Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (16. Zivilsenat) - 16 U 39/15

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen I des Landgerichts Itzehoe vom 24. Februar 2015 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.035,28 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. Dezember 2013 zu zahlen; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien dürfen die Zwangsvollstreckung des jeweiligen Gegners durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des für den Gegner aufgrund des Urteils vollsteckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Gegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Der Kläger, Tankstellenagent der Beklagten, verlangt von dieser Rückzahlung einer sog. Kassenpacht, die er - seines Erachtens zu Unrecht - gezahlt hat.

2

Der Kläger hat von der Beklagten aufgrund des Tankstellen-Agenturvertrags vom 15./21. April 2004 (Anlage B 10) eine Tankstelle in K. als selbstständiger Kaufmann (Handelsvertreter) übernommen, an der er für diese Kraft- und Schmierstoffe auf deren Rechnung vertreibt. Daneben betreibt er als Eigengeschäft im eigenen Namen und auf eigene Rechnung das sog. Shop-Geschäft.

3

Beiderlei Umsätze werden über eine Registrierkasse abgewickelt, die Bestandteil eines von der Beklagten zur Verfügung gestellten Kassensystems ist, für die der Kläger gemäß einer Nachtragsvereinbarung vom Dezember 2004 (Anlage K 1, Bl. 5) eine Kassenpacht von monatlich 281,21 € zzgl. Mehrwertsteuer, derzeit also 334,64 € zu zahlen hat. Das Kassensystem besteht aus der eigentlichen Tankstellenkasse (POS - Point of sale) und einem Büroarbeitsplatz (BOS - back-office-system). Auf den Hardware-Komponenten befindet sich eine voraufgespieltes Software, die über buchhalterische Funktionen wie die Erstellung von Tagesabrechnungen, Umsatzsteuererklärungen und betriebswirtschaftlichen Auswertungen verfügt. Über das Kassensystem, auf das die Beklagte per Datenfernübertragung zugreifen kann, wird auch die Abwicklung des Agenturgeschäfts gesteuert. Die Beklagte stellt dergestalt die Preise am sog. Preismast wie auch an den einzelnen Zapfsäulen ein und gibt diese Preise der Kasse vor. Nach einem Tankvorgang wird die Zapfsäule erst freigegeben, wenn die Kasse die Bezahlung registriert hat. Über das Kassensystem „zieht sich“ die Beklagte darüber hinaus die vom Kläger zu erteilenden Abrechnungen des Agenturgeschäftes.

4

Mit der Klage hat der Kläger die in den 54 Monaten vom Januar 2010 bis zum Juni 2014 gezahlte Pacht von 18.070,56 € zurückgefordert. Er hat gemeint, die Nachtragsvereinbarung sei unwirksam. Bei dem Kassensystem handele es sich um eine Unterlage i. S. von § 86a Abs. 1 HGB, die die Beklagte ihm unentgeltlich zur Verfügung zu stellen habe. Er hat betont, dass ohne das Kassensystem ein Kraftstoffverkauf praktisch nicht möglich sei. Das System diene sowohl der Darstellung der zu veräußernden Produkte (Kraftstoffe) als auch zur Bedienung der Verkaufseinrichtung.

5

Die Beklagte hat sich dem entgegengestellt. Gemäß § 86a Abs. 1 HGB müsse sie als Unternehmer nur diejenigen produktspezifischen Hilfsmittel aus ihrer Sphäre bereitstellen, auf die der Kläger zur Ausübung seiner Vermittlungs- und Abschlusstätigkeit und zur Anpreisung der Ware angewiesen sei. Einen solchen sehr engen Bezug zu dem vertriebenen Produkt habe das Kassensystem nicht. Es handele sich vielmehr - jedenfalls hinsichtlich der Hardware - um eine Büroausstattung, deren Kosten der Handelsvertreter selbst zu tragen habe.

