Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 12 U 101/19

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 10.05.2019, Az. 6 O 319/18, unter Aufhebung der Kostenentscheidung wie folgt abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, von dem Kläger einen über 5.830,25 EUR (bis einschließlich September 2019 bereits einbehaltene 3.300 EUR sowie weitere 2.530,25 EUR) hinausgehenden Teil-Betrag der in dem Zeitraum vom 01.01.2014 bis 31.05.2018 überzahlten Betriebsrente zurückzufordern.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 9/10, die Beklagte zu 1/10.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

 
I.
Der Kläger wendet sich gegen den durch die Beklagte seit Oktober 2018 vorgenommenen Einbehalt aus seiner laufenden Betriebsrente von monatlich 275,00 EUR für rückständige Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für den Zeitraum 01.01.2014 bis 31.05.2018.
Die beklagte Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) hat die Aufgabe, Angestellten und Arbeitern der an ihr beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes im Wege privatrechtlicher Versicherung eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren.
Der Kläger wurde vom 11.03.1976 bis zum 31.03.2011 bei der Beklagten zusatzversichert. Er erhält seit dem 01.04.2011 von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Regelaltersrente. Mit Mitteilung vom 16.12.2011 wurde ab demselben Zeitpunkt eine Betriebsrente durch die Beklagte gewährt und zunächst keine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung einbehalten. Die Krankenkasse des Klägers, die Barmer GEK, meldete der Beklagten als Zahlstelle am 04.09.2012, dass für den Kläger ab dem 01.04.2012 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung einzubehalten seien. Diese Meldung setzte die Beklagte in der Mitteilung vom 06.10.2012 um, indem sie die vom 01.04.2012 bis 31.10.2012 abzuführenden Beiträge nachforderte.
Am 13.09.2012 meldete die Barmer GEK, dass für den Kläger ab dem 01.04.2011 keine Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherung abzuführen seien. Diese Meldung setzte die Beklagte in der Mitteilung vom 20.11.2012 um, indem sie die bis dahin einbehaltenen Beiträge in Höhe von 906,42 EUR an den Kläger auszahlte und die laufende Rente ab dem 01.12.2012 ohne Einbehalt von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung berechnete. Mit weiterer Meldung vom 13.09.2012 an die Beklagte teilte die Barmer GEK das Ende der Beitragsabführungspflicht zum 31.03.2012 unter Angabe „Grund 7“ mit. Diese Meldung der Krankenkasse entsprach jedoch nicht den Verfahrensbestimmungen des maschinellen Zahlstellenmeldeverfahrens: Der angegebene Grund passte nicht zum Inhalt „Ende der Beitragsabführungspflicht“. Aufgrund der vorherigen Meldung war die Beitragsermittlung und -abführung bereits rückwirkend zum 01.04.2011 beendet. Aufgrund des nicht korrekten Meldetatbestandes der Krankenkasse wurde die in elektronischer Form erfolgte Meldung sowie die weiteren Meldungen im maschinellen Verfahren nicht verarbeitet. Folglich blieb auch die Meldung der Krankenkasse vom 28.06.2013, dass eine Beitragsabführungspflicht für den Kläger doch besteht, von der Beklagten unbearbeitet. Der Meldefehler wurde bei der Beklagten im Rahmen einer internen Prüfung der Anpassung der Betriebsrente erst am 05.03.2018 erkannt. Mit Mitteilung vom 28.04.2018 setzte die Beklagte entsprechend der Meldung der Barmer GEK vom 28.06.2013 die Einbehaltung und Abführung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung um, indem sie die rückständigen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für die Zeit vom 01.01.2014 bis zum 31.05.2018 mit 6.398,27 EUR bezifferte und gegenüber dem Kläger geltend machte. Zugleich bezifferte sie die ab dem 01.06.2018 unter Berücksichtigung der Beitragsabführungspflicht an den Kläger auszuzahlende Betriebsrente auf 550,35 EUR monatlich. Die bis zum 31.12.2013 entstandenen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung wurden wegen Verjährung nicht mehr erhoben. Der Kläger lehnte die Forderung der Beklagten auf Zahlung der rückständigen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung mit Anwaltsschreiben vom 16.05.2018 ab und erhob vorsorglich die Einrede der Verjährung. Mit Schreiben vom 04.09.2018 kündigte die Beklagte die Tilgung ihrer Ansprüche durch die Einbehaltung von monatlichen Raten in Höhe von 275,00 EUR und einer Schlussrate von 73,27 EUR an, was sie ab Oktober 2018 umsetze.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten,
