Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (17. Zivilsenat) - 17 U 6/17

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Auf die Widerklage des Beklagten wird

1. festgestellt, dass der Beklagte Eigentümer des Wohnmobils der Marke/des Typs Fiat Ducato mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … ist , sowie

2. der Kläger verurteilt, der Herausgabe des Wohnmobils der Marke/des Typs Fiat Ducato mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … - derzeit auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft Hamburg (Az. …) sichergestellt durch die Polizeidienststelle Polizeipräsidium Köln, … - an den Beklagten zuzustimmen.

Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Kosten beider Rechtszüge hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Jedoch kann der Kläger die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 38.000,00 € abwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt die Zustimmung des Beklagten zur Herausgabe eines derzeit polizeilich sichergestellten und zuvor unstreitig von diesem erworbenen Wohnmobils an ihn selbst sowie im Berufungsrechtszug zusätzlich die Feststellung, dass er Eigentümer dieses Fahrzeugs ist.

2

Dieses hatte der Beklagte an eine Frau vermietet und von dieser nicht mehr zurückerhalten. Stattdessen bot eine als „H. H. aus Hamburg“ auftretende Veräußerin südländischen Aussehens das - ausweislich Auftragsbestätigung des Beklagten vom 9. September 2015 (B 1, Bl. 64 f. d. A.) von diesem zu einem Listenpreis von 50.755,00 € und zu einem tatsächlichen Kaufpreis von 44.000,00 € erworbene - Wohnmobil vom Typ Fiat Ducato „W…“ im Internet zu einem Verhandlungspreis von 33.400,00 € an (B 2), unter Angabe einer Laufleistung von 5.500 km. Nach seiner Darstellung traf der in Köln wohnhafte Kläger sich mit der Verkäuferin zunächst in einem Café am Rande eines Supermarkts in Hamburg - in diesem soll die Verkäuferin ihrer Darstellung nach gearbeitet haben - und fuhr von dort zu dem einige Kilometer entfernten Standort des Wohnmobils in einer Parkbucht vor einem größeren Gebäude, nach Angaben des Beklagten möglicherweise eine Schwimmhalle. Nach einer Besichtigung des Fahrzeugs erreichte der Kläger nicht zuletzt wegen einer Beschädigung am Heck des Fahrzeugs eine Kaufpreisminderung auf 29.500,00 €.

3

Im schriftlichen Kaufvertrag vom 22. März 2016 (K 1, Bl. 5 d. A.) wurde eine etwas geringere Laufleistung von 4.117 km angegeben, aber im Übrigen die gleiche Fahrzeugidentifizierungsnummer … wie in den vorgelegten Zulassungsbescheinigungen Teil I und II (K 2, K 3, Bl. 6 bis 7 d. A.) und am Fahrzeug angegeben. Während der Kaufvertrag als Verkäuferadresse „K. Straße 278, 2… Hamburg“ aufwies, hieß es in der Zulassungsbescheinigung Teil I „K. Straße 37 B, 2… Hamburg“ und in der Zulassungsbescheinigung Teil II „K. Straße 37 B, 2… Hamburg“. Der Kaufvertrag benannte eine „H. H…nn“ als Verkäuferin. Demgegenüber waren am Vorabend an den Beklagten die technischen Daten „MfG Familie H…n“ von einer E-Mail-Adresse „mh…n@gmx“ übermittelt worden (B 2, Bl. 66 ff. d.A).

4

Wie der Kläger dargelegt hat, habe er durch Inaugenscheinnahme des Personalausweises die Identität der Verkäuferin überprüft; die Unstimmigkeiten hinsichtlich der Adressen- und Namensangabe seien ihm nicht aufgefallen. Nach Barzahlung erhielt der Kläger die Zulassungsbescheinigungen sowie zwei Fahrzeugschlüssel. Die Zulassungsbescheinigungen stellten sich später als sogenannte „Blanko-Fälschungen“ heraus. Auch von den Fahrzeugschlüsseln war lediglich einer ein Originalschlüssel, der andere eine Imitation, mit welchem nur in unmittelbarer Nähe des weiteren Fahrzeugschlüssels und der dort eingebauten Funkbetätigung das Fahrzeug gestartet werden konnte.