6

Das Landgericht hat die Beklagte zur vollen Rückzahlung verurteilt. Der Kläger habe die Kassenpacht ohne Rechtsgrund gezahlt, § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB. Die Nachtragsvereinbarung sei unwirksam, weil das Kassensystem zu den erforderlichen Unterlagen i. S. von § 86 a Abs. 1 HGB gehöre, die der Unternehmer dem Handelsvertreter unentgeltlich zur Verfügung zu stellen habe. Da das Kassensystem hier speziell auf den Verkauf von Kraftstoffen ausgelegt sei und nicht nur die Preisanzeige am Mast und die Preisanzeige an den Säulen, sondern auch die Bezahlung und Abrechnung mit der Beklagten sowie die Provisionsabrechnung durchführe, sei es eine Unterlage, die für die Werbung der Kunden und die Abrechnung unerlässlich sei. Der Kläger sei zum Abschluss der den Gegenstand des Handelsvertretervertrages bildenden Verträge darauf angewiesen. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass hier - anders als im Regelfall eines typischen Handelsvertretervertrages - der Tankstellenpächter den Verkauf der Ware vollständig durchführe, die Ware übergebe, die Bezahlung entgegennehme und später mit dem Unternehmer verrechne. Schon von daher habe der Unternehmer grundsätzlich alle Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die auch für die Abwicklung des Kaufes erforderlich seien, also insbesondere auch die „Kasse“ im eigentlichen Sinne mit allen dazugehörigen Komponenten. Soweit das System darüber hinaus die Preisgestaltung am Preismast und an den Zapfsäulen regele, seien auch dies ohne Zweifel Funktionen, die aus der Sphäre des Unternehmers stammten, einen sehr engen Bezug zu den vertriebenen Produkten hätten und auf die der Handelsvertreter zur Abwicklung der Verkaufsgeschäfte zwingend angewiesen sei. Ohne eine derartige Logistik, die hier nur die Beklagte zur Verfügung stellen könne, sei eine Vermittlung oder der Abschluss von Verträgen praktisch ausgeschlossen. Zwar habe nach § 87d HGB der Handelsvertreter die in seinem regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstehenden Aufwendungen wie eigene Büroausstattung etwa selbst zu tragen. Eine eindeutige Trennung, welcher Anteil des Kassensystems „Unterlage“ sei und was zur selbst zu beschaffenden Geschäftseinrichtung zähle, sei in der vorliegenden Konstellation jedoch nicht möglich. Da das Kassensystem trotz der Unterscheidung in Hard- und Software ein einheitliches Produkt darstelle, könne dem Kläger auch nicht nur ein Anteil der Kosten des Systems auferlegt werden; daneben fehle es auch an Anhaltspunkten, wie eine wertmäßige Verteilung vorgenommen werden könne, es überwiege ganz wesentlich die Preisbestimmung und Preisbezeichnung der Kraftstoffe sowie deren Abrechnung mit den Kunden, die in den Interessenbereich der Beklagten fielen.

7

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die meint, das Kassensystem sei nicht als „Unterlage“ anzusehen.

8

Der Kläger sei darauf zur Vermittlung oder zum Abschluss der vertragsgegenständlichen Verträge schon nicht angewiesen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Vertrag bei Selbstbedienungstankstellen bereits mit der Beendigung des Tankvorganges zustande komme, sodass diejenigen Funktionen des Kassensystems, die zeitlich erst danach zum Tragen kämen (wie namentlich die Übermittlung von Kraftstoffart und -menge, die Speicherung und Übermittlung dieser Daten und der gesamte Bezahlvorgang) für die Frage der Erforderlichkeit nicht relevant seien. Im Übrigen könne die konkrete vertragliche Ausgestaltung im Einzelfall für die Frage der Erforderlichkeit keine Bedeutung haben, weil eine objektive Anknüpfung erfolgen müsse. Es sei also zu fragen, ob ganz allgemein der Verkauf von Kraftstoffen ein derartiges System erfordere, was zu verneinen sei, da bekanntlich auch bereits vor Einführung solcher Kassensysteme Benzin an Tankstellen veräußert worden sei; zwingend notwendig sei das System deshalb nicht.