nach dem Grundsatz von Treu und Glauben sei die Beklagte gehindert, den Zahlbetrag der Versorgungsrente des Klägers für die Vergangenheit zu kürzen bzw. überzahlte Beträge ab dem 01.03.2018 gegen die laufenden Bezüge aufzurechnen. Die Krankenkasse habe mitgeteilt, dass die Beiträge ordnungsgemäß abgeführt worden seien. Im Rahmen des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) sei in Anlehnung an § 48 VwVfG eine Gesamtabwägung aller zu berücksichtigenden Umstände vorzunehmen. Angesichts der verschiedenen, sich widersprechenden Mitteilungen der Beklagten 2011 und 2012 habe der Kläger nach der letzten Mitteilung vom 20.11.2012 darauf vertrauen dürfen, dass die Berechnung nun richtig sei, insbesondere da fünf Jahre lang keine Änderungen mehr erfolgt seien. Die nur geringfügigen monatlichen Überzahlungen habe er zur Verbesserung der Lebensführung ausgegeben und verbraucht. Dem Kläger sei ein Verschulden oder eine Verursachung an der Falschberechnung in keiner Weise anzulasten; vielmehr beruhe die fehlerhafte Berechnung auf einem Fehler der Beklagten.
Der Kläger hat beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 825,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, von dem Kläger in dem Zeitraum vom 01.01.2014 bis 31.05.2018 überzahlte Betriebsrenten in Höhe von weiteren 5.573,27 Euro zurückzufordern.
Die Beklagte hat beantragt,
10 
die Klage abzuweisen.
11 
Die Beklagte hat eingewendet,
der aufgrund der Mitteilung vom 04.09.2018 erfolgte Einbehalt der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 01.01.2014 zwecks Abführung an die Barmer GEK sei ebenso wie die durch Mitteilung vom 28.04.2019 festgestellte Pflicht zur Entrichtung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung nicht zu beanstanden. Die Betriebsrente des Klägers sei eine beitragspflichtige Einnahme im Sinne der §§ 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V. Die Beklagte sei daher als Zahlstelle verpflichtet, gemäß den gesetzlichen Regelungen (§§ 202, 229, 248, 256 Abs. 1 und 2 SGB V bzw. § 57 SGB XI) die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge aus der laufenden Rente einzubehalten und an die zuständige Krankenkasse abzuführen. Soweit bei der Zahlung der Versorgungsbezüge die Einbehaltung von Beiträgen unterblieben sei, seien die rückständigen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge von der Zahlstelle aus der weiter zu zahlenden Betriebsrente nach §§ 256 Abs. 2, 255 Abs. 2 Satz 1 SGB V, § 51 Abs. 2 SGB I einzubehalten und an die Krankenkasse abzuführen. Auf ein Verschulden komme es in diesem Zusammenhang nicht an. Nach Entdeckung der unterbliebenen Beitragseinbehaltung sei der rückständige Betrag aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung mittels einer Einmalzahlung an die Krankenkasse abgeführt worden. Der ratenweise Einbehalt gegenüber dem Kläger erfolge aufgrund der gesetzlichen Vorgaben.
12 
Die Geltendmachung der rückständigen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge gegenüber dem Kläger sei innerhalb der Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 SGB IV erfolgt. Die von dem Kläger in Bezug genommene Regelung des § 48 VwVfG sei vorliegend nicht einschlägig. Darüber hinaus könne ein unterbliebener Beitragseinzug selbst dann noch nachgeholt werden, wenn er auf ein Verschulden der Zahlstelle oder ein Fehlverhalten der Krankenkasse zurückzuführen sei. Die Einbehaltung der Abzüge sei auch nicht unangemessen, da der Kläger insoweit eine Gegenleistung im Krankheits- und Pflegefall erhalte. Im Übrigen sei die Beklagte als Zahlstelle an die Meldung der Krankenkasse gebunden. Sie treffe keine eigenen Feststellungen, ob, ab wann und in welcher Höhe die Betriebsrente beitragspflichtig sei. Darüber hinaus habe der Kläger nicht davon ausgehen können, dass ihm die Betriebsrente ohne Abzug von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung oder ohne eigene Zahlung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung in voller Höhe zur Verfügung stehe. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger von seiner Krankenkasse über die Beitragspflicht in Kenntnis gesetzt wurde. Der Kläger könne sich daher nicht auf einen Vertrauenstatbestand berufen. Die Voraussetzungen des § 242 BGB lägen ebenfalls nicht vor. Eine Hilfsbedürftigkeit lasse sich aus dem Vorbringen der Klage nicht entnehmen.
