Urteil vom Oberlandesgericht Stuttgart - 11 UF 222/03

Tenor

I. Die Berufung der Antragsgegnerin gegen die Ziff. 3 des Urteils des Amtsgerichts - Familiengericht - Esslingen - 5 F 1350/02 - vom 11.07.2003 wird als unzulässig verworfen.

II. Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Esslingen - 5 F 1350/02 - vom 11.07.2003 in Ziff. 2 abgeändert:

1. Der Antragsteller wird verurteilt, der Antragsgegnerin vollständige Auskunft über die Höhe seiner Einkünfte

a) aus Gewerbebetrieb in den Jahren 2000 bis 2002,

b) aus Vermietung und Verpachtung in den Jahren 2000 bis 2002,

c) über sein Vermögen zum Stichtag des 31.03.2003

zu erteilen.

2. Der Antragsteller wird verurteilt, folgende Belege vorzulegen:

a) Jahresabschlüsse inklusive Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen sowie dazugehörige Kontennachweise nebst Anlageverzeichnissen betreffend die Jahre 2000 bis 2002,

b) sämtliche Steuererklärungen betreffend die Jahre 2000 bis 2003,

c) sämtliche Steuerbescheide, die der Antragsteller in den Jahren 2000 bis 2003 erhalten hat.

III. Im übrigen wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Esslingen - 5 F 1350/02 - vom 11.07.2003 – aufgehoben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgerichts - Familiengericht – Esslingen zurückverwiesen.

IV. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwertwert des Berufungsverfahrens:

1. Stufenklage auf nachehelichen Unterhalt (§ 18 GKG a.F.): 12 x 1.000,-- EUR = 12.000,-- EUR
2. Versorgungsausgleich (§ 17 a Nr. 1 GKG a.F.):  500,-- EUR
zusammen 12.500,-- EUR