9

Auch fehle es an einem sehr engen Bezug zu dem vertriebenen Produkt. Bei dem Kassensystem handele es sich nicht um ein produktspezifisches Hilfsmittel, sondern ein produktunspezifisches. Mit seiner Hilfe könne man zwar auch Kraftstoffe verkaufen, aber grundsätzlich auch jedes andere im Einzelhandel übliche Produkt, was der Kläger im Rahmen seines Shop-Geschäftes ja auch tue. In der Abgrenzung zu der vom Handelsvertreter selbst zu finanzierenden Büroausstattung, die in der Regel ebenfalls erforderlich im Sinne einer conditio sine qua non sein werde, müsse nicht gefragt werden, ob der jeweilige Gegenstand für den Vertrieb der jeweiligen Art von Produkten erforderlich sei, sondern gerade speziell für diejenigen des Unternehmers.

10

Die Unterlage stamme auch nicht spezifisch aus der Sphäre des Unternehmers bzw. könne nicht nur von diesem zur Verfügung gestellt werden. Das lasse sich schon daran erkennen, dass das Kassensystem weder speziell für die Beklagte hergestellt noch exklusiv von Herstellern nur an diese veräußert werde. Sowohl Mitbewerber als auch einzelnen Tankstellenbetreiber könnten ein derartiges System problemlos erwerben (Bl. 112).

11

Die Richtigkeit dieser Auffassung lasse sich auch durch Kontrollüberlegungen bestätigen: Die Auffassung des Landgerichts würde dazu führen, dass, hätten die Parteien im Agenturvertrag keine Regelung getroffen, der Kläger einen einklagbaren Anspruch auf kostenlose Überlassung eines solchen Kassensystems habe. Das könne schon angesichts des ganz erheblichen Wertes eines solchen Systems, der weit über dem Wert der in § 86a Abs. 1 HGB beispielhaft genannten Unterlagen wie Zeichnungen, Geschäftsbedingungen und Preislisten liege, nicht ernsthaft vertreten werden. Auch trage das vom Landgericht verwendete Alles-oder-nichts-Prinzip dem Umstand nicht Rechnung, dass das Kassensystem Synergien schaffe, die beiden Parteien nützten. Verkauf und einfache Abrechnung lägen auch im Interesse des Klägers, welcher überdies auch im Rahmen seines Eigengeschäftes von den sonstigen Funktionen des Kassensystems profitiere.

12

Auf Auflage des Senats vom 6. Juli 2015 (Bl. 122) hat die Beklagte zu ihrer Kostenkalkulation vorgetragen, wie der ungerade Betrag der Kassenpacht im Einzelnen ermittelt worden sei, lasse sich nicht mehr feststellen (Bl. 146). Bei der Preisbildung handele es sich um eine Mischkalkulation, die unter Berücksichtigung der zu erwartenden Provisionserlöse und einer als angemessen erachteten Beteiligung an den Kosten des Kassensystems dem Pächter einen auskömmlichen Betrieb der Tankstelle ermöglichen solle (Bl. 145); entsprechend sei die Pacht fix, während die Beklagte das Risiko von Preissteigerungen und auch des Austausches trage. Bei der Bemessung hätten die Außendienstmitarbeiter einen gewissen Spielraum (Bl. 146). Das sei auch gerechtfertigt. Einen allgemeinen Grundsatz dahin, dass der Handelsvertreter nicht Kosten des Unternehmers tragen dürfe, gebe es nicht. Soweit der BGH davon spreche, dass der Handelsvertreter sich nicht an Kosten des Unternehmers beteiligen müsse, so beziehe sich das nur auf die Herleitung, warum die Überlassung von Unterlagen kostenlos zu erfolgen habe. Im Übrigen richtet sich die Behandlung der Geschäftskosten des Handelsvertreters nach § 87d HGB; und dieser sei dispositiv, erlaube es daher auch, dem Handelsvertreter Kosten aufzuerlegen (Bl. 147ff.).

13

Die genauen Anschaffungskosten könne sie nicht benennen; die Systeme habe sie in einem Paket von 490 Tankstellen von XY gekauft (Bl. 137; in der Buchhaltung [vgl. Anlage BerB 2, Bl. 150] sei entsprechend ein Anschaffungswert insoweit nicht ausgewiesen). Ein neues System würde heute 14.724,- € kosten, dafür 1.595,- € für die Forecourt-Steuerung, d.h. die Anbindung des Preismastes sowie die Überwachung des Füllstandes und der Gasrückführung mittels des Kassensystems, (Bl. 137f.). Zwischen 2004 und 2015 habe sie für Ergänzungen, Updates und Austausch von Komponenten 10.649,20 € aufgewandt (Bl. 138 i.V.m. Anlage BerB 2, Bl. 150), daneben für Reparaturen zwischen 2005 und 2012 weitere 2.761,54 € (Bl. 139) sowie von 2005 (1.719,- €) bis 2015 (1.998,- €) durchschnittlich jährlich 1.919,78 € für Wartung (vgl. Anlage BerB 3, Bl. 151ff.). Danach werde ein Großteil der Pacht schon für die Wartung benötigt. In Anbetracht der weiteren Kosten sei die Pacht insgesamt nicht unangemessen.

14

Die Beklagte beantragt,

15

die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

16

Der Kläger beantragt,

17

die Berufung zurückzuweisen.

18

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung.

19

Das Kassensystem sei eine Unterlage im Sinne von § 86a HGB. Ohne dieses seien Vermittlung und Abschluss von Geschäften für die Beklagte nicht möglich. Die Beklagte stelle auf andere Weise als über das System Preisinformationen nicht zur Verfügung. Das System sei daher auch eine erforderliche Unterlage. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs könne diese - wie hier auch - die Form einer Software haben. Dass das Kassensystem darüber hinaus weitere Funktionalitäten habe, ändere an der Einordnung nichts, zumal auch diese namentlich die Steuerung der Zapfsäule und die Abrechnung - unabdingbar für den vereinbarungsgemäßen Verkauf des Kraftstoffs sei. Dass das für einen einheitlichen Preis überlassene „Paket“ daneben auch andere Komponenten aufweise, schade nicht, da es sich - wie im Fall des Bundesgerichtshofs (NJW 2011 2423, Rn. 30 bei juris) - um ein nach der Verkehrsauffassung einheitliches Produkt handele: es werde eine Pacht für eine Kasse verlangt.

II.

20

Die Berufung hat teilweise Erfolg, § 513 Abs. 1 ZPO.

21

Der Kläger kann - nur - die Hälfte der im streitgegenständlichen 4 ½-Jahreszeitraum gezahlte Kassenpacht zurückverlangen, § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB. Der Rückzahlungsanspruch ergibt sich indes nicht daraus, dass das Kassensystem eine kostenlos zu überlassende Unterlage im Sinne von § 86a HGB wäre; das ist nicht bzw. nur sehr teilweise der Fall und kann eine völlige Kostenfreiheit nicht rechtfertigen (dazu A.) Der Anspruch folgt vielmehr aus dem handelsvertreterrechtlichen Grundsatz einer angemessenen Kostenverteilung (dazu B.).

1.

22

Ein bereicherungsrechtlicher Rückzahlungsanspruch steht dem Kläger nicht oder nur zu geringem Teil unter dem Gesichtspunkt zu, dass die Beklagte dem Kläger das Kassensystem als eine „Unterlage“ im Sinne von § 86a Abs. 1 HGB unentgeltlich zur Verfügung zu stellen hätte, wonach dann die entgegenstehende Regelung in der Nachtragsvereinbarung gemäß § 86 a Abs. 3 HGB unwirksam wäre.

