Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 6 U 20/09

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Mosbach vom 23. Januar 2009 - 2 O 206/07 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

 
I.
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Der Kläger ist Eigentümer der Grundstücke Flurstück Nr. 37, 38, 46 und 50 in N., die Beklagten sind Miteigentümer des Grundstücks Flurstück Nr. 35. Die genaue Lage des Grundstücks der Beklagten ergibt sich aus der Anlage K 1. Die Beklagten entwässern das Dach- und Oberflächenwasser ihrer auf dem Grundstück befindlichen Gebäude durch eine Rohrleitung, die über die Grundstücke des Klägers (Flurstück Nr. 38 und Nr. 46) und anschließend über drei weitere Grundstücke führt. Diese Leitung wurde in den 40er Jahren gebaut und in den 60er Jahren im Bereich des Grundstücks 3724 an das öffentliche Kanalnetz in der B. Straße angeschlossen. Im Jahr 1947 erklärte sich der Großvater des Klägers gegenüber den Rechtsvorgängern der Beklagten mündlich mit dem Bau der Leitung und der Entwässerung des auf dem Grundstück der Beklagten gelegenen Gewölbekellers einverstanden. Zu dieser Zeit gab es keinen öffentlichen Abwasserkanal in der Hauptstraße, an der das Grundstück der Beklagten liegt. Erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde dieser gebaut. In den 90er Jahren errichteten die Beklagten über dem Gewölbekeller ein neues Gebäude. Die Dachentwässerung dieses Gebäudes sowie die Dachentwässerung einiger landwirtschaftlichen Nebengebäude und die Ableitung des Oberflächenwassers erfolgt seither ebenfalls durch die über das Grundstück des Klägers geführte Leitung. Soweit Straßenarbeiten zu einer Unterbrechung des Anschlusses des Kanals im Bereich des Grundstücks 3724 geführt hatten wurde dies im Juni 2008 im Auftrag der Gemeinde behoben.
Auf dem Flurstück Nr. 46 des Klägers liegt das Abwasserrohr dicht unter der Oberfläche. An einer Stelle im Grenzbereich zwischen Flurstück 46 und Flurstück 3729 (eingezeichnet in Anlage K 1) läuft Wasser aus. Der Kläger genehmigt eine Instandsetzung durch die Beklagten nicht, sondern begehrt mit der vorliegenden Klage Unterlassung der Ableitung des auf dem Grundstück der Beklagten anfallenden Wassers über sein Grundstück.
Der Kläger trägt vor, die Voraussetzungen für ein Notleitungsrecht lägen nicht vor. Zum einen sei die Genehmigung beschränkt gewesen auf die Entwässerung des Gewölbekellers, in dem heute kein Wasser mehr anfalle, zum anderen seien die Beklagten seit Verlegung der öffentlichen Kanalisation in der Hauptstraße in der Lage, mit geringem Aufwand, z. B. durch eine Pumpe, das anfallende Dach- und Oberflächenwasser über ihr eigenes Grundstück zu entwässern. Im Übrigen komme eine Duldungspflicht nicht in Betracht, da sein Grundstück auch zum Zeitpunkt der Errichtung der Leitungen im Ortsbereich gelegen und bebaubar gewesen sei. Auf Abstandsflächen sei damals nicht geachtet worden. Im Übrigen könne er ohne Einhaltung von Abstandsflächen auf den Grundstücken Flurstück Nr. 38 und 46 bauen, da er auch Eigentümer des Flurstücks Nr. 50 sei. Den Beklagten stünde entgegen ihrer Behauptung keine Überbaurente zu. Zwar bestehe jedenfalls im Hinblick auf die Dachrinnen ein Überbau. Dieser sei mit 12 cm jedoch unerheblich und führe zu keiner Beeinträchtigung des Grundstücks der Beklagten. Im Übrigen handele es sich bei dem behaupteten Überbau des 1774 errichteten Wohngebäudes um einen Abmarkungsfehler bei der Trennung der benachbarten Grundstücke Flurstück Nr. 37 und 35.
Der Kläger hat in erster Instanz die Duldung bestimmter Handlungen zum Zwecke der Sanierung seiner Dachrinnen sowie Unterlassung der Ableitung des auf dem Grundstück der Beklagten anfallenden Wassers über sein Grundstück beantragt. Ferner hat er die Feststellung begehrt, dass den Beklagten aus dem Überbau des Werkstattgebäudes und des Wohnhauses gegen den Kläger keine Rechte zustehen.
