I.
Die Staatsanwaltschaft M. I führte gegen den Verurteilten M. W. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Begünstigung, weil er am 19.07.2018 in M. von einem anderweitig Verfolgten den bei der Autovermietung E. am Vortag betrügerisch angemieteten Pkw Mercedes mit dem amtlichen Kennzeichen ... übernommen hatte, um diesen ins Ausland zu verschieben. Der Verurteilte konnte am 20.07.2018 gegen 22:00 Uhr in dem Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen ... in Br. am I. (Österreich) festgestellt und festgenommen werden. Er befand sich deswegen vom 20.07.2018 bis zu seiner Entlassung am 06.08.2018 in Österreich in Untersuchungshaft. Mit Schreiben vom 08.08.2018 hat die Staatsanwaltschaft R. im Innenkreis (Österreich) die Staatsanwaltschaft M. I um Übernahme der Strafverfolgung ersucht. Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft M. I zum bereits anhängigen Verfahren mit dem gleichen Ermittlungsgegenstand übernommen. Mit Anklageschrift vom 08.04.2019 erhob die Staatsanwaltschaft M. I gegen den Verurteilten wegen der Tat Anklage zum Amtsgericht München - Strafrichter.
Der Verurteilte wurde mit Urteil des Amtsgerichts München vom 18.07.2019 wegen Begünstigung zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten verurteilt. Die in Österreich erlittene Untersuchungshaft wurde dabei strafmildernd berücksichtigt. Eine Entscheidung über den Maßstab der Anrechnung der in Österreich erlittenen Untersuchungshaft wurde im Urteil nicht getroffen.
Auf die Berufung des Verurteilten hat das Landgericht München I - 22. kleine Strafkammer - mit Urteil vom 24.06.2020 den Verurteilten wegen Begünstigung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die zum Nachteil des Verurteilten eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft verwarf das Landgericht München I. Im Urteil wurde die in Österreich erlittene Untersuchungshaft zugunsten des Verurteilten im Strafmaß berücksichtigt. Eine Entscheidung über den Maßstab der Anrechnung gemäß § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB wurde im Urteil nicht getroffen. Das Urteil ist seit 02.07.2020 rechtskräftig.
Mit Verfügung vom 07.08.2020 stellte die Staatsanwaltschaft M. I den Antrag, die im Urteil unterbliebene Bestimmung des Anrechnungsmaßstabes gemäß § 51 Abs. 4 S. 2 StGB im Beschlusswege klarzustellen. Der Antrag wurde von der Vorsitzenden der 22. kleinen Strafkammer mit Verfügung vom 12.08.2020 der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts München I zugeleitet. Diese gab die Entscheidung bezüglich § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB an das zuständige Gericht des 1. Rechtszuges gemäß § 462a Abs. 1 S. 3 StPO ab.
Mit Beschluss vom 14.09.2020 hat das Landgericht München I - 22. kleine Strafkammer als Berufungskammer - nach Anhörung der Beteiligten gestützt auf §§ 458, 462a Abs. 1 S. 3 StPO bestimmt, dass die in Österreich erlittene Untersuchungshaft im Verhältnis 1 : 1 angerechnet wird. Der Beschluss wurde der Staatsanwaltschaft M. I gemäß § 41 StPO am 15.09.2020 zugestellt.
Mit Schreiben vom 16.09.2020, per Telefax eingegangen am selben Tag, hat die Staatsanwaltschaft M. I gegen den Beschluss des Landgerichts München I - 22. kleine Strafkammer - vom 14.09.2020 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie hat diese damit begründet, dass die in Österreich erlittenen Untersuchungshaft nicht mehr nach Rechtskraft des Urteils angerechnet werden könne. Sie ist der Ansicht, dass die Anrechnung im Inland erlittener Untersuchungshaft gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB die Regel sei, die Anrechnung ausländischer Freiheitsentziehungen jedoch im Ermessen des Gerichts stehe.