23

Bei näherer Betrachtung stellt das streitgegenständliche Kassensystem ungeachtet seiner vertrieblichen bzw. - vgl. U 8 oben - logistischen Notwendigkeit nicht bzw. nur sehr teilweise eine Unterlage im Sinne von § 86a Abs. 1 HGB dar, da es an dem erforderlichen inhaltlichen Bezug zum Produkt fehlt.

24

Gemäß § 86a Abs. 1 HGB hat der Unternehmer dem Handelsvertreter die zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen Unterlagen, wie Muster, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen und Geschäftsbedingungen zur Verfügung zu stellen, was nach ganz herrschender Meinung unentgeltlich zu geschehen hat. Die Unentgeltlichkeit folgt aus dem Leitbild des Handelsvertreters als eines selbstständigen Vermittlers von Geschäften. Dieser soll sich einerseits nicht an den Kosten des Unternehmers beteiligen müssen, muss andererseits jedoch das alleinige Risiko der von ihm entfalteten Absatzbemühungen tragen (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 2011, VIII ZR 11/10, NJW 2011, 2423, Rn 19 bei juris m.w.N.).

25

Der Begriff der Unterlagen ist nach allgemeiner Auffassung weit zu fassen. Die im Gesetz vorgenommene Aufzählung von Mustern, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen und Geschäftsbedingungen ist nur beispielhaft und nicht abschließend. Von dem Begriff der Unterlagen wird alles erfasst, was dem Handelsvertreter zur Ausübung seiner Vermittlungs- oder Abschlusstätigkeit - insbesondere zur Anpreisung der Waren bei dem Kunden - dient und aus der Sphäre des Unternehmers stammt. Aus den Beispielen, die die Vorschrift aufführt, lässt sich ableiten, dass es sich jeweils um Unterlagen handeln muss, die einen sehr engen Bezug zu dem vertriebenen Produkt haben und ohne die eine erfolgreiche Vermittlung nicht möglich ist. Das gilt insbesondere für Preislisten und Geschäftsbedingungen, ohne die der Handelsvertreter die Vermittlung oder den Abschluss eines Vertrages unter Einhaltung der vom Unternehmer vorgegebenen Konditionen nicht leisten kann. Die übrigen beispielhaft erwähnten Unterlagen, nämlich Muster, Zeichnungen und Werbedrucksachen sind - je nach Branche - erforderlich, damit der Handelsvertreter den künftigen Kunden das Produkt, das er nach dem Handelsvertretervertrag zu vertreiben hat, überhaupt vorstellen kann. Ohne derartige Unterlagen, die nur der Unternehmer zur Verfügung stellen kann, ist eine Vermittlung oder der Abschluss von Verträgen praktisch ausgeschlossen (vgl. BGH, a. a. O., Rn 24).

26

Aus dieser Herleitung ergibt sich, dass es - was an sich auch schon aus dem bloßen Wortsinn des Ausdrucks „Unterlage“ folgt - um Dinge geht, die das zu vertreibende Produkt „unterlegen“, also inhaltlich bezeichnen, beschreiben und/oder eingrenzen oder, anders gesagt, um die Bereitstellung bestimmter produktspezifischer Informationen, die für die Einflussnahme auf die Entschließung des Kunden von Bedeutung sind. Bei den im Gesetz beispielhaft genannten Mustern, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen und Geschäftsbedingungen steht ersichtlich der informatorische Gehalt im Vordergrund, dessen Verfügbarkeit für den Handelsvertreter und den von ihm erwarteten Einwirken auf den Kunden schlechthin notwendig ist. Da Produkt und Produktinformation aus der Sphäre des Unternehmers stammen, erscheint es auch mehr oder weniger selbstverständlich, die Materialkosten dieser Information seinen Aufwendungen zuzuordnen unter den Kommunikationsbedingungen Mitte des vergangenen Jahrhunderts - die neue Fassung des Handelsvertreterrechts beruht im Wesentlichen auf einem Gesetz vom 6. August 1953 - konnte es sich, und auch das spiegelt der Begriff der „Unterlagen“, allein um papierförmiges Material handeln, das typischerweise zentral vom Unternehmer beauftragt und verteilt wurde.

