Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (3. Senat) - 12 WF 111/17
Tenor
Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Altona, Familiengericht, Geschäftsnummer 351 F 34/17, vom 15.02.2017 abgeändert.
Der betroffenen Jugendlichen wird Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung rückwirkend ab dem 03.02.2017 bewilligt. Ihr wird Herr Rechtsanwalt ... als Verfahrensbevollmächtigter zur Vertretung beigeordnet.
Von der Erhebung der Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
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Mit dem oben genannten Beschluss hat das Familiengericht der am ... geborenen Betroffenen die nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe zur Verteidigung gegen ein von Amts wegen eingeleitetes Hauptsacheverfahren wegen Verhängung eines Umgangsverbotes gegen die Antragsgegner zurückgewiesen. Wegen der Gründe im Einzelnen wird auf den genannten Beschluss Bezug genommen. Gegen den am 10.04.2017 zugestellten Beschluss hat die Betroffene am 10.05.2017 (Eingang) sofortige Beschwerde eingelegt. Das Familiengericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom 06.06.2017 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
- 2
Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde ist zulässig und insbesondere fristgerecht eingelegt (§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO). Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
1.
- 3
Der Antrag der Antragstellerin auf Verfahrenskostenhilfe ist zulässig, obwohl sie noch minderjährig ist. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG sind auch beschränkt Geschäftsfähige verfahrensfähig, soweit sie das 14. Lebensjahr vollendet haben und sie in einem Verfahren, das ihre Person betrifft, ein ihnen nach bürgerlichem Recht zustehendes Recht geltend machen. Es kann hier dahin stehen, ob die Verfahrensfähigkeit Minderjähriger nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG alle Kindschaftssachen gemäß § 151 FamFG umfasst (so OLG Braunschweig, Beschluss vom 17. Mai 2016 - 1 WF 105/16 -, Rn. 18; OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. Januar 2014 - 11 WF 271713, beide Entscheidungen zitiert nach juris) und somit auch in Verfahren auf Herausgabe nach § 1632 Abs. 1 BGB bzw. bei Umgangsausschluss stets die Verfahrensfähigkeit Minderjähriger anzunehmen ist oder die Verfahrensfähigkeit nur in solchen Kindschaftsverfahren besteht, in denen es um die Durchsetzung konkreter subjektiver Rechte, wie die eines Umgangsrechts (§ 1684 Abs. 1 BGB) bzw. das Widerspruchsrecht bei Übertragung der elterlichen Sorge nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB geht (vgl. Heise, Verfahrensfähigkeit des Kindes in personenbezogenen Verfahren nach dem FamFG, FamRZ 2009, 85, 87). Denn aus den weiteren, am selben Tag verhandelten Verfahren zu den Geschäftsnummern 351 F 4/17 und 351 F 5/17, sind Umstände vorgetragen worden, nach denen die Betroffene eine Verletzung ihrer Rechte nach § 1631 Abs. 2 BGB geltend macht. Eine mögliche Rechtsverletzung wird auch bei der Entscheidung darüber, ob eine Kontaktsperre gegenüber den Antragsgegnern zu verhängen ist, zu berücksichtigen sein.
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Soweit das Familiengericht in seiner Nichtabhilfeentscheidung auf die Ausführungen von Huber und Scherer (FamRZ 2001, 797, 800 f.) verweist, die die Auffassung vertreten, der Gesetzgeber habe mit der Neufassung des § 1631 II BGB in erster Linie auf eine Bewusstseinsänderung der Eltern abgezielt und keine einklagbaren Rechte des Kindes begründen wollen, schließt sich der Senat dieser Auffassung nicht an. Jedenfalls in der hier vorliegenden Fallkonstellation, in der die Betroffene vom Jugendamt - nach ihrem dafürhalten - keine ausreichenden Hilfen erhalten hatte und sie die Verbringung vom Reiterhof der Antragsgegner mittels tätlicher Übergriffe auf sie beschrieb, bedurfte sie anwaltlicher Unterstützung zur Verteidigung ihrer Interessen. Zwar ist es grundsätzlich Aufgabe des Jugendamtes, Eltern in Konfliktsituationen mit ihren Kindern Hilfen anzubieten, aber in Ausnahmefällen - wie dem vorliegenden Fall - muss es einer Jugendlichen zur Wahrung ihrer Rechte möglich sein, sich eines Anwaltes zu bedienen.