Mit Schreiben vom 24.09.2020 wurde der Verurteilte zum Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft angehört. Eine Stellungnahme ist nicht zu den Akten gelangt.
Die Akten wurden dem Senat am 13.10.2020 vorgelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft M. ist dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft M. I beigetreten und hat beantragt, den Beschluss vom 14.09.2020 aufzuheben und dem Verurteilten die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.
II.
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft M. I ist gemäß § 462 Abs. 3 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, §§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO. Sie hat in der Sache einen - rein formellen - Erfolg.
1. Der Beschluss der 22. kleinen Strafkammer war bereits deswegen aufzuheben, weil die Kammer für eine Entscheidung nach §§ 458 Abs. 1, 462 Abs. 1 StPO nicht zuständig war. Das für die Entscheidungen nach § 462 Abs. 1 StPO zuständige Gericht bestimmt sich nach § 462a StPO. Danach besteht eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer nach Absatz 1, wenn gegen den Verurteilten zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Sache befasst wird, eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 462a, Rn 3, 18). Solches ist weder aus den Akten ersichtlich noch ergibt sich bezüglich des Verurteilten ein Eintrag in IT-Vollzug. Die Vollstreckung der verfahrensgegenständlichen Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Demnach bestand zu keinem Zeitpunkt eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, die diese - wie geschehen - nach § 462a Abs. 1 Satz 3 StPO hätte weiterübertragen können. Bei auf freiem Fuß befindlichen Verurteilten ist zuständiges Gericht gemäß § 462a Abs. 2 S. 1 StPO grundsätzlich das Gericht des 1. Rechtszuges. Vorliegend wäre folglich das Amtsgericht München - Strafrichter - zuständig gewesen.
2. Einer Rückverweisung der Sache an das zuständige Gericht bedurfte es gleichwohl nicht, weil die Sache keiner gerichtlichen Entscheidung gem. § 458 StPO bedarf.
2.1 Die Anrechnung einer im Ausland in derselben Sache erlittenen Freiheitsentziehung muss nicht in dem diese Sache aburteilenden Erkenntnis angeordnet werden, sondern ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Dies folgt für eine in derselben Sache im Ausland verhängte und vollstreckte Strafe - soweit im Inland nicht ohnehin ein Verfahrenshindernis wegen des nebisinidem-Grundsatzes besteht - aus § 51 Abs. 3 S. 1 StGB, für andere im Ausland wegen derselben Tat erlittene Freiheitsentziehungen, insbesondere Untersuchungs- oder Auslieferungshaft, aus § 51 Abs. 3 Satz 2 StGB, der auf § 51 Abs. 1 StGB verweist. Aus dieser Verweisung ergibt sich auch, dass die gem. § 51 Abs. 3 S. 2 StGB anzurechnende ausländische Freiheitsentziehung eine solche sein muss, die unter den Tatbegriff des Absatzes 1 fällt, also aus Anlass derselben Tat erfolgt sein muss (BGH NStZ 1988, 271; BGH NStZ 1997, 385).
Die Anrechnung als solche steht mithin nicht im Ermessen des Tatgerichts, sondern folgt unmittelbar aus der gesetzlichen Anordnung (§ 51 Abs. 1 S. 1 StGB: „so wird […] angerechnet“; vgl. auch § 39 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 StVollstrO). Ein gesonderter Ausspruch im Urteil ist deswegen nicht erforderlich (Heintschel-Heinegg in BeckOK StGB, 47. Ed. 01.08.2020, § 51, Rn 17; Schneider in LK-StGB, 13. Aufl. 2020, § 51, Rn. 39, 51; Heger in Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, § 51, Rn 4, 13; Kempfer in Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl. 2017, § 51, Rn 14, 15; BGHSt 24, 29 = NJW 1971, 290; Schneider in LK-StGB, 13. Aufl. 2020, § 51, Rn 39; a.A. OLG Oldenburg NJW 1982, 2741).
