Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 18 UF 103/14

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Singen vom 25.03.2014 (2 F 83/14) aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht - Familiengericht - Singen zurückverwiesen.

3. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller begehrt die gemeinsame elterliche Sorge für das Kind S., geboren am 16.06.2012.
S. stammt aus der nichtehelichen Beziehung des Antragstellers und der Antragsgegnerin. Der Antragsteller hat die Vaterschaft anerkannt. Sorgeerklärungen haben die Eltern nicht abgegeben. Die Eltern haben seit dem Jahr 2010 in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammengelebt, bis die Antragstellerin im Herbst 2013 mit dem Kind die Wohnung des Antragsgegners in E. verlassen hat und nach S. verzogen ist. S. wohnt bei der Mutter und wird seit seiner Geburt von ihr betreut. Seit Januar 2014 finden Umgangskontakte des Vaters mit dem Kind statt.
Mit Schreiben vom 07.02.2014 hat der Vater beantragt, die gemeinsame elterliche Sorge einzurichten. Die Mutter ist dem Antrag entgegen getreten. Die Einrichtung der gemeinsamen elterlichen Sorge widerspreche eklatant dem Wohl des Kindes. Der Vater habe sich bis Dezember 2013 überwiegend in F. und nur einmal im Monat in Deutschland bei der Familie aufgehalten. Deshalb habe sich kein Vater-Sohn-Verhältnis entwickeln können. Auf Bitten der Mutter, häufiger und intensiver Kontakt zum Kind aufzunehmen, habe der Vater nicht reagiert. In den Monaten Oktober bis Dezember 2013, nach dem Auszug der Mutter, habe der Vater überhaupt keinen Kontakt zum Kind unterhalten. Der Vater könne deshalb verantwortlich keine Entscheidungen für das Kind treffen. Im Übrigen habe sich in der Vergangenheit gezeigt, dass der Vater wegen des Auslandsaufenthaltes praktisch nicht erreichbar gewesen sei.
Nach richterlichem Hinweis auf § 155a Abs. 3 FamFG wiederholte die Mutter ihren Vortrag.
Das Familiengericht Singen hat sodann im schriftlichen Verfahren mit Beschluss vom 25.03.2014 (2 F 83/14) die gemeinsame elterliche Sorge für S. eingerichtet. Die Mutter habe keine Gründe genannt, die der Einrichtung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegen stehen. Auf die Entscheidung wird verwiesen.
Die Antragsgegnerin hat gegen diesen ihr am 28.03.2014 zugestellten Beschluss mit am 28.04.2014 beim Amtsgericht Singen eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Die Antragsgegnerin rügt, dass das Familiengericht im vereinfachten Verfahren nach § 155a Abs. 3 FamFG entschieden habe, obwohl sie ausführlich dargelegt habe, dass die Einrichtung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl widerspreche. Das Familiengericht müsse die Vermutungsregelung des § 1626a Abs. 2 Satz 2 BGB behutsam anwenden. Es bestehe nach wie vor kein Vater-Sohn-Verhältnis; S. sehe seinen Vater einmal monatlich für ein bis zwei Stunden. In Hinblick darauf, dass er in das Leben des Kindes nicht eingebunden sei und über die Belange des Kindes nicht Bescheid wisse, könne der Vater verantwortlich keine sorgerechtlichen Entscheidungen treffen. Schließlich bestehe zwischen den Eltern keine Einigungsbasis und sie könnten nicht miteinander reden. Jedes Gespräch eskaliere innerhalb kürzester Zeit.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Singen vom 25.03.2014 aufzuheben und den Antrag des Antragstellers auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge abzuweisen,
jedenfalls die Sache an das Familiengericht Singen zurückzuverweisen.
Der Antragsteller beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Der Antragsteller verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Die Antragsgegnerin habe keine Gründe vorgetragen, die einer gemeinsamen elterlichen Sorge entgegen stehen. Der Antragsteller sei kooperationsbereit und wolle gemeinsam mit der Antragsgegnerin das Sorgerecht zum Wohle des Kindes ausüben. Er habe regelmäßig (begleiteten) Umgang mit seinem Sohn und eine gute Beziehung zu ihm.
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Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG).
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Geht das Familiengericht unzutreffend von den Voraussetzungen des § 155a Abs. 3 Satz 1 FamFG aus und entscheidet somit auf der Grundlage des vereinfachten Verfahrens, führt dies - auf Antrag - regelmäßig zur Zurückverweisung (OLG Frankfurt/M. FamRZ 2014, 852 Tz. 19; MünchKomm/Schumann, FamFG, 2. Auflage 2013, § 155a Rz. 29; Keuter FamRZ 2012, 825, 827; Heilmann NJW 2013, 1473, 1477).
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1. Das Verfahren des Familiengerichts leidet an einem wesentlichen Mangel. Das Familiengericht hätte nicht nach § 155a Abs. 3 FamFG im vereinfachten Verfahren entscheiden dürfen, sondern das Verfahren gemäß §§ 155a Abs. 4 Satz 1, 155 Abs. 2 und 3 FamFG führen müssen.
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a) In den Fällen des § 1626a Abs. 2 Satz 2 BGB soll das Gericht im schriftlichen Verfahren ohne Anhörung des Jugendamtes und ohne persönliche Anhörung der Eltern entscheiden, § 155 Abs. 3 Satz 1 FamFG. Voraussetzung für das vereinfachte Verfahren ist somit, dass der andere Elternteil keine Gründe vorträgt, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können und solche Gründe auch sonst nicht ersichtlich sind, § 1626a Abs. 2 Satz 2 BGB. Werden dem Gericht jedoch durch Vortrag der Beteiligten oder auf sonstige Weise Gründe bekannt, die der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, ist Erörterungstermin zu bestimmen, § 155a Abs. 4 Satz 1 FamFG. Eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren kommt dann nicht in Betracht.
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b) Für die Frage, ob das Gericht im vereinfachten Verfahren entscheiden kann, kommt es somit maßgeblich darauf an, welche Anforderungen an den Vortrag der Beteiligten, insbesondere der Antragsgegnerin, gestellt werden (vgl. etwa OLG Stuttgart, 22.01.2014, 15 WF 254/13, Tz. 12: bislang noch nicht hinreichend geklärt).
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Nach der Gesetzesbegründung liegen die Voraussetzungen für die Vermutung nach § 1626a Abs. 2 Satz 2 BGB und damit auch für das vereinfachte Verfahren nach § 155a Abs. 3 FamFG vor, wenn sich der andere Elternteil zum Antrag auf Einrichtung der gemeinsamen Sorge gar nicht äußert oder in seiner Stellungnahme keine Gründe vorträgt, die der gemeinsamen Sorge entgegenstehen können, etwa weil der Vortrag ohne jede Relevanz im Hinblick auf das Kindeswohl ist (BT-Drucksache 17/11048, S. 18 l. Sp.). Unbeachtlich sind danach beispielsweise Einwände der Mutter, sie wolle auch in Zukunft lieber allein entscheiden, sie habe mit dem Vater eines früher geborenen Kindes schlechte Erfahrungen mit dem gemeinsamen Sorgerecht gemacht oder es bestehe keine Notwendigkeit für ein gemeinsames Sorgerecht, weil der Vater von ihr mit Vollmachten ausgestattet sei und in naher Zukunft ohnehin keine wichtigen Entscheidungen anstünden (BT-Drucksache 17/11048, S. 18 l. Sp.). Diese - vom Gesetzgeber exemplarisch genannten - Gründe haben die Gemeinsamkeit, dass sie keinerlei konkreten kindbezogenen Argumente enthalten, sondern abstrakt und allgemein gehaltene Befindlichkeiten zum Ausdruck bringen. Solche Gründe, die einen Bezug zum konkreten Fall oder zum Wohl des gemeinsamen Kindes vermissen lassen, sind danach unbeachtlich (s. MünchKomm/Schumann, FamFG, 2. Auflage 2013, § 155a Rz. 23; Prütting/Helms, FamFG, 3. Auflage 2014, 155a Rz. 25).
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Etwas anderes muss jedoch gelten, wenn - jedenfalls im Ansatz - Gründe vorgetragen werden, die im Bezug zum gemeinsamen Kind, zum Eltern-Kind-Verhältnis und/oder konkret zum Verhältnis der beteiligten Eltern und somit im Zusammenhang mit der Einrichtung des Sorgerechts stehen können (s. auch Prütting/Helms, a.a.O., 155a Rz. 25: keine hohen Anforderungen). In diesem Fall hat das Familiengericht Erörterungstermin nach § 155 Abs. 2 und 3 FamFG durchzuführen und das Jugendamt zu beteiligen.
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Ob die genannten Gründe die gesetzliche Vermutung nach § 1626a Abs. 2 Satz 2 BGB letztlich erschüttern können, muss für die Frage der Verfahrensart unerheblich sein und der materiell-rechtlichen Prüfung vorbehalten bleiben (ähnlich Prütting/Helms, a.a.O., 155a Rz. 27). Die Anforderungen für einen Wechsel vom vereinfachten schriftlichen Verfahren zum Regelverfahren nach § 155 Abs. 3 und 4 FamFG dürfen in Hinblick auf das Kindeswohl sowie auf den Anspruch auf rechtliches Gehör der Eltern nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht überspannt werden. Andernfalls wäre die materiell-rechtliche Prüfung der Voraussetzungen einer gemeinsamen Sorge mit der verfahrensrechtlichen Frage betreffend die Überleitung vom vereinfachten in das Regelverfahren identisch. Eine am Wohl des Kindes orientierte Entscheidung kann jedoch sinnvoll nur im Verfahren nach § 155 Abs. 2 und 3 FamFG nach persönlicher Anhörung der Eltern, Mitwirkung des Jugendamtes sowie Erörterung erfolgen. Ungeachtet dessen kann im Rahmen der Erörterung mit den Eltern auf ein Einvernehmen, etwa die Abgabe der Sorgeerklärung im Termin, hingewirkt und damit eine bessere Akzeptanz für die Einrichtung der gemeinsamen elterlichen Sorge geschaffen werden, §§ 155 Abs. 4 Satz 2, 156 Abs. 1 FamFG.
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c) Vorliegend hat die Antragsgegnerin - wie das Familiengericht zutreffend ausführt - überwiegend unerhebliche Gründe im Sinne des § 1626a Abs. 2 Satz 2 BGB vorgetragen. Gleichwohl weisen die Ausführungen der Antragsgegnerin konkrete Bezüge zum gemeinsamen Kind sowie zur Frage des gemeinsamen Sorgerechts im vorliegenden Fall auf, etwa den aus Sicht der Mutter ungenügenden Kontakt zwischen Vater und Sohn oder die Frage der Erreichbarkeit des Vaters. Ob die genannten Gründe letztlich der Einrichtung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegen stehen, ist jedoch im Verfahren nach § 155 Abs. 3 und 4 FamFG zu klären.
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2. Das weitere Verfahren ist umfangreich im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG (so auch OLG Frankfurt/M. FamRZ 2014, 852 Tz. 20). Im vorliegenden Verfahren sind gemäß § 160 FamFG die Eltern persönlich sowie gemäß § 162 Abs. 1 FamFG das Jugendamt anzuhören. Das Familiengericht wird den Sachverhalt umfassend ermitteln können, nicht zuletzt vor dem Hintergrund weiterer dort anhängiger Verfahren der Beteiligten.
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3. Die Antragsgegnerin hat in der Beschwerdeschrift die Zurückverweisung beantragt. Unerheblich ist insoweit, dass sie diesen Antrag nicht unbedingt gestellt hat (vgl. Zöller/Lorenz, ZPO, 30. Auflage 2014, § 69 Rz. 11).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG, der Verfahrenswert beruht auf § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

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