27

Mit einem solchen papiernen Medium mit überschaubaren Kosten ist das hier streitgegenständliche Kassensystem nicht mehr sinnvoll vergleichbar. Es umfasst zwar auch noch die ursprünglich gemeinte Funktion der Mitteilung einer Produktinformation, nämlich des jeweiligen Preises für die einzelnen Waren. Es geht indes über die vormalige Mitteilung eines produktbezogenen Inhalts vom Unternehmer über den Handelsvertreter an den Kunden so weit hinaus, dass ihm im Durchgang durch die zwischen den Parteien unstreitigen Funktionalitäten insgesamt eine andere Qualität beizumessen ist:

28

In erster Linie erfüllt das Kassensystem die Funktion einer Registrierkasse, die eine geordnete Abwicklung und Abrechnung der Einnahmen und Ausgaben im Betrieb des Handelsvertreters ermöglicht, und damit Funktionen, die ganz eindeutig dem Geschäftsbetrieb des Handelsvertreters zuzuordnen sind, der nun einmal eine Kasse benötigt und sie zu führen und abzurechnen hat. In diesem Zusammenhang gestattet die Kasse dem Handelsvertreter auch die Erstellung von Journalen und Umsatzsteuererklärungen, worin ebenfalls Funktionen liegen, die ganz eindeutig seinem Betrieb und dessen büroorganisatorischem Bereich zuzuordnen sind und mit einer produktspezifischen Information nichts mehr zu tun haben.

29

Daneben ermöglicht das Kassensystem vermittels der Datenfernübertragung auch eine „umgekehrte“ Kommunikation des Handelsvertreters mit dem Unternehmen, indem es nämlich den Transfer betrieblicher Umsatz- und Provisionsdaten vom Handelsvertreter an das Unternehmen leistet, womit es ebenfalls ein Hilfsmittel zur Erfüllung von Aufgaben bietet, die in die Sphäre des Handelsvertreters fallen. Insoweit dient es allerdings zugleich handgreiflich auch den Bedürfnissen des Unternehmers; denn es ist in seinem Sinn und Interesse, wenn er jederzeit selbst auf die Daten der Kasse zugreifen kann, die Kasse Informationen nach einem von ihm vorgegebenen System liefert und die Kopplung der Kassen mit der Warenausgabe über die Zapfsäulen zugleich eine hohe Gewähr für die inhaltliche Richtigkeit der gezogenen Abrechnung bietet. Insofern erspart das System der Beklagten im Vergleich zu einer papiernen Abrechnung ohne Verbindung zur Warenausgabe einen erheblichen Personal- und Organisationsaufwand, der sonst mit der Bearbeitung der Abrechnungen, aber auch mit der Kontrolle der Warenausgabe und der korrekten Betriebsführung im Übrigen verbunden wäre.

30

Zusammengefasst ist damit das Kassensystem nur noch in einer einzelnen Funktion - der Preismitteilung - überhaupt noch mit dem Charakter einer Unterlage als des Trägers spezifischer Produktinformationen behaftet, während es im Übrigen, weit darüber hinausgehend, ein komplexes multifunktionales, von dem konkret gehandelten Produkt losgelöstes betriebswirtschaftliches Rechnungs- und wechselseitiges Kommunikationsmedium ist.

31

Danach verbietet sich eine vollständige oder auch nur weitgehende Einordnung als „Unterlage“, und dies auch unter dem vom Kläger noch angeführten Gesichtspunkt eines „einheitlichen Pakets“. Das wird angesichts der vielfältigen allein vertreternützigen Funktionen der Sache ersichtlich nicht gerecht. Etwas anderes lässt sich insoweit nach Meinung des Senats auch nicht aus der Entscheidung des BGH vom 4. Juli 2011 (NJW 2011 2423 Rn. 30 bei juris) herauslesen. Dort wurde dem Handelsvertreter für monatlich 80,- € eine Software zur Verfügung gestellt, die ihm u.a. die Nutzung der Vertriebssoftware des Unternehmens ermöglichte, das Finanzdienstleistungen vermittelte. In einem solchen Fall muss einleuchten, dass der Handelsvertreter ohne Zugang zu der Software Kundengespräche nicht sinnvoll und nicht erfolgreich hat führen können. Dort lag es entsprechend nahe, den erkauften Zugang wie eine Überlassung von - inhaltlichen, produktspezifischen - Unterlagen zu behandeln und demgegenüber - auch angesichts des insgesamt berechneten Preises - die Software-Komponenten, die der vom Handelsvertreter selbst zu finanzierenden allgemeinen Büroorganisation zuzuordnen waren, zu vernachlässigen. Hier liegen, wie ausgeführt, die Dinge wesentlich komplexer und sind auch die anfallenden Kosten erheblich andere. Das lässt eine „Einheitslösung“ als verfehlt erscheinen.

2.

32

Im Hinblick auf die zahlreichen Funktionen, die, wie dargestellt, das Kassensystem im Interesse des einen und des anderen Vertragspartners und auch im Interesse beider hat, kann nach Meinung des Senats die Frage wirtschaftlich und auch rechtlich vernünftigerweise nur sein, ob in Anbetracht dieser Funktionen und ihrer jeweiligen Zuordnung auf den Nutzen der jeweiligen Partei die von der Beklagten mit der Kassenpacht vorgenommene Kostenzurechnung im Hinblick auf das Leitbild des Handelsvertretervertrages angemessen ist, welches es, wie eingangs ausgeführt, verbietet, dem Handelsvertreter Kosten aufzuerlegen, die „eigentlich“ Kosten des Unternehmers sind.

33

Der Gedanke einer fairen Kostenverteilung nach dem jeweiligen Nutzen, der sich im Übrigen auch aus § 242 BGB verstehen würde, gilt im Besonderen auch im Handelsvertreterrecht. Wenn der Bundesgerichtshof (a.a.O., Rn. 19) ausführt, dass aus dem Leitbild des Handelsvertreters als selbständigem Vermittler von Geschäften folge, dass er sich nicht an den Kosten des Unternehmers beteiligen müsse, so gilt das nicht - wie aber die Beklagte will - allein für die Herleitung der Unentgeltlichkeit der Überlassung von Unterlagen im Sinne von § 86a Abs. 1 HGB, sondern für das gesamte Handelsvertreterverhältnis. Nichts anderes ergibt sich auch aus § 87d HGB; dieser bestätigt vielmehr inzident das allgemeine Leitbild. Wenn danach der Handelsvertreter Ersatz seiner im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandenen Aufwendungen nur bei Handelsüblichkeit verlangen kann, so besagt das nur, dass das Unternehmen ihm grundsätzlich seine eigenen Aufwendungen nicht von der Hand halten muss. Die Vorschrift gestattet es daher mitnichten, dem Handelsvertreter Kosten des Unternehmers aufzuerlegen. Ihre Ratio ist vielmehr nichts anderes als der Gedanke, dass grundsätzlich jeder die ihm zuzurechnenden Kosten selbst zu tragen hat.

34

In Anbetracht des nicht unerheblichen Betrags, den die Beklagte - anfangs gänzlich unaufgeschlüsselt, augenscheinlich nicht wirklich durchkalkuliert und faktisch teilweise in das Ermessen der Außendienstmitarbeiter gestellt - dem Kläger aufgrund der Nachtragsvereinbarung allmonatlich abverlangt, liegt nicht fern, dass der Betrag zu nicht geringen Anteilen auch Kosten enthält, die bei richtiger Zuordnung - sei es, weil es ihr Kommunikationsvorteile einbringt, sei es, weil es ihr Kosten erspart, die sie bei einer herkömmlichen Organisation der Informationsverarbeitung und der Kontrolle ihrer Agenten hätte - der Beklagten zuzuordnen sind. Und so stellt es sich denn auch - nach den von der Beklagten auflagegemäß hergegebenen Unterlagen - in concreto dar.

a)

35

Aus den von der Beklagten vorgelegten Zahlen, deren Richtigkeit der Kläger nicht in Abrede genommen hat, ergibt sich, dass die Pacht die insgesamt anfallenden Kosten rundheraus deckt.