Eines besonderen Ausspruchs bedarf es nur, wenn (ausnahmsweise) keine Anrechnung erfolgen soll (§ 51 Abs. 1 S. 2 StGB). Eine solche Anordnung hat das Tatgericht nicht getroffen.
Zwar ist bei der Anrechnung in derselben Sache erlittener ausländischer Freiheitsentziehungen regelmäßig der Anrechnungsmaßstab im Tenor wiederzugeben (§ 51 Abs. 4 S. 2 StGB). Ein fehlender Ausspruch zum Anrechnungsmaßstab kann die gem. § 51 Abs. 1 S. 1 StGB zwingende Anrechnung der ausländischen Haftzeiten wegen derselben Tat jedoch nicht entfallen lassen. Hierfür hätte es - wie dargelegt - einer ausdrücklichen Anordnung im Urteil gemäß § 51 Abs. 1 Satz 2 StGB bedurft. Der Rechtsansicht der beschwerdeführenden Staatsanwaltschaft M. I kann daher nicht gefolgt werden.
2.2 Der Anrechnungsmaßstab für eine aus Anlass der Tat im Ausland erlittene Freiheitsentziehung ist gem. § 51 Abs. 4 S. 2 StPO vom erkennenden Gericht im Urteil zu bestimmen. Eine unterbliebene Anordnung kann im Instanzenzug nachgeholt werden, in der Revisionsinstanz entsprechend § 354 Abs. 1 StPO, sofern keine weiteren Ermittlungen über den Anrechnungsmaßstab geboten sind (Heintschel-Heinegg, BeckOK StGB, 47. Ed. 01.08.2020, § 51, Rn 17; BGH BeckRS 2017, 136251; BGH BeckRS 2008, 1447). Andernfalls ist das Urteil insoweit aufzuheben und zurückzuverweisen (BGH NStZ 1997, 385 bzgl. Kolumbien). Diese Anordnung kann nicht dem Beschlusswege überlassen werden (Schneider in LK-StGB, 13. Aufl. 2020, § 51, Rn 64; BGHSt 24, 29 = NJW 1971, 290).
Hat das Gericht die Entscheidung über den Maßstab vergessen und ist das Urteil in Rechtskraft erwachsen, dann kann das Urteil nicht mehr nachträglich berichtigt oder ergänzt werden (Wolf in Pohlmann/Jabel/Wolf, Strafvollstreckungsordnung, 9. Aufl. 2016, § 39 StVollstrO, Rn. 93; Schneider in LK-StGB, 13. Aufl. 2020, § 51, Rn 64).
(1) Inwieweit im Falle der unterbliebenen Angabe eines Anrechnungsmaßstabes gem. § 51 Abs. 4 S. 2 StGB die Nachholung durch eine gerichtliche Entscheidung nach § 458 StPO überhaupt zulässig ist, braucht hier nicht entschieden werden (so hM, vgl. Verwaltungsvorschrift § 39 Abs. 5 S. 3 StVollstrO; OLG Hamm B.v. 27.01.2014, Gz. 1 Ws 600/13, Rn 33, juris; Kinzig in Schönke-Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 51, Rn 34; Heger in Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, § 51, Rn. 16; Appl in KK-StPO, 8. Aufl. 2019, StPO § 458 Rn. 6; Röttle/Wagner, Strafvollstreckung, 8. Aufl. 2009, Rn 168; a.A. offens. OLG Celle BeckRS 1994, 02190, Rn 5). Dagegen ließe sich einwenden, dass der Gesetzgeber den Anrechnungsmaßstab in § 51 Abs. 4 StGB insgesamt unvollständig geregelt hat und bei der Anrechnung inländischer Freiheitsstrafen - wie selbstverständlich - davon ausgegangen ist, dass das Maß der Anrechnung sich allein nach der Dauer der anzurechnenden Freiheitsentziehung richtet, also nach dem Maßstab 1 : 1 (Schneider in LK-StGB, 13. Aufl. 2020, § 51, Rn. 55). Diesen Gedanken könnte man entsprechend auf die gemäß § 51 Abs. 3 StGB anzurechnenden ausländischen Freiheitsentziehungen anwenden, wenn die gebotene Angabe eines Anrechnungsmaßstabs im Urteil fehlt. Bei der Bestimmung eines höheren als des Regelmaßstabes der Anrechnung von 1 : 1 handelt es sich zudem der Sache nach um einen Härteausgleich für die aus Anlass der Tat erlittene Freiheitsentziehung im Ausland bei ggf. schwierigeren Haftbedingungen. Andere Entscheidungen über einen Härteausgleich - etwa wegen einer unterbliebenen Gesamtstrafenbildung wegen vollständiger Vollstreckung der einbeziehungsfähigen Strafe oder wegen überlanger Verfahrensdauer - sind dem erkennenden Gericht vorbehalten und können nach Rechtskraft der Entscheidung nicht mehr nachgeholt werden.
(2) Bei der Entscheidung nach § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die der Gesetzgeber dem Tatgericht eingeräumt hat (vgl. OLG Celle, BeckRS 1994, 02190). Eine Entscheidung nach § 458 StPO trifft hingegen nicht selten ein anderes Gericht (§ 462a StPO). Auch bei einer Nachholung der vom zuständigen Tatgericht vergessenen Entscheidung muss sich die Bestimmung des Anrechnungsmaßstabs in dem Rahmen bewegen, der sich aus den im Urteil angegebenen Bemessungsfaktoren ergibt.
Insoweit hat auch § 39 Abs. 5 S. 3 StVollstrO nicht etwa zum Inhalt, dass die Vollstreckungsbehörde bei fehlendem Ausspruch im Urteil über den Anrechnungsmaßstab stets eine Vorlage nach § 458 Abs. 1 StPO vornehmen muss. Die Anrechnung ist Teil der Strafzeitberechnung, die von der Vollstreckungsbehörde eigenständig vorzunehmen ist (§ 451 Abs. 1 StPO, § 36 Abs. 1 StVollstrO; vgl. OLG Düsseldorf MDR 1989, 90). Die Vorlage nach § 458 StPO kann jedenfalls erst dann zulässig sein, wenn die Vollstreckungsbehörde nicht durch Auslegung der Urteilsgründe dem Erkenntnis doch hinreichend sicher einen Maßstab entnehmen kann, etwa weil die Gründe unklar oder widerspruchsvoll sind. Gibt es nichts auszulegen, weil sich das Urteil gänzlich ausschweigt, dann muss die Vollstreckungsbehörde eigenständig den Gesetzesbefehl des § 51 Abs. 3, Abs. 4 StGB, der auf Anrechnung lautet, umsetzen (Wolf in Pohlmann/Jabel/Wolf, Strafvollstreckungsordnung, 9. Aufl. 2016, § 39 StVollstrO, Rn. 93). Der Anrechnungsmaßstab kann hierbei auch unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung und Kommentarliteratur (vgl. z.B. Heintschel-Heinegg in BeckOK StGB, 47. Ed. 01.08.2020, § 51, Rn 17; Maier in MüKo StGB, 4. Aufl. 2020, § 51, Rn 58f.) festgelegt werden. Jedenfalls bei den alten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und bei der Schweiz wird der Anrechnungsmaßstab regelmäßig mit 1 : 1 anzusetzen sein (Schneider in LK-StGB, 13. Aufl. 2020, § 51, Rn 59). Vorliegend besteht nicht der geringste Zweifel, dass eine in Österreich in derselben Sache erlittene Untersuchungshaft (nur) mit 1 : 1 auf die Freiheitsstrafe anzurechnen ist (BGH BeckRS 2015, 6202).
Für eine Vorlage nach § 458 Abs. 1 StPO besteht daher keine Veranlassung.
Von der Erhebung von Kosten wurde gemäß § 21 GKG abgesehen.