Beschluss vom Oberlandesgericht Rostock (1. Strafsenat) - 20 Ws 94/17

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt B... wird der Beschluss der 3. Kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Rostock vom 23.02.2017 aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass Erledigung der Hauptsache eingetreten ist.

3. Die Kosten des Verfahrens einschließlich des Rechtsbeschwerdeverfahrens und seine notwendigen Auslagen trägt der Antragsteller.

4. Dem Antragsteller wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe gewährt. Der weitergehende Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts wird zurückgewiesen.

5. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 100 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der zu jenem Zeitpunkt in der JVA B... in Strafhaft befindliche Antragsteller begehrte am 15.06.2016 seine „Vorführung“ zu dem für seinen Haftort nach § 299 StPO zuständigen Amtsgerichts Güstrow, um dort zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle „Rechtsbehelf“ gegen den ihm am selben Tag zugegangenen Senatsbeschluss vom 02.06.2016 - 20 Ws 91/16 - einlegen zu können. Diesen Antrag lehnte die JVA B... mit Entschließung vom 16.06.2016 mit der Begründung ab, eine „Vorführung“ des Antragstellers bedürfe einer entsprechenden richterlichen Anordnung; im Übrigen könne der Gefangene das von ihm beabsichtigte Rechtsmittel auch selbst schriftlich anbringen. Seine „Anhörung bzw. Vorführung“ sei deshalb nicht gerechtfertigt. Dagegen wandte sich der Antragsteller mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 17.06.2016. Noch bevor das Landgericht darüber entschieden hatte, wurde er am 07.10.2016 nach Vollverbüßung seiner Strafe aus der Strafhaft entlassen. Am 14.10.2016 wurde der Antragsteller bereits wieder in anderer Sache in Untersuchungshaft genommen (Haftbefehl des AG Rostock vom 14.10.2016 - 34 Gs 2371/16 - im Verfahren 424 Js 27485/16 StA Rostock), die zunächst in der JVA W... vollzogen wurde. Am 25.10.2016 erfolgte die Verlegung in die JVA B..., aus der er am 16.03.2017 entlassen wurde. Seit dem 17.03.2017 befindet sich der Antragsteller in einem weiteren Verfahren erneut in Untersuchungshaft in der JVA W... .

2

Mit Beschluss vom 23.02.2017, eingegangen beim Antragsgegner am 28.02.2017, hob die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Rostock die die Ausführung ablehnende Entscheidung der Haftanstalt vom 16.06.2016 auf und verpflichtete sie kostenfällig, den Antragsteller wie beantragt zur Protokollierung des von ihm beabsichtigten Rechtsmittels gegen den Senatsbeschluss vom 02.06.2016 in die Geschäftsstelle des nach § 299 Abs. 1 StPO zuständigen Amtsgerichts auszuführen. Dem Antragsteller stünde in Ansehung des Wortlautes von § 299 StPO ein Wahlrecht zu, ob er einen Antrag schriftlich stelle oder sich zu dessen Protokollierung ausführen lasse.

3

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer am 27.03.2017 beim Landgericht eingegangenen Rechtsbeschwerde vom 23.03.2017. Sie macht geltend, das Landgericht sei mit dem angefochtenen Beschluss von der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 01.11.2016 - 20 Ws 263/16) abgewichen, weshalb die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten sei. Das Rechtsmittel sei auch begründet, weil die Haftanstalt das in der Sache rechtsmissbräuchliche Ersuchen des Antragstellers vom 15.06.2016 auf Ausführung zur Geschäftsstelle des Amtsgerichts Güstrow zu Recht abgelehnt habe. Die Antragsgegnerin beantragt deshalb, den angefochtenen Beschluss des Landgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

4

Das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern ist als Verfahrensbeteiligte im Rechtsbeschwerdeverfahren (§ 111 Abs. 2 StVollzG) der Rechtsbeschwerde der Haftanstalt mit Zuschrift vom 02.05.2017 beigetreten.

5

Der Antragsteller hatte rechtliches Gehör. Er beantragt mit Schreiben vom 14.05.2017 „wegen des vorgegebenen Anwaltszwangs im Verfahren“ und weil ihm auch in diesem Rechtsbeschwerdeverfahren erneut die Ausführung zur Geschäftsstelle des zuständigen Amtsgerichts verweigert worden sei, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren unter Beiordnung eines Rechtsanwalts. Im Übrigen bestreitet er die Zuständigkeit des „wie immer korrumpierten, weil vielfach rechtsbeugend und dabei auch kriminellen Strafsenats, ua. aufgrund seiner bereits auch zu diesem entscheidungsrelevanten Sachverhalt willkürlich vom Gesetz und von der höchstrichterlich gesprochenen Rechtsprechung abweichenden Entscheidung (vgl. 20 Ws 263/16 OLG Rostock)“. Zuständig für das Rechtsbeschwerdeverfahren sei deshalb gemäß § 121 Abs. 2 GVG der Bundesgerichtshof.

II.

6

Die Rechtsbeschwerde der Vollzugsanstalt hat Erfolg.

7

1. Die Entscheidungszuständigkeit des Oberlandesgerichts Rostock folgt aus § 117 StVollzG. Die dagegen erhobenen Einwände des Antragstellers dringen nicht durch.

8

a) Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 2 Nr. 2 GVG für eine Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof liegen nicht vor. Der Senat weicht mit seiner vorliegenden Entscheidung - soweit ersichtlich - nicht von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte in Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem Strafvollzugsgesetz ab.

9

b) Dass der Antragsteller den Senat für „korrupt“ und „vielfach rechtsbeugend“ tätig erachtet, begründet weder nach § 121 Abs. 2 Nr. 2 GVG noch nach anderen Vorschriften eine originäre Entscheidungszuständigkeit des Bundesgerichtshofes im Rechtbeschwerdeverfahren.

10

c) Ein Befangenheitsantrag, der sich immer nur gegen einzelne Richter, nie aber gegen einen ganzen Spruchkörper als solchen richten kann, ist nicht angebracht worden. Insoweit ist daher auch keine Entscheidung veranlasst.

11

2. Die Rechtsbeschwerde der Haftanstalt ist zulässig.

12

a) Das Rechtsmittel ist form- und fristgerecht angebracht, ausreichend mit der Verletzung sachlichen Rechts begründet und mit Anträgen versehen worden (§ 118 Abs. 1 und 2 StVollzG).

13

b) Auch die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 116 Abs. 1 StVollzG liegen vor, weil eine Entscheidung des Senats zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist (vgl. nachfolgend unter 3).

14

3. Die Rechtsbeschwerde der Vollzugsanstalt erweist sich auch als begründet.

15

a) Das Verfahren war zum Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung bereits im Sinne von § 115 Abs. 3 StVollzG erledigt, weshalb die Kammer nicht mehr in der Sache, sondern nur noch gemäß § 121 Abs. 2 Satz 2 StVollzG über die Kosten und notwendigen Auslagen hätte entscheiden dürfen.

16

Nach der Entlassung des Antragstellers aus der Strafhaft am 07.10.2016 konnte die Vollzugsbehörde wegen tatsächlicher und rechtlicher Unmöglichkeit nicht mehr zu der beantragten Ausführung des Antragstellers verpflichtet werden (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 01.11.2016 - 3 Ws 362/16 StVollz -, zit. nach juris). Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsteller kurz nach dieser Haftentlassung und zum Zeitpunkt des landgerichtlichen Beschlusses bereits wieder in anderer Sache in der JVA B... inhaftiert war, denn sein Antrag vom 15.06.2016 auf Vorführung zur Geschäftsstelle des Amtsgerichts Güstrow lebte nach einmal eingetretener Erledigung als einer rechtlichen oder tatsächlichen Erschöpfung des geltend gemachten Begehrens nicht wieder auf. Der Antragsteller hätte deshalb einen neuen Antrag auf Vorführung stellen müssen und/oder - sofern er Grund zu der Annahme hatte, ihm würden auch künftig derartige Anträge wieder von der Haftanstalt abgelehnt - einen Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 115 Abs. 3 StVollzG an das Landgericht richten müssen. Das hat er nicht getan. Die Anbringung eines solchen Antrags erst im Rechtbeschwerdeverfahren ist nicht mehr möglich (vgl. Spaniol in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl., § 115 StVollzG Rdz. 75 m.w.N.).

17

b) Abgesehen davon, dass das Landgericht mit seiner gleichwohl zum Nachteil der Haftanstalt getroffenen Sachentscheidung deshalb gegen Verfahrensrecht verstoßen hat, war die ausgesprochene Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller auf sein Gesuch vom 17.06.2016 zur Geschäftsstelle des Amtsgerichts Güstrow auszuführen, um dort „Rechtsmittel“ gegen den Senatsbeschluss vom 02.06.2016 - 20 Ws 91/16 - einlegen zu können, auch in der Sache rechtsfehlerhaft, weil die genannte Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts endgültig und damit nicht weiter anfechtbar war (§ 310 Abs. 2 StPO).

18

Weder ist die Geschäftsstelle des Amtsgerichts verpflichtet, offenkundig unzulässige, weil überhaupt nicht statthafte Rechtsmittel zu Protokoll aufzunehmen, noch kann die Haftanstalt unter diesem Gesichtspunkt verpflichtet sein, einen Gefangenen gleichwohl zur Anbringung eines derartigen Rechtsmittels mit allem dafür erforderlichen Aufwand auszuführen. Hinzu kommt vorliegend, dass dem Antragsteller aus einer Vielzahl von Senatsentscheidungen bestens bekannt ist, dass gegen Beschlüsse des Oberlandesgerichts in Straf-, Strafvollstreckungs-, oder Strafvollzugssachen kein weiteres Rechtsmittel gegeben ist. Genau dies war ihm auch in dem Senatsbeschluss vom 02.06.2016 wieder explizit mitgeteilt worden, gegen den er gleichwohl vorgehen wollte. Der Bundesgerichtshof hat den Antragsteller in mehreren Beschlüsse ebenfalls immer wieder darauf hingewiesen, dass die Entscheidungen des Oberlandesgerichts in derartigen Verfahren nicht weiter anfechtbar sind und seine gleichwohl dagegen eingelegten „weiteren Beschwerden“ deshalb stets als unzulässig verworfen. Der Antragsteller akzeptiert diese eindeutige Rechtslage wider besseres Wissen nicht für sich, was seine Anträge auf Ausführung zur Geschäftsstelle des Amtsgerichts in derartigen Fällen als rechtmissbräuchlich erscheinen lässt (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 01.11.2016 - 20 Ws 263/16 -, der ebenfalls den Antragsteller betrifft).

19

4. Die Sache war entgegen dem Antrag der Rechtsbeschwerdeführerin nicht nach § 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG zur erneuten Prüfung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts zurückzuverweisen, denn die Sache ist nach den vorstehend unter 3 a) gemachten Ausführungen spruchreif, was die eigene Entscheidungszuständigkeit des Senats eröffnet (§ 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG).

20

Danach ist nur noch die Erledigung der Sache festzustellen und gemäß § 121 Abs. 2 Satz 2 StVollzG über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen nach billigem Ermessen zu entscheiden. Ausschlaggebend dafür sind die hypothetischen Erfolgsaussichten des Antrags des Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung, wäre keine Erledigung eingetreten. Dieser wäre nach den oben unter 3 b) gemachten Ausführungen mit seinem Rechtsmittel unterlegen, weshalb er die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen zu tragen hat (§ 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG). Die Kosten der im Ergebnis erfolgreichen Rechtsbeschwerde der Vollzugsanstalt hat der Antragsteller nach § 121 Abs. 4 StVollzG i. V. m. § 465 StPO analog zu tragen.

III.

21

Dem Antrag des Antragstellers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren war nach § 120 Abs. 2 StVollzG, § 114 ZPO zu entsprechen, wobei eine Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten seiner Rechtsverteidigung nach § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu unterbleiben hatte.

22

Der weitergehende Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Rechtsbeschwerdeverfahren war hingegen zurückzuweisen.

23

Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 ZPO liegen nicht vor, weil für die Erwiderung auf die Rechtsbeschwerde kein Anwaltszwang besteht. § 118 Abs. 3 StVollzG gilt nur für den Antragsteller als Beschwerdeführer, nicht jedoch, wenn er - wie hier - Beschwerdegegner ist.

24

Auch § 121 Abs. 2 ZPO gebietet vorliegend nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts. Obwohl die beschwerdeführende Haftanstalt nicht durch einen Rechtsanwalt, sondern durch den Anstaltsleiter vertreten ist (§ 95 Abs. 1 Satz 1 StVollzG M-V), kann es der Grundsatz der Chancengleichheit zwar rechtfertigen, dem rechtlich zumeist nicht gleichermaßen befähigten Gefangenen im Rechtsbeschwerdeverfahren einen Rechtsanwalt beizuordnen. Vorliegend besteht indes die Besonderheit, dass im Rechtbeschwerdeverfahren nur noch die Erledigung der Hauptsache festzustellen und eine Kosten- und Auslagenentscheidung zu treffen, nicht jedoch über die den Antragsteller mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung interessierende Rechtsfrage zu befinden war.

IV.

25

Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 60, 52 GKG.

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