5

Der Kläger behauptet in beiden Rechtszügen, dass ihm die mangelnde Verfügungsbefugnis der Verkäuferin nicht bekannt gewesen sei. Er ist deshalb der Auffassung, das Fahrzeug gutgläubig erworben zu haben. Dies stellt der Beklagte aufgrund der vorliegenden Ungereimtheiten und der - als solches unstreitigen - Tätigkeit des Klägers als Serviceberater in einem Autohaus in Abrede.

6

Soweit das Wohnmobil zur Besicherung einer Darlehensfinanzierung an die finanzierende Bank sicherungsübereignet war, hat diese mit Schreiben vom 11. Oktober 2016 (Bl. 157 d.A.) bestätigt, dass das Darlehen zurückgeführt worden sei. Mit Schreiben bereits vom 11. August 2016 (Bl. 157 d.A.) hatte die Bank mitgeteilt, dass sie die echte Zulassungsbescheinigung Teil II im Falle seines Obsiegens in diesem Rechtsstreit an den Beklagten herausgeben werde.

7

Das Landgericht, auf dessen Urteil hinsichtlich weiterer Einzelheiten gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO verwiesen wird, hat der auf Zustimmung zur Herausgabe des sichergestellten Fahrzeuges an den Kläger gerichteten Klage stattgegeben. Hierzu sei der Beklagte verpflichtet, weil der Kläger gemäß §§ 929 Satz 1, 932 BGB infolge gutgläubigen Erwerbs Eigentümer des Fahrzeugs geworden sei. Der Kläger habe sich die erforderlichen Unterlagen vorlegen lassen. Plausibel und nachvollziehbar sei, dass ihm die Unstimmigkeiten nicht aufgefallen seien; eine Pflicht zu weiteren Nachforschungen habe nicht bestanden. Auch Verkaufsumstände und Preisdifferenz seien nicht untypisch für den Gebrauchtwagenhandel. Selbst den Umstand, dass der Zweitschlüssel offensichtlich kein Originalschlüssel ist, habe der Kläger nicht merken müssen, weil nicht ersichtlich sei, dass der Kläger vergeblich Startversuche mit diesem Schlüssel vorgenommen habe.

8

Gegen dieses Urteil macht der Beklagte mit seiner rechtzeitig eingelegten Berufung Folgendes geltend:

9

- Das Landgericht habe die berufliche Tätigkeit des Klägers nicht hinreichend berücksichtigt. Es sei aber in der Rechtsprechung anerkannt, dass für Kfz-Händler strengere Sorgfaltspflichten gelten würden, welche über die Sorgfaltspflichten eines Privatmannes deutlich hinausgingen. Dies könne bei einem Serviceberater nicht anders liegen.

10

- Der Arbeitgeber des Klägers habe - aus dem Internet ersichtlich - zudem auch Wohnmobile in der Vermietung; ungeachtet dessen bietet der Kläger auch selbst Fahrzeuge im Internet an, beispielsweise der Firma BMW.

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- Anders als das Landgericht es meine, hätten die Unstimmigkeiten in den Fahrzeugbescheinigungen aber auch bereits einem Laien auffallen müssen.

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- Jedenfalls aus Händlerperspektive müsse aber ein um 25 % unter Wert annoncierter Kaufpreis zudem Bedenken erwecken.

13

- Das Landgericht habe auch verkannt, dass der Kläger eine Tauglichkeitsprüfung der Fahrzeugschlüssel hätte vornehmen müssen; sei es doch typisch für entwendete Fahrzeuge, dass bei diesen zumeist nur ein Originalschlüssel vorhanden oder funktionsfähig sei.

