Beschluss vom Oberlandesgericht Koblenz (1. Strafsenat) - 1 Ws 427/11

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss der Jugendkammer des Landgerichts Koblenz vom 21. Juli 2011 wird auf Kosten der Staatskasse, die auch die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Angeschuldigten zu tragen hat, als unbegründet verworfen.

Gründe

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1. Mit Anklageschrift zur Jugendkammer des Landgerichts Koblenz vom 30. Juni 2011 legt die Staatsanwaltschaft den Angeschuldigten zur Last, von Juli 2008 bis Dezember 2010 „in Herschbach, Ruhpolding, Mailand und anderen Orten“ als Mitglieder einer Bande gewerbsmäßig an verschiedenen Straftaten nach §§ 249, 250, 263 Abs. 5 StGB beteiligt gewesen zu sein und sich darüber hinaus verabredet zu haben, Verbrechen des gewerbs- und bandenmäßigen Betruges zu begehen.

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Hintergrund sind sog. Rip-Deals: Anbieter von Immobilien oder wertvollen Gegenständen werden unter Vorspiegelung eines Kaufinteresses kontaktiert. Der Anrufer gibt sich als Vermittler für einen ausländischen Geschäftsmann aus, der die Immobilie bzw. den Gegenstand erwerben wolle, derzeit aber nicht nach Deutschland reisen könne. Im Laufe der Verhandlungen wird der Anbieter darüber informiert, dass das Geschäft mit einem Bargeldtausch (Euro in Franken, kleine Scheine in große Scheine u.ä) kombiniert werden solle, bei dem er eine Provision verdienen könne. Tatsächlich geht es den Tätern nur darum, den Anbieter ins Ausland zu locken und ihm dort das mitgebrachte Bargeld entweder mittels Täuschung abzuschwindeln oder erforderlichenfalls auch unter Anwendung von Gewalt wegzunehmen.

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2. Mit Beschluss vom 21. Juli 2011 hat sich die Jugendkammer für örtlich unzuständig erklärt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft, der das Gericht nicht abgeholfen hat, ist unbegründet.

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a) Da keiner der Angeschuldigten seinen Wohnsitz oder Aufenthaltsort (§ 8 StPO) im Landgerichtsbezirk Koblenz hat und die §§ 9 - 11 StPO offensichtlich nicht einschlägig sind, könnte sich eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Koblenz nur aus § 7 Abs. 1 StPO i.V.m § 9 Abs. 1 StGB ergeben. Der einzige Anknüpfungspunkt ergibt sich insoweit aus Fall 10 der Anklage, der von der Staatsanwaltschaft als Verabredung zum Verbrechen des banden- und gewerbsmäßigen Betruges (§§ 30 Abs. 2, 263 Abs. 5 StGB) gewertet wird: Möglicherweise am 19. November 2009 rief eine(r) der Angeschuldigten von einem Festnetzanschluss in Italien die in Herschbach lebende Zeugin F., die eine Immobilie verkaufen wollte, auf deren Handy an. Frau F. hielt sich zu dieser Zeit wahrscheinlich in Schenkelberg auf; dieser Ort liegt wie Herschbach im Bezirk des Landgerichts Koblenz. Zu der geplanten Tat – Abschwindeln oder Wegnahme von Bargeld im Ausland – kam es nicht, weil die Zeugin, die zunächst einem Tauschgeschäft nicht abgeneigt war, schließlich zu verstehen gab, kein Interesse zu haben.

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b) Daraus lässt sich aber keine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Koblenz ableiten. Nach § 9 Abs. 1 StGB ist eine Tat an jedem Ort begangen, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte.

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aa) Der Handlungsort, also der Ort, an dem sich der Anrufer und weitere Personen verabredet hatten, ein Verbrechen (zum Nachteil der Zeugin F.) zu begehen, ist unbekannt; es gibt jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass er im Landgerichtsbezirk Koblenz liegen könnte.

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bb) Dass Frau F. den Anruf wahrscheinlich in Schenkelberg entgegengenommen hat, ist entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft unerheblich. Dabei kann offen bleiben, ob es für den Handlungsort allein darauf ankommt, wo sich der Täter körperlich aufhält (Fischer, StGB, 58. Aufl., § 9 Rn. 3; a.A. zumindest für „Kundgabedelikte“ KG NJW 1999, 3500; dagegen wohl BGHSt 46, 212: Der Ort der Wahrnehmung ist der Erfolgsort). Bei dem Anruf handelte es sich um eine Vorbereitungshandlung. Als solche könnte sie nur tatortbegründend sein, wenn sie, weil unter § 30 StGB zu subsumieren, selbstständig mit Strafe bedroht wäre oder wenn die geplante Tat zumindest ins Versuchstadium gelangt wäre mit der Folge, dass der Anruf als mittäterschaftlicher Tatbeitrag angesehen werden könnte (siehe dazu BGHSt 39, 88). Beides ist nicht der Fall.

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cc) Die Alternative „Erfolgsort“ scheidet ebenfalls aus. Zwar handelt es sich bei § 30 Abs. 2 StGB um keine selbständige Strafvorschrift, sondern um eine für geplante Verbrechen die Strafbarkeit in das Vorbereitungsstadium ausdehnende Norm des Allgemeinen Teils (Fischer, a.a.O., § 30 Rn. 2a), sodass es gerechtfertigt ist, auf den Ort abzustellen, an dem nach Vorstellung des Täters der tatbestandsmäßige Erfolg eintreten soll, wenn es zur Ausführung kommt. Aber auch dann gelangt man zu keinem Tatort, der die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Koblenz begründen könnte. Dabei kann dahinstehen, wie der Zeugin F. das Bargeld abhanden kommen sollte. Bei einem Raub sind Handlungs- und Erfolgsort – hier im Ausland – identisch, denn der tatbestandsmäßige Erfolg (Gewahrsamsverlust) tritt als unmittelbare Folge der Wegnahmehandlung an Ort und Stelle ein. Ähnlich ist es, wenn dem Opfer mittels Täuschung ein Gegenstand – wie Bargeld –, den er gerade bei sich führt, abgeschwindelt wird. Der tatbestandsmäßige Schaden als unmittelbare Folge der Vermögensverfügung tritt unmittelbar dort ein, wo der Geschädigte dem Täter den Gegenstand übergibt. Da § 9 Abs. 1 StGB nur solche Tatfolgen umfasst, die für die Verwirklichung des Deliktstatbestands erheblich sind, scheidet dann der Wohnsitz des Geschädigten als der Ort, wo er regelmäßig sein Gesamtvermögen verwaltet, als Erfolgsort aus, weil dort nur mittelbar die schädlichen Folgen einer Tat spürbar werden, die bereits an einem anderen Ort zu einer Vermögenseinbuße geführt hat.

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