13 
Auch der geltend gemachte Einwand der Entreicherung sei unbegründet, da auf öffentlich-rechtliche Ansprüche bzw. Einbehaltungs- und Weiterleitungsrechte die §§ 812 ff. BGB keine, auch keine analoge Anwendung fänden.
14 
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Beklagte habe die rückständigen Beiträge gemäß §§ 256 Abs. 2 S. 1, 255 Abs. 2 S. 1 SGB V zu Recht einbehalten. Die Beiträge seien in der errechneten Höhe geschuldet gewesen. Auf ein Verschulden der Zahlstelle oder der Krankenkasse komme es nicht an. Der vorgenommene Einbehalt stelle auch keine unzulässige Rechtsausübung dar. Vielmehr eröffne das in §§ 255, 256 SGB V vorgesehene Verfahren gerade die Möglichkeit, zu Unrecht nicht abgeführte Beiträge nachzuerheben. Aus § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG ergebe sich keine andere Bewertung; zwar seien die Grundsätze des Vertrauensschutzes auch im Bereich der Zusatzversorgung der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienstes anzuwenden. Vorliegend gehe es jedoch nicht um die Rücknahme einer bewilligten Rentenleistung, sondern um einen von der Beklagten als Zahlstelle vorzunehmenden Einbehalt, zu dem diese auf Basis der ihr erstatteten Meldungen verpflichtet sei. Die Beklagte habe keine eigenen Feststellungen getroffen. Im Übrigen ergebe sich selbst bei Anwendung des Rechtsgedankens des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG nicht anderes, da die Jahresfrist nach dieser Vorschrift erst dann beginne, wenn die zuständige Behörde die vollständige zur Rücknahme erforderliche Kenntnis erlange. Hier laufe die Jahresfrist erst ab dem 05.03.2018, dem Zeitpunkt zu dem die Beklagte erkannt habe, dass die Umsetzung der Meldung der Krankenkasse unterblieben sei. Auf eine Verwirkung könne sich der Kläger nicht berufen. Zwar habe die Beklagte widersprechende Mitteilungen versandt. Die erste Mitteilung habe jedoch auf der – jedenfalls ab Renteneintritt unzutreffenden – Angabe des Klägers beruht, er sei freiwillig versichert. Aufgrund der Mitteilungen der Beklagten als reiner Zahlstelle sei im Übrigen kein Vertrauen begründet worden, dass die Beklagte den Sachverhalt richtig erfasst habe. Die Rückzahlung für den Zeitraum 01.04.2011 bis 30.11.2012 habe nur Vertrauen gegenüber der Krankenkasse begründen können, nicht gegenüber der Beklagten. Gerade die mehrfache Änderung habe dazu geführt, dass der Kläger kein Vertrauen habe fassen können. Die unterbliebene Umsetzung der Meldung der Krankenkasse sei dem Kläger erst im Jahr 2018 mitgeteilt worden, vertrauensbildend habe diese Maßnahme nicht wirken können. Der Entreicherungseinwand könne dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nicht entgegengehalten werden. Das Vertrauensschutzinteresse des Klägers überwiege das öffentliche Interesse bereits deshalb nicht, weil durch das Verhalten der Beklagten kein begründetes Vertrauen auf Seiten des Klägers geschaffen worden sei.
15 
Gegen das dem Kläger am 01.07.2019 zugestellte Urteil hat dieser mit Schriftsatz eingegangen am 24.07.2019 Berufung eingelegt, die nach Verlängerung der Begründungsfrist bis 01.10.2010 am 25.09.2019 begründet worden ist.