14

- Inzwischen habe sich weiter heraus gestellt, dass auch das Deckblatt des Serviceheftes erkennbar mittels eines neuen Deckblattes manipuliert worden sei.

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- Aber auch die Situation des „Straßenverkaufs“ als solche müsse stets Zweifel erwecken, insbesondere wenn weitere Ungereimtheiten oder Ungenauigkeiten hinzu kämen; so liege es hier bei der Kilometerangabe, aber auch bei der Bescheinigung für die Flüssiggasanlage, der Abweichung der Ausstattung des Modells des angebotenen Baujahrs 2015 und dem tatsächlich gegebenen Modelljahr 2016 sowie bei dem zu dem deutschen Namen nicht passenden südländische Aussehen der Verkäuferin sowie deren behauptetes Alter.

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Der Beklagte beantragt,

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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen sowie das Feststellungsbegehren des Klägers zurückzuweisen

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sowie widerklagend

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1. im Wege des Zwischenfeststellungsantrages festzustellen, dass er, der Beklagte, Eigentümer des Wohnmobils der Marke/des Typs Fiat Ducato mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … ist und

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2. den Kläger zu verurteilen, der Herausgabe des Wohnmobils der Marke/des Typs Fiat Ducato mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … - derzeit auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft Hamburg sichergestellt durch die Polizeidienststelle Polizeipräsidium Köln, an ihn, den Beklagten, zuzustimmen.

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Der Kläger beantragt,

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1. die Berufung zurückzuweisen
sowie

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2. festzustellen, dass er, der Kläger, Eigentümer des Wohnmobils der Marke/des Typs Fiat Ducato mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … ist.

24

Der Kläger verteidigt das landgerichtliche Urteil und vertieft sein bisheriges Vorbringen dahin, dass der Kaufpreis keineswegs auffällig niedrig gewesen sei, er lediglich im Nachhinein ein Fahrzeug bei ebay angeboten habe, er keine Veranlassung zu einem Startversuch mit dem zweiten Schlüssel gehabt habe - welcher mutmaßlich wegen räumlicher Nähe zum Erstschlüssel auch funktioniert hätte - und sein Fokus darauf gerichtet gewesen sei, anhand von Zulassungsbescheinigungen und Personalausweis die Identität und Verfügungsberechtigung der Verkäuferin sowie durch Besichtigung den tatsächlichen Zustand des Wohnmobils zu überprüfen. Aus seiner Sicht habe keine Veranlassung bestanden - und dies werde auch nicht behauptet - etwa sich das Serviceheft anzusehen, über dessen Vorhandensein als solches er sich durchaus überzeugt habe. Die Darstellung von dessen Inhalt durch den Beklagten werde mit Nichtwissen bestritten. Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 4. April 2017 beanstandet der Kläger das seiner Auffassung nach fehlende Rechtschutzbedürfnis für die Widerklage des Beklagten und die unterbliebene förmliche Rückübereignung durch die finanzierende Bank.

25

Im Übrigen wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 24. März 2017 sowie die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die jeweils beigefügten Anlagen. Der Senat hat die Ermittlungsakten beigezogen.

II.

26

Die zulässige Berufung des Beklagten hat in vollem Umfange Erfolg.

27

Deshalb war nicht nur unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die auf Zustimmung zur Herausgabe des sichergestellten Fahrzeuges an den Kläger erhobene Klage abzuweisen, sondern auch auf die gemäß § 533 ZPO statthafte, weil jedenfalls sachdienliche Widerklage des Beklagten der Kläger umgekehrt zur Zustimmung der Herausgabe an den Beklagten zu verurteilen sowie im Rahmen zulässiger Zwischenfeststellung auch festzustellen, dass der Beklagte Eigentümer des streitbefangenen Wohnmobils ist. Vielmehr musste umgekehrt auch die im Rahmen zulässiger Anschlussberufung statthaft erhobene Zwischenfeststellungsklage des Klägers erfolglos bleiben, weil der Kläger nicht Eigentum erworben hat. Den beiderseitigen Anträgen fehlt es allerdings nicht am Rechtsschutzinteresse. Denn obwohl die Rechtskraftwirkung einer Entscheidung zwischen den Parteien auf diese beschränkt ist und im Rahmen strafprozessualer Sicherstellung gemäß § 111 k StPO auch die Entscheidung des Ermittlungsrichters herbeigeführt werden kann, wird die Staatsanwaltschaft jedenfalls nicht grundlos die Entscheidung der Zivilgerichte übergehen.

28

In der Sache kam es für die Frage der eigentumsrechtlichen Zuordnung des streitbefangenen Wohnmobils allein darauf an, ob der Beklagte sein ursprüngliches Eigentum durch gutgläubigen Erwerb des Klägers gemäß § 932 BGB verloren hat. Denn die anfängliche Sicherungsübereignung an die den Erwerb des Beklagten finanzierende Bank ist nach - auch vom Kläger nicht bestrittener - Rückführung des gewährten Darlehens gegenstandslos geworden, zumal die Bank mitgeteilt hat, dass sie im Falle eines Obsiegens des Beklagten in diesem Rechtsstreit die „echte“ Zulassungsbescheinigung Teil II auch an diesen herausgeben werde. Sofern nicht die Sicherungsübereignung selbst auflösend bedingt gewesen sein sollte, hätte die finanzierende Bank jedenfalls im Sinne des § 931 BGB ihren Herausgabeanspruch aufschiebend bedingt abgetreten, so dass der Beklagte mit Entscheidung dieses Rechtsstreits zugleich Eigentum erwirbt; die Übergabe der Zulassungsbescheinigung wirkt ohnehin nicht als solche rechtsbegründend. Allerdings wird der Beklagte vor einem gutgläubigen Erwerb nicht gemäß § 935 Abs. 1 BGB geschützt, weil er den unmittelbaren Besitz am Fahrzeug durch die Überlassung zu Vermietungszwecken mit seinem Einverständnis aufgegeben hatte und für einen unfreiwilligen Besitzverlust der Mieterin nichts spricht; die Weggabe durch den Besitzmittler ist kein Fall des „Abhandenkommens“ (BGH, Urteil vom 20. September 2004 - II ZR 318/02 -, NJW-RR 2005, 280, bei juris Rn.21).

29

Gleichwohl kann ein gutgläubiger Erwerb durch den Kläger nach Auffassung des Senats nicht angenommen werden. Die insoweit zu fordernden Standards an die gebotene Sorgfalt beim Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeuges (1.), insbesondere unter Berücksichtigung des konkreten Informationsgrades des Klägers (2.), wurden von diesem nämlich ersichtlich nicht beachtet, so dass ihm der einen gutgläubigen Erwerb ausschließende Vorwurf grober Fahrlässigkeit im Sinne des § 932 Abs. 2 BGB nicht erspart werden kann (3.).

30

1. Bereits seit längerem ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass beim Kauf eines gebrauchten Kraftfahrzeugs sich der Erwerber nicht allein auf den Rechtschein des vorhandenen Besitzes des Verkäufers verlassen darf, sondern das Unterlassen der Einsichtnahme in den Kraftfahrzeugschein und den Kraftfahrzeugbrief (heute: Zulassungsbescheinigung Teil I und Teil II) in aller Regel einem gutgläubigen Erwerb entgegen steht (siehe nur BGH, Urteil vom 5. Februar 1975 - VIII ZR 151/73 -, NJW 1975, 735, bei juris, Rn. 12 mit Verweis auf die frühere Rechtsprechung). Obwohl einen Erwerber keine generelle Nachforschungspflicht trifft, ist es mit der bloßen Einsichtnahme in die vorgelegten Papiere jedoch regelmäßig nicht getan. Erforderlich ist vielmehr, und zwar als Mindestanforderung für einen gutgläubigen Erwerb, die „Übergabe und Prüfung des Kraftfahrzeugbriefes“ (BGH a.a.O., bei juris, Rn. 18; bestätigt etwa durch BGH, Urteil vom 13. Mai 1996 - II ZR 222/95 -, NJW 1996, 226 ff., bei juris, Rn. 7 und BGH, Urteil vom 1. März 2013 - V ZR 92/12 -, NJW 2013, 1946 ff.,bei juris, Rn. 13). Dies gilt unabhängig davon, ob der Erwerber Privatmann ist oder als Händler Erfahrungen in der Vornahme von Fahrzeugankäufen gesammelt hat (KG, Urteil vom 22. Mai 2014 - 8 U 114/13 -, MDR 2015, 2311, bei juris, Rn. 17; OLG Braunschweig, Urteil vom 1. September 2011 - 8 U 170/10 -, bei juris, Rn. 34, 36).

31

Je nach dem Ergebnis dieser Prüfung oder auch aufgrund anderer Begleitumstände kann es zur Notwendigkeit weiterer Erkundigungen kommen, die - soll nicht vom Kauf Abstand genommen werden - bis zu einer Anfrage bei der Kraftfahrzeugzulassungsstelle oder beim Kraftfahrtbundesamt reichen können (BGH, Urteil vom 9. Oktober 1991 - VIII ZR 19/91 -, NJW 1992, 310 ff., bei Juris, Rn. 13 ff., 18). Umstände, die geeignet sind, insoweit weitere Nachforschungen nahezulegen, sind etwa Ungereimtheiten im gesamten Verlauf des Geschäfts, ein sehr günstiger Verkaufspreis (siehe bereits BGH, Urteil vom 1. Juli 1987 - VIII ZR 331/86 -, NJW-RR 1987, 1456 ff., bei juris, Rn. 19, 24 ff.), aber auch bereits die Situation des „Straßenverkaufs“ selbst, jedenfalls bei auffälligem Verlauf (BGH, Urteil vom 1. März 2013 - V ZR 92/12 -, NJW 2013, 1946 f., bei juris Rn. 15; vgl. auch OLG Schleswig, Urteil vom 1. September 2006 - 14 U 201/05 -, NJW 2007, 357 ff., bei juris Rn. 19), eine Situation, die deshalb spezifische Risiken aufweist, weil sie naturgemäß das Risiko der Entdeckung eines entwendeten Fahrzeugs mindert (BGH, Urteil vom 9. Oktober 1991 a.aO., bei juris Rn. 14).

32

Inwieweit welche Umstände tatsächlich aussagekräftig zu Nachforschungen veranlassen müssen, ist allerdings eine Frage des Einzelfalls. Entscheidend ist stets, ob der Erwerber deshalb die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich groben Maße außer Acht gelassen hat, weil er dasjenige unbeachtet gelassen hat, was in gegebenem Falle jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urteil vom 9. Oktober 1991 - VIII ZR 19/91 -, bei Juris, Rn. 13 m. w. N.). Hierbei liegt es in der Natur der Sache, dass auf den Wahrnehmungshorizont des Erwerbers abzustellen ist, also eine „ex ante“-Betrachtung vorzunehmen ist und nicht auf die „ex post“-Sicht nach späteren Ermittlungen.