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Auch wenn ein minderjähriges Kind grundsätzlich weder einen Geschäftsbesorgungsvertrag mit einem Anwalt schließen noch diesem Verfahrensvollmacht erteilen kann, muss aufgrund des Sinn und Zwecks der gesetzlichen Vorgabe aus § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG eine beschränkte Geschäftigkeit Minderjähriger dahingehend angenommen werden, dass Kinder in eigenen Angelegenheiten einen Anwalt wirksam mandatieren können. Denn es kann nicht sein, einem Minderjährigen die Verfahrensfähigkeit einzuräumen, ihm aber nicht die für das Verfahren erforderliche Unterstützung zu geben, jedenfalls dann, wenn subjektive Rechte nach dem BGB betroffen sind und die Rechtsverteidigung nicht ohne Aussicht auf Erfolg erscheint (dazu nachfolgend unter Ziff. 2). Daher muss ein Kind in diesem Rahmen auch selbst für seine Verfahrensführung Verfahrenskostenhilfe beantragen können (vgl. Keidel/Zimmermann, FamFG, 19. Aufl. § 9 Rn. 16, OLG Dresden, B. v. 24.01.2014 - 22 WF 15/14, zitiert nach beckonline, hält den in einem gerichtlichen Verfahren betreffenden Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen einem minderjährigen, aber verfahrensfähigen Beteiligten und einem Rechtsanwalt jedenfalls dann ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters für wirksam, wenn die anwaltliche Vertretung entsprechend § 78 II FamFG wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage unter Berücksichtigung der subjektiven Fähigkeiten des Beteiligten erforderlich erscheint).
2.
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Der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe war auch nicht von vornherein ohne Aussicht auf Erfolg. Nach § 114 Abs. 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Nach § 114 Abs. 2 ZPO ist die Rechtsverfolgung mutwillig, wenn eine Partei, die keine Verfahrenskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
a.
- 7
Vorliegend ist die Antragstellerin als minderjährige Schülerin ohne eigenes Einkommen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, auch nicht in Raten. Aufgrund der konkreten Umstände des Sachverhaltes (Zerwürfnis mit beiden Elternteilen) ist es der Antragstellerin auch nicht zumutbar, diese zuvor wegen eines Vorschusses der Verfahrenskosten in Anspruch zu nehmen.
b.
- 8
Die Verteidigung in dem vom Gericht eingeleiteten Verfahren war bei Stellung des Verfahrenskostenhilfeantrages am 03.02.2017 nicht ohne Aussicht auf Erfolg. Dies zeigt sich bereits daran, dass das Gericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu entscheiden beabsichtigt.
3.
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Die Kostenentscheidung folgt aus Nr. 1912 KV FamGKG, 127 Abs. 4 ZPO.
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Referenzen
- BGB § 1632 Herausgabe des Kindes; Bestimmung des Umgangs; Verbleibensanordnung bei Familienpflege 1x
- FamFG § 76 Voraussetzungen 1x
- 22 WF 15/14 1x (nicht zugeordnet)
- FamFG § 9 Verfahrensfähigkeit 3x
- FamFG § 151 Kindschaftssachen 1x
- BGB § 1684 Umgang des Kindes mit den Eltern 1x
- FamFG § 78 Beiordnung eines Rechtsanwalts 1x
- 351 F 4/17 1x (nicht zugeordnet)
- 351 F 5/17 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 114 Voraussetzungen 2x
- 1 WF 105/16 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 1631 Inhalt und Grenzen der Personensorge 2x
- BGB § 1671 Übertragung der Alleinsorge bei Getrenntleben der Eltern 1x
- 351 F 34/17 1x (nicht zugeordnet)