Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (2. Strafsenat) - 2 Rev 65/19
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 12, vom 29. März 2019 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
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Das Amtsgericht Hamburg hat den Angeklagten am 15. November 2017 wegen versuchten Raubes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt.
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Am 17. November 2017 hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger Berufung gegen das Urteil eingelegt. Mit seinem Urteil vom 29. März 2019 hat das Landgericht Hamburg, Kleine Strafkammer 12, die Berufung verworfen. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit am 3. April 2019 bei dem Landgericht eingegangen Schriftsatz seines Verteidigers Revision eingelegt. Nach am 24. Mai 2019 erfolgter Fertigstellung des Protokolls und anschließend bewirkter, richterlich angeordneter Urteilszustellung vom 4. Juni 2019 hat der Verteidiger die Revision mit am 4. Juli 2019 bei dem Landgericht eingegangenem Verteidigerschriftsatz begründet und dazu unter ausschließlicher Bezugnahme auf die ablehnende Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung die Verletzung sowohl sachlichen als auch formellen Rechts gerügt.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat darauf angetragen, das angegriffene Urteil hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen sowie die Revision im Übrigen kostenpflichtig zu verwerfen.
II.
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Die gemäß § 333 StPO statthafte und auch im Übrigen gemäß §§ 341 Abs. 1, 344, 345 StPO zulässige Revision des Angeklagten hat in der Sache – vorläufigen – Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Rechtsfolgenentscheidung des angefochtenen Urteils.
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Die Ausführungen des landgerichtlichen Urteils zur Rechtsfolgenentscheidung, welche Gegenstand der Revision ist, halten bereits der durch die allgemeine Sachrüge veranlassten revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
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1. Die Revision des Angeklagten erstreckt sich auf die gesamte Rechtsfolgenentscheidung des angegriffenen Urteils. Zwar ergibt sich aus der Revisionsbegründung eine Rechtsmittelbeschränkung allein auf die Frage der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung. Die so verstandene Revisionsbeschränkung indes ist unwirksam und führt dazu, dass die gesamte Rechtsfolgenentscheidung zur Überprüfung des Revisionsgerichts steht.
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a) Die Revision des Angeklagten ist allein auf die Frage über die Strafaussetzung zur Bewährung gerichtet.
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aa) Welches Angriffsziel ein Rechtsmittelführer verfolgt, ist im Wege der Auslegung seiner Rechtsmittelerklärungen zu ermitteln (BGH, NStZ-RR 2015, 88). Hierbei kann die Auslegung der Revisionsbegründung auch bei einem unbeschränkten Revisionsantrag zu dem Ergebnis führen, dass der Beschwerdeführer – im Widerspruch zu seinem Antrag – bestimmte Urteilsteile von seinem Rechtsmittelangriff ausnehmen will (siehe dazu umfassend Senatsbeschluss vom 13. Februar 2019, Az.: 2 Rev 37/19; BGH, Urteil vom 1. März 2018, Az.: 4 StR 158/17, BeckRS 2018, 4218 m.w.N.; BGH, NStZ-RR 2015, 88). Dies gilt selbst dann, wenn sich trotz ausdrücklichen Hinweises eines Revisionsführers darauf, dass seine Einzelausführungen die allgemeine Sachrüge nicht beschränken sollen, aus den weiteren Ausführungen dieses Rechtsmittelführers ergibt, dass er die angefochtene Entscheidung allein aus einem spezifischen, beschränkten Grund für fehlerhaft hält (Senatsbeschluss vom 13. Februar 2019, Az.: 2 Rev 37/19; vgl. BGH, NStZ-RR 2015, 88). Denn maßgebend für die Auslegung ist nicht der Wortlaut der Revisionsbegründung, sondern Sinn und Zielrichtung des Revisionsvorbringens (Senatsbeschluss vom 13. Februar 2019, Az.: 2 Rev 37/19; vgl. auch HK-Temming § 344 Rn. 4). Erst wenn unter Ausschöpfung der Auslegungsmöglichkeiten gleichwohl Zweifel am Umfang des Revisionsangriffs bestehen, ist eine unbeschränkte Revision anzunehmen (Senatsbeschluss vom 19. Mai 2016; Az.: 2 Rev 1/16; BGH, NStZ-RR 1997, 35; KK-Gericke § 344 Rn. 3).