16 
Der Kläger behauptet:
17 
Die Beklagte mache mit der Rückforderung einen bei ihr eingetretenen Schaden geltend. Sie habe die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge im gesamten Zeitraum an die Krankenkasse abgeführt und versuche nun, ihren eigenen finanziellen Schaden auszugleichen. Die Krankenkasse habe auf Nachfrage bestätigt, dass die Beträge ordnungsgemäß abgeführt wurden. Die Rückforderung sei treuwidrig, da der Fehler der Überzahlung nicht in der Sphäre des Klägers gelegen habe. Die überzahlten Beträge seien verbraucht.
18 
Unter Berücksichtigung des von der Beklagten fortlaufend bis einschließlich September 2019 vorgenommenen Einbehalts von 275 EUR pro Monat beantragt der Kläger,
19 
unter Abänderung des am 10.05.2019 verkündeten Urteiles des Landgerichtes Karlsruhe, Az. 6 O 319/18 wird die Beklagte und Berufungsbeklagte verurteilt,
20 
1. an den Kläger 3.300,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank auf
21 
825,00 Euro seit Rechtshängigkeit und weiterer 2.475,00 Euro seit dem 01.10.2019 zu bezahlen.
22 
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, von dem Kläger in dem Zeitraum vom 01.01.2014 bis 31.05.2018 überzahlte Betriebsrenten in Höhe von weiteren 3.042,50 Euro zurückzufordern.
23 
Die Beklagte beantragt,
24 
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
25 
Sie behauptet,
sie habe bis zum Jahr 2018 keine Beiträge an die Krankenkasse abgeführt. Dies ergebe sich bereits aus der Tatsache, dass für die Zeit bis zum 31.12.2013 Verjährung eingetreten sei. Die Beklagte habe nach Entdeckung des Fehlers den festgestellten offenen Betrag an die Krankenkasse aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung in einem Betrag überwiesen. Dies ergebe sich aus den Anlagen B5 und B6. Die Zahlung der Beklagten an die Krankenkasse entbinde den Kläger nicht von seiner Beitragspflicht.
26 
Im Übrigen wird auf die erstinstanzlichen Feststellungen, sofern diese nicht von den hier getroffenen abweichen, sowie die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
27 
Die Berufung ist zulässig, aber nur zu einem geringen Teil begründet. Die Beklagte ist gemäß §§ 256 Abs. 2, 255 Abs. 2 SGB V i.V.m. § 60 Abs. 1 S. 2 SGB XI (hinsichtlich der Pflegeversicherung) grundsätzlich berechtigt, die im Zeitraum von 01.01.2014 bis 31.05.2018 an die Barmer GEK abzuführenden Beiträge - wie geschehen - von der Zusatzrente des Klägers abzuziehen. Die rückständigen Beitragsansprüche für das Jahr 2014 sind allerdings in dem Umfang, in dem sie nicht bereits im Jahr 2018 verrechnet wurden, und damit in Höhe von 568,02 EUR, gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV am 31.12.2018 verjährt. Insoweit ist eine Verrechnung nicht mehr zulässig. Der Gesamtbetrag der zulässigen Verrechnung ist auf den im Tenor ausgewiesenen Betrag zu beschränken.
1.
28 
Die im Berufungsverfahren vorgenommene Erweiterung des Zahlungsantrages und entsprechende Ermäßigung des Feststellungantrages ist gemäß § 264 Nr. 2 ZPO zulässig. Der Kläger hat seine Anträge dem auch zwischen den Instanzen und während des erstinstanzlichen Verfahrens fortschreitenden Einbehalt von monatlich 275 EUR angepasst.
2.
29 
Nach § 237 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB V werden bei gesetzlich krankenversicherungspflichtigen Rentnern der Beitragsbemessung der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung (Nr. 1) und der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen (Nr. 2) zugrunde gelegt. Als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge) gelten u.a. Renten der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst (§ 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V).
