Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 8 W 245/04

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten R. gegen den Beschluss der Rechtspflegerin beim Landgericht Ravensburg vom 2.6.2004, AZ: 2 O 1335/01, wird

zurückgewiesen.

2. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Beschwerdewert: 1.047,64 EUR

Gründe

 
I.
Der Rechtsstreit der Parteien wurde durch Prozessvergleich vom 15.10.2001 abgeschlossen. Nach Ziffer 5 dieses Vergleichs haben der Kläger 1/3 und der Beklagte 2/3 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Am 13.1.2004 erließ die Rechtspflegerin beim Landgericht Ravensburg einen Kostenfestsetzungsbeschluss, wonach von dem Beklagten an den Kläger der Betrag von 1.047,64 EUR zu erstatten ist.
Mit Schreiben vom 28.4.2004 beantragte die R., für den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 13.1.2004 die Rechtsnachfolgeklausel zu erteilen, weil der Kläger bei der R. rechtsschutzversichert gewesen und von ihr von den Anwalts- und Gerichtskosten freigestellt worden sei. Gemäß § 67 VVG sei damit ein Forderungsübergang eingetreten. Nach einem Hinweis der Rechtspflegerin, die Rechtsnachfolge sei in öffentlicher oder öffentlich beglaubigter Form nachzuweisen, bezog sich die R. auf die Bestätigung des Klägervertreters bezüglich der Kostenübernahme durch die Rechtsschutzversicherung und auf Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte nebst Entscheidungsbesprechung. Mit Beschluss vom 2. Juni 2004, der R. am 14.6.2004 zugestellt, hat die Rechtspflegerin beim Landgericht Ravensburg den Antrag auf Erteilung einer Rechtsnachfolgeklausel zurückgewiesen.
Dagegen wendet sich das am 23.6.2004 beim Landgericht Ravensburg als Erinnerung bezeichnete Rechtsmittel.
Die Rechtspflegerin beim Landgericht Ravensburg hat mit Schreiben vom 24.6.2004 erklärt, sie helfe dem Rechtsmittel nicht ab, und hat die Akte dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig.
Gegen die Ablehnung der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung für einen Rechtsnachfolger durch den Rechtspfleger der ersten Instanz ist gemäß § 11 Abs. 1 RPflG i.V.m. § 567 Abs. 1 ZPO das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde eröffnet. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht bei Erreichen der gesetzlich erforderlichen Beschwer eingelegt.
Die Beschwerde ist allerdings unbegründet, weil die Rechtspflegerin beim Landgericht Ravensburg zu Recht festgestellt hat, dass die Voraussetzungen des § 727 Abs. 1 ZPO für die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung zugunsten der Beschwerdeführerin nicht vorliegen.
1.)
a) Die Beschwerdeführerin hat die Rechtsnachfolge nicht durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen.
b) Dieser qualifizierte Nachweis war auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Rechtsnachfolge bei dem Gericht offenkundig gewesen wäre. Offenkundig ist eine Tatsache, wenn sie zumindest am Gerichtsort der Allgemeinheit bekannt oder ohne besondere Fachkunde wahrnehmbar oder sie dem entscheidenden Organ, hier der Rechtspflegerin, aus ihrer jetzigen oder früheren amtlichen Tätigkeit bekannt ist (Zöller-Greger ZPO 24. Aufl., § 291 RN 1; enger MüKomm-Wolfsteiner ZPO 2. Aufl. § 726 RN 49). An einer Offenkundigkeit in Sinn des § 291 ZPO fehlt es bei den Fragen, ob der Kläger bei der Beschwerdeführerin rechtsschutzversichert war, ihm Deckungsschutz zugesagt worden war und Zahlungen erfolgt sind, so dass dahingestellt bleiben kann, ob im Rahmen des § 727 ZPO ein engerer Begriff der Offenkundigkeit anzuwenden wäre.
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Gerichtskundigkeit und damit Offenkundigkeit im Sinn des § 727 ZPO tritt bezüglich der Rechtsnachfolge der Beschwerdeführerin nicht schon durch die Vorlage des Schreibens des Prozessbevollmächtigten des Klägers ein, wonach die Beschwerdeführerin die Kosten für die vorgenannte Sache übernommen hat. Es handelt sich dabei um schlichten Vortrag in einem laufenden Verfahren.
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c) Das bloße Nichtbestreiten der Rechtsnachfolge durch den Schuldner ist für eine Klauselerteilung nicht ausreichend (vgl. Senat Rpfleger 1990, 519; Zöller-Stöber a.a.O. § 727 RN 20 m.w.N. auch zu abweichenden Auffassungen).
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Hier liegt bereits deshalb kein Nichtbestreiten gemäß § 138 Abs. 3 ZPO vor, weil die Rechtspflegerin des Landgerichts den Beklagten als Schuldner nicht angehört hat. Nach dem Wortlaut des § 730 ZPO kann der Schuldner auf einen Antrag gemäß § 727 ZPO gehört werden, er muss es aber nicht. Wenn die von § 727 ZPO grundsätzlich geforderten qualifizierten Nachweise zur Offenkundigkeit nicht vorliegen und die Erteilung der Klausel deshalb zu verweigern ist, kann eine Anhörung des Schuldners auch nicht geboten sein (vgl. Zöller-Stöber a.a.O., § 730 RN 1; a.A. OLG Hamm Rpfleger 1991, 161; LG München I Rpfleger 1997, 394). Nur in Ausnahmefällen wird die Ermessensausübung im Rahmen des § 730 ZPO eine Pflicht des Rechtspflegers zur Folge haben, den Schuldner anzuhören (zu weitgehend OLG Hamm a.a.O.). Eine solche Ermessensreduzierung hat im vorliegenden Fall nicht stattgefunden.
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Eine Anhörung des Schuldners musste nicht schon deshalb stattfinden, weil im Fall eines Schweigens des Beklagten § 138 Abs. 3 ZPO zur Anwendung hätte kommen können. Weil im Verfahren nach §§ 727, 730 ZPO der Schuldner keine Erklärungslast gemäß § 138 Abs. 2 ZPO hat, ist in diesem Verfahren § 138 Abs. 3 ZPO weder direkt noch analog anwendbar (vgl. Senat a.a.O.; OLG Saarbrücken Rpfleger 2004, 430; Zöller a.a.O. § 727 RN 20; Münzberg NJW 1992, Seite 201, 205 f; a.A. OLG Koblenz NJW-RR 2003, 1007 m.w.N. zu beiden Ansichten).
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d) Allerdings muss auch bei einer mangelnden Offenkundigkeit der qualifizierte urkundliche Nachweis nicht geführt werden, wenn der Beklagte die Rechtsnachfolge im Sinn von § 288 ZPO zugesteht (Senat a.a.O.; OLG Saarbrücken a.a.O.; Zöller a.a.O.). Ein gerichtliches Geständnis im Sinn dieser Vorschrift macht den verfahrens- oder materiellrechtlich erforderlichen Nachweis nicht nur vorübergehend entbehrlich, sondern ersetzt ihn mit der Folge, dass nachträgliches Bestreiten unbeachtlich ist und die zugestandenen Tatsachen trotz an sich gegebener Nachweispflicht nicht mehr beweisbedürftig sind (Senat a.a.O.).
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Allein die Möglichkeit, dass der Beklagte die Rechtsnachfolge im Sinn von § 288 ZPO zugestehen könnte, führt jedoch noch zu keiner Ermessensreduzierung im Rahmen des § 730 ZPO, den Beklagten in jedem Fall anzuhören. Lediglich wenn derjenige, der eine vollstreckbare Ausfertigung als Rechtsnachfolger begehrt, substantiiert darlegt, aufgrund welcher Umstände und Tatsachen der Rechtspfleger im Fall der Anhörung des Schuldners voraussichtlich durch eine ausdrückliche Erklärung ein Geständnis des Eintritts der Rechtsnachfolge erwarten kann, wird der Rechtspfleger im Rahmen seiner Ermessensausübung verpflichtet sein, eine Anhörung des Schuldners gemäß § 730 ZPO durchzuführen.
16 
Bei Fehlen der Offenkundigkeit und des Nachweises durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden können diese Voraussetzungen des § 727 ZPO nicht durch ein Geständnis im Sinn des § 288 ZPO des Altgläubigers ersetzt werden (a.A. OLG Saarbrücken a.a.O.). Insbesondere führt ein solches Verhalten nicht zu einer Offenkundigkeit im Sinn des § 727 ZPO. Es muss auch dann bei den gesetzlich geregelten Voraussetzungen des § 727 ZPO und einer fakultativen Anhörung des Schuldners gemäß § 730 ZPO verbleiben.
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2.) Nach alledem lagen die Voraussetzungen für die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung zugunsten der Beschwerdeführerin gemäß § 727 Abs. 1 ZPO nicht vor. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels, § 97 ZPO.
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Im Hinblick auf die divergierenden Entscheidungen zur Frage einer Anhörungspflicht des Schuldners im Rahmen des § 730 ZPO, der Anwendbarkeit des § 138 Abs. 3 ZPO und des § 288 ZPO im Verfahren nach §§ 727, 730 ZPO und der Bedeutung der Anhörung des Altgläubigers für diese Verfahren wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen (§ 574 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2. 2. Alt. ZPO).

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