Urteil vom Oberlandesgericht Naumburg (1. Zivilsenat) - 1 U 59/14

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 23. April 2014 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg in Ziff. 2. teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

2. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger 9.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. August 2009 zu zahlen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger ¼ und die Beklagten als Gesamtschuldner ¾. Die Kosten des Berufungsrechtszuges werden den Beklagten als Gesamtschuldner auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Wert für die zu erhebenden Gerichtsgebühren zweiter Instanz wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt. Unter Abänderung der Streitwertentscheidung des Landgerichts im angefochtenen Urteil wird der Wert für die zu erhebenden Gerichtsgebühren erster Instanz auf 21.653,40 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen wird gemäß §§ 540 II; 313a I 1; 543 I ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 1 EGZPO abgesehen.

I.

2

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg. Das angefochtene Urteil des Landgerichts hält im Hinblick auf die Höhe des festgesetzten Schmerzensgeldes einer Nachprüfung durch das Berufungsgericht nicht gänzlich stand (§ 513 I ZPO).

3

1. Der aus §§ 7 I; 18 I 1; 11 2 StVG; §§ 823 I; 253 BGB und § 115 I 1 Nr. 1, 4 VVG sowie § 1 PflVG folgende Anspruch des Klägers ist zwischen den Parteien unstreitig.

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2. Zur Höhe des Schmerzensgeldes hat das Landgericht unter Wiederholung der Feststellungen des Sachverständigen Dr. F. aus dem schriftlichen Gutachten vom 30.11.2012 (Seite 11) ausgeführt, der Kläger sei durch die Verletzungen des linken Daumens und Handgelenkes dauerhaft beeinträchtigt. Daumengrund- und -endgelenk seien nicht mehr voll beweglich. Als Linkshänder schränke das den Kläger beim Schreiben und bei sonstigen Tätigkeiten besonders ein. Schon jetzt seien arthritische Veränderungen eingetreten. Auch im rechten Kniegelenk lasse sich bereits eine posttraumatische Arthrose nachweisen. Dies gehe auf die Unfallverletzung zurück. Der Kläger könne nicht mehr, wie vor dem Unfall, Sport treiben. Dies rechtfertige - auch unter Berücksichtigung vergleichbarer Fälle - ein Schmerzensgeld von 30.000,00 EUR.

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Dem vermag sich der Senat nicht uneingeschränkt anzuschließen.

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3. Das Berufungsgericht kann die Schmerzensgeldbemessung der ersten Instanz in vollem Umfange überprüfen und abändern, ohne an die dortige Schätzung gebunden zu sein. Hier verlangt der vom Kläger unfallbedingt davon getragene immaterielle Schaden billigerweise eine Entschädigung von 35.000,00 EUR (§ 287 I 1 ZPO i.V.m. § 253 BGB und § 11 2 StVG).

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a) Bei der Bemessung des der Billigkeit entsprechenden Schmerzensgeldes sind die im Einzelfall heranzuziehenden verletzungsbedingten Nachteile nicht zu eng zu fassen. Der Ausgleich des Nichtvermögensschadens geht über die bloßen Schmerzen hinaus. Zu berücksichtigen sind die Schwere der Verletzungen, die Dauer der Leiden, der Verlauf des Heilungsprozesses, die Anzahl der Operationen, die verbliebenen Dauerschäden, das Alter des Geschädigten, entgangene Lebensfreude durch den Verlust bisher gepflegter Freizeitaktivitäten sowie berufliche Beeinträchtigungen. Dies hat das Landgericht auch nicht verkannt. Seine Gewichtung der von ihm festgestellten immateriellen Unfallfolgen entspricht allerdings nicht der Billigkeit. Insbesondere die folgenden Umstände verlangen ein um 5.000,00 EUR höheres Schmerzensgeld:

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aa) Der zurzeit des Unfalls fast 39 Jahre alte Kläger war nach den Feststellungen des Landgerichts, an denen zu zweifeln der Senat keinen Anlass hat (§ 529 I Nr. 1 ZPO), bis über die Grenze zum Leistungssport hinaus sportlich aktiv. Diese zweifelsohne die bisherige Lebensführung prägende Freizeitbeschäftigung wurde dem Kläger mit dem Unfall genommen. Es ist nachvollziehbar, dass der Kläger den jetzt mit erheblichem Einsatz erreichten, aber auch nicht mehr zu überschreitenden Leistungsstand eines normalen Freizeitsportlers nicht als gleichwertig empfindet. Der damit verbundene Verlust an Lebensfreude muss sich spürbar auf die Höhe des Schmerzensgeldes auswirken. Dabei darf allerdings auch nicht unberücksichtigt blieben, dass dieser Schaden mit der Zeit an Bedeutung verliert, weil an seine Stelle neue Aktivitäten und Interessen treten.

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bb) Gleichfalls nicht unerheblich sind die vom Sachverständigen bereits festgestellten posttraumatischen knöchernen Veränderungen zu gewichten, die nicht nur gegenwärtig, sondern auch zukünftig die Lebensführung des Klägers negativ beeinflussen werden. Allein das Wissen um die damit verbundenen drohenden Schmerzen stellt sich schon als auszugleichender Nachteil dar. Darüber hinaus ist es sehr wahrscheinlich, dass der Kläger jetzt schon hierdurch bedingte Schmerzen hat.

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cc) Nach den Feststellungen des Sachverständigen handelt es sich bei der Verletzung der linken Hand um eine schwerwiegende Unfallfolge, die die Hand und das Handgelenk betrifft. Als Linkshänder kann der Kläger die Hand nur noch erheblich eingeschränkt und mit Schmerzen gebrauchen. Dies hat durch die eingenommene Schonhaltung zu einer Änderung des Muskelprofils des linken Arms geführt. Die damit einhergehende Einbuße von ansonsten als selbstverständlich empfundenen Fertigkeiten wird faktisch täglich erlebt. Angesichts des Berufs des Klägers mag das zu keiner Erwerbsminderung führen, weil auf einen Computer zurückgegriffen werden kann und es auf feinmotorische Fähigkeiten nicht ankommt. Die vom Kläger glaubhaft geschilderten Einschränkungen beim Schreiben und Greifen wiegen dennoch schwer.

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dd) Auch die Knieverletzung und der Verlust der Milz werden nach den Feststellungen des Sachverständigen das weitere Leben des Klägers im Vergleich zur vor dem Unfall liegenden Zeit weiter negativ beeinflussen. Bewegungseinschränkungen, posttraumatische Arthrose und ein erhöhtes Infektionsrisiko sind also nicht unerhebliche und damit auszugleichende Schäden.

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Unter Berücksichtigung der weiteren vom Landgericht zutreffend festgestellten polytraumatischen Unfallfolgen, einschließlich der mehrtätigen intensivmedizinischen Betreuung sieht der Senat einen Betrag von 35.000,00 EUR als erforderlich an, um die erheblichen immateriellen Nachteile auszugleichen. Daran vermag auch die auf immaterielle Schäden bezogene Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten nichts zu ändern. Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet es in der Regel, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Betrages auf Grund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen (BGH NJW 2004, 1243 m.w.N.). Unberücksichtigt bleiben nur die noch nicht absehbaren Folgen. Da angesichts der Schwere der Verletzungen mit solchen Nachteilen durchaus zu rechnen ist, hat die Feststellung des Landgerichts weiterhin ihre Berechtigung.

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b) Gemessen an den in annähernd vergleichbaren Fällen ausgeworfenen Schmerzensgeldbeträgen fällt der dem Kläger zuzuerkennende Betrag nicht aus dem Rahmen.

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aa) Das Oberlandesgericht Celle hielt in einer Entscheidung vom 26.4.2001 (14 U 139/00) nach stumpfem Bauchtrauma mit Entfernung der Milz, Schädelhirntrauma ersten Grades sowie Thoraxprellung nebst diversen Schnitt- und Risswunden ein Schmerzensgeld von 23.000,00 DM für ausreichend.

15

bb) Das OLG Stuttgart hat einem fünfzigjährigen Motorradfahrer auf Grund unfallbedingt erlittener Hüftpfannenfraktur links, einer Ausrenkung des Hüftkopfes, einer Kniescheibenfraktur links sowie Schürfwunden und Prellungen mit verbliebenen mäßiggradigen Bewegungseinschränkungen, Muskelminderung, einliegenden Implantaten und fortschreitender Arthrose ein Schmerzensgeld von 30.000,00 EUR zuerkannt (NJOZ 2010, 1374 nebst den dort aufgeführten weiteren Schmerzensgeldfällen).

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cc) 35.000,00 EUR Schmerzensgeld sprach der 2. Zivilsenat (OLG Naumburg, Urteil vom 4.11.2004, 2 U 69/04 - BeckRS 2004, 30345875) einem zur Hälfte mithaftenden Geschädigten für folgende Beeinträchtigungen zu: Oberschenkelmehrfragmentur links, diakondyläre Humerusfraktur links, Rippenserienfraktur (4-8) links, Acetabulumfraktur links, Schambeinfraktur rechts, Schädelbasisfraktur, Pneumothorax links, oberflächliche Wunde der Peniswurzel, Kompartmentsyndrom linker Oberschenkel, inkomplette Peroneusparese links, Ischämie des linken Beines mit a.v. Fistel und lokalem Hämatom, Ruptur der Leber, Verlust der Milz nach Bauchtrauma, Intercostalneuralgie Th 5, peroneusbetonte Ischiadicuparese links, Beinlängendifferenz von 3 cm, Einschränkung der Kniegelenksbeweglichkeit links, Bewegungseinschränkungen im Bereich des rechten Ellenbogengelenks, sensomotorische Läsion des Nervus ulnaris links im Bereich des Sulcus bei unfallbedingtem Sulcus-ulnaris-Syndrom. Der Geschädigte bezog eine Erwerbsunfähigkeitsrente und wies einen Grad der Behinderung von 60 auf.

17

dd) Vom Oberlandesgericht München (10 U 4926/12 vom 13.12.2013) wurden einem schwer unfallgeschädigten Mofafahrer nach proximaler Humerusfraktur links, Clavikulaschaftfraktur rechts, Handgelenkluxationsfraktur links, Daumenendgliedfaktur links, Rippenserienfraktur beidseits mit Thoraxtrauma, Pneumothorax rechts, Beckenringfraktur, Acetabulumfraktur links, Bewegungseinschränkung des rechten oberen Sprunggelenks, Fußheberschwäche, Armnervengeflechtsschädigung beidseits, handgelenksnaher Teilschädigung des linken Nervus medianus und einer Teilschädigung des Nervus ischiadicus rechts mit insgesamt verbliebenen erheblichen Beeinträchtigungen ein Schmerzensgeld von insgesamt 80.000,00 EUR zuerkannt.

18

Ein über 35.000,00 EUR hinausgehendes Schmerzensgeld ist danach aber ebenso wenig zu rechtfertigen.

II.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 I 1; 92 I 1; 100 IV 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10; 713 ZPO.

20

Die Revision lässt der Senat nicht zu. Die Sache wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung auf und weder die Fortbildung des Rechts noch die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 II 1 ZPO).

21

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug ist nach §§ 47 I 1; 43 I; 48 I 1 GKG und § 3 ZPO festgesetzt. Maßgeblich ist der anhand der Darlegungen des Klägers für schlüssig gehaltene Schmerzensgeldbetrag, hier also 35.000,00 EUR abzüglich gezahlter 26.000,00 EUR und in erster Instanz zuerkannter 4.000,00 EUR (Zöller/Herget, ZPO, 30. Aufl., § 3 Rdn. 16 - Stichwort: unbezifferte Klageanträge m.w.N.).

22

Der Streitwert erster Instanz betrug daher nur 21.653,40 EUR (7.653,40 EUR + 9.000,00 EUR + 5.000,00 EUR). Das Landgericht hätte den Wert des Schmerzensgeldantrages nicht auf 16.000,00 EUR festsetzen dürfen. Dies führt zur Abänderung der aus dem angefochtenen Urteil hervorgehenden Wertfestsetzung von Amts wegen.


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