Gründe

I. Die Parteien haben am 09.09.2000 einander geheiratet. Am 25.10.2000 haben sie einen notariellen Vertrag geschlossen (Bl. 3/11 d.A.), der im wesentlichen folgende Regelungen enthält.
I. Vorbemerkung,
II. Ehevertrag: Aufrechterhaltung des Zugewinnausgleichs mit verschiedenen Modifikationen,
III. Ausschluss des Versorgungsausgleichs,
IV. Gegenseitiger Unterhaltsverzicht für den Fall der Scheidung,
V. Erbvertrag: Gegenseitige Erbeinsetzung und danach der gemeinschaftlichen Kinder.
Am 07.02.2001 wurde die ehegemeinschaftliche Tochter ... X. geboren.
Durch das angefochtene Verbundurteil, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird (Bl. 47/52 d.A.) wurde
1. die Ehe der Parteien geschieden,
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2. der (Stufen-) Antrag der Antragsgegnerin auf nachehelichen Unterhalt zurückgewiesen und
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3. ausgesprochen, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet.
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Mit ihrer Berufung verfolgt die Antragstellerin
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1. ihren Stufenantrag auf nachehelichen Unterhalt weiter und verlangt
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2. die Durchführung des Versorgungsausgleichs.
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Berufungsangriffe:
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- Das Familiengericht habe zu Unrecht die Wirksamkeit des zwischen den Parteien geschlossenen notariellen Ehevertrags angenommen.
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- Der erstinstanzliche Vortrag der Antragsgegnerin zur geplanten Aufgabe ihrer Berufungstätigkeit ab der Geburt des gemeinsamen Kindes sei im Tatbestand des angegriffenen Urteils fehlerhaft wiedergegeben.
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Der Antragsteller wendet sich gegen die Berufung und verteidigt das angefochtene Urteil als richtig.
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II. 1. Die Berufung der Antragsgegnerin ist teilweise unzulässig, im Übrigen aber begründet.
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2. Unzulässig ist die Berufung, soweit sie den ehevertraglichen Ausschluss des Versorgungsausgleichs angreift. Denn die Antragsgegnerin ist dadurch nicht beschwert, weil sie nicht ausgleichsberechtigt wäre. Der Ausschluss des Versorgungsausgleichs wirkt sich hier nur zugunsten der ansonsten ausgleichspflichtigen Antragsgegnerin aus, nachdem in der Ehezeit nur sie einer versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen ist, während der Antragsteller eine selbständige, nicht versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt hat. Seine Lebensversicherungen und Investmentfondsanteile unterfallen im Gegensatz zu ihren Rentenanwartschaften nicht dem Versorgungs- sondern dem Zugewinnausgleich, den die Parteien insoweit ausgeschlossen haben.
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III. 1. Die Berufung der Antragsgegnerin zum nachehelichen Unterhalt ist zulässig und hinsichtlich der ersten Stufe (Auskunfts- und Belegpflicht) begründet. Hat wie hier bei einer Stufenklage das erstinstanzliche Gericht die Klage insgesamt abgewiesen und verurteilt das Berufungsgericht zur Auskunftserteilung, so ist eine Zurückverweisung der Sache in entsprechender Anwendung des § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO zulässig und zweckmäßig (BGH NJW 1982, 235 zum früheren § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Die Zurückverweisung haben die Parteien für diesen Fall vorsorglich beantragt.
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2. Dem Auskunfts- und Beleganspruch der Antragsgegnerin nach §§ 1580, 1605 BGB steht der ehevertragliche Verzicht der Parteien auf nachehelichen Unterhalt nicht entgegen. Denn es spricht hier vieles dafür, dass der Unterhaltsverzicht sittenwidrig und nichtig ist (§ 138 Abs. 1 ZPO). Jedenfalls sind die von der Antragsgegnerin verlangten Auskünfte und Belege des Antragsgegners erforderlich, um den Umfang eines etwaigen Unterhaltsanspruchs und die Wirksamkeit des vereinbarten Verzichts feststellen zu können. Ein die Stufenklage abweisendes Endurteil kommt nur bei Unzulässigkeit der Klage oder dann in Betracht, wenn sich bereits bei der Prüfung des Auskunftsanspruchs ergibt, dass dem Hauptanspruch die materiell-rechtliche Grundlage fehlt (Zöller/Greger, a.a.O., § 254 Rn. 9). Das ist hier nicht der Fall. Die Entscheidung über die Auskunft äußert auch noch keine rechtskräftige Feststellung über den Grund des nachfolgenden Leistungsanspruchs (a.a.O.).
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3. In seinem inzwischen mehrfach veröffentlichten Urteil (u.a. FamRZ 2004, 601) vom 11.02.2004 hat sich der Bundesgerichtshof ausführlich zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen geäußert. Danach steht es Ehegatten grundsätzlich frei, die gesetzlichen Regelungen über den Zugewinn, den Versorgungsausgleich und den nachehelichen Unterhalt ehevertraglich auszuschließen. Allerdings darf der Schutzzweck dieser Regelungen nicht beliebig unterlaufen werden. Die Grenze ist dort zu ziehen, wo die vereinbarte Lastenverteilung der individuellen Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse in keiner Weise mehr gerecht wird, weil sie evident einseitig ist und für den belasteten Ehegatten bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint. Das ist um so eher der Fall, je mehr der Ehevertrag in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.
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Insoweit ist eine Abstufung vorzunehmen. Zum Kernbereich gehören in erster Linie der Unterhalt wegen Kindesbetreuung und in zweiter Linie der Krankheits- und Altersunterhalt, denen der Vorrang vor den übrigen Unterhaltstatbeständen (z.B. wegen Erwerbslosigkeit, Ausbildungs- und Aufstockungsunterhalt) zukommt. Der Versorgungsausgleich steht als vorweggenommener Altersunterhalt auf gleicher Stufe wie dieser selbst und ist daher nicht uneingeschränkt abdingbar. Der Ausschluss des Zugewinnausgleichs schließlich unterliegt - für sich allein genommen - angesichts der Wahlfreiheit des Güterstandes keiner Beschränkung.
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Der Tatrichter hat daher in einem ersten Schritt gem. § 138 Abs. 1 BGB eine Wirksamkeitskontrolle des Ehevertrages anhand einer auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bezogenen Gesamtwürdigung der individuellen Verhältnisse der Ehegatten vorzunehmen, insbesondere also hinsichtlich der Einkommens- und Vermögensverhältnisse und ihres geplanten oder bereits verwirklichten Lebenszuschnitts. Das Verdikt der Sittenwidrigkeit wird dabei regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn durch den Vertrag Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgendrechts ganz oder jedenfalls zu erheblichen Teilen abbedungen werden, ohne dass dieser Nachteil durch anderweitige Vorteile gemildert oder durch die besonderen Verhältnisse der Ehegatten gerechtfertigt wird. Ergibt diese Berufung, dass der Ehevertrag unwirksam ist, treten an dessen Stelle die gesetzlichen Regelungen.
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Andernfalls ist in einem zweiten Schritt im Wege der Ausübungskontrolle (§ 242 BGB) zu prüfen, ob und inwieweit die Berufung auf den Ausschluss gesetzlicher Scheidungsfolgen angesichts der aktuellen Verhältnisse nunmehr rechtsmissbräuchlich erscheint und deshalb das Vertrauen des Begünstigten in den Fortbestand des Vertrages nicht mehr schutzwürdig ist. In einem solchen Fall hat der Richter die Rechtsfolge anzuordnen, die den berechtigten Belangen beider Ehegatten in ausgewogener Weise Rechnung trägt.
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4. Bei der im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle gebotenen Prüfung der Frage, ob der Antragsteller eine Zwangslage der Antragsgegnerin bei Vertragsabschluss missbraucht hat, sind u.a. folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:
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- Der vorliegende Ehevertrag wurde nur kurz (ca. sechs Wochen) nach der Eheschließung geschlossen. Er war schon vor der Eheschließung beabsichtigt und vorbereitet worden.
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- Die Antragsgegnerin war schon bei der Eheschließung und bei Abschluss des notariellen Vertrags schwanger.
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- Zwar war die Antragsgegnerin bei Vertragsabschluss noch vollschichtig als Angestellte bei der Volksbank Plochingen tätig. Sie ist gelernte Bankkauffrau. Der Wegfall ihrer Einkünfte aufgrund des Geburtstermins stand jedoch bevor.
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- Über die Lebensplanung der Parteien im Zeitpunkt der Eheschließung und des Vertragsabschlusses besteht Streit, insbesondere über die Frage, ob und in welchem Umfang die Antragsgegnerin weiter berufstätig sein sollte.
32 
- Was der Antragsteller bei Vertragsabschluss verdient hat, ist nicht bekannt und mit Gegenstand des streitbefangenen Auskunftsanspruchs.
33 
- Bei Vertragsabschluss hatte die Antragsgegnerin die im notariellen Vertrag aufgeführte Lebensversicherung sowie Fondsanteile. Die Werte sind nicht bekannt.
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5. Der objektive Gehalt der von den Parteien getroffenen notariellen Vereinbarung legt den Vorwurf eines Verstoßes gegen die guten Sitten besonders nahe:
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- Der nacheheliche Unterhalt wurde vollständig ausgeschlossen, auch der Unterhalt wegen Kindesbetreuung. Damit wurde in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingegriffen.
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- Unerheblich ist, ob die Parteien geplant hatten, dass die Antragsgegnerin bei fortbestehender Ehe neben der Kindesbetreuung weiter arbeitet. Denn der Unterhaltsverzicht bezieht sich auf den Fall der Ehescheidung. Für eine alleinerziehende Mutter ist es bekanntlich weitaus schwieriger einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, als dies während einer intakten Ehe der Fall ist.
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- Der Zugewinnausgleich wurde im Ehevertrag zwar modifiziert. Die aus dem Zugewinnausgleich herausgenommenen Vermögensbestandteile wären jedoch ohnehin in das (nicht auszugleichende) Anfangsvermögen der Parteien gefallen.
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- Der Versorgungsausgleich wurde vollständig ausgeschlossen. Dies wird jedoch dem Schutz der Antragsgegnerin gedient haben.
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- Im gleichzeitig abgeschlossenen Erbvertrag haben sich die Parteien gegenseitig zu unbeschränkten Alleinerben eingesetzt. Der überlebende Ehegatte hat die gemeinschaftlichen Kinder zu gleichen Teilen zu seinen Erben eingesetzt. Dies hat sicher auch dem Schutz der Antragsgegnerin und der Kinder gedient.
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6. Sollte der Vertrag dennoch einer richterlichen Wirksamkeitskontrolle am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB Stand halten, wäre zu prüfen, ob und inwieweit der Antragsteller nach § 242 BGB gehindert ist, sich auf den vereinbarten Ausschluss einzelner Scheidungsfolgen zu berufen (Ausübungskontrolle). Dabei ist von Bedeutung:
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- Für die Zeit der Betreuungsbedürftigkeit des Kindes dürfte die Berufung auf den - vollständigen - Unterhaltsverzicht treuwidrig sein. Bereits im Ehevertrag hatte der Notar darauf hingewiesen, dass der vorstehende Verzicht unter Umständen der Geltendmachung eines etwaigen Kindesbetreuungsunterhalts nicht entgegengehalten werden kann.
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- Allerdings wäre bei einer Unterhaltsberechnung das von der Antragsgegnerin bezogene Einkommen aus unzumutbarem Erwerb nach Billigkeit anzurechnen (§ 1577 Abs. 2 BGB).
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- Für die Zeit nach der Kinderbetreuung könnte sich eine Unterhaltspflicht des Antragstellers namentlich aus § 1573 Abs. 2 BGB ergeben (Aufstockungsunterhalt), wenn er wesentlich mehr verdient als die Antragsgegnerin.
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- Soweit die Parteien Vermