an den Geschädigten zahle.

10

Der Verlust der Container habe sich in der Obhut der Beklagten gem. § 498 Abs.1 HGB ereignet, weil die Aufbewahrung der Container durch den Terminal ECT noch Bestandteil der Seebeförderung sei.

11

Die in Verlust geratene Ladungsmenge betrage 191.040 mtons, so dass sich eine Gewichtshaftung gem. § 504 Abs. 1 HGB in Höhe von 382.080 Sonderziehungsrechten (SZR) ergebe.

12

Die Klägerin hat beantragt,

13

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin den Gegenwert von 382.080 Sonderziehungsrechten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.10.2014 zu zahlen.

14

Die Beklagte hat beantragt,

15

die Klage abzuweisen.

16

Die Beklagte hat die Aktivlegitimation der Klägerin bestritten. Die Ansprüche der Befrachterin C. (Brasil) Ltda. und der Versicherungsnehmerin als Empfängerin aus dem Seefrachtvertrag seien durch die Abtretungen vom 18.06.2015 (Anl. K 7 und K 8) nicht auf das Konsortium der Haftpflichtversicherer übergegangen. Die Vereinbarung des niederländischen Rechts für die Abtretung sei jedenfalls gegenüber ihr, der Beklagten, unwirksam. Denn gem. Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO komme es für die Frage der Abtretbarkeit einer Forderung auf das Recht an, dem die Forderung unterliege. Die Forderung, deren sich die Klägerin berühme, unterliege dem deutschen Recht. Freihalteansprüche könnten aber gem. § 399 1. Alt. BGB wegen der damit verbundenen Inhaltsänderung nicht abgetreten werden. Die Klägerin sei weder Gläubiger der zu tilgenden Schuld noch der Sach(transport-)versicherer der in Verlust geratenen Güter. Im Übrigen handele es sich bei einem Anspruch auf Schuldbefreiung um einen einheitlichen Anspruch, der nicht anteilig pro rata übertragbar sei.

17

Es wäre zwar auch denkbar, dass die Abtretungen gem. Anlagen K 7 und K 8 Ansprüche aus Drittschadensliquidation entsprechend § 494 Abs. 1 S. 3 HGB erfassen sollten. Dem stehe aber das vereinbarte niederländische Recht entgegen, das keine Drittschadensliquidation kenne. Außerdem mache die Klägerin einen eigenen Haftungsschaden geltend.

18

Der Verlust der acht Container sei zudem nicht in dem von ihr als Verfrachter gem. § 498 Abs. 1 HGB zu verantwortenden Zeitraum zwischen der Übernahme des Gutes und der Ablieferung eingetreten, sondern erst nach der Ablieferung. Eine körperliche Übergabe vom Verfrachter an den Empfänger sei für eine Ablieferung nicht erforderlich. Es genüge, dass der Empfänger in die Lage versetzt werde, die Güter in Besitz zu nehmen und dieser Wille nach außen erkennbar werde. Ausschlaggebend seien die Vereinbarungen der Parteien und die Übung in dem jeweiligen Hafen. Nach den Vereinbarungen der Parteien hätte sie die Container nicht an die Versicherungsnehmerin übergeben müssen, sondern die Versicherungsnehmerin nur in die Lage versetzen sollen, die Container bei dem Terminal zu übernehmen. Dazu sei gegenüber dem Terminal erforderlich gewesen der Nachweis der Verzollung im sog. „Sagitta“-Verfahren, die Freistellungserklärung der Beklagten sowie die Überlassung der PIN Codes an den Terminal und die Versicherungsnehmerin. Weiteres sei von ihr für eine Ablieferung nicht zu veranlassen gewesen. Sie habe daher bereits am 26.06.2014 alles Notwendige für die Ablieferung getan. Eine körperliche Übergabe hätte gerade nicht stattfinden sollen. Das Dazwischentreten unbefugter Dritter sei damit zu einem Zeitpunkt nach Ablieferung erfolgt, und damit außerhalb ihres Verantwortungsbereichs.

19

Sie treffe schließlich auch deshalb keine Haftung, da der Verlust jedenfalls auf Umständen beruhe, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters nicht hätten abgewendet werden können (§ 498 Abs. 2 S. 1 HGB). Mittels der computergestützten Vergabe von siebenstelligen PIN Nummern habe sie ein bewährtes System geschaffen, um dafür Sorge zu tragen, dass lediglich legitimierte Empfänger Zugriff auf die Güter nehmen könnten. Sie habe die PIN Nummern lediglich an die Versicherungsnehmerin und den Terminal überlassen. Sie habe die PIN Nummern sicher in ihrem Computersystem verwahrt. Es sei auszuschließen, dass es bei ihr ein „Leck“ gegeben habe. Gleiches gelte für den Terminal ETC.

20

Die Klägerin habe die Höhe des geltend gemachten Schadens nicht dargelegt. Da sie einen Haftungsschaden geltend mache, müsse die Versicherungsnehmerin in Höhe des Vergleichsbetrages von USD 875.000,00 haftpflichtig gewesen sei, was nach der Laufzeit des mit der Anl. K 17 vorgelegten Rahmenvertrages und dessen Klausel 15.1 nicht erkennbar sei.

21

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

22

Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 10.06.2016 gem. § 498 Abs. 1 HGB stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von € 433.171,74 nebst beantragter Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei aus abgetretenem Recht der Empfängerin der Ware, der Versicherungsnehmerin, aktivlegitimiert, den Schaden geltend zu machen. Für einen Anspruch aus Drittschadensliquidation sei es unerheblich, dass für die Abtretungserklärung niederländisches Recht vereinbart worden sei, dem dieses Rechtsinstitut unbekannt sei. Nach Art. 14 Rom I-VO bestimme sich zwar die Übertragbarkeit einer Forderung nach dem Recht, dem die übertragende Forderung unterliege, was hier nach den Konnossementsbedingungen das deutsche Recht sei. Dabei gehe es aber allein um das Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner, welches die Parteien der Abtretungsvereinbarung nicht verändern könnten, sondern welches sie so nehmen müssten, wie sie es vorfänden.

23

Der Schaden, der durch die Abholung der Ware durch Unbefugte entstanden sei, falle in den Zeitraum zwischen der Übernahme und der Ablieferung gem. § 498 Abs. 1 HGB. Einer Vorverlegung des Ablieferungszeitpunkts auf den Moment, in dem die Container zur Abholung bereitstanden und die PIN Codes bekannt gegeben waren, stehe entgegen, dass der Terminal nach deutschem Recht die „Allonge des Schiffes“ sei. Eine körperliche Ablieferung der Güter sei auch notwendig, weil diese maßgeblich sei für den Beginn der in § 510 HGB geregelten Anzeigefristen.

24

Die Beklagte könne sich nicht mit der Begründung entlasten, der Schaden sei für einen ordentlichen Verfrachter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt unvermeidbar gewesen. Es ließe sich zwar nicht ausschließen, dass es die Empfängerseite gewesen sei, welche die Daten nicht genügend gesichert habe. Umgekehrt bestehe aber auch kein Anscheinsbeweis zugunsten der Beklagten bzw. des Terminals, dass die PIN Codes von dort aus nicht an Unberechtigte gelangt seien. Die organisierte Kriminalität fände immer Wege, Sicherheitsmechanismen zu umgehen. Wenn der Terminalbetreiber aus Rationalisierungsgründen von der klassischen Verfahrensweise (Auslieferung gegen Vorlage eines Legitimationspapiers) abweiche, geschehe das auf sein Risiko bzw. das Risiko der mit ihm zusammenarbeitenden Reedereien.

25

Im Hinblick auf die Schadenshöhe komme es auf die einen Haftungsschaden abstellenden Einwände der Beklagte nicht an, weil die Klägerin den Wertersatzanspruch der Ladungsseite geltend mache.

26

Wegen der Begründung des Landgerichts im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

27

Das Urteil ist der Beklagten am 14.06.2016 zugestellt worden. Sie hat gegen das Urteil am 14.07.2016 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Frist am 15.09.2016 begründet.

28

Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Die Klägerin könne ihre Aktivlegitimation nicht auf die Abtretungserklärungen der C. (Brasil) Ltda. und der Versicherungsnehmerin stützen (Anl. K 7 und K 8). Ansprüche aus Drittschadensliquidation könnten nicht abgetreten worden, weil das vereinbarte niederländische Recht eine Drittschadensliquidation nicht kenne und die Klägerin zudem einen eigenen (Haftungs-)Schaden geltend mache. Ansprüche auf Freihaltung von Ansprüchen ihrer Kundinnen scheiterten an § 399 Abs. 1 BGB.

29

Die streitgegenständlichen Container hätten sich zum Zeitpunkt des Diebstahls nicht mehr in ihrer Obhut befunden. Sie seien bereits mit Übersendung der PIN Codes, spätestens mit der Abholung der ersten zwei Container durch „P. & Z.“, i.S.v. § 498 Abs. 1 HGB abgeliefert worden. Es habe sowohl eine Vereinbarung der Parteien als auch eine Übung am Terminal ETC in Rotterdam bestanden, dass mit der Zurverfügungstellung der PIN Codes und der Freigabe gegenüber dem Terminal der Empfänger jederzeit in der Lage gewesen sei, die Container abzuholen und damit die Obhut über die Güter auszuüben. Die Versicherungsnehmerin habe zudem ausdrücklich um „Express Release“ gebeten, was bedeute, dass das Original-Konnossement im Abladehafen verbleibe (Anl. B 1).

30

Sie könne sich im Übrigen gem. § 498 Abs. 2 S. 1 HGB entlasten. Bisher hätten die polizeilichen Ermittlungen nicht ergeben, wie die PIN Codes an Dritte gelangt seien. Da die Schadensursache mithin unaufklärbar sei, könne sie sich durch die Darlegung exkulpieren, im Rahmen des Release-Systems wie ein ordentlicher Verfrachter gehandelt zu haben. Das Landgericht habe nicht nur die Anforderungen an die Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters verkannt, sondern auch ihre Beweisantritte missachtet. Bei der Risikoverteilung im Rahmen des § 498 Abs. 2 S. 1 HGB müsse zudem Berücksichtigung finden, dass der Abholmechanismus „Express Release“ in Absprache mit der Empfängerin erfolgt sei.

31

Die Beklagte kritisiert schließlich eine unzureichende Auseinandersetzung des Landgerichts mit ihren Einwänden gegen die behauptete Schadenshöhe.

32

Die Beklagte beantragt,

33

die Klage unter Abänderung des am 10.06.2016 verkündeten Urteils des Landgerichts Hamburg zum Aktenzeichen 412 HKO 51/15 abzuweisen.

34

Die Klägerin beantragt,

35

die Berufung zurückzuweisen.

36

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und tritt dem Vorbringen der Beklagten in der Berufungsinstanz in allen Punkten entgegen.

37

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

38

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Die Beklagte ist der Klägerin gem. §§ 498 Abs. 1, 504 HGB für den Verlust der acht Container in Höhe der geltend gemachten Gewichtshaftung zum Schadensersatz verpflichtet.

1.

39

Das Landgericht hat die Aktivlegitimation der Klägerin zu Recht auf die Abtretungserklärung der Versicherungsnehmerin vom 18.06.2015 gestützt (Anl. K 8). Nach dem unstreitig in den Konnossementsbedingungen i.V.m. Art. 3 Rom I-VO vereinbarten deutschen Recht ist die Versicherungsnehmerin gem. § 494 Abs. 1 S. 2 als Empfängerin berechtigt, die Ansprüche aus dem Frachtvertrag wegen des Verlustes der Güter gegen den Verfrachter, die Beklagte, geltend zu machen. § 494 Abs. 1 S. 3 HGB stellt klar, dass der Empfänger und Befrachter auch Ansprüche für Schäden Dritter nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation geltend machen können (vgl. MüKoHGB/Herber, 3. Aufl., § 494 Rn. 14). Dabei geht es um die Ansprüche der Ladungsseite, hier der Kaufvertragsparteien A. Brasil Ltda. und A. Ltd., London.

40

Der Umstand, dass die Versicherungsnehmerin auf der einen Seite und die Klägerin und die weiteren Mitversicherer auf der anderen Seite für die Abtretungserklärung die Anwendbarkeit des niederländischen Rechts vereinbart haben, steht der Wirksamkeit der Abtretung auch dann nicht entgegen, falls das niederländische Recht das Institut der Drittschadensliquidation nicht kennt. Denn die Vereinbarung über die Anwendbarkeit der niederländischen Sachnormen (vgl. Art. 20 Rom I-VO) erfasst ersichtlich nur die Abtretung als solche („This letter of assignment ...“) und damit das Verhältnis zwischen Zedent und Zessionar i.S.v. Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO. Nicht betroffen von der Rechtswahl ist die übertragene Forderung, hier die Schadensersatzforderung des Empfängers (Zedenten) gegen die Beklagte (Schuldnerin). Alt- und Neugläubiger können auch gar nicht ohne Mitwirkung des Schuldners durch eine nachträgliche Rechtswahl vereinbaren, dass die Forderung gegen letzteren einem anderen Recht unterliegen soll (vgl. MüKoBGB/Martiny, 6. Aufl., Art. 14 Rom I-VO, Rn. 33). Vielmehr bestimmt gem. Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO das Recht, dem die übertragene Forderung unterliegt, u.a. das Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner. Was der Zessionar vom Schuldner fordern kann, richtet sich daher weiterhin nach dem Statut der abgetretenen Forderung (vgl. MüKoBGB/Martiny, 6. Aufl., Art. 14 Rom I-VO, Rn. 31). Ratio der Anknüpfung an das Forderungsstatut gem. Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO ist der Gedanke, dass sich der Inhalt des Schuldverhältnisses durch die Abtretung nicht ändern und daher auch das maßgebliche Recht das Gleiche bleiben soll (vgl. MüKoBGB/Martiny, 6. Aufl., Art. 14 Rom I-VO, Rn. 4). Die Klägerin hat spätestens im Berufungsverfahren die abgetretene Forderung auch auf die Grundsätze der Drittschadensliquidation gestützt.

41

Ist somit der Anspruch der Versicherungsnehmerin durch die Abtretung vom 18.06.2015 auf die Klägerin und die weiteren Mitversicherer übergegangen (Anl. K 8), konnten die Mitversicherer ihrerseits den Anspruch in vollem Umfang weiterabtreten an die Klägerin (Anl. K 10).

2.

42

Die Beklagte haftet dem Grunde nach gem. § 498 Abs. 1 HGB. Nach dieser Vorschrift haftet der Verfrachter für den Schaden, der durch Verlust oder Beschädigung des Gutes in der Zeit von der Übernahme zur Beförderung bis zu Ablieferung entsteht.

43

Die Ablieferung i.S.v. § 498 Abs. 1 HGB erfordert, dass der Verfrachter regelmäßig seinen Besitz mit Zustimmung des legitimierten Empfängers aufgibt und ihn in den Stand versetzen muss, den Besitz über das Gut auszuüben (vgl. BGH RdTW 2017, 127 Rn. 31 zu § 606 S. 2 HGB a.F.; BGHZ 44, 303 Tz. 8, juris, zu § 606 S. 2 HGB a.F.; BGH TranspR 2009, 410 zu Art. 17 CMR; MüKoHGB/Herber,a.a.O. § 498 Rn. 43; Rabe, Seehandelsrecht, 4. Aufl., § 606 HGB a.F. Rn 30).

44

Die Formulierung „in den Stand versetzen“ deutet zwar daraufhin, dass die Übertragung des unmittelbaren Besitzes an den Empfänger nicht stets die unbedingte Voraussetzung für eine Ablieferung ist (vgl. auch Rabe, a.a.O., § 606 HGB a.F., Rn. 30 unter Bezugnahme auf BGH VersR 1963, 745 zum Eisenbahnrecht: „Nicht notwendig ist eine körperliche Inbesitznahme durch den Empfänger, es genügt, dass der Empfänger in die Lage versetzt wird, den Besitz zu übernehmen und die Bereitwilligkeit hierzu irgendwie zu erkennen gibt.“). Konkrete Sachverhalte, in denen beim Seefrachtvertrag die Ablieferung an den Empfänger erfolgt, bevor ihm oder einem Dritten in seinem Auftrag das Gut übergeben wird, werden soweit ersichtlich allerdings nicht beschrieben. Die zitierten Voraussetzungen sind nach Auffassung des BGH jedenfalls im Regelfall nicht schon mit dem Löschen der Ladung, sondern erst mit dem Beginn der Verladung des Guts auf das Beförderungsmittel erfüllt, mit dem es aus dem Hafen entfernt werden soll (BGH RdTW 2017, 127 Rn. 31 zu § 606 S. 2 HGB a.F.).

45

Nach Ansicht des Senats kommt es im Streitfall für die Beurteilung der Frage, ob die Versicherungsnehmerin als Empfänger bereits hinreichend in die Lage versetzt war, den Besitz an den acht Containern zu übernehmen, maßgeblich auf die Rolle des Terminals ECT im Hafen von Rotterdam an. In deutschen Häfen ist die Kaianstalt im einkommenden Verkehr, um den es hier geht, „Allonge des Schiffes“, die Ablieferung erfolgt erst zu dem Zeitpunkt, in dem die Kaianstalt die Güter dem Empfänger oder dessen berechtigten Vertreter übergibt (vgl. Rabe, a.a.O., § 606 HGB a.F. Rn. 31; MüKoHGB/Herber, a.a.O. § 498 Rn. 45). Bei nicht deutschen Häfen soll es auf die besonderen Verhältnisse im Löschhafen ankommen (vgl. Rabe, § 606 HGB a.F. Rn. 32; MüKoHGB/Herber, a.a.O. § 498 Rn. 45). Diese Ausgangslage spricht zwar zunächst einmal für die Ansicht der Beklagten, es sei auf die konkreten Vereinbarungen der Parteien des Seefrachtvertrages und die Übung im Hafen Rotterdam abzustellen. Allerdings kann es nicht richtig sein, für die Ablieferung schon ausreichen zu lassen, dass die Beklagte der Versicherungsnehmerin die PIN Nummern übersendet und die Freistellung der Container gegenüber ECT erklärt hat (Anl. B 2 und B 3). Denn das geschah bereits am 25.06.2014, als sich das Schiff noch auf See befand. Solange die Güter aber noch auf dem Schiff sind, sind sie in jedem Fall noch in der Obhut des Verfrachters.

46

Als frühester Zeitpunkt für einen Übergang der Obhut auf den berechtigten Empfänger, hier die Versicherungsnehmerin, kommt die Übergabe des Guts an den Terminal ECT am 26.06.2014 in Betracht. Auch das ist aber abzulehnen. Wie das Landgericht zu Recht unter Hinweis auf BGHZ 44, 303 Rn. 10, juris, ausgeführt hat, spricht dagegen § 510 HGB. Nach dieser Vorschrift ist für die Rechtzeitigkeit der Schadensanzeige die Auslieferung maßgeblich, sowohl gem. § 510 Abs. 1 HGB bei äußerlich erkennbaren Schäden als auch gem. § 510 Abs. 2 HGB bei äußerlich nicht erkennbaren Schäden. Die Obliegenheit zur Schadensanzeige setzt aber voraus, dass der Empfänger das Gut auch besichtigen und untersuchen kann (vgl. zum Überprüfungsrecht des Empfängers Sager, TranspR 2016, 425, 427; MüKoHGB/Pötschke, a.a.O. § 494 Rn. 4).

47

Die Überprüfungsmöglichkeit des Empfängers ist auch ein Argument, warum nach der Rechtsprechung des BGH zu § 452 a HGB beim multimodalen Transport eines zunächst auf dem Seeweg und sodann auf dem Landweg zu befördernden Guts die Seestrecke regelmäßig erst mit dem Beginn der Verladung des Guts auf das Transportmittel endet, mit dem es aus dem Hafen entfernt und der Landtransport durchgeführt werden soll. Denn eine Kontrolle des Inhalts eines Containers erfolgt in aller Regel nicht schon beim Ausladen aus dem Schiff, sondern frühestens zu dem Zeitpunkt, zu dem der Container aus dem Terminal entfernt werden soll (vgl. BGHZ 164, 394, 396; BGH, TranspR 2013, 437 Rn. 23; BGH, RdTW 2017, 127 Rn. 31).

48

Gegen die Auffassung der Beklagten spricht ferner, dass sie Auftraggeber und Vertragspartner des Terminalbetreibers ECT war und nicht die „Ladungsseite“. Der Terminal ist dann Erfüllungsgehilfe des Verfrachters, soweit es um dessen Verpflichtung geht, das Gut an den berechtigten Empfänger abzuliefern. Vor diesem Hintergrund ist schwer vorstellbar, wie es zu einem Übergang der Obhut vom Verfrachter auf den Empfänger kommen kann, bevor der Terminal das Gut an den Empfänger oder dessen berechtigten Vertreter körperlich übergeben hat. Voraussetzung dafür wäre, dass sich alle Beteiligten einig sind, dass der Terminal mit Entgegennahme des Guts vom Verfrachter nicht mehr für den Verfrachter im Rahmen des mit diesem abgeschlossenen Terminalvertrages tätig wird, sondern nur noch für den Empfänger. Dann würde der Empfänger ab diesem Zeitpunkt aber auch die Vergütung für den Terminal schulden, der dann für ihn nur wie ein Lagerhalter tätig würde. Es würde sich um die Übertragung des mittelbaren Besitzes vom Verfrachter auf den Empfänger handeln (vgl. dazu Palandt/Herrler, BGB, 76. Aufl., § 868 Rn. 13).

49

Fehlt es aber an solchen Absprachen, ist auch die weitere Voraussetzung für eine Ablieferung nicht erfüllt, dass der Verfrachter seinen Besitz aufgeben muss (vgl. BGH RdTW 2017, 127 Rn. 31). Die Beklagte hatte ihren (mittelbaren) Besitz noch nicht aufgegeben, solange ECT noch unmittelbarer Besitzer war und der Beklagten aufgrund des Terminalvertrages den Besitz mittelte.

50

Da sich die Versicherungsnehmerin das Handeln des Terminals ECT nicht zurechnen lassen muss und ECT die Versicherungsnehmerin rein tatsächlich daran hätte hindern können, die Container vom Terminalgelände abzuholen, hatte die Beklagte die Container noch nicht an den Empfänger abgeliefert, als das Transportunternehmen „A naar B T.“ die Container unberechtigt verlud und aus dem Hafengelände abfuhr. Die Ablieferung an einen nicht zum Empfang berechtigten Dritten ist ein Verlust (vgl. Rabe, a.a.O., § 606 HGB a.F. Rn. 26). Die Übermittlung der PIN Codes und der Freistellung der Container waren nur Vorbereitungshandlungen für die Ablieferung, begründeten aber nicht schon selbst die Ablieferung.

3.

51

Die Beklagte kann sich von der Haftung nicht gem. § 498 Abs. 2 S. 1 HGB entlasten. Nach dieser Bestimmung ist der Verfrachter von seiner Haftung nach § 498 Abs. 1 HGB befreit, soweit der Verlust oder die Beschädigung auf Umständen beruht, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters nicht hätten abgewendet werden können. Zu vertreten hat der Verfrachter die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (vgl. MüKoHGB/Herber, a.a.O., § 498 Rn. 70). Er kann sich dadurch entlasten, dass er die Kausalität einer bestimmten Schadensursache und seine auf deren Abwendung bezogene Sorgfalt darlegt und beweist (vgl. MüKoHGB/Herber, a.a.O., § 498 Rn. 70; Rabe, a.a.O., § 606 HGB a.F. Rn. 65).

52

Hier steht nur fest, dass die Firma „A naar B Transport“ Kenntnis von den PIN Nummern hatte. Wie sie die Kenntnis erlangt hat, konnte bislang nicht aufgeklärt werden. In einer solchen Situation muss der Verfrachter darlegen und beweisen, dass er alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um Verluste dieser Art zu vermeiden, und zwar im Hinblick auf alle möglichen Schadensursachen (vgl. MüKoHGB/Herber, a.a.O., § 498 Rn. 70; Rabe, a.a.O., § 606 HGB a.F. Rn. 66). Entgegen der Ansicht der Beklagten hat sie das nicht hinreichend dargelegt, so dass eine Vernehmung der angebotenen Zeugen auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinauslaufen würde. So trägt sie zwar vor, nur ein begrenzter Personenkreis habe überhaupt Zugriff auf die PIN Nummern gehabt, nicht aber, welche ihrer eigenen Mitarbeiter sie kannten. Ein entsprechender Vortrag fehlt auch im Hinblick auf die Mitarbeiter des Terminalbetreibers ECT, ihrer Erfüllungsgehilfin. Da ECT inzwischen unstreitig die Zahl der Mitarbeiter mit Zugang zu den PIN Codes um 80 % reduziert hat, wird es sich zur Zeit des Schadenfalls auch um eine größere Anzahl gehandelt haben.

4.

53

Der vom Landgericht zuerkannte Betrag von € 433.171,74 entspricht der geltend gemachten Höchsthaftung nach der kg-Alternative von 2 SZR pro kg gem. § 504 Abs. 1 S.1 HGB i.V.m. § 505 HGB (191.040 kg x 2 SZR = 382.080 SZR x € 1,13372). Am 27.06.2017, dem Tag der vereinbarten Ablieferung, war ein SZR € 1,13372 wert.

54

Die im Hinblick auf einen Haftungsschaden gemachten Einwände der Beklagten gegen die behauptete Schadenshöhe gehen ins Leere, da die Klägerin den geltend gemachten Anspruch aus den bereits genannten Gründen unmittelbar auf € 494 Abs. 2 S. 2 und S. 3 HGB stützen kann.

55

Die geltend gemachten Zinsen sind gem. §§ 288 Abs. 1, 286 BGB gerechtfertigt.

56

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

57

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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