Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (2. Senat für Familiensachen) - 8 WF 174/13

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Aschersleben vom 09. Juli 2013 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Für das Beschwerdeverfahren werden keine Gerichtskosten erhoben.

Der Beschwerdewert beträgt EUR 3.000.

Gründe

I.

1

Die Beteiligte zu 1 (Staatsanwaltschaft) wendet sich gegen die Ablehnung der Anordnung einer Ergänzungspflegschaft für das betroffene 11-jährige Kind.

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Nachdem die Beteiligten zu 2 und 3 eine nichteheliche Lebensgemeinschaft aufgenommen hatten, ging daraus

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das (am 09. Januar 2002 geb.) Kind S.

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hervor, um das es im vorliegenden Sorgerechtsverfahren geht. Die Beteiligte zu 2 (Kindesmutter) wurde Inhaberin der alleinigen elterlichen Sorge (§ 1626a Abs. 2 BGB), und in einer Jugendamtsurkunde des Landkreises A. vom 21. Januar 2002 erkannte der Beteiligte zu 3 (Kindesvater) - mit Zustimmung der Beteiligten zu 2 - die Vaterschaft an. Nachdem sich die Beteiligten zu 2 und 3 (Kindeseltern) getrennt hatten, gaben sie am 06. Oktober 2008 vor dem Jugendamt des S. Kreises (Beteiligten zu 4) gemeinsame Sorgerechtserklärungen ab, so dass sie Inhaber der gemeinsamen elterlichen Sorge wurden (§§ 1626b ff. BGB).

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Im Jahre 2008 wechselte das Kind vom Haushalt der Kindesmutter in denjenigen des Kindesvaters, und im selben Jahr nahm der Kindesvater eine Beziehung zu F. R. auf, die in seinen Haushalt einzog. Im April 2012 trennte sich Frau R. vom Kindesvater und zog aus der Wohnung aus.

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Am 23. Januar 2013 erstattete die Polizeidienststelle St. gegen Frau R. Strafanzeige, weil der Verdacht bestehe, dass sie, als sie noch im Haushalt des Kindesvaters lebte, das Kind mehrfach geschlagen habe (Körperverletzung nach § 223 StGB). Das Kind hatte nämlich bei einer Befragung durch die Kriminalpolizei vom selben Tag geschildert, von Frau R. fast jeden Tag geschlagen worden zu sein, wenn diese „schlechte Laune“ gehabt habe. Da der Kindesvater (Beteiligte zu 3) bei seiner zeugenschaftlichen Vernehmung vom 23. Januar 2013 lediglich angab, das Kind habe es ihm „nie gesagt“ - nur vor ca. zwei Jahren habe er zweimal „beobachtet“, dass Frau R. das Kind geschlagen habe, damals sei er aber „dazwischengegangen“ - und Frau R. bei ihrer Beschuldigtenvernehmung behauptete, nicht sie, sondern der Kindesvater habe das Kind geschlagen, leitete die Beteiligte zu 1 (Staatsanwaltschaft) mit Verfügung vom 05. März 2013 auch gegen den Kindesvater ein Ermittlungsverfahren (wegen Körperverletzung nach § 223 StGB) ein.

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Um das Kind - nochmals - zeugenschaftlich vernehmen zu können, machte die Staatsanwaltschaft am 07. März 2013 beim Familiengericht den Antrag anhängig, dem Kind einen Ergänzungspfleger zu bestellen; da auch der mitsorgeberechtigte Kindesvater Beschuldigter sei, könnten die sorgeberechtigten Kindeseltern (Beteiligten zu 2 und 3) nämlich nicht darüber entscheiden, ob das Kind sein Zeugnisverweigerungsrecht ausübe (§ 52 Abs. 2 Satz 2 StPO). Bis zu diesem Zeitpunkt wurde allerdings die - weitere - „Aussagebereitschaft“ des Kindes nicht geprüft.