33

2. Insoweit kommt es naturgemäß nicht allein auf die objektiven Umstände des Erwerbsgeschäfts an, sondern gerade auch auf Vorkenntnisse und Erfahrungen des Erwerbers. Aus diesem Grund hat die Rechtsprechung zu Recht bisher von Fahrzeughändlern eine entschieden intensivere Prüfung und Nachforschung verlangt als von Privatpersonen (so ausdrücklich etwa KG, Urteil vom 22. Mai 2014 - 8 U 114/13 -, MDR 2015, 23 f, bei juris, Rn. 17 und 21; OLG Braunschweig vom 1. September 2011 - 8 U 170/10 -, bei juris, Rn. 36). Fälschungen von Zulassungsbescheinigungen etwa, die einem im Umgang mit derartigen Papieren vertrauten Händler ohne weiteres auffallen oder zumindest als Ungereimtheiten zu weiteren Nachforschungen veranlassen, müssen einem Privatkäufer nicht ohne weiteres ins Auge fallen. Ähnlich liegt es bei anderen Ungereimtheiten. Allerdings muss auch ein Privatkäufer sich jedenfalls in wohlverstandenem Eigeninteresse darüber hinreichende Sicherheit verschaffen, ob etwa Serviceintervalle eingehalten sind oder eine Werksgarantie noch besteht und deshalb das Serviceheft vorlegen lassen (hiervon geht ersichtlich auch OLG München, Urteil vom 26. Mai 2011 - 23 U 434/11 -, bei juris Rn. 33, aus).

34

Vorliegend ist der Kläger - Serviceberater in einem Autohaus - nicht einem selbständigen Händler oder wenigstens einem im Ankauf tätigen Mitarbeiter eines Autohauses gleichzusetzen, wenn auch zweifelsohne fahrzeugkundig, also im Umgang mit Kraftfahrzeugen generell erfahren. Wie er vor dem Senat erläutert hat, führt er Kundendienstaufträge sowie die Abwicklung von Versicherungsschäden durch und sieht in dieser Eigenschaft ein bis zwei Zulassungsbescheinigungen täglich. Er war auch in der Lage, dem Senat die zum Teil nicht ganz leserlichen Rubriken in der Kopie der vorgelegten Fahrzeugbescheinigung Teil II im Hinblick auf die im Feld „K“ angesprochene EU-Konformitätsbescheinigung zu erläutern (K 3, Bl. 7 d.A.). Dies veranschaulicht, dass der Kläger im Umgang mit solchen Papieren und den einzutragenden Daten jedenfalls deutlich erfahrener ist als ein durchschnittlicher Privaterwerber.

35

Auch daraus folgt für den Senat keineswegs, dass der Kläger gleichwohl einem Händler gleichzustellen wäre, ist es doch ein Unterschied, ob in primärer Verantwortung täglich der An- und Verkauf von Kraftfahrzeugen vorgenommen wird oder ob ein Mitarbeiter eines Autohauses lediglich am Rande das Eine oder Andere über An- und Verkäufe erfahren mag, sich aber als Serviceberater vorrangig auf die technische Seite zu konzentrieren hat. Andererseits wird bei einem Erwerber wie dem Kläger im Verhältnis zu einem durchschnittlichen Privaterwerber ein generell leicht erhöhtes und in technischen Fragen deutlich erhöhtes Niveau von Vorkenntnissen angenommen werden können, was den von einem derartigen Erwerber zu beachtenden Sorgfaltsstandard mitdefinieren muss.

36

3. Diesen Anforderungen ist der Kläger beim konkreten Erwerbsvorgang nicht gerecht geworden. Vielmehr sind ihm berechtigte Zweifel an der Verfügungsbefugnis der ihm gegenübergetretenen Verkäuferin und damit der Anlass zu weiteren Nachforschungen in Folge von grober Fahrlässigkeit verborgen geblieben.

37

a) Insoweit sind bereits eine Reihe von Unstimmigkeiten auffällig, die jedenfalls in der Gesamtschau dem Kläger Veranlassung zu Nachfragen hätten geben müssen.
Dies betrifft in geringerem Maß die textlichen Unstimmigkeiten in der Zulassungsbescheinigung Teil II selbst, der durchaus eine gekonnte Fälschung darstellt. Auf Originalpapier und mit qualifizierter Drucktechnik ausgeführt, darf bezweifelt werden, ob ein Laie etwa hätte erkennen können, dass die Siegelung nicht als echte Klebesiegelung, sondern lediglich mit einem Tintenstrahldrucker angebracht worden ist (Behördengutachten des LKA Hamburg vom 2. Juni 2016, Ermittlungsakte Bl. 280 ff. d.A.). Ebenso hätten die unterschiedliche Angaben in der Postleitzahl der Anschrift der Verkäuferin in der Zulassungsbescheinigung Teil I einerseits und Teil II andererseits ( K 2, K 3, Bl. 6, 7 d.a.) zwar bei peniblem Vergleich auffallen können, aber nicht zwingend müssen. Schon auffälliger ist der Unterschied zwischen der in der Zulassungsbescheinigung angegebenen Hausnummer bei der Anschrift der Verkäuferin und der entsprechenden Hausnummer im Kaufvertrag, auch wenn grundsätzlich ein Umzug in einer gleichen Straße möglich sein mag. Deutlich schwerer ins Gewicht fällt daher das im Kaufvertrag mit 20. Mai 2015 - offenbar nach „Verbesserung“ - angegebene Erstzulassungsdatum, das mit dem in der Zulassungsbescheinigung Teil II (K 3, Bl. 7 d. A.) angegebenen Datum in der Zeile betreffend die EU-Konformitätsbescheinigung harmonisiert, nicht aber mit dem weiter oben im Feld „B“ angegebenen Erstzulassungsdatum vom 8. Oktober 2015. Es erstaunt, dass der im Umgang mit derartigen Unterlagen erfahrene Kläger ersichtlich nicht einen Abgleich zwischen diesen Daten untereinander vorgenommen hat, obwohl hierdurch doch zum einen Rückschlüsse auf den Lauf der typischerweise mit der Erstzulassung beginnenden Werksgarantie möglich sind und zum anderen natürlich auf die Vertrauenswürdigkeit der Angaben der Verkäuferin.

38

Eine weitere und auffällige Unstimmigkeit betrifft die Schreibweise des Nachnamens „H...nn“ (Kaufvertrag, Zulassungsbescheinigungen) oder „H…n“ der Verkäuferin (E-Mail betreffend die Serienausstattung vom 21. März 2016, B 2, Bl. 66 ff d.a.). Ist es schon bemerkenswert, dass eine Verkäuferin eher südländischen Aussehens sich mit einem typisch deutschen Vor- und Familiennamen nennt, dürften - von Schreibfehlern einmal abgesehen - in aller Regel die meisten Menschen sich ihres Namens und seiner Schreibweise sicher sein. Um einen bloßen Schreibfehler kann es sich bei der Angabe „H…nn“ aber schon deshalb nicht handeln, da auch die Mailadresse derart lautete, nämlich „mh…n@gmx.de“ . Es verwundert, dass der Beklagte und seine Ehefrau auch dies übersehen haben wollen, obwohl diese E-Mail mit den technischen Spezifikationen doch am Vorabend des Ankaufes gekommen war und annehmbar der Kläger diese Mail am nächsten Tag auch bei sich führte, um einen technischen Abgleich vornehmen zu können. Jedenfalls jetzt wäre eine genauere Nachprüfung angezeigt gewesen.

39

b) Dass aber der Kläger ersichtlich mit einem abgesenkten Aufmerksamkeitsniveau - welches nicht zu seinen als Serviceberater in einem Autohaus erworbenen Vorkenntnissen passt - den Erwerbsvorgang abwickelte, wird auch am Umgang mit Zweitschlüsseln und Serviceheft deutlich.

40

Es mag sein, dass im konkreten Fall eine Erprobung des Zweitschlüssels keine besonderen Erkenntnisse gebracht hätte, weil - solange der Erstschlüssel in der Nähe lag - ein Starten auch mit dem Zweitschlüssel möglich gewesen wäre, obwohl der notwendige Transponder in diesen gerade nicht eingebaut war. Es ist aber schon erstaunlich, dass nach eigener Bekundung der Kläger einen Startvorgang mit diesem Schlüssel noch nicht einmal probiert hatte, ist doch das Fehlen eines funktionsfähigen Zweitschlüssels - was einem Mitarbeiter eines Autohauses kaum verborgen geblieben sein kann - typisch für entwendete Fahrzeuge.