30 
Nach § 256 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben die Zahlstellen der Versorgungsbezüge die Beiträge aus Versorgungsbezügen einzubehalten und an die zuständige Krankenkasse zu zahlen. Ist bei der Zahlung der Versorgungsbezüge die Einbehaltung von Beiträgen unterblieben, sind die rückständigen Beiträge aus den weiterhin zu zahlenden Versorgungsbezügen einzubehalten (§ 256 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 255 Abs. 2 Satz 1 HS 1 SGB V). Dabei kann die Zahlstelle mit Ansprüchen auf rückständige Beiträge gegen Ansprüche auf laufende Leistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig wird (§§ 256 Abs. 2 Satz 1, 255 Abs. 2 Satz 1 HS 2 SGB V i.V.m. § 51 Abs. 2 SGB I). Es handelt sich um ein spezielles Verrechnungsrecht der Zahlstelle (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 1993 – 12 RK 50/92 –, Rn. 15, juris; Peters in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Auflage 2016, § 256 Rn. 30). Für die Bemessung und Abwicklung der Beiträge zur Pflegeversicherung gelten die vorgenannten Regelungen entsprechend (§§ 237, 229 SGB V nach § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI, § 250 Abs. 1 SGB V nach § 59 Abs. 1 Satz 1 SGB XI und §§ 255, 256 SGB V nach § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB XI; vgl. BAG, Urteil vom 12. Dezember 2006 - 3 AZR 806/05 -, Rn. 12, juris).
31 
Die Voraussetzungen für den Einbehalt nach diesen Vorschriften lagen vor. Unstreitig ist der Kläger in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung versicherungspflichtig. Die Voraussetzungen für eine Nacherhebung waren aufgrund der Meldungen der Barmer GEK, die vom Kläger nicht angegriffen werden, erfüllt. Auch die Berechnung der rückständigen Beiträge hat der Kläger nicht beanstandet. Dass die Grenze des § 51 Abs. 2 SGB I überschritten ist, d.h. dass der Kläger durch die vorgenommene Verrechnung sozialhilfebedürftig geworden wäre, trägt er nicht vor. Nach §§ 256 Abs. 2, 255 Abs. 2 SGB V kommt es zur Aufrechterhaltung des Beitragsanspruchs weder auf das fehlende Verschulden der Zahlstelle noch auf das Fehlverhalten der Krankenkasse an (BSG, Urteil vom 23. März 1993 - 12 RK 62/92, Rn. 15, juris).
3.
32 
Voraussetzung der Verrechnung gemäß §§ 255 Abs. 2 S. 1, 256 SGB V ist nicht, dass die Beiträge der Kranken- und Pflegeversicherung noch zum Zeitpunkt der Verrechnung durch den Rentenversicherer rückständig sind (vgl. Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 04. Juli 2006 – 5 Sa 119/06 –, Rn. 35, juris). Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe nach Feststellung des Fehlers den rückständigen Betrag als Gesamtsumme an die Barmer GEK überwiesen. Der Betrag sei in der Sammelüberweisung vom 09.05.2018 enthalten.
33 
Soweit der Kläger behauptet, die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung seien zu keinem Zeitpunkt rückständig gewesen, die Beklagte habe die Beiträge an die Barmer GEK abgeführt und lediglich versäumt, diese von der an ihn ausbezahlten Zusatzversorgung abzuziehen, so kann dies dahinstehen. Die Beklagte wäre auch, die Richtigkeit dieses Vortrags unterstellt, berechtigt, die an die Barmer GEK abgeführten Beiträge gemäß §§ 256, 255 Abs. 2 S. 1 SGB V zu verrechnen. Voraussetzung der Norm ist lediglich, dass bei der Zahlung der Rente die Einbehaltung von Beiträgen unterblieben ist. Dies ist für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis 31.05.2018 unstreitig der Fall. Nicht erforderlich ist, dass es bei der Krankenkasse wegen Nichtzahlung der Beiträge zu Rückständen gekommen ist. Die Beklagte macht auch nicht einen Anspruch auf Rückzahlung von überzahlter Rente geltend. Grund der überhöhten Auszahlung war unstreitig die nicht erfolgte Berücksichtigung der Beitragspflicht des Klägers und nicht etwa eine falsche Berechnung der Versorgungsansprüche des Klägers durch die Beklagte. Die Beklagte hat hinsichtlich Grund und Höhe der Beitragspflicht des Klägers zur GKV keinerlei eigenen Ermessensspielraum (vgl. BGH, Beschluss vom 03. April 2019 – IV ZR 299/17 –, Rn. 35, juris).