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Die in dem familiengerichtlichen Verfahren (§ 151 Nr. 5 FamFG) zuständige Rechtspflegerin (§ 3 Nr. 2a RPflG) hörte am 28. Mai 2013 das 11-jährige Kind persönlich an; dabei erklärte das Kind - dem kein Verfahrensbeistand bestellt wurde -, „nicht“ mehr „bereit“ zu sein, zum Sachverhalt „auszusagen“. Mit Rücksicht darauf sah das Familiengericht von weiteren Verfahrenshandlungen - einschließlich der persönlichen Anhörung der sorgeberechtigten Eltern - ab und fragte unter dem 13. Juni 2013 bei der Staatsanwaltschaft an, ob sich die Anregung, einen Ergänzungspfleger zu bestellen, „erledigt“ habe.

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Als die Staatsanwaltschaft um eine rechtsmittelfähige Entscheidung bat, lehnte die Rechtspflegerin die Bestellung eines Ergänzungspflegers mit Beschluss vom 09. Juli 2013 ab.

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Gegen diese - ihr am 12. Juli 2013 zugestellte - Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft (Beteiligte zu 1) mit der am 31. Juli 2013 beim Familiengericht eingelegten und sogleich begründeten Beschwerde, mit der sie die fehlende Aussagebereitschaft des Kindes bezweifelt und rügt, nicht das Kind, sondern ein (psychologisch geschulter) Ergänzungspfleger habe darüber zu entscheiden, ob das Kind sein „Zeugnisverweigerungsrecht“ ausübe.

II.

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Die form- und fristgemäße Beschwerde ist zwar zulässig (§§ 58 ff. FamFG), aber nicht begründet:

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1. Die Beschwerde ist zulässig, weil die Staatsanwaltschaft beschwerdeberechtigt ist:

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a) Bereits nach dem bis 01. September 2009 geltenden früheren Verfahrensrecht (FGG) wurde die Staatsanwaltschaft in Fällen nach § 52 Abs. 2 StPO als beschwerdeberechtigt angesehen. Die Beschwerdebefugnis wurde zwar damals nicht darauf gestützt, dass die Staatsanwaltschaft in eigenen Rechten verletzt sei (materielle Beschwer nach § 20 Abs. 1 FGG) oder ihr Antrag (auf Anordnung der Pflegschaft) abgewiesen wurde (formelle Beschwer nach § 20 Abs. 2 FGG, die in Antragsverfahren zusätzlich zur materiellen Beschwer vorausgesetzt wird; vgl. zum alten Recht Keidel/Kuntze/Winkler/Kahl, FGG, 15. Auflage, § 20 Rn 2 m.w.N. sowie zum neuen Recht Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 17. Auflage, § 59 Rn 39 m.w.N.), sondern nur darauf, dass - damals - auch demjenigen eine Beschwerdebefugnis zustand, der lediglich ein „rechtliches Interesse“ an der Änderung der angefochtenen Entscheidung geltend zu machen vermochte; denn die Staatsanwaltschaft habe ein „rechtliches Interesse“ an der Änderung der angefochtenen Entscheidung, weil sie als Ermittlungsbehörde im „öffentlichen Interesse“ tätig zu werden habe, wie aus der Bestimmung zu § 160 Abs. 1 StPO folge (§ 57 Abs. 1 Nr. 3 FGG; Keidel/Kuntze/Winkler/Kahl a.a.O., § 20 Rn 37 unter Bezugnahme auf OLG Zweibrücken, FamRZ 2000, 243, 244, wo auf OLG Düsseldorf, FamRZ 1973, 547 f. verwiesen wurde [zu § 52 Abs. 2 StPO).

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Die Möglichkeit, die Beschwerdeberechtigung auf ein - bloßes - „rechtliches Interesse“ an der Änderung der angefochtenen Entscheidung zu stützen, ist mit dem Inkrafttreten des neuen Verfahrensrechts (FamFG) entfallen (in das die frühere Bestimmung zu § 57 Abs. 1 Nr. 3 FGG nicht übernommen wurde). Nach neuem Verfahrensrecht ist eine Behörde nämlich nur noch dann beschwerdeberechtigt, wenn sie entweder durch die angefochtene Entscheidung in ihren eigenen Rechten verletzt ist (§ 59 Abs. 1 und 2 FamFG; dazu, dass auch bei der Bestimmung zu § 59 Abs. 2 FamFG eine materielle Beschwer im Sinne von § 59 Abs. 1 FamFG hinzu kommen muss, vgl. oben) oder ihr - nach besonderen gesetzlichen Vorschriften - eine Beschwerdeberechtigung eingeräumt wurde (§ 59 Abs. 3 FamFG). Von eigenen subjektiven Rechten sind - wie schon nach früherem Verfahrensrecht - bloße „rechtliche Interessen“ zu unterscheiden, so dass aus dem bloßen „Interesse“ einer Behörde an der Klärung eines Sachverhalts noch kein eigenes subjektives Recht abgeleitet werden kann, das die Behörde zur Beschwerde berechtigen könnte (Prütting/Helms/Abramenko, FamFG, 2. Auflage, § 59 Rn 2 insb. Fn 7 m.w.N.). Mit der Neuregelung wollte der Reformgesetzgeber frühere Streitfragen nach der Beschwerdebefugnis von Behörden in Zukunft nicht mehr aufkommen lassen; deshalb hat der Reformgesetzgeber den Kreis der Behörden, die nicht in eigenen subjektiven Rechten verletzt sind (§ 59 Abs. 1 und 2 FamFG), auf denjenigen Kreis von Behörden beschränkt, die ihre Beschwerdebefugnis aus spezialgesetzlichen Regelungen herleiten können (§ 59 Abs. 3 FamFG; Prütting/Helms/Abramenko a.a.O., § 59 Rn 25 m.w.N., u.a. auf die Motive des Gesetzes).

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Eine Befugnis der Staatsanwaltschaft, als Ermittlungsbehörde „öffentliche Interessen“ an der Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft geltend zu machen (§ 160 Abs. 1 StPO) und sich mit Rücksicht darauf über die Ablehnung der Anordnung einer Ergänzungspflegschaft (§ 52 Abs. 2 StPO) beschweren zu können, ist nicht spezialgesetzlich geregelt.

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b) Andererseits ist aber nach wie vor anerkannt, dass eine Behörde keiner spezialgesetzlich geregelten Beschwerdebefugnis (§ 59 Abs. 3 FamFG) bedarf, wenn sie durch die angefochtene Entscheidung in eigenen Rechten verletzt ist (oben zu a)). Letzteres ist der Fall, wenn die Behörde durch die angefochtene Entscheidung „an der Erfüllung der ihr auferlegten öffentlich-rechlichen Pflichten gehindert“ wird (Bumiller/Harder, FamFG, 10. Auflage, § 59 Rn 45 m.w.N.), und dies trifft in Fällen wie dem vorliegenden zu, weil die Staatsanwaltschaft (Beteiligte zu 1) als Ermittlungsbehörde „im öffentlichen Interesse tätig zu werden hat“, wie aus der Bestimmung zu § 160 Abs. 1 StPO folgt (oben zu a) m.w.N.).

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2. Die Beschwerde ist allerdings unbegründet, weil die Voraussetzungen für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft (§ 52 Abs. 2 StPO) - abweichend von der Ansicht der Beteiligten zu 1 (Staatsanwaltschaft) - nicht vorliegen:

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Bei einem Minderjährigen kann nämlich nicht schon dann, wenn seine sorge- und damit vertretungsberechtigten Eltern (§ 1629 Abs. 1 BGB) über die Ausübung seines „Zeugnisverweigerungsrechts“ nicht entscheiden dürfen, weil einer der Eltern selbst Beschuldigter ist (§ 52 Abs. 2 Satz 2 StPO), eine Ergänzungspflegschaft angeordnet werden. Vielmehr muss der Minderjährige, wenn er (1) „wegen mangelnder Verstandesreife von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung hat“, auch (2) „zur Aussage bereit“ sein (Wortlaut der Bestimmung zu § 52 Abs. 2 Satz 1 StPO); erst wenn dies der Fall ist, kommt es (3) darauf an, ob der gesetzliche Vertreter des Minderjährigen - bzw. ein Ergänzungspfleger (§ 52 Abs. 2 Satz 2 StPO) - der Vernehmung des Minderjährigen zustimmt oder an dessen Stelle vom Zeugnisverweigerungsrecht des Minderjährigen Gebrauch macht (Wortlaut der Bestimmung zu § 52 Abs. 2 Satz 1 StPO).

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Zwar mag bei der 11-jährigen betroffenen S. noch angenommen werden können, dass sie „wegen mangelnder Verstandesreife von der Bedeutung des „Zeugnisverweigerungsrechts“ keine genügende Vorstellung hat“, obgleich es für eine derartige Feststellung keine festen Altersgrenzen gibt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 66. Auflage, § 52 Rn 18 m.w.N.).

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Vor ihrem Ersuchen um Anordnung einer Ergänzungspflegschaft hatte die Staatsanwaltschaft (Beteiligte zu 1) aber zu prüfen, ob die Minderjährige überhaupt „zur Aussage bereit“ (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StPO), d.h. „aussagewillig“ ist, denn anderenfalls ist die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft sinnlos und der mit der Anordnung der Ergänzungspflegschaft verbundene Eingriff in die elterliche Sorge - d.h. das Vertretungsrecht der Eltern (§ 1629 Abs. 1 BGB) - hat als unverhältnismäßig zu unterbleiben. Mit Rücksicht darauf machen die Familiengerichte die Bestellung eines Ergänzungspflegers in der Regel davon abhängig, dass der inhabile Zeuge zuvor seine „Aussagebereitschaft“ erklärt hat (vgl. SK-StPO/Rogall, § 52 Rn 84 u.a. unter Bezugnahme auf LG Memmingen, MDR 1982, 145, wo auf BayObLGZ 1966, 353 verwiesen wird).

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Die 11-jährige S. hat dem Familiengericht bei ihrer persönlichen Anhörung erklärt, „nicht bereit“ zu sein, zum Sachverhalt „auszusagen“. Dies hätte die Staatsanwaltschaft (Beteiligte zu 1) im erstinstanzlichen Verfahren feststellen können, denn sie konnte die Akten des Familiengerichts beiziehen und von der fehlenden „Aussagewilligkeit“ des Kindes Kenntnis nehmen. Zwar muss die Frage, wie „ernst“ eine von vornherein vorhandene „Aussageunwilligkeit“ eines inhabilen Zeugen zu nehmen ist, in jedem Einzelfall überprüft werden (LG Memmingen a.a.O.), und dabei kann im vorliegenden Fall nicht außer Acht gelassen werden, dass das Kind bei seiner Befragung durch die Kriminalpolizei am 23. Januar 2013 „aussagewillig“ war und geschildert hat, von der Beschuldigten R. geschlagen worden zu sein. Auf der anderen Seite muss allerdings berücksichtigt werden, dass nunmehr - auch - der Vater des Kindes (Beteiligte zu 3) Beschuldigter ist und das Kind mit Rücksicht darauf vor seiner persönlichen Anhörung durch das Familiengericht - erstmals - darüber belehrt wurde, dass seine Eltern nicht mehr über die Ausübung seines Zeugnisverweigerungsrechts entscheiden dürfen, sondern es insoweit der Bestellung eines Ergänzungspflegers bedarf (Bl. 30 d.A.), und vor diesem Hintergrund, dass dem 11-jährigen Kind - erstmals - die „Tragweite“ seiner Entscheidung bewusst gemacht wurde, ist - in Ermangelung abweichender Anhaltspunkte - anzunehmen, dass das inhabile Kind mit seiner „Aussageunwilligkeit“ Weiterungen vermeiden will.

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Die vom Gesetz geforderte „Aussageunwilligkeit oder „Aussagebereitschaft“ des inhabilen Zeugen ist - abweichend von der Ansicht der Staatsanwaltschaft (Beteiligten zu 1) - nicht mit der Frage nach der Ausübung oder Nichtausübung des „Zeugnisverweigerungsrechts“ durch den Zeugen zu verwechseln, wie aus dem Wortlaut der Bestimmung zu § 52 Abs. 2 Satz 1 StPO folgt.

III.

23

1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 und 3 FamGKG:

24

Die Beteiligte zu 1 (Staatsanwaltschaft M. als Behörde des Landes Sachsen-Anhalt) hat zwar nach § 84 FamFG die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Nach § 2 Abs. 1 FamGKG sind Bundesländer aber von der Zahlung von Gerichtskosten (§ 1 FamGKG) befreit mit der Folge, dass Gerichtskosten, die ihnen auferlegt werden, nach § 2 Abs. 3 FamGKG nicht erhoben werden dürfen.

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2. Der Beschwerdewert folgt aus § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.


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