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bb) Nach diesen Grundsätzen ergeben die Erklärungen des Verteidigers eine Beschränkung der Revision auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung.
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Die Revisionseinlegungserklärung des Verteidigers lässt eine Äußerung zum gewollten Umfang der Revision nicht erkennen. Die Revisionsbegründung des Verteidigers verhält sich zu der Frage der Revisionsbeschränkung mehrdeutig. Zwar enthält sie zu Beginn den unbeschränkten Antrag, „das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückzuverweisen“; auch endet die Revisionsbegründung mit dem unbeschränkt formulierten Begehren, dass das Urteil des Landgerichts Hamburg aufzuheben sei. Hiermit jedoch steht der übrige Inhalt der Revisionsrechtfertigung nicht im Einklang. Aus den mehrere Seiten umfassenden Einzelausführungen ergibt sich, dass der Revisionsführer das angegriffene Urteil allein deswegen für fehlerhaft hält, weil das Landgericht im Rahmen der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung eine positive Legalprognose verneint hat. Eine Gesamtschau (vgl. dazu BGH, NStZ-RR 2015, 88) im Wege der Auslegung des insoweit widersprüchlichen Revisionsvorbringens ergibt, dass lediglich die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung angegriffen sein soll. Denn dies ist maßgeblicher Sinn der Revisionsrechtfertigung, die den Schuldspruch weder verdeckt noch offen infrage stellt und sich ausschließlich mit der zum Rechtsfolgenausspruch gehörenden Frage der positiven Legalprognose als Teil der Bewährungsentscheidung auseinandersetzt und dabei sowohl bei der Sachrüge (Fehlen der Gesamtwürdigung des § 56 Abs. 1 StGB; Außerachtlassung der präventiven Wirkung einer zwischenzeitlich verbüßten Haft) als auch bei der Verfahrensrüge (Aufklärungsrüge hinsichtlich Umständen, die zu einer positiven Legalprognose führen können) allein diesen Gesichtspunkt erörtert.
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b) Die Beschränkung der Revision allein auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung ist jedoch unwirksam.
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aa) In formeller Hinsicht bestehen keine Bedenken. Da die Rechtsmittelbeschränkung innerhalb der Revisionsbegründungsfrist erklärt worden ist, bedurfte es einer ausdrücklichen Ermächtigung des Verteidigers im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO nicht.
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bb) In materieller Hinsicht ist die Revisionsbeschränkung auf die Aussetzungsentscheidung indes unwirksam.
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(1) Die Beschränkung einer Revision ist grundsätzlich zulässig (Senatsbeschlüsse vom 3. Januar 2017, Az.: 2 Rev 66/16 und vom 13. Februar 2019, Az.: 2 Rev 37/19; LR-Franke § 344 Rn. 1; HK-Temming § 344 Rn. 4). Insbesondere kann eine Beschränkung auf einzelne Teile der Rechtsfolgenentscheidung erfolgen (RGSt 65, 297; KK-Paul § 318 Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt § 318 Rn. 18). Dies gilt auch für die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung (LR-Gössel § 318 Rn. 96).
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Eine Beschränkung ist jedoch nur möglich, wenn sie sich auf solche Beschwerdepunkte bezieht, die losgelöst von dem nicht angegriffenen Teil der Entscheidung einer rechtlich und tatsächlich selbstständigen Beurteilung fähig sind, ohne eine Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig zu machen (KK-Paul § 318 Rn. 8a m.w.N.). Dies ist jedenfalls dann nicht mehr gegeben, wenn die tatsächlichen Feststellungen, die der Strafzumessung zugrunde liegen, so unzulänglich sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Aussetzungsentscheidung bilden, wenn im Konkreten die für die Aussetzungsentscheidung maßgebenden Gesichtspunkte auch Umstände sind, die bei der Strafzumessung berücksichtigt werden müssen, wenn Strafmaß- und Aussetzungsentscheidung in unzulässiger Weise miteinander verknüpft sind oder wenn die Entscheidung über die Strafaussetzung an einem Fehler leidet, der zugleich die Strafzumessung betrifft (Senatsbeschluss vom 7. Dezember 2011, Az.: 2 - 40(11 (REV); KG, Urteil vom 27. Juni 2001, Az.: (5) 1 Ss 13/99 (10/99), juris; LR-Gössel § 318 Rn. 96). Liegt der Bewährungsentscheidung ein Fehler zugrunde, muss sich die Unwirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung auf all jene Teile des Urteils erstrecken, in welche auch dieser der Aussetzungsentscheidung anhaftende Fehler reicht (vgl. RGSt 65, 296; KK-Paul § 318 Rn. 10). Andernfalls könnte es – was zu vermeiden ist – zu in sich widersprüchlichen Entscheidungen kommen (vgl. KG, Urteil vom 27. Juni 2001, Az.: (5) 1 Ss 13/99 (10/99), juris; LR-Gössel § 318 Rn. 96).
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(2) Nach Lage des Falles enthält die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung einen Fehler, der zugleich einen anderen Teil des landgerichtlichen Urteils, hier die Strafzumessung, betrifft.
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(a) Das Landgericht hat im Rahmen seiner Bewährungsentscheidung bei der Frage des Vorliegens einer positiven Legalprognose zuungunsten des Angeklagten angeführt, dass dieser zum Zeitpunkt der Begehung der urteilsgegenständlichen Tat am 16. Juli 2016 unter laufender Bewährung gestanden habe. Diese Erwägung indes ist durch die tatsächlichen Urteilsfeststellungen nicht belegt. Das Landgericht hat im Rahmen seiner Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hinsichtlich der der Tatbegehung vom 16. Juli 2016 vorausgegangenen Verurteilungen des Angeklagten lediglich eine, am 8. Februar 2016 durch das Landgericht Osnabrück ergangene Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe festgestellt, deren Dauer ein Jahr und drei Monate (UA S. 3) oder ein Jahr (UA S. 14) betragen hatte, ohne dass dargetan oder sonst ersichtlich ist, dass die Vollstreckung schon dieser (Einzel-)Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden wäre. Eine solche Strafaussetzung zur Bewährung ergibt sich nach den landgerichtlichen Urteilsfeststellungen erst für eine am 6. September 2016, mithin nach der Begehung der vorliegend zu beurteilenden Tat ergangenen Gesamtstrafenentscheidung des Landgerichts Osnabrück, in welche die Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 8. Februar 2016 einbezogen wurde. Auch die übrigen Urteilsgründe ergeben eine Strafaussetzung zur Bewährung bereits vor Tatbegehung nicht, so dass die Urteilsgründe sich insoweit als lückenhaft erweisen.
- 18
(b) Dieser Fehler betrifft – neben der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung – auch die Strafzumessung und damit einen anderen, von der Angriffsrichtung der Revision nicht erfassten Teil des landgerichtlichen Urteils.
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Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung bei der Frage des Vorliegens eines minder schweren Falles zulasten des Angeklagten herangezogen, dass dieser zum Zeitpunkt der Tat unter laufender Bewährung gestanden habe, so dass sich die Tat als Bewährungsversagen darstelle. Damit hat das Landgericht der Strafzumessung einen nicht festgestellten Umstand zugrunde gelegt, der, insofern doppelrelevant, auch für die Aussetzungsentscheidung maßgeblich Berücksichtigung gefunden hat.
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c) Damit steht die gesamte Rechtsfolgenentscheidung des angegriffenen Urteils zur Überprüfung des Revisionsgerichts.
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aa) Die Unwirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung führt in Fällen der Doppelrelevanz dazu, dass der von der Doppelrelevanz erfasste Urteilsteil ebenfalls der Nachprüfung unterfällt (vgl. RGSt 65, 296; KK-Paul § 318 Rn. 10).
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bb) Die derartige wirkende Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch ist auch wirksam.
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(1) In formeller Hinsicht bestehen – wie schon bei der Frage der Beschränkung auf die Bewährungsentscheidung dargestellt – keine Bedenken.
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(2) Auch gegen die materielle Wirksamkeit der Revisionsbeschränkung auf die Rechtsfolgenentscheidung bestehen keine Bedenken. Die vom Landgericht zur Sache getroffenen Feststellungen stellen eine hinreichende Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung dar, womit dem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit eröffnet wird, den angefochtenen Teil des Urteils (hier: Rechtsfolgenentscheidung des landgerichtlichen Urteils) losgelöst von dem nicht angegriffenen Teil der Entscheidung (hier: Schuldspruch des landgerichtlichen Urteils) rechtlich und tatsächlich zu beurteilen, ohne eine Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig zu machen (Trennbarkeitsformel, siehe Senatsbeschlüsse vom 15. März 2012, Az.: 2 - 70/11 (REV), juris, und vom 11. Oktober 2016, Az.: 2 Rev 88/16, juris). Denn die vom Landgericht getroffenen Feststellungen ergeben eine Strafbarkeit (vgl. dazu auch Senatsbeschluss vom 11. Oktober 2016, Az.: 2 Rev 88/16, juris) des Angeklagten – vorliegend eine solche wegen versuchten Raubes.
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2. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision hat schon auf die Sachrüge Erfolg. Bereits der Strafausspruch ist fehlerhaft und hat keinen Bestand.
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a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn Rechtsfehler vorliegen. Dies ist insbesondere der Fall bei widersprüchlicher oder unvollständiger Bewertung von Strafzumessungsfaktoren oder bei Lückenhaftigkeit der Strafzumessung oder wenn einzelnen Zumessungsgründen erkennbar zu hohes oder zu geringes Gewicht beigemessen worden ist, wenn Zumessungsgründe gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen oder wenn die erkannte Strafe sich von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt (zum Ganzen BGH, StV 2000, 553; BGH, Urteil vom 1. August 2018, Az.: 2 StR 42/18, BeckRS 2018, 18142; BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2017, Az.: 1 StR 226/17, juris; LK-Theune § 46 Rn. 341 m.w.N.; Fischer § 46 Rn. 147 ff. m.w.N.; siehe auch Urteil des Senats vom 20. Februar 2019, Az.: 2 Rev 98/18 sowie Senatsbeschlüsse vom 19. Februar 2019, Az.: 2 Rev 78/18 und vom 28. August 2019, Az.: 2 Rev 9/19).
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b) Nach diesen Maßstäben liegen hier bereits bei der Erörterung der Frage des Vorliegens eines minder schweren Falles im Sinne des § 249 Abs. 2 StGB mehrere tragende Rechtsfehler in der Strafzumessung vor.
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aa) Das Landgericht hat, wie bereits dargetan, im Rahmen der für das Vorliegen eines minder schweren Falles maßgeblichen Gesamtabwägung zulasten des Angeklagten angeführt, dass dieser zum Zeitpunkt der Tat unter laufender Bewährung gestanden habe, so dass sich die Tat als Bewährungsversagen darstelle. Diese, für sich betrachtet nicht zu beanstandende (vgl. Senatsbeschluss vom 24. November 2019, Az.: 2 - 85/14 (REV); Schäfer/Sander/Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rn. 657 m.w.N.) Erwägung ist indes durch die Urteilsfeststellungen nicht belegt. Wie oben ausgeführt, ergeben die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten und auch die übrigen Urteilsgründe lediglich, dass der Angeklagte vor Begehung der revisionsgegenständlichen Tat am 16. Juli 2016 durch das Landgericht Osnabrück zu einer aussetzungsfähigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war, deren Vollstreckung, nachdem diese Strafe in eine nachträgliche Gesamtstrafe einbezogen worden war, am 6. September 2016 zur Bewährung ausgesetzt wurde. Eine Strafaussetzung zur Bewährung bereits bei Tatbegehung ergeben die Urteilsfeststellungen hingegen nicht. Darüber hinaus lassen die Urteilsgründe die notwendigen (hierzu BGH, Beschluss vom 5. April 2016, Az.: 2 StR 570/15, BeckRS 2016, 9862; BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2016, Az.: 3 StR 329/16, BeckRS 2016, 20615) Feststellungen zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Osnabrück und zur Dauer der Bewährungszeit vermissen.