41

Noch erstaunlicher ist es, dass der Kläger nach eigener Bekundung sich zwar über die Existenz des Servicehefts als solches informiert, dieses aber nicht einmal aufgeschlagen hatte. Der Senat kann offen lassen, ob entsprechend dem Vortrag des Klägers - welchen der Beklagte mit Nichtwissen bestritten hat - schon die erste Seite auch des Serviceheftes manipuliert war, und zwar aufgrund grober Pixelung erkennbar. Entscheidend ist vielmehr, dass durch dieses Verhalten der Kläger eine weitere sich aufdrängende Möglichkeit der Risikominimierung nicht wahrgenommen hat. Es mag sein, dass bei einem noch relativ jungen Fahrzeug die Problematik von Serviceintervallen und deren Einhaltung sich noch nicht stellen konnte, wohl aber Bestand und Beginn der Werksgarantie, die sich einem solchen Serviceheft typischerweise entnehmen lassen; möglicherweise wäre der Kläger gerade auch hierdurch erneut auf Differenzen jedenfalls hinsichtlich der angegebenen Daten der Erstzulassung aufmerksam geworden. Dieses Versäumnis ist umso gravierender, als der Kläger ersichtlich auch nicht etwa die Vorlage der Erstbestellung und des Kaufbelegs verlangt hatte, was bei einem jungen Fahrzeug noch mit Erfolg möglich sein müsste.

42

c) Insgesamt hat der Kläger gerade derartige Möglichkeiten der Untersuchung bzw. des Abgleichs von Daten nicht wahrgenommen, die ihm aufgrund bereits seiner Vorkenntnisse als Serviceberater in einem Autohaus in ihrer Relevanz hätten bekannt sein müssen und welche zumindest im Falle der Unstimmigkeiten in der Namensangabe und beim Zulassungsdatum auch hinreichenden Anlass zu weiteren Nachforschungen gegeben hätten. Nur auf diese Weise wäre es aber auch möglich gewesen, dem Risikopotential entgegen zu wirken, dass vorliegend aus den Rahmenumständen des Erwerbsgeschäfts folgte.

43

Diese bestanden nämlich zunächst in der Situation eines Straßenverkaufs einschließlich des eigenartigen und daher auffälligen Umstandes, dass das Fahrzeug nicht etwa auf dem Parkplatz des Supermarktes parkte, sondern fernab vor einem öffentlichen Gebäude. Hinzu kam ein gegenüber dem ursprünglichen tatsächlichen Kaufpreis von 44.000,00 € günstiger Zweitverkaufspreis von letztlich nur 29.500,00 €, der gerade deshalb auffällig ist, weil - wie aus einschlägigen Internetplattformen und der Tagespresse senatsbekannt ist - Wohnmobile länger genutzt werden und wertstabiler sind als Personenkraftwagen. Ein Phänomen, das einem in einem Autohaus tätigen Mitarbeiter kaum verborgen geblieben sein dürfte, mag er sich beruflich auch nicht speziell mit Wohnmobilen beschäftigen. Gerade diese Umstände hätten es umso mehr nahegelegt, sorgfältig zu handeln und notfalls noch einen Tag der Überprüfung einzuschieben. Wer dies nicht tut - vielleicht aus Sorge, dass der günstige Kauf dann nicht mehr gelingt, oder wegen der Entfernung zwischen eigenem Wohnort und dem Verkaufsort -, handelt aber grob fahrlässig und ist nicht gutgläubig im Sinne des § 932 BGB.

44

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

45

Ein Grund zur Zulassung der Revision im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO besteht nach Auffassung des Senats nicht, weil in der vorstehenden Entscheidung lediglich die schon von der Rechtsprechung bisher erarbeiteten Maßstäbe auf die Umstände des Einzelfalls hin konkretisiert werden.


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