4.
34 
Die Ansprüche der Beklagten sind lediglich hinsichtlich eines Teils der Beitragsrückstände aus dem Jahr 2014, und zwar in Höhe von 568,02 EUR, verjährt.
35 
Für Beitragsansprüche nach § 255 Abs. 1 Satz 1 SGB V und nach § 60 Abs. 1 SGB XI gilt die Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV (BSG, Urteil vom 23.05.1989 - 12 RK 66/87). Hiernach verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind (BGH, Beschluss vom 03. April 2019 – IV ZR 299/17 –, Rn. 36, juris; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. Juni 2019 – L 11 KR 523/16 –, Rn. 42, juris).
36 
Die Beklagte machte mit Mitteilung vom 28.04.2018 Beiträge ab Januar 2014 geltend. Hierdurch wurde die Verjährung allerdings nicht gehemmt; ein Hemmungstatbestand gemäß §§ 25 Abs. 2 S. 1 SGB IV i.V.m. §§ 203ff BGB oder § 52 SGB X liegt hierin nicht. Für das Jahr 2014 beliefen sich die Beitragsrückstände in der Kranken- und Pflegeversicherung auf zunächst 1.393,02 EUR. Mit der Verrechnung von rückständigen Beiträgen in Höhe von 275 EUR monatlich hat die Beklagte ab Oktober 2018 begonnen. Im Jahr 2018 - in unverjährter Zeit - wurden demnach 825 EUR verrechnet. Die über diesen Betrag hinausgehenden Beitragsrückstände aus 2014 in Höhe von 568,02 EUR sind damit am 31.12.2018 verjährt und konnten nicht mehr gegen erst im Jahr 2019 fällig gewordene Betriebsrenten verrechnet werden (vgl. §§ 390, 215 BGB).
37 
Für die weiteren von der Beklagten geltend gemachten Rückstände ist keine Verjährung eingetreten. Im Jahr 2019 hat die Beklagte Beitragsrückstände in Höhe von insgesamt 3.300 EUR verrechnet. Die rückständigen Beiträge für das Jahr 2015 in Höhe von 1.430,70 EUR, die am 31.12.2019 verjährt wären, wurden damit bereits im Jahr 2019 vollständig verrechnet.
5.
38 
Die Beklagte ist nicht unter Vertrauensschutzgesichtspunkten an der Nachforderung der rückständigen Beiträge im Wege des Einbehalts gehindert.
a)
39 
Die Beklagte hat ihr Recht zum Beitragsabzug nicht verwirkt. Eine Verwirkung vor Ablauf der Verjährungsfrist setzt voraus, dass der Berechtigte unter Umständen untätig gewesen ist, die den Eindruck erwecken, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wird, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (BAG, Urteil vom 12. Dezember 2006–3 AZR 806/05 –, Rn. 31, juris; BGH, Urteil vom 15. November 1995 – IV ZR 297/93 -, Rn. 14, juris). Die Berufung auf Zeitablauf genügt nicht. Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (st. Rspr.: BGH, Urteil vom 05. Juli 2011 – XI ZR 306/10 –, Rn. 42, juris). Solche besonderen Umstände liegen hier nicht vor. Insbesondere rechtfertigt die Mitteilung der Beklagten vom 20.11.2012, wonach keine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung einzubehalten waren, angesichts der wechselnden Mitteilungen der Beklagten kein besonderes Vertrauen des Klägers.
b)
40 
Eine entsprechende Anwendung der Jahresfrist des § 48 VwVfG bzw. des § 45 SGB X scheidet bereits deshalb aus, weil § 255 SGB V im Beitragsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung diese Regelungen verdrängt (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 12.09.2013 – L 1 R 337/11 -, Rn. 19, juris; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 16.11.2010 – L 2 R 161/10 -, Rn. 56, juris). Im Übrigen geht es hier nicht um eine rückwirkende Herabsetzung von Versorgungsbezügen, sondern um eine nachträgliche Erhebung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung durch Einbehaltung von den derzeit laufenden Versorgungsleistungen; die Versorgungsleistungen selbst und ihre Berechnungselemente bleiben davon unberührt (vgl. BSG, Urteil vom 12. Mai 1989 – 12 RK 66/87-, Rn. 22, juris zur Vorläuferregelung des § 393a RVO). Dass Grund für die Herabsetzung der ausgezahlten Rente der Einbehalt von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung ist, ist zwischen den Parteien unstreitig.
c)
41 
Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auf die entsprechende Anwendbarkeit der Grundsätze des Vertrauensschutzes als besondere Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben im Bereich der Zusatzversorgung der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 1985 - IVa ZR 153/83 -, BGHZ 94, 344, Rn. 23 ff., juris). Nach diesen allgemeinen Grundsätzen, die in § 48 VwVfG (und in der Parallelvorschrift des § 45 SGB X) normiert sind, kann der in die Zukunft wirkende Entzug von Leistungen, mit deren weiteren Bezug der Begünstigte rechnen durfte, schutzwürdige Interessen verletzen und daher ausgeschlossen sein (BGH, Urteil vom 22. Mai1985 aaO Rn. 21 m.w.N.). Der Vertrauensgrundsatz erfordert eine Prüfung des Einzelfalls, wobei eine Gesamtabwägung vorzunehmen ist (BGH, Urteil vom 22. Mai1985 aaO Rn. 22). Hier geht es indes nicht um eine Herabsetzung von bereits bewilligten Versorgungsbezügen, sondern um die rückwirkende Erhebung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung und deren Einbehalt von laufenden Versorgungsbezügen durch die Beklagte als Zahlstelle. Diese Nacherhebung von Beiträgen verstößt jedenfalls dann nicht gegen Treu und Glauben, wenn sie innerhalb der Grenzen der Verjährung erfolgt (BGH, Beschluss vom 03. April 2019 - IV ZR 299/17 -, Rn. 35, juris; BSG, Urteil vom 23. Mai1989 – 12 RK 66/87-, Rn. 22 f., juris zur inhaltsgleichen Vorläuferregelung des § 393a RVO). § 255 Abs. 2 SGB V enthält - als Ergebnis der gesetzgeberischen Abwägung der Interessen der Versicherten und der Versichertengemeinschaft - insoweit weder einen Ermessensspielraum noch eine Regelung über Vertrauensschutz. Vielmehr ist der Rentenversicherungsträger, der den Einbehalt von Krankenversicherungsbeiträgen von der Rente zunächst unterlassen hat, zur Nacherhebung nach § 255 Abs. 2 SGB V gesetzlich verpflichtet. (BGH, Beschluss vom 03. April 2019 – IV ZR 299/17 –, Rn. 35, juris).
d)
42 
Auf Entreicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB kann sich der Kläger nicht berufen, da die Beklagte von ihrem Verrechnungsrecht als Zahlstelle Gebrauch macht und keinen Bereicherungsanspruch geltend macht (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. März 2018 – L 9 KR 279/15 –, Rn. 33, juris). Hieran ändert der Umstand, dass die Beklagte die rückständigen Beiträge sogleich in einer Summe an die Krankenkasse gezahlt hat, nichts. Durch die nachträgliche Anrechnung, d. h. den Einbehalt, der zuvor an die Krankenkasse gezahlten rückständigen Beiträge kam die Beklagte ihrer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung als Zahlstelle gegenüber der Krankenkasse nach (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 04. Juli 2006 – 5 Sa 119/06 –, Rn. 35, juris).
6.
43 
Der Kläger hat keinen Zinsanspruch, da er keinen Anspruch auf Rückzahlung bereits erfolgter Verrechnungen hat. Die bislang durchgeführten Verrechnungen sind durch unverjährte Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge gerechtfertigt. Allerdings kann die Beklagte rückständige Beiträge für den Zeitraum 01.01.2014 bis 31.05.2018 nur bis zu einem Gesamtbetrag in Höhe von 5.830,25 EUR (= 6.398,27 EUR – 568, 03 EUR) verrechnen, da die über diesen Betrag hinausgehende Beitragsforderung verjährt ist. Die Beklagte wird die angekündigte Verrechnung mithin entsprechend früher beenden müssen.
III.
44 
Die Kostenentscheidung folgt auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gründet sich auf §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
45 
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die hier relevanten Rechtsfragen sind durch die zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, des Bundessozialgerichts und des Bundesarbeitsgerichts geklärt.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen