Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 19 U 137/12
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 15.08.2012 verkündete Urteil des Landgerichts Aachen (-11 O 368/10-) aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e :
2- I
Der Kläger, ein Hobbyreiter, ist Eigentümer eines Wallachs („B 20“, im Folgenden auch: B). Er erwarb dieses Springpferd im Jahr 2006 von einem Investor für Euro 14.500,00, der es 4 Monate vorher von einem Herrn C für Euro 100.000,00 gekauft hatte.
4Der Kläger nahm seit Dezember 2006 mit diesem Pferd an nationalen und internationalen Springreit-Turnieren teil. Insgesamt erzielte der Kläger mit diesem Pferd eine Gewinnsumme von Euro 15.513,00.
5Am 31.07.2009 ersprang B einen sechsten Platz bei einer Springprüfung der S-Klasse (= schwere Klasse). Am 02.08.2009 erreichte das Pferd ebenfalls einen sechsten Platz bei einem schwereren S-Springen mit drei Sternen. Bei diesem internationalen Springturnier wurden alle Pferde, so auch B, auf Lahmheit hin untersucht, da dies in den Regularien der Deutschen Reiterlichen Vereinigung so vorgesehen ist (Bl. 284 GA). Wären bei B Auffälligkeiten aufgetreten, wäre es bei diesem sog. VetCheck vom zuständigen Tierarzt sofort mit einem Startverbot belegt worden, was aber nicht der Fall gewesen ist.
6Am 05.08.2009 nahm der Beklagte, der Hufschmied ist, das vereinbarte Beschlagen und Beschneiden des Pferdes vor. Hierbei schnitt er den Huf vorne rechts zu kurz aus, wobei das Ausmaß des übermäßigen Ausschneidens streitig ist. Ob zudem auch eine Verletzung der Huflederhaut erfolgte (sog. „Vernageln“), ist ebenfalls streitig.
7Jedenfalls lahmte das Pferd im Anschluss an die Behandlung durch den Beklagten. Am 06.08.2009 wurde es durch den Tierarzt Dr. M untersucht, bei dem es seit 2006 in stetiger Behandlung war. Der Tierarzt Dr. M dokumentierte eine „Lahmheitsuntersuchung wegen Vernagelung VL“ (Rechnung vom 27.08.2009, Bl. 55 GA), wobei „VL“ für vorne links steht. Dabei handelte es sich aber um einen Dokumentationsfehler des Zeugen Dr. M. Gemeint war eine Vernagelung des vorderen rechten Beines des Pferdes, so dass „VR“ hätte dokumentiert werden müssen. Auch in den Folgetagen wurde B durch den Zeugen Dr. M behandelt, so am 08.08., 11.08., 14.08. und 16.08.2008.
8Die Parteien streiten um eine Verantwortlichkeit des Beklagten. Sie einigten sich zunächst außergerichtlich auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dr. med. vet. Q. Dieser erstellte ein Gutachten (datiert auf den 24.07.2010, Bl. 67 ff. GA) und kam darin zu der Schlussfolgerung, dass sich die „entzündlichen Prozesse“ aus seiner Sicht „direkt bzw. indirekt dem Einkürzen bzw. Vernageln“ des Hufes zuordnen ließen. Hingegen könnten die festgestellten „degenerativen Prozesse“ aufgrund des „fortgeschrittenen Krankheitsverlaufes nicht zugeordnet werden“.
9Der eingeschaltete Haftpflichtversicherer des Beklagten zahlte an den Kläger einen Betrag in Höhe von insgesamt Euro 10.000,00 zur beliebigen Verrechnung.
10Trotz der Lahmheit wurde das Pferd im Jahr 2012 bei einem Dressurwettbewerb eingesetzt und erreichte dort eine Platzierung (Bl. 370, 376 GA).
11Am 12.01.2013 wurde B in der Tierarztpraxis Dr. C2 – aus unbekannten Gründen – auf Veranlassung des Klägers eingeschläfert.
12Der Kläger hat behauptet, dass der Beklagte den Huf des Pferdes erheblich zu kurz eingeschnitten und deshalb an der Huflederhaut verletzt habe. Daher rühre das – unstreitige – Lahmen seit der Behandlung durch den Beklagten. Insbesondere das Einkürzen um mehr als 3 cm zu viel habe dazu geführt, dass das Pferd unter erheblichen Schmerzen gelitten habe, die auch mit der Gabe von Schmerzmitteln nicht in den Griff zu bekommen gewesen seien. Deshalb sei das Pferd für immer sportuntauglich.
13Vorerkrankungen habe das Tier nicht gehabt. Vor der Behandlung durch den Beklagten habe das Pferd einen Wert von Euro 350.000,00 aufgewiesen, anschließend habe es – unabhängig von dem späteren Tod – keinen Wert mehr gehabt. Der Kläger ist daher der Ansicht, der Beklagte hafte für die Lahmheit, was sich schon aus den Gutachten Q und Dr. C3 ergebe. Letztlich sei er aber auch für das Vorliegen einer kausalen Pflichtverletzung nicht beweisbelastet, weil eine Beweislastumkehr, jedenfalls ein Anscheinsbeweis anzunehmen sei. Die Annahme des Vorliegens einer Beweiserleichterung rühre daher, dass die Probleme mit B in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Behandlung durch den Beklagten entstanden seien.
14Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn Euro 350.000,00 nebst Zinsen zu zahlen, und zwar Zug um Zug gegen Herausgabe des am 18.04.1997 geborenen Wallachs „B 20“ (Lebensnummer 331 317 228 197) nebst Eigentumsurkunde und internationalem FEI Pferdepass sowie festzustellen, dass sich der Beklagte mit der Annahme des vorbezeichneten Pferdes in Verzug befindet. Zudem hat er beantragt den Beklagten zu verurteilen, an ihn weitere Euro 1.884,84 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2010 zu zahlen.
15Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
16Der Beklagte hat mit der Klageerwiderung zunächst vorgetragen, dass er beim Beschneiden und Beschlagen „den rechten Vorderhuf stark“ eingekürzt und vernagelt habe (Seite 2, Bl. 147 GA). Mit Schriftsatz vom 25.10.2011 (Bl. 271 f. GA) hat er dann behauptet, dass eine „Vernagelung bestritten“ werde. Selbst wenn ein solches Vernageln stattgefunden hätte, sei dies allerdings für die Gebrauchsuntauglichkeit nicht verantwortlich. Das gelte auch für das starke Einkürzen des Hufes. Vielmehr habe das Pferd unter anderen degenerativen Krankheitssymptomen gelitten, die für die Lahmheit verantwortlich seien (wird ausgeführt, Seite 2 des Schriftsatzes vom 25.10.2011, Bl. 272 GA). Eine Huflederhautverletzung habe er B jedenfalls nicht beigebracht.
17Mit Schriftsatz vom 29.12.2011 (Bl. 300 ff. GA) hat der Beklagte behauptet, zu einer Verletzung der Huflederhaut des Pferdes (Vernagelung) sei es nicht gekommen. Zudem sei der Huf auch nur „geringfügig zu stark eingekürzt“ worden. Das Pferd habe auch keinen Tropfen Blut vergossen, so dass ein Vernageln ausscheide. Das Pferd habe jedenfalls schon vor seiner Behandlung an Erkrankungen gelitten.
18Der Beklagte ist daher der Ansicht, für die Lahmheit des Pferdes dem Kläger gegenüber nicht zu haften. Es sei jedenfalls nicht erweislich, dass die Lahmheit auf seine Behandlung zurückzuführen sei. Eine Beweislastumkehr scheide aus.
19Das Landgericht hat mit Beschlüssen vom 16.02.2011 (Bl. 168 GA), 06.04.2011 (Bl. 177 GA) sowie 20.04.2011 (Bl. 184 GA) die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch den Sachverständigen Dr. C3 zur Frage der Lahmheit des Pferdes sowie zu den Ursachen derselben und dem Wert des Pferdes (durch Beiziehung von Frau Dr. C3) angeordnet. Der Sachverständige hat sodann unter dem 07.10.2011 ein Sachverständigengutachten vorgelegt. Mit weiterem Beschluss vom 01.02.2012 (Bl. 309 f. GA) hat das Landgericht die Anhörung des Sachverständigen zu seinem Gutachten sowie die Vernehmung des Zeugen M zum Zustand des Pferdes B vor dem 05.08.2009 angeordnet. Der Sachverständige sowie der Zeuge M sind vom Landgericht mit Verfügung vom 05.06.2012 zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 23.07.2012 (Ladungsverfügung, Bl. 347 f. GA, Postzustellungsurkunde vom 12.06.2012, Bl. 352 GA) geladen worden.
20Der Sachverständige Dr. C3 ist im Termin zur mündlichen Verhandlung erschienen und zu seinem Gutachten angehört worden (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.07.2012, Bl. 359 ff. GA). Hingegen ist der Zeuge Dr. M nicht erschienen, jedenfalls im Protokoll der mündlichen Verhandlung nicht als erschienen aufgeführt. Auch ansonsten findet der Zeuge Dr. M im Protokoll keine Erwähnung. Zum Ende der mündlichen Verhandlung hat das Landgericht Termin zur Verkündung einer Entscheidung anberaumt.
21Im Verkündungstermin hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass im Anschluss an das gerichtlich eingeholte Gutachten von Herrn Dr. C3 und seine mündliche Anhörung nicht feststehe, dass die Behandlung des Beklagten für die Lahmheit des Pferdes verantwortlich sei. Die Beweislast dafür, dass der Beklagte den Schaden verursacht habe, liege beim Kläger, so dass er letztlich beweisfällig geblieben sei. Den Tierarzt Dr. M habe es zu der Frage des Gesundheitszustandes vor der Behandlung durch den Beklagten nicht als Zeuge vernehmen müssen, weil der Kläger auf die Einvernahme des Zeugen konkludent verzichtet habe. Er habe nämlich – so wie der Beklagte auch – auf eine Entscheidung gedrängt. Zudem habe der Sachverständige Dr. C3 erklärt, dass es nur schwer möglich sei, wissenschaftliche Erörterungen zu nicht vorliegenden und zudem alten Röntgenbildern zu führen.
22Gegen das Urteil des Landgerichts wendet sich der Kläger mit der Berufung.
23Zur Begründung führt er aus, dass das Urteil schon deshalb fehlerhaft sei, weil das Landgericht den Zeugen Dr. M nicht vernommen habe. Er habe auf den Zeugen Dr. M (und auch auf weitere Zeugen) nicht, auch nicht konkludent verzichtet. Zudem sei das Landgericht hinsichtlich des Vernagelns von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen. Die Haftpflichtversicherung des Beklagten habe den Schaden durch die Zahlung von Euro 10.000,00 anerkannt. Die zeitliche Enge zwischen Behandlung und Lahmheit habe zu einer Beweislastumkehr geführt; außerdem liege auch ein Anscheinsbeweis vor.
24Der Kläger beantragt,
25das am 15.08.2012 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen (11 O 368/10) einschließlich des ihm zugrunde liegenden Verfahrens aufzuheben und die Sache an das Landgericht Aachen zurückzuverweisen;
26hilfsweise
27das am 15.08.2012 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen (11 O 368/10) abzuändern und den Beklagten nach den erstinstanzlichen Schlussanträgen des Klägers zu verurteilen.
28Der Beklagte beantragt,
29die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
30Der Beklagte verteidigt das Urteil. Zudem behauptet er, dass Röntgenbilder aus den Jahren 2003 bis 2005 aufgefunden worden seien. Aus diesen ergebe sich, dass B schon damals in die Röntgenklasse III habe eingestuft werden müssen, was zur Folge habe, dass es am Markt nur schwerlich veräußerbar sei. Den Bildern lasse sich entnehmen, dass das Pferd schon in dieser Zeit an degenerativen Veränderungen des Bewegungsapparates gelitten habe.
31Soweit er das Vernageln Bs in der Klageerwiderung zunächst unstreitig gestellt habe, habe es sich um einen Irrtum seiner Bevollmächtigten gehandelt, der darauf zurückzuführen sei, dass das Mandat ursprünglich von seiner Haftpflichtversicherung seinen Bevollmächtigten angetragen worden sei und es bei der Durchsicht der Akte keinen Anhaltspunkt dafür gegeben habe, dass es nicht zu einem Vernageln gekommen sei. Das sei erst später offenbar geworden.
32Auf den gesamten Akteninhalt einschließlich gewechselter Schriftsätze nebst Anlagen wird verwiesen.
33- II
A. Die zulässige Berufung führt auf den Hauptantrag des Klägers unter Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und des Verfahrens zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
351. Das Verfahren des Landgerichts leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne einer mangelhaften Tatsachenfeststellung (vgl. hierzu näher Zöller/Heßler, ZPO, 29. Auflage 2012, § 538 Rn. 25). Zudem liegt auch eine Überraschungsentscheidung vor.
36a. Zunächst hat das Landgericht die Tatsachen des Falles mangelhaft festgestellt, da es die Klage nicht hätte abweisen dürfen, bevor es nicht den vom Kläger für den Zustand des Pferdes B vor dem Beschneiden und Beschlagen durch den Beklagten benannten Zeugen Dr. M vernommen hat. Denn das Landgericht hat die Klageabweisung damit begründet, dass nicht habe festgestellt werden können, dass die Lahmheit Bs auf die Behandlung durch den Beklagten beim Beschneiden und Beschlagen zurückzuführen sei, so dass der insofern beweisbelastete Kläger den entsprechenden Kausalitätsbeweis nicht habe führen können.
37Der Kläger hat den Zeugen Dr. M gerade für diesen Ursachenzusammenhang zwischen Behandlung durch den Beklagten und Lahmheit benannt, da der Zeuge Dr. M über den Zustand Bs vor der Behandlung durch den Beklagten berichten sollte. Wenn der Zustand Bs kurz vor der Behandlung unauffällig gewesen wäre bzw. ist, hätten hieraus auch Schlüsse auf den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlung durch den Beklagten und anschließender Lahmheit gezogen werden können. Das gilt umso mehr, als es sich bei dem Zeugen Dr. M um den Tierarzt gehandelt hat, der B seit November 2006 routinemäßig untersucht hat, so dass seine Aussagen über den Zustand des Pferdes schon wegen seiner fachlichen Expertise von erheblicher Aussagekraft gewesen wären bzw. hätten sein können.
38All dies hat das Landgericht dem Grunde nach offenbar zunächst auch selbst so eingeschätzt, als es mit Beweisbeschluss vom 01.02.2012 (Bl. 306 ff. GA) Beweiserhebung durch Vernehmung des Zeugen Dr. M zum Zustand Bs vor der Behandlung durch den Beklagten angeordnet und den Zeugen auch zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 23.07.2012 geladen hat.
39Der wesentliche Verfahrensfehler liegt darin begründet, dass das Landgericht – nachdem der Zeuge Dr. M im Termin zur mündlichen Verhandlung am 23.07.2012 nicht erschienen war – keinen neuen Termin zur Vernehmung des Zeugen anberaumt hat, sondern auf den im Termin anberaumten Verkündungstermin ein Urteil verkündet hat.
40Soweit das Landgericht das Übergehen dieses Beweisangebots durch den Kläger im Urteil mit einem konkludent erklärten Verzicht des Klägers auf diesen Zeugen begründet hat, ist das rechtsfehlerhaft. Ein konkludenter Verzicht auf einen benannten Zeugen ist zwar möglich und zulässig, aber nur unter engen Voraussetzungen, die hier nicht vorliegen. Ein stillschweigender Verzicht kommt dann in Betracht, wenn nach entsprechender Fragestellung des Gerichts vernünftigerweise nicht mehr zu erwarten ist, dass die Partei noch an ihrem Beweisantrag festhält (BGH, Urt. v. 14.07.1987, -IX ZR 13/87-, zitiert nach beck-online). Weder die bloße Nichtverlesung eines schriftlichen Beweisantrages noch ein Stillschweigen bei noch ausstehender Beweisaufnahme kann als Verzicht behandelt werden (BGH, a.a.O.).
41Soweit das Landgericht vorliegend darauf abgestellt hat, dass beide Parteien zum Ausdruck gebracht hätten, dass sie nun eine streitige Entscheidung wünschten, begründet das einen konkludenten Verzicht auf den Zeugen durch den Kläger nicht. Zunächst ist es regelmäßig so, dass den Parteien an einer zeitlich stringenten Prozessführung gelegen ist, so dass aus dem Wunsch, dass der Rechtsstreit einer baldigen Urteilsfindung zugeführt werde, nichts prozessuales abgeleitet werden kann und schon gar kein „konkludent“ erklärter Verzicht auf die Einvernahme eines Zeugen. Dabei ist auch zu bedenken, dass es schon zynisch anmutet, zu unterstellen, dass dem Kläger auch dann an einer raschen Prozessbeendigung gelegen sei, wenn diese nur dadurch erzielt werden kann, dass die Klage abgewiesen wird. Nicht anders kann die Begründung des Landgerichts verstanden werden, wenn es im Sinne einer alsbaldigen Prozessbeendigung einen konkludent erklärten Verzicht seitens des Klägers auf die Einvernahme eines Zeugen annimmt, der genau für den Beweis des Umstands genannt ist, auf dessen Fehlen dann die Klageabweisung gestützt wird.
42b. Zudem handelt es sich auch um eine Überraschungsentscheidung, da der Kläger nicht davon hat ausgehen können, dass die Klage ohne Einvernahme des Zeugen Dr. M abgewiesen wird, obgleich dieser Zeuge für den streitentscheidenden Umstand benannt war und auch Gegenstand eines Beweisbeschlusses gewesen ist, den das Gericht nicht aufgehoben hat.
432. Darüber hinaus wird aufgrund des wesentlichen Verfahrensmangels auch eine umfangreiche Beweisaufnahme im Sinne des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO notwendig werden. Zum einen wird der Zeuge Dr. M zu vernehmen sein. Zudem wird auch im Falle der Annahme eines Anscheinsbeweises (dazu im Weiteren mehr) u.U. ergänzende Beweiserhebung zum Wert des Pferdes nach der streitgegenständlichen Behandlung erforderlich, nachdem B inzwischen eingeschläfert worden ist, so dass Beweiserhebungen aufgrund des Untergangs des Beweisobjekts deswegen erschwert sind, weil keine körperlichen Untersuchungen mehr durchgeführt werden können.
44B. Für den weiteren Verfahrensablauf ist Folgendes zu beachten:
451. Dem Kläger kann gegen den Beklagten ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 631, 633 Abs. 2 Nr. 2, 634 Nr. 4, 636, 280 Abs. 1 BGB dem Grunde nach zustehen.
46a. Zwischen den Parteien ist ein Vertrag über eine Beschneidung und Beschlagung des Pferdes B des Klägers durch den Beklagten, der als Hufschmied tätig ist, zustande gekommen. Bei einem solchen Vertrag, der das Beschneiden und Beschlagen der Hufe zum Inhalt hat, handelt es sich regelmäßig um einen Werkvertrag (OLG Frankfurt, Urt. v. 27.04.2007, -19 U 47/06-, zitiert nach juris).
47b. Zudem ist auch von einem Sachmangel im Sinne des § 633 Abs. 2 Nr. 2 BGB auszugehen. Im Anschluss an das geschuldete Beschlagen und Beschneiden durch den Beklagten hat das Pferd des Klägers gelahmt. Es war nach der Behandlung durch den Beklagten – inzwischen ist es tot – für die gewöhnliche Verwendung als Springpferd nicht mehr geeignet (§ 633 Abs. 2 Nr. 2 BGB), wie der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten festgestellt hat, im Übrigen aber auch nicht streitig ist.
48c. Der Beklagte hat auch eine Pflichtverletzung im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB begangen.
49(1) Eine Pflichtverletzung des Beklagten ist zunächst darin zu sehen, dass er – was zwischen den Parteien nicht streitig ist – den Huf des Pferdes zu stark eingekürzt hat. Soweit der Beklagte diesbezüglich seinen Vortrag hinsichtlich des Einkürzens immer weiter abgeschwächt hat (zunächst: stark eingekürzt, dann: geringfügig zu stark eingekürzt, dann: nur ganz geringfügig zu viel gekürzt) ist das letztlich nicht ausschlaggebend, da die Pflichtverletzung als solche nicht bestritten wird.
50(2) Weiter spricht Vieles dafür, dass der Beklagte das Pferd vernagelt und damit eine weitere Pflichtverletzung begangen hat.
51Dem gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. C3 zufolge bezeichnet man jede Verletzung der Lederhaut oder Hufbeins beim Beschlagen durch einen Nagel als Vernagelung (Seite 11 des Gutachtens, Bl. 221 GA). Als typische Folge solcher Verletzungen kommen Lahmgehen sowie starke Entzündung mit Eiterbildung in Betracht (Wikipedia Stichwort: „Vernageln“).
52Unter Berücksichtigung des bisherigen Prozessverhaltens des Beklagten spricht Vieles dafür, dass er B vernagelt hat. In der Klageerwiderung hat er ausdrücklich erklärt, dass er den Huf des rechten Vorderbeines Bs nicht nur stark eingekürzt, sondern auch vernagelt habe. Zwar liegt entgegen der Auffassung des Klägers kein „Geständnis“ im Sinne des § 288 ZPO vor, da hierfür Voraussetzung ist, dass mit dieser Erklärung mündlich verhandelt worden ist, § 288 Abs. 1 ZPO, was nicht der Fall ist, weil vor erster mündlicher Verhandlung der Beklagte mit Schriftsatz vom 25.10.2011 eine Vernagelung ausdrücklich bestritten hat. Allerdings handelt es sich bei dem späteren Bestreiten einer Vernagelung durch den Beklagten mit Schriftsatz vom 25.10.2011 um widersprüchlichen Sachvortrag. Denn – wie ausgeführt – hatte der Beklagte in der Klageerwiderung eine Vernagelung Bs noch eingeräumt. Sich mit vorhergehendem Vortrag in Widerspruch setzendes neues Vorbringen ist jedenfalls in der Regel dann nicht zu berücksichtigen, wenn der Widerspruch nicht aufgeklärt wird. Das Landgericht wird sich – sollte es darauf ankommen – mit der nunmehr im Schriftsatz vom 17.07.2013 erstmals aufgestellten Behauptung des Beklagten auseinanderzusetzen haben, dass seine Bevollmächtigten die Akte vom Haftpflichtversicherer übermittelt erhalten hätten und es bei der Durchsicht derselben keine Anhaltspunkte dafür gegeben habe, dass es nicht zu einem Vernageln Bs gekommen sei, so dass es zu dem entsprechenden Vortrag in der Klageerwiderung gekommen sei. Dabei wird das Landgericht bei der kritischen Würdigung dieses Vortrags (vgl. zur Einordnung widersprüchlichen Sachvortrags BGH, Urt. v. 13.03.2012, -II ZR 50/09-, zitiert nach juris) auch zu berücksichtigen haben, dass der Beklagte diesen Vortrag erstmals in der Berufungsinstanz gebracht hat und nicht bereits früher.
53d. Die festgestellten Pflichtverletzungen hätte der Beklagte auch zu vertreten. Das Verschulden wird gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet. Entlastendes hat der Beklagte nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich.
54e. Entscheidend wird die Beantwortung der Frage sein, ob auch vom Vorliegen der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden (haftungsbegründenden Kausalität) auszugehen ist. Dabei wird das Landgericht auch zu prüfen haben, ob dem Kläger der Beweis des ersten Anscheins zugutekommt.
55(1) Grundsätzlich trägt zwar der Gläubiger die Beweislast für die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden (Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Auflage 2013, § 280 Rn. 38), also der Kläger. Beweiserleichterungen bis hin zu einer Beweislastumkehr kommen allerdings bei groben Behandlungsfehlern in Betracht (OLG Hamm, Urt. v. 03.12.2003, -3 U 108/02-; OLG Koblenz, Urt. v. 05.08.2004, -5 U 250/04-, beide zitiert nach juris).
56Im vorliegenden Fall kommt die Annahme eines Anscheinsbeweises in Betracht. Voraussetzung seiner Anwendung ist ein sog. typischer Geschehensablauf, also ein sich aus der Lebenserfahrung bestätigender gleichförmiger Vorgang, durch dessen Typizität es sich erübrigt, die tatsächlichen Einzelumstände eines bestimmten historischen Geschehens nachzuweisen (Prütting in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl. 2013, § 286 Rn. 48).