36

Der Kläger zahlt monatlich 281,21 € netto, also jährlich

3.374,52 €.

An Kosten fallen dagegen an

        

- für Austausch, Erneuerung, Updates 10.649,20 in 12 Jahren
  also jährlich in Durchschnitt

887,43 € 

- für die Wartung jährlich

1.919,72 € 

- für Reparaturen 2.761,54 € in 12 Jahren,
  also jährlich durchschnittlich

230,13 € 

- hinzu zu rechnen ist eine anzusparende Rücklage
  für die etwa anfallende Runderneuerung der Anlage;
  dafür kann - bei einem betriebswirtschaftlich großzügigen
  Ansatz von Tagesneuwerten - aus Anschaffungskosten neu   

14.724,00 € 

./. reale bisherige Erneuerungskosten

10.649,20 € 

ein Betrag von

4.074,80 € 

angesetzt werden,

        

das sind verteilt auf 15 Jahre

271,65 €.

Damit ergeben sich Kosten von jährlich

3.308,99 €,

also nur 65,53 € mehr, als die Beklagte nach dem Vertrag verlangt,
eine Differenz von monatlich rd. 5,- €, die zu vernachlässigen ist.

b)

37

Dabei bleibt aber unberücksichtigt, dass von dem Kassensystem, das hiernach der Handelsvertreter allein bezahlt, auch die Beklagte wesentliche Vorteile hat.

38

Nicht nur ermöglicht ihr das System die sekundenschnelle Umsetzung der Änderung ihrer Tagespreise, Sie kann auch auf das System durchgreifen und sich jederzeit daraus die von ihr benötigten Daten ziehen, die in der Kasse für sie schon zur unmittelbaren Verarbeitung vorstrukturiert sind. Dadurch erspart sie sich, wie schon ausgeführt, im Vergleich zu einer „händischen Bearbeitung“ in erheblichem Umfang Personal- und Organisationsaufwand, der sonst mit der Kommunikation, der Bearbeitung der Abrechnungen, mit der Kontrolle der Warenausgabe und der korrekten Betriebsführung im Übrigen verbunden wäre.

39

Im Abgleich mit den für den Kläger bestehenden Vorteilen einer EDV, die auch ihm die Kommunikation erleichtert, ihm die Buchhaltung und steuerliche Erklärungen abnimmt und daneben - hinsichtlich der Shop-Geschäftes - auch allein seinen Belangen dient, hält der Senat insgesamt eine hälftige Kostenverteilung für angemessen, § 287 Abs. 1 ZPO.

3.

40

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

41

Seit dem 22. Dezember 2013 befand sich die Beklagte mit der Rückzahlung in Verzug (vgl. U 9). Der Verzugszins beträgt 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz; der Rückzahlungsanspruch ist keine Entgeltforderung im Sinne von §§ 288 Abs. 2, 286 Abs. 3 BGB (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, Kommentar, 74. Auflage, § 288 Rn. 8, 286 Rn. 27 m.N.)

42

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Vollstreckbarkeitsentscheidung aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

43

Der Senat lässt die Revision zu, § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Frage der Einordnung des Kassensystems ist höchstrichterlich nicht geklärt; die nähere Eingrenzung des Begriffs der Unterlage erscheint klärungsbedürftig, nachdem etwa das Hanseatische Oberlandesgericht (Beschluss vom 28. Oktober 2014, 15 U 11/14, hier Bl. 54) eine bloße Datenleitung als „Unterlage“ angesehen hat, die der Unternehmer auf seine Kosten zu liefern und zu warten habe.


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen