Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - 5 U 57/14
Tenor
Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 12.3.2014 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 9 O 4/13 - gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Hinweis innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
G r ü n d e:
1I.
2Die Berufung des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil nach den gemäß § 529 Abs. 1 ZPO maßgeblichen Feststellungen dem Kläger keine Ansprüche aus der streitigen Behandlung gegen die Beklagten zustehen. Es ist nicht ersichtlich, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 und 2 ZPO).
3Zu Recht und mit überzeugender Begründung, die der Senat sich zu Eigenmacht, ist die Kammer davon ausgegangen, dass der Kläger den ihm obliegenden Nachweis eines behandlungsfehlerhaften Vorgehens nicht geführt habe. Das Landgericht hat es dabei auch nicht etwa verfahrensfehlerhaft unterlassen, den Kläger zur Frage der Einzelheiten des Behandlungsgeschehens anzuhören oder als Partei zu vernehmen, um die Widersprüche in der Darstellung der Parteien aufzulösen und dem Sachverständigen zur Beurteilung des Geschehens präzisere Anknüpfungstatsachen an die Hand zugeben. Anders, als der Kläger meint, gebieten es weder der Grundsatz des fairen Verfahrens noch Art. 6 EMRK, dass eine Partei mangels sonstiger Beweismittel zu einem medizinischen Behandlungsgeschehen anzuhören ist. Der Beweis, dass der Arzt den fachmedizinischen Standard unterschritten und damit einen Behandlungsfehler begangen hat, der grundsätzlich dem klagenden Patienten obliegt, wird regelmäßig durch Sachverständige erbracht, die das Behandlungsgeschehen anhand der ärztlichen Dokumentation nachvollziehen. Die Dokumentation wiederum bestimmt sich nach rein medizinischen Notwendigkeiten, die ihrerseits sachverständiger Überprüfung zugänglich sind. Auf die Dokumentation können sich sowohl Patient als auch Behandler zu ihren Gunsten berufen: was nicht dokumentiert ist, aber hätte dokumentiert werden müssen, gilt als nicht geschehen; umgekehrt ist einer zeitnahen und vollständigen, äußerlich unverdächtigen ärztlichen Dokumentation grundsätzlich Glauben zu schenken. Aussagen von Zeugen und gegebenenfalls von Parteien sind nur einzuholen, wenn die Dokumentation Lücken aufweist oder der Richtigkeit der Dokumentation substanziiert widersprochen wird. Im Hinblick auf die Parteivernehmung ist dabei auch die Wertung der ZPO als subsidiäres Beweismittel zu berücksichtigen, das nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen in Betracht kommt (§§ 447, 448 ZPO).
4Eine Anhörung des Klägers war im vorliegenden Fall von vornherein nicht geeignet, dem Sachverständigen eine verlässlichere Beurteilungsgrundlage zu verschaffen und sie war verfahrensrechtlich unter keinem Gesichtspunkt geboten. Der Kläger sieht den Widerspruch zwischen seiner Darstellung und derjenigen des Beklagten vor allem darin, dass der Beklagte zu 1) einen Zug im Nacken nach vorne durchgeführt habe, während der Beklagte im einzelnen darlegt hat, dass er eine Kraft nur im Hinblick auf die Brustwirbelsäule und nur in Richtung zum Boden hin entfaltet habe, wobei er die Etagen oberhalb der Brustwirbelsäule fixiert habe. Der Kläger schildert hier Empfindungen, die einer Verobjektivierung kaum zugänglich sind, keine wirklichen Beobachtungen – die Situation ist eine grundlegend andere als sie etwa wäre, wenn es um die Frage ginge, was im Rahmen eines Aufklärungsgespräches gesagt wurde. Dass er eine Fixierung der Etagen oberhalb der Brustwirbelsäule, also im Nackenbereich, als einen Zug im Nacken in Richtung nach vorne empfunden hat, während sich die eigentliche chirotherapeutische Behandlung, das Lösen von Blockaden der Wirbel, in Wahrheit etwas tiefer abspielte (möglicherweise unbemerkt durch den Kläger) liegt nahe und ließe sich auch bei noch so glaubwürdiger Schilderung durch den Kläger im Rahmen einer persönlichen Befragung nicht sicher ausschließen. Es kommt hinzu, dass der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten keineswegs die Darstellung des Klägers ignoriert hat. Er hat sie vielmehr gesehen und wiedergegeben, aber bezeichnenderweise keinen relevanten Widerspruch zu der Darstellung des Klägers gesehen. Er hat ausgeführt, dass mit dem „Nackenzug“ ausschließlich eine Behandlung der Brustwirbelsäule durchgeführt worden sei, wo auch die geklagten Beschwerden verortet gewesen seien. Er hat ferner ausgeführt (insbesondere im Rahmen der mündlichen Erläuterungen), dass die Kribbelparästhesien mit der Behandlung nichts zu tun hätten und dass es auszuschließen sei, dass die auf degenerativen Vorschäden beruhenden Bandscheibenvorfälle durch die Behandlung hervorgerufen worden seien, was bedeutet, dass die vom Kläger gezogenen Schlüsse aus fachlicher Sicht auch nicht plausibel sind. Unter diesen Umständen wäre für eine Parteivernehmung des Klägers weder nach § 447 ZPO (eine Einwilligung des Gegners liegt nicht vor) noch nach § 448 ZPO Raum (einiger Beweis für die Richtigkeit seiner Darstellung ist weder erbracht noch zu erbringen).
5Die Dokumentation des Behandlungsablaufes entspricht nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen dem Üblichen, unabhängig davon, dass es sich um einen vom EDV-Programm vorgegebenen Textblock handeln mag. Entscheidend ist nur, dass der Sachverständige auf der Grundklage dieser Dokumentation sich in der Lage sah, dass Behandlungsgeschehen zu rekonstruieren. Weitergehendes war offensichtlich aus medizinischen Gründen nicht geboten.
6Auf dieser ausreichenden Tatsachenbasis hat der Sachverständige das Vorgehen des Beklagten zu 1) in einer auch den Senat in jeder Hinsicht überzeugenden Weise als lege artis angesehen. Der Senat schließt sich hinsichtlich der Würdigung des Gutachtens dem Landgericht uneingeschränkt an.
7Dies gilt auch für die Frage ausreichender diagnostischer Abklärung vor Beginn der chirotherapeutischen Maßnahme. Die vom Beklagten vorgenommene Röntgenuntersuchung war ohne weiteres ausreichend und eine MRT-Untersuchung angesichts der geschilderten Beschwerden und angesichts der Tatsache, dass sich aus den Röntgenbildern keinerlei Anhaltspunkte für weitergehende Untersuchungen ergaben, nicht veranlasst. Diese Feststellungen des Sachverständigen leuchten ohne weiteres ein und entsprechen den vielfältigen Erfahrungen des Senates aus anderen Verfahren. Ferner hat der Beklagte zu 1) ausweislich seiner Dokumentation eine allgemeine neurologische Untersuchung durchgeführt, während eine speziellere neurologische Untersuchung nicht veranlasst war. Kontraindikationen für die chirotherapeutische Maßnahme ergaben sich danach nicht. Von einem groben Fehler insoweit kann ersichtlich keine Rede sein.
8Dahinstehen kann, ob der Kläger über mögliche Risiken der chirotherapeutischen Maßnahme in ausreichender Weise aufgeklärt wurde. Er kann nicht beweisen, dass diese Maßnahme, selbst wenn sie wegen unzulänglicher Aufklärung rechtswidrig gewesen wäre, ihn in irgendeiner Weise gesundheitlich geschädigt hat. Der Kausalitätsbeweis obliegt ihm in vollem Umfang, Beweiserleichterungen stehen ihm nicht zur Verfügung. Der Sachverständige kann aber nicht einmal für die nach Darstellung des Klägers in Zeitnähe zum Behandlungsgeschehen aufgetretenen Kribbelparästhesien und Taubheitsgefühle einen Zusammenhang erkennen, geschweige denn, ihn als sicher annehmen. Für völlig ausgeschlossen hält der Sachverständige, dass die Wochen später festgestellten Bandscheibenvorfälle im Bereich der Halswirbelsäule (von denen nur einer symptomatisch war) durch eine chirotherapeutische Maßnahme verursacht worden sein können. Auf die Frage, ob ein in einem vorformulierten Textblock enthaltener Hinweis auf eine durchgeführte Aufklärung „über die Risiken“ der Maßnahme geeignet ist, den Nachweis ordnungsgemäßer Aufklärung zu erbringen (was der Senat durchaus bezweifelt), kommt es damit nicht an.
9II.
10Bei dieser Sachlage gibt die Berufung zu einer Abänderung des angefochtenen Urteils insgesamt keine Veranlassung. Die Rechtssache hat keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung (§ 522 Abs. 2 Nr. 3 ZPO); eine mündliche Verhandlung erscheint unter Berücksichtigung aller weiteren Aspekte des Rechtsstreites auch aus sonstigen Gründen nicht geboten (§ 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO).
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Referenzen
- 9 O 4/13 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 529 Prüfungsumfang des Berufungsgerichts 2x
- ZPO § 546 Begriff der Rechtsverletzung 1x
- ZPO § 513 Berufungsgründe 1x
- ZPO § 447 Vernehmung der beweispflichtigen Partei auf Antrag 2x
- ZPO § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss 4x
- ZPO § 448 Vernehmung von Amts wegen 2x