Die Beklagten haben die Duldungsansprüche anerkannt und im Übrigen Klageabweisung beantragt. Die Beklagten tragen vor, ein Unterlassungsanspruch des Klägers bestehe im Hinblick auf das ihnen zustehende Notleitungsrecht nicht. Entgegen der Ansicht des Klägers seien die Grundstücke im Bereich des Leitungsverlaufs aufgrund der einschlägigen Abstandsflächenregelung nicht bebaubar. Die Untersuchung eines Rohrreinigungsunternehmens habe am 23. November 2007 ergeben, dass die Leitung nach dem Durchspülen frei sei. Ein erneutes Durchspülen am 08. April 2008 habe eine Verstopfung beseitigt. Die Leitung weise in einem Teilbereich durch Absacken der Betonrohre einen gewissen Versatz auf. Soweit der Kläger behaupte, im Bereich seines Grundstücks trete bei Regenfällen immer noch Wasser auf, verhalte er sich widersprüchlich und treuwidrig. Er könne nicht einerseits den Zustand der Leitung beanstanden und andererseits durch die Untersagung, sein Grundstück zu betreten, eine Überprüfung und Reparatur verhindern. Der negative Feststellungsantrag sei jedenfalls deshalb abzuweisen, da abgesehen von den Dachrinnen in diesem Umfang auch ein Überbau des klägerischen Werkstattgebäudes, des Wohnhauses und der alten Werkstatt auf das Grundstück der Beklagten vorliege.
Das Landgericht hat Teilanerkenntnisurteil hinsichtlich der anerkannten Duldungspflichten erlassen und im Übrigen Beweis durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zur Frage des Verlaufs der Abwasserleitung, der Abstandsflächen und der Überbauten erhoben. Auf das Sachverständigengutachten vom 07.10.2008 (AS. I 449 ff.) wird verwiesen. Mit Endurteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu, da er nach § 7 e NRG BW die Ableitung des auf dem Grundstück der Beklagten anfallenden Wassers durch die über das Grundstück des Klägers laufende Notleitung zu dulden habe. Es komme nicht darauf an, ob die ursprünglich bestehenden Voraussetzungen des Notleitungsrechts inzwischen weggefallen seien, da der spätere Wegfall der Voraussetzungen nichts an der Berechtigung und Zulässigkeit der Leitungsführung zu ändern vermöge. Zum Zeitpunkt des Baus der streitgegenständlichen Leitung im Jahr 1947 hätten die Rechtsvorgänger der Beklagten keine andere Möglichkeit gehabt, da es keinen öffentlichen Kanal in der Hauptstraße gegeben habe. Auch als der Anschluss über die Notleitung an die öffentliche Kanalisation in den 60er Jahren erfolgte, sei noch keine Möglichkeit für einen unmittelbaren Anschluss ohne Inanspruchnahme des Grundstücks des Klägers gegeben gewesen. Das Notleitungsrecht sei nicht dadurch erloschen, dass die Beklagten zu späteren Zeitpunkten weitere Ableitungen (Dach- und Hofentwässerung) an das Wasserrohr angeschlossen hätten, da dies zu keiner gesteigerten Inanspruchnahme des klägerischen Grundstücks geführt habe. Bebaubare Grundstücksteile würden von der Notleitung nicht in Anspruch genommen, da diese nach der Maßgabe der Badischen Landesbauordnung vom 01.09.1907 in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.07.1935 innerhalb der Abstandsflächen von mindestens 3,60 m liege. Nach den Feststellungen des Sachverständigen betrage der Abstand am Grenzpunkt ca. 87 cm. Der Einwand des Klägers, dass er auf die Abstandsflächen keine Rücksicht nehmen müsse, greife nicht, da Maßstab für die Beurteilung der Zeitpunkt der Herstellung der Leitungen im Jahr 1947 sei. Auch die negative Feststellungsklage sei unbegründet, weil den Beklagten dem Grunde nach ein Anspruch auf Überbaurente aus § 912 Abs. 2 BGB jedenfalls aus dem Überbau der Dachrinne der alten Werkstatt gegen den Kläger zustehe. Diese rage ca. 15 cm in den Luftraum des Grundstücks der Beklagten hinein. § 7 b NRG BW schließe diesen Anspruch nicht aus. Verjährung des Anspruchs sei nicht eingetreten.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er macht unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens geltend, den Beklagten stehe ein Notleitungsrecht nicht zu. Entgegen der angegriffenen Entscheidung sei nicht ausschließlich auf den Zeitpunkt der Herstellung der Leitung und des Anschlusses des begünstigten Grundstücks abzustellen. Bereits der Wortlaut der Gesetzes mache deutlich, dass der Kläger als Grundstückseigentümer die Einschränkung seiner Rechte nur so lange zu dulden habe, wie es zur Herstellung und zur Unterhaltung der Leitung notwendig sei. Außerdem sei das Notleitungsrecht seiner Entstehungsgeschichte nach auf das Notwegerecht des BGB zurückzuführen, das anerkanntermaßen erlösche, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorlägen. Im Übrigen müsse bei der Auslegung bedacht werden, dass es zum Zeitpunkt der Entstehung der Norm zahlreichere kleinere Grundstücke gegeben habe, die zwar an einen öffentlichen Weg, nicht aber zugleich an das öffentliche Leitungsnetz gegrenzt hätten. Der schwerwiegende Eingriff in das Eigentumsrecht sei nur gerechtfertigt, wenn die in § 7 e NRG genannten Voraussetzungen auch tatsächlich noch vorlägen. Jedenfalls könne dies nur solange gelten, so lange die Leitung nicht erneuert bzw. neu verlegt werden müsse. Dies sei hier der Fall. Die Leitung sei in vollem Umfang sanierungsbedürftig. Bei den vorhandenen Rohren handele es sich um 60 Jahre alte Nachkriegsware in entsprechend minderwertiger Qualität. Die Leitung liege nur wenige Zentimeter unter der Erdoberfläche und sei nicht frostsicher. Hinzu komme die jahrelange Einwirkung säurehaltiger Fäkalien aus der Schweinezucht der Eltern bzw. Schwiegereltern der Beklagten, was die Zerstörung der Rohre gefördert habe. Darüber hinaus trägt er erstmals in der Berufungsinstanz konkrete Bauabsichten vor. Er beabsichtige seine Werkstatt auf das ihm gehörende Grundstück Flurstück 50 zu erweitern. Hierzu müsse das bestehende Gebäude etwa 6 m in südlicher Richtung angebaut und in östliche Richtung eingerückt werden (Lageplanübersicht in Anlage K 4). Zu Unrecht habe das Landgericht den negativen Feststellungsantrag abgewiesen. Soweit ein geringfügiger Überstand von Dachrinnen bestehe, sei dieser entschädigungslos zu dulden, weil keine Beeinträchtigung des Grundstücks der Beklagten vorliege. Im Übrigen sei das Grundstück auch später abgemarkt worden, als ein Teil des Gebäudes schon gestanden habe.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagten unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Mosbach vom 23.01.2009, Az.: 2 O 206/07, zu verurteilen, bei Vermeidung eines für den Fall der Zuwiderhandlung festgesetzten Ordnungsgeldes, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, und für den Fall, dass dies nicht beigetrieben werden kann, von Ordnungshaft, deren Dauer in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die Ableitung des auf ihrem Grundstück in ... N., Hauptstraße ..., Flurstück Nr. 35, anfallenden Wassers über die Grundstücke des Klägers, Flurstücke Nr. 36, 37, 46, 50, Gemarkung N. zu unterlassen;
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2. unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wird festgestellt, dass den Beklagten aus einem Überbau des Werkstattgebäudes (Altbau) und des Wohnhauses (jeweils samt Dachrinne) des Klägers auf das Grundstück der Beklagten in ... N., Hauptstraße ..., Flurstück Nr. 35, keine Rechte gegen den Kläger zustehen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
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Die Beklagten tragen vor, das Notleitungsrecht bestehe auch dann fort, wenn zu einem späteren Zeitpunkt die Voraussetzungen für das Entstehen eines Notleitungsrechtes nicht mehr vorlägen. Die gesetzliche Regelung stelle ausdrücklich auf die Situation zum Zeitpunkt des Anschlusses ab. Die Situation des Notwegerechts sei nicht vergleichbar. Auch heute noch sei ein Anschluss aufgrund der Gelände- und Gefällesituation für den hinteren Grundstücksbereich nur mit Hebewerken möglich und würde umfangreiche Erdbewegungen und Abbrucharbeiten notwendig machen. Das Landgericht habe nicht festgestellt, dass eine Sanierung der Leitung unumgänglich sei. Soweit im Tatbestand auf eine dahingehende Auseinandersetzung Bezug genommen werde, beziehe sich das darauf, dass die Beklagten die Leitung zunächst freiwillig hätten umlegen wollen. Die vorübergehende Verstopfung sei lediglich eine technische Störung. Im Übrigen hätten die Beklagten mehrfach angeboten, die Beschädigung zu reparieren und die Leitungen in diesem Bereich tiefer zu legen. Dem habe der Kläger widersprochen, was treuwidrig und widersprüchlich sei. Die negative Feststellungsklage sei zu Recht abgewiesen.
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Auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen wird ergänzend ebenso Bezug genommen wie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 13. Januar 2010.
II.
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Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
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1. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu, da er gemäß § 7 e NRG BW den Anschluss des Grundstücks der Beklagten an die Abwasserleitung unter Benutzung seines Grundstücks zu dulden hat. Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass für die Beurteilung der Frage, ob ein Notleitungsrecht im Sinne des § 7 e NRG BW besteht, allein auf den Zeitpunkt der Herstellung der Leitung und des Anschlusses des begünstigten Grundstücks abzustellen ist, es also grundsätzlich unerheblich ist, ob es zu einem späteren Zeitpunkt dem Grundstückseigentümer möglich wird, sein Grundstück ohne Benutzung des fremden Grundstücks an eine Versorgungsleitung, eine Abwasserleitung oder einen Vorfluter anzuschließen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Anschluss des Grundstücks an die Abwasserleitung unter Benutzung des fremden Grundstücks zum damaligen Zeitpunkt rechtmäßig erfolgt ist. Dies war vorliegend der Fall.
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a) Zum Zeitpunkt des Anschlusses des Grundstücks der Beklagten an die Kanalisation in den sechziger Jahren bedurfte es zwingend der Benutzung des Grundstücks des Klägers bzw. dessen Rechtsvorgängers.
18 
Dabei ist unerheblich, ob der Anschluss der Abwasserleitung an die öffentliche Kanalisation in der B. Straße über das Grundstück des Klägers vor dem 01.01.1965 erfolgte oder danach. Jedenfalls erfolgte der Anschluss in den 60’er Jahren. Erfolgte der Anschluss vor dem 01.01.1965 so ergab sich die damalige Duldungsverpflichtung des Klägers bzw. dessen Rechtsvorgängers aus § 917 Ansatz 1 Satz 1 BGB analog. Nach § 917 BGB kann ein Eigentümer von den Nachbarn verlangen, dass sie bis zur Behebung des Mangels die Benutzung ihres Grundstücks zur Herstellung der erforderlichen Verbindung dulden, wenn einem Grundstück die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt. In ständiger Rechtsprechung wird diese Regelung - vorbehaltlich des Vorliegens einer landesrechtlichen Regelung - analog auf Notleitungsrechte angewendet (BGH WM 1959, 1463; NJW 1964, 1321, 1322; NJW 1991, 176). Der Anspruch setzt demnach eine durch das Fehlen einer Verbindung nach außen hervorgerufene Notlage des Grundstücks voraus. Bis in die 70’er Jahre gab es keine Kanalisation in der an das Grundstück der Beklagten angrenzenden Straße. Die Rechtsvorgänger der Beklagten hatten daher im Fall der Ableitung des Wassers durch eine Leitung keine andere Möglichkeit, als diese über das Grundstück des Klägers zu führen um die Dachentwässerung so an die öffentliche Kanalisation anzuschließen. Ob die Notleitung auch vor dem Zeitpunkt des Anschlusses an die öffentliche Kanalisation rechtmäßig war, bedarf keiner Beurteilung. Denn jedenfalls ab dem Zeitpunkt des Anschlusses in den 60’er Jahren bestand die Duldungspflicht. Die bestehende Leitung musste hierfür nicht erst entfernt und anschließend neu in das Grundstück des heutigen Klägers eingebracht werden.
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Ab dem 01.1.1965, der Geltung der landesrechtlichen Regelung nach § 7 e NRG BW, hatte der Eigentümer des klägerischen Grundstücks die Leitung und die Einleitung des Wassers sodann nach dieser Nachbarschaftsvorschrift zu dulden. Auch zu diesem Zeitpunkt war die verlegte Leitung rechtmäßig, denn die Rechtsvorgänger der Beklagten hatten damals keine andere Möglichkeit ihr Grundstück an die Abwasserleitung anzuschließen (§ 7 e Abs. 1 Satz 1 NRG BW). Zum damaligen Zeitpunkt befand sich die Leitung auch nicht in solchen Teilen des Grundstücks des Klägers, deren Bebauung nach den baurechtlichen Vorschriften zulässig war (§ 7 e Abs. 1 Satz 2 NRG BW). Denn nach den Feststellungen des Landgerichts, die auf dem Sachverständigengutachten beruhen, liegt diese in einem Abstand von ca. 87 cm zur Grundstücksgrenze und damit jedenfalls innerhalb der einzuhaltenden Abstandsflächen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob im Einzelfall eine Bebauung von Abstandsflächen ausnahmsweise aufgrund einer Befreiung oder im Hinblick auf eine Einwilligung des Nachbarn möglich gewesen wäre. Das folgt schon daraus, dass anderenfalls die Regelung in § 7 e Abs. 1 NRG BW kaum noch einen Anwendungsbereich hätte, denn Ausnahmen in dem dargestellten Sinn werden kaum jemals ausgeschlossen sein. Dass der Kläger schon damals Eigentümer des Grundstücks Flurstück Nr. 50 gewesen sei und dass er den Grenzabstand bei einer Bebauung nicht hätte einhalten müssen, trägt der Kläger nicht vor. Der Kläger bzw. dessen Rechtsvorgänger hatte daher zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Regelung des Notleitungsrechts im Jahr 1965 die Leitung nach § 7 e NRG BW zu dulden.
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b) Diese Duldungspflicht ist auch nicht später dadurch weggefallen, dass in der an das Grundstück der Beklagten angrenzenden Straße (Hauptstraße) in den 70er Jahren ein öffentlicher Kanal errichtet wurde und es für die Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger grundsätzlich möglich gewesen wäre, das Wasser dort einzuleiten. Der Vortrag der Beklagten erlaubt allerdings nicht die Feststellung, dass auch nach dem Verlegen einer öffentlichen Kanalisation in der an ihr Grundstück angrenzenden Straße die Dachentwässerung nur unter erheblichen besonderen Aufwendungen ohne Benutzung des Grundstücks des Klägers möglich gewesen wäre, sie also der Notleitung weiterhin i.S. des § 7 e NRG BW bedurften. Auch auf eine in den 40’er Jahren erteilte schuldrechtliche Genehmigung können sich die Beklagten nicht berufen. Denn diese erfolgte zwischen anderen Parteien. Hierauf kommt es aber nicht an. Denn zu Unrecht meint der Kläger, das Notleitungsrecht entfalle, wenn dessen Voraussetzungen erlöschen.
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Auch wenn die Voraussetzungen des Notleitungsrechts mit Errichtung des öffentlichen Kanals in den 70er Jahren weggefallen sein sollten, bleibt die Duldungsverpflichtung bestehen (OLG Stuttgart Urteil vom 04.02.1999 - 13 U 218/97, Umdruck S. 14/15). Für den Eigentümer des begünstigten Grundstück entsteht nach Erstellung der Leitung eine Rechtsposition, die ihm die fortdauernde Mitbenutzung des belasteten Grundstücks erlaubt. Für die Fortdauer der Rechtsposition reicht die Tatsache aus, dass beim Einbau der Leitung die Voraussetzungen des § 7e Abs. 1 NRG vorgelegen hatten (ebenso Birk, Nachbarrecht für Baden-Württemberg, 5. Auflage, § 7 e Anmerkung 6 b; Bruns, BWNotZ 2006, 160, 164). Dem schließt sich der Senat an.