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bb) Die Ausführungen des Landgerichts erweisen sich auch als lückenhaft, soweit sich darin Erwägungen nicht finden, die das lange Zurückliegen der Tat von vorliegend mehr als zwei Jahren und acht Monaten bei Ergehen des landgerichtlichen Urteils in den Blick nehmen. Bereits der bloße lange zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil kann zu einem wesentlichen Strafmilderungsgesichtspunkt führen (BGH, NStZ-RR 2016, 336; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 6; BGH, NJW 1999, 1198). Denn durch einen besonders langen Zeitraum, der zwischen der Tatbegehung und dem Ergehen des Urteils liegt, nimmt – allgemein – das Strafbedürfnis im Sinne einer Minderung des Sühneanspruchs ab; der lange Zeitraum kann sich zudem unter präventiven Gesichtspunkten – konkret – nach den aufgrund der erforderlichen gesteigerten Prüfung der Wirkungen der Strafe für den Täter ermittelten Einzelumständen strafmildernd auswirken (BGH, Beschluss vom 12. Juni 2017, NJW 2017, 3537; BGH, Beschluss vom 16. Juni 2009, Az.: 3 StR 173/09, BeckRS 2009, 18518; BGH, NStZ-RR 2016, 336; S/S-Kinzig § 46 Rn. 57a). Diesen hier nicht fernliegenden, bestimmenden, strafmildernden Umstand hat das Landgericht jedoch nicht erkennbar beachtet, erwogen und gegebenenfalls in die Abwägung eingestellt.
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cc) Die Urteilsgründe lassen zudem besorgen, dass das Landgericht den gesondert zu berücksichtigenden, mildernden Strafzumessungsgesichtspunkt der Belastung des Angeklagten durch die lange Verfahrensdauer unberücksichtigt gelassen hat. Dieser Gesichtspunkt erlangt Bedeutung vor dem Hintergrund konkreter Belastungen, die für den Angeklagten mit dem gegen ihn geführten Verfahren verbunden sind und die sich generell umso stärker mildernd auswirken, je mehr Zeit zwischen dem Zeitpunkt, in dem er von den gegen ihn laufenden Ermittlungen erfahren hat, und dem Verfahrensabschluss verstreicht (BGH, Beschluss vom 16. Juni 2009, Az.: 3 StR 173/09, BeckRS 2009, 18518). Nach Lage des Falles ergibt sich die konkrete Belastung des Angeklagten daraus, dass dieser, wie sich aus den Urteilsfeststellungen ergibt, noch am 16. Juli 2016, dem Tage der Tat, polizeilich aufgegriffen worden ist, so dass ihm seit diesem Tage die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens vor Augen stand; spätestens seit Verkündung des amtsgerichtlichen Urteils am 15. November 2017 war ihm darüber hinaus gegenwärtig, dass ihm eine empfindliche Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, droht. Das Landgericht hatte deshalb nach wertender Betrachtung zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand von der Kenntniserlangung von der Strafverfolgung bis zum Abschluss der Berufungshauptverhandlung von vorliegend über zwei Jahren und acht Monaten Dauer mildernd zu berücksichtigen ist. Entsprechende Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 StPO in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (Senatsbeschluss vom 9. Oktober 2013, Az.: 2 - 73/13 (REV); BGH NJW 1999, 1198; BGH, Beschluss vom 16. Juni 2009, Az.: 3 StR 173/09, BeckRS 2009, 18518), vorliegend aus dem angegriffenen Urteil jedoch nicht zu ersehen.
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c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Entscheidung auf den dargestellten Rechtsfehlern beruht, da der Wegfall des strafschärfenden Aspekts der Tatbegehung in laufender Bewährungszeit sowie die mögliche strafmildernde Berücksichtigung des langen Zurückliegens der Tat und der belastenden, langen Verfahrensdauer zur Annahme eines minder schweren Falles im Sinne des § 249 Abs. 2 StGB oder im Rahmen der konkreten Strafbemessung zu einer milderen Strafe hätte führen können.
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3. Die dargelegten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen (§ 353 StPO) und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kleine Strafkammer (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
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