57Das Oberlandesgericht Köln hat bereits angenommen, dass ein festgestelltes Vernageln nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises als Schadensursache feststehe, auch wenn ein Materialfehler des Nagels in Betracht komme (Urt. v. 04.10.1989, -13 U 88/89-, zitiert nach juris).
58Auch in der vorliegenden Konstellation ist das Vorliegen eines Anscheinsbeweises zwischen Pflichtverletzung des Beklagten (zu starkes Einkürzen des Hufs und u.U. Vernageln) sowie Schaden (Springuntauglichkeit) durchaus naheliegend. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls lässt der vorliegende Geschehensablauf darauf schließen, dass Ursache für die Springuntauglichkeit die Pflichtverletzungen des Beklagten waren. Denn es ist nicht streitig, dass B noch am 02.08.2009 bei einem Springturnier der schweren Klasse S mit drei Sternen angetreten und eine Platzierung ersprungen hat (Platz 6). Ebenso unwidersprochen hat der Kläger vorgetragen, dass B im Rahmen dieses Turniers schon aufgrund der Regularien der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (auf Lahmheit hin) untersucht worden ist und Startverbot erteilt worden wäre, hätte es körperliche Auffälligkeiten gegeben, was aber nicht der Fall war. Schon aufgrund dieser zeitlich Nähe zwischen einer Untersuchung Bs im Rahmen des Springturniers und der nur drei Tage später liegenden Beschneidung und Beschlagung durch den Beklagten liegt es nahe, dass dessen pflichtverletzende Handlungen zu der ab dann vorliegenden Lahmheit Bs geführt haben. Hinsichtlich des Zustandes Bs vor der Behandlung wird auch der durch das Landgericht übergangene Zeuge Dr. M zu vernehmen sein.
59(2) Im Falle des Vorliegens eines Anscheinsbeweises müsste danach der Beklagte den vermuteten Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden entkräften, wobei insoweit das Gutachten Dr. C3 vom 07.10.2011 (Bl. 211 ff. GA) zu Rate zu ziehen wäre. Dabei ist allerdings zweifelhaft, ob mithilfe dieses Gutachtens eine Entkräftung des Anscheinsbeweises möglich erscheint. Gegebenenfalls wird der Sachverständige noch einmal ergänzend anzuhören sein.
60f. Sollte danach dem Grunde nach eine Haftung des Beklagten feststehen, ist für die Höhe des Schadensersatzes der Wert des Pferdes vor und nach der Behandlung zu ermitteln. Dabei wird auf das Sachverständigengutachten C3 vom 07.10.2011 zurückzugreifen sein. Ob sich der – bislang nicht bekannte – Grund für die Einschläferung Bs am 12.01.2013 auf den durch die Sachverständige Dr. C3 ermittelten Wert vor der Behandlung (Euro 186.000,00) niederschlägt, ist gegebenenfalls zu ermitteln.
612. Weiter kommt auch eine Haftung des Beklagten nach § 823 Abs. 1 BGB in Betracht.
62C. Das Landgericht hat auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden. Von einer Erhebung der gerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens ist nicht abzusehen, da der Verstoß des Landgerichts nicht so offensichtlich schwer wiegt, dass er eine Anwendung des § 21 GKG rechtfertigen würde (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 26.09.2002, -III ZR 165/96-, zitiert nach juris).
63D. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO. Auch wenn das Urteil selbst keinen vollstreckungsfähigen Inhalt im eigentlichen Sinn aufweist, ist die Entscheidung nach richtiger Auffassung (OLG München, Urt. v. 18.09.2002, -27 U 1011/11-, zitiert nach juris; Zöller/Heßler, a.a.O. § 538 Rn. 59) deshalb für vorläufig vollstreckbar zu erklären, da das Vollstreckungsorgan die Vollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil erst einstellen und bereits getroffene Vollstreckungsmaßregeln erst aufheben darf, wenn eine vollstreckbare Ausfertigung vorgelegt wird, wie sich aus §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO ergibt. Einer Abwendungsbefugnis bedarf es insoweit freilich nicht (OLG München, Urt. v. 29.07.2011, -10 U 425/11-, zitiert nach juris).
64E. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt. Weder hat die Rechtssache über die Rechtsanwendung im Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).
65Streitwert: Euro 350.000,00
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