22 
Der Wortlaut des § 7 e NRG BW bietet keinen Anhalt für eine andere Auslegung. Der Gesetzgeber hat die Regelung mit den Worten „Wenn der Anschluss…“ und nicht etwa mit „Solange der Anschluss ….“ eingeleitet. Auch der Umstand, dass das Notleitungsrecht an § 917 BGB angelehnt ist, gebietet kein anderes Verständnis. Denn der Landesgesetzgeber hat entsprechend dem Vorbehalt in Artikel 124 EGBGB diesen Fall gerade in eigenständiger Weise geregelt. Daher ist ein Rückgriff auf die Voraussetzungen des § 917 Abs. 1 Satz 1 grundsätzlich nicht veranlasst (vgl. auch BGH NJW 1991, 176, 177). Es bestehen daher auch keine Bedenken dagegen, dass § 7 e NRG BW die Voraussetzungen des Leitungsrechts anders regelt als das bundeseinheitlich geregelte Notwegerecht und zum Teil geringere Anforderungen stellt als § 917 BGB (BGH aaO.). Die unterschiedliche Behandlung ist auch sachlich gerechtfertigt, denn die regelmäßig unter der Erde verlaufenden Notleitungen werden oft mit höherem Aufwand eingebracht als ein Notweg; und die Belastung des in Anspruch genommenen Grundstücks durch nicht sichtbare Leitungen ist meist geringer als bei einem eingerichteten und sichtbaren Notweg.
23 
c) Dem Notleitungsrecht der Beklagten steht auch nicht entgegen, dass die Leitung reparaturbedürftig ist.
24 
Allerdings bezieht sich der Bestandschutz nur auf die rechtmäßig und zum damaligen Zeitpunkt verlegten Rohre. Wenn diese so marode sind, dass sie ausgetauscht werden müssen, muss zum Zeitpunkt der Neuverlegung geprüft werden, ob die Voraussetzungen des § 7 e NRG erneut vorliegen (ebenso: Bruns aaO.). Wie der Senat bereits mit Urteil vom 13.11.1985 (NJW-RR 1986, 1342, 1343) ausgesprochen hat, stellt sich dann, wenn eine Sanierung der Abwasserleitung in Zukunft unumgänglich wird, die Frage des Anschlusses an die öffentliche Kanalisation neu.
25 
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht den Beklagten im Streitfall weiterhin ein Duldungsanspruch zu. Soweit der Kläger behauptet, die Leitung sei insgesamt sanierungsbedürftig, lässt sich dies den Feststellungen des Landgerichts nicht entnehmen. Zu Recht weisen die Beklagten darauf hin, dass auf S. 3 des Tatbestandes nur auf die Auseinandersetzung der Parteien Bezug genommen wird. Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 23.06.2009 eine großflächige Beschädigung der Leitungen behauptet, weil diese nur wenige Zentimeter unter der Erdoberfläche lägen, ist die Behauptung unsubstantiiert. Die Beklagten haben substantiiert vorgetragen, dass sie die Leitungen haben überprüfen lassen, dass diese frei sei und dass an derjenigen Stelle, an der der Kläger den Austritt von Wasser geltend mache, lediglich eine Absenkung eines Teils der Leitung festzustellen sei. Die Beklagten haben damit eine konkrete Beschädigung sowohl der Art als auch der örtlichen Lage nach bezeichnet. Dem steht die pauschale Behauptung einer „großflächigen Beschädigung“ und der Hinweis auf das „allseits bekannte Problem des Verfalls alter Betonröhren“ nicht entgegen. Nach § 138 Abs. 1 ZPO haben die Parteien ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben und nach Abs. 2 hat sich jede Partei über die von dem Gegner behauptete Tatsachen zu erklären. Ein wirksames Bestreiten der von den Beklagten dargelegten Tatsachen liegt in der spekulativen Behauptung des Klägers nicht. Soweit der Kläger nach Schluss der mündlichen Verhandlung nunmehr die Leitung hat untersuchen lassen und mit Schriftsatz vom 28.1.2010 unter Vorlage von Fotographien (K 7 - 9) vorträgt, die Muffen seien an vielen Stellen versetzt, Ablagerungen seien vorhanden und die Leitung sei „über eine Strecke von 10 Meter komplett (…) und an weiteren Stellen ebenfalls eingebrochen“ ist der Vortrag nach § 296 a ZPO nicht zu berücksichtigen. Er veranlasst den Senat auch nicht die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen (§ 156 ZPO). Das Einbrechen der Leitung über eine Strecke von 10 Meter belegt nicht deren Sanierungsbedürftigkeit in weiten Teilen. Der Fall einer notwendigen Reparatur steht nicht der Neuverlegung der Leitung im Sinne einer kompletten Sanierung gleich. Denn insoweit ist die Beeinträchtigung des in Anspruch genommenen Grundstücks nicht mit der Neuverlegung der Leitung vergleichbar. Der übrige Vortrag des Klägers bleibt so unsubstantiiert („an weiteren Stellen eingebrochen“; „Muffen an vielen Stellen versetzt“), dass der vom Kläger angebotene Sachverständigenbeweis im Fall des Beweisantritts erst der Beschaffung und nicht des Beleges des zuvor vom Kläger zu führenden Tatsachenvortrages gleichkäme.
26 
d) Soweit der Kläger in der Berufungsinstanz mit Schriftsatz vom 23.06.2009 konkret vorträgt, er beabsichtige seine Werkstatt zu erweitern (Lageplan in Anlage K 4) hat er nicht dargetan, inwieweit diese neue Tatsache nach § 529 Abs. 1 Ziffer 2 ZPO zu berücksichtigen ist. Allerdings datieren die Pläne erst auf den 27.04.2009 und damit nach Verkündung der angegriffenen Entscheidung und nach Verfassen der Berufungsbegründung. Aber selbst im Falle der Berücksichtigung dieses Vortrages verhilft er der Berufung nicht zum Erfolg.
27 
Denn der Kläger kann das nachträglich geplante Bauvorhaben, das nur deshalb möglich wurde, da er ein weiteres Grundstück (Flurstück Nr. 50) zugekauft hat, das er ohne Einhaltung der Abstandsflächen bebauen will, nicht den Beklagten entgegenhalten. Der Kläger wusste beim Kauf des Flurstücks Nr. 50, dass zwischen den Flurstücken Nr. 38 und Nr. 50 die Leitung verläuft und dass die von ihm vorgesehene Bebauung im Fall des Fortbestands der Leitung nicht möglich sein wird. Daher kann er nicht nach dem Erwerb des Grundstücks geltend machen, nun stelle die Notleitung der Beklagten für ihn eine unzumutbare Belastung dar.
28 
2. Das Landgericht hat die negative Feststellungsklage zu Recht abgewiesen, da den Beklagten jedenfalls wegen des Dachüberstandes an der alten Werkstatt nach § 912 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 913 BGB eine Geldrente und somit ein Anspruch zusteht. Für Überbauten vor dem 01.01.1900 gilt § 912 ff. BGB ebenfalls (§ 181 EGBGB; BGHZ 97, 292). Der vom Landgericht festgestellte Überstand der Dachrinne wird vom Kläger nicht angegriffen. Der Umfang der Grenzüberschreitung ist für die Annahme eines Überbaus unerheblich. Die Rechtsvorgänger der Beklagten haben keinen Widerspruch erhoben. Dass den Rechtsvorgängern des Klägers Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, wird nicht behauptet. Ob darüber hinaus § 7 b NRG BW Anwendung finden könnte, kann dahingestellt bleiben, da jedenfalls auch insoweit die Vorschriften der §§ 912, 913 ff. BGB unberührt bleiben (Birk aaO. § 7 b 7.). Der vom Landgericht festgestellte Überstand von ca. 15 cm ist auch nicht so gering, dass er für eine Überbaurente bedeutungslos wäre. Der Vortrag, das Grundstück sei später abgemarkt worden, als ein Teil des Gebäudes schon stand, steht der Annahme eines Überbaus nicht entgegen (vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 69. Aufl., § 912 Rn. 15 i.V.m. Rn. 14).
29 
Der Anspruch auf die Rente ist nicht verjährt. Das Recht auf Einzelleistungen verjährt nach § 197 Abs. 2 BGB innerhalb der Frist der Regelverjährung. Denn der Anspruch bezieht sich der Natur nach auf eine Leistung, die in zeitlicher Wiederkehr zu erbringen ist. Da der Anspruch auf die Überbaurente auch in Zukunft für diese weiteren Zeitabschnitte neu entsteht, sind Ansprüche wegen des Überbaus nicht wegen Verjährung ausgeschlossen.
30 
3. Nach alledem ist die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.
31 
Beschluss
32 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.700,00 EUR festgesetzt.

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