Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (2. Strafsenat) - 2 Rev 85/19

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 4, vom 21. Januar 2019 wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Ausspruch über die Einziehung entfällt.

Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

I.

1

Mit zum Amtsgericht Hamburg – Strafrichter – erhobener und durch Eröffnungsbeschluss vom 22. August 2017 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassener Anklageschrift vom 10. August 2017 hat die Staatsanwaltschaft Hamburg dem Angeklagten zur Last gelegt, sich am 6. Juli 2017 in Hamburg im Rahmen der Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels durch zwei Flaschenwürfe gegen Polizeibeamte und anschließendes Zur-Wehr-Setzen gegen seine Festnahme strafbar gemacht zu haben.

2

Das Amtsgericht Hamburg hat den Angeklagten daraufhin am 28. August 2017 wegen „besonders schweren Falls des“ Landfriedensbruchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und „besonders schweren Falls des“ tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte sowie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte am 29. August 2017 „Rechtsmittel“ eingelegt und unter dem 20. Oktober 2017 erklärt, das Rechtsmittel solle als Berufung durchgeführt werden.

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Nach knapp einjähriger Berufungshauptverhandlung hat das Landgericht Hamburg, Kleine Strafkammer 4, mit Urteil vom 21. Januar 2019 das Urteil des Amtsgerichts im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Außerdem hat das Landgericht die Einziehung von Handschuhen und einer Sturmhaube angeordnet.

4

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit am 28. Januar 2019 bei dem Landgericht eingegangenen Verteidigerschriftsätzen Revision eingelegt und die Revision nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe am 5. Juni 2019 mit einer am 28. Juni 2019 bei dem Landgericht eingegangenen von seinem Verteidiger unterzeichneten Schrift begründet. Die Revision rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts und führt zu zwei Verfahrensrügen und der Sachrüge näher aus.

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Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Absatz 2 StPO kostenpflichtig mit der Maßgabe (§ 349 Absatz 4 StPO) zu verwerfen, dass der Ausspruch über die Einziehung entfällt.

II.

6

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sowie rechtzeitig und äußerlich formgerecht begründete Revision des Angeklagten (§§ 333, 341, 344 Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1, 345 StPO) hat lediglich mit der allgemeinen Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen geringfügigen Teilerfolg.

7

1. Das Urteil ist gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufzuheben, soweit in der Berufungsinstanz erstmals die Einziehung von Handschuhen und einer Sturmhaube angeordnet worden ist. Insoweit verstößt die Entscheidung gegen das auch im Hinblick auf Nebenfolgen geltende Verschlechterungsverbot des § 331 Absatz 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2018, Az.: 4 StR 290/18, juris Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, § 331 Rn. 21; LR/Gössel, § 331 Rn. 106).

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2. Im Übrigen ist der Revision der Erfolg verwehrt, da die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung darüber hinaus keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

9

Im Hinblick auf die Verfahrensrügen merkt der Senat ergänzend zur Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft lediglich das Folgende an:

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a) Die Rüge der Verletzung des § 244 Absatz 3 StPO ist jedenfalls unbegründet.

11

aa) Es kann dahinstehen, ob die Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts schon den Darlegungsanforderungen des § 344 Absatz 2 Satz 2 StPO nicht genügt.

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(1) Dies könnte schon deshalb der Fall sein, weil die Revision im Sinne einer unzulässigen „Gesamtrüge“ (vgl. OLG Hamm, NStZ 2019, 109) in großem Umfang für die jeweilige Rüge bedeutungslose Aktenbestandteile referiert und es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts ist, den Revisionsvortrag aus verschiedenen Unterlagen jeweils an passender Stelle zu ergänzen und dabei den Sachzusammenhang selbst herzustellen (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Februar 2019, Az.: 2 Rev 37/19; BGH, Beschluss vom 14. Mai 2020, Az.: 5 StR 672/19, juris).

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(2) Es liegt auch nahe, dass die Revision nicht alle den behaupteten Verstoß begründenden Tatsachen so umfassend und vollständig angibt, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob der behauptete Mangel vorliegt.

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(a) Ein solcher unzureichender Vortrag könnte etwa darin zu erblicken sein, dass die Revision nicht vorträgt, dass die Verteidigung in einer Gegenvorstellung zu anderen Beschlüssen der Kleinen Strafkammer (Anlage 55 zum Hauptverhandlungsprotokoll) auf den hier angegriffenen Beschluss der Strafkammer und den zugehörigen Beweisantrag noch einmal Bezug genommen und dass und mit welchem Inhalt die Kammer mit einem Beschluss (Anlage 62 zum Hauptverhandlungsprotokoll) auf diese Gegenvorstellung erwidert hat.

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(b) Darüber hinaus könnte es im Sinne eines vollständigen Revisionsvorbringens auch erforderlich gewesen sein, zum Inhalt des in Augenschein genommenen Videos vor und nach der geltend gemachten Lücke vorzutragen, etwa zu der Frage, ob dort der Angeklagte und wenn ja ob mit oder ohne Kopfbedeckung zu sehen ist, um dem Senat so die Möglichkeit zu eröffnen, zu prüfen, ob es sich bei der Beweisbehauptung wie vom Landgericht angenommen um eine auf’s Geratewohl aufgestellte Behauptung handelt.

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(3) In Betracht kommt schließlich, dass die Rüge wegen falschen Revisionsvortrags den Anforderungen des § 344 Absatz Satz 2 StPO nicht genügt, wenn behauptet wird (RB S. 116), der Zeuge B. sie „mit seinem Namen, dem Dienstherren, über den er geladen werden kann, der Einheit und der Funktion, mit der er am Tattag eingesetzt war, individualisiert“ worden. Tatsächlich wurde ausweislich des Beweisantrags lediglich die Vernehmung des „Zeugen B., zu laden über die Polizei Berlin“ beantragt.

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bb) Die Rüge ist aber ungeachtet dieser Fragen jedenfalls unbegründet, weil das Landgericht den hier inmitten stehenden Teil des Antrags aus Anlage 45 zum Hauptverhandlungsprotokoll im Ergebnis zu Recht lediglich als Beweisermittlungsantrag gewertet und diesen sodann im Übrigen rechtsfehlerfrei nur unter Aufklärungsgesichtspunkten beschieden hat.

18

(1) Dem Antrag fehlt schon deshalb die Qualität eines Beweisantrags, weil das Beweismittel nicht hinreichend konkret bezeichnet ist. Beantragt wurde die Vernehmung des „Zeugen B., zu laden über die Polizei Berlin“. Zur Individualisierung im Sinne des Beweisantragsrechts reicht grundsätzlich die bloße Namensnennung von Zeugen mit der Angabe eines Wohnortes (hier: Dienstortes) nicht aus. Ein Zeuge, der erst aus einem Personenkreis herausgefunden werden soll, ist noch nicht individualisiert (BGHSt 40, 3). Bei Zeugen sind daher im Beweisantrag zur Individualisierung des Beweismittels grundsätzlich Name und vollständige Anschrift anzugeben (LR/Becker, § 244 Rn. 105). Vor dem Hintergrund der Vielzahl Berliner Polizeibeamter und des verbreiteten Nachnamens B. hätte es hier daher näherer Individualisierung des Zeugen bedurft.

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(2) Darüber hinaus war der Antrag auch deswegen nur unter Aufklärungsgesichtspunkten zu bescheiden, weil er mit dem von ihm formulierten Ziel, den Zeugen dazu zu vernehmen, dass auf dem von ihm gefertigten Video ein konkret behauptetes Geschehen zu sehen ist, lediglich der Umgehung der erleichterten Ablehnungsvoraussetzungen des § 244 Absatz 5 Satz 1 StPO diente, wonach ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins abgelehnt werden kann, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist.

20

In einem solchen Fall ist auch der wie hier gestellte Antrag, einen Zeugen als Augenscheinsgehilfen zu vernehmen, lediglich nach Maßgabe des § 244 Absatz 5 Satz 1 StPO zu bescheiden. Denn beantragt der Angeklagte etwa die Vernehmung eines bestimmten Polizeibeamten als Beweismittler, um den Inhalt eines sächlichen Beweismittels in die Hauptverhandlung einzuführen, so darf das Gericht zum Beispiel anstatt des benannten einen anderen, mit dem Beweismittel ebenso vertrauten Beamten zu diesem Thema vernehmen, wenn keine Zweifel an der Gleichwertigkeit dieses Beweismittels bestehen (vgl. BGH, NJW 1983, 126).Auch kann das Gericht die Vernehmung des Zeugen in diesen Fällen durch Einführung des sächlichen Beweismittels in die Hauptverhandlung ersetzen. Zwar kann nicht schlechthin jedes Beweismittel durch ein anderes ersetzt werden. So ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, nach freiem Ermessen an die Stelle eines benannten Zeugen, der eine persönliche Wahrnehmung über einen in der Vergangenheit liegenden Vorgang bekunden soll, einen anderen Zeugen zum gleichen Beweisthema zu hören. Handelt es sich jedoch um die Feststellung einer bestimmten, in der Außenwelt sichtbaren und deshalb jederzeit nachprüfbaren objektiven Gegebenheit, kann das Gericht das Beweismittel selbst wählen (BGHSt 22, 347). Der unmittelbare Augenschein des Gerichts kann durch einen anderen Akt der Beweisaufnahme ersetzt werden, wenn dies nach der gesamten Beweislage als gleichwertig erscheint (KK-StPO/Krehl, § 244 Rn. 211). Gleiches gilt im umgekehrten Fall, dass die Vernehmung eines Augenscheinsgehilfen durch die unmittelbare Inaugenscheinnahme ersetzt werden soll.

21

Wenn aber das Gericht danach hier berechtigt gewesen wäre, die beantragte Einvernahme des Zeugen angesichts des ausschließlich auf den Inhalt des Videos bezogenen Beweisantrags durch eine direkte Inaugenscheinnahme zu ersetzen, so ist ein solcher Antrag auf Vernehmung eines Augenscheinsgehilfen auch nur an den für die Inaugenscheinnahme geltenden Maßstäben des § 244 Absatz 5 Satz 1 StPO zu messen (wie hier Alsberg/Güntge Rn. 1393; Meyer-GS/Rogall, S. 403; Hanack, JZ 1970, 561, 563; Peters, JR 1970, 105, 106; vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 2272).

22

Die Kleine Strafkammer hat hier in ihrem Ablehnungsbeschluss (Anlage 53 zum Hauptverhandlungsprotokoll) hinreichend deutlich gemacht, vor dem Hintergrund der Angaben der Zeugen M. und K. zur Festnahmesituation und zur Frage der Kopfbedeckung des Angeklagten eine Inaugenscheinnahme von Videoaufnahmen, von denen im Übrigen noch unklar ist, ob es sie überhaupt gibt, nach pflichtgemäßem Ermessen zur Erforschung der Wahrheit für nicht erforderlich zu erachten.

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b) Die daneben erhobene Aufklärungsrüge genügt den Darstellungsanforderungen des § 344 Absatz 2 Satz 2 StPO nicht. Es fehlt an bestimmt behaupteten und konkreten Angaben, welche Umstände das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätten drängen müssen (zu diesem Erfordernis Meyer-Goßner/Schmitt, § 244 Rn. 102). Die Rüge erschöpft sich in – unzulässigen – Bezugnahmen auf Anlagen und anderweitigen Vortrag und pauschalen Behauptungen. Es ist nicht im Ansatz dargelegt, weshalb der wie gezeigt zu Recht abgelehnte Antrag auf Vernehmung des Zeugen B. oder die Angaben anderer Zeugen, der Zeuge B. sei „am Einsatz beteiligt“ (RB S. 126) gewesen, das Gericht zu einer Vernehmung des Zeugen B. von Amts wegen hätte drängen müssen.

24

3. Angesichts des nur geringen Teilerfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Absätze 1 und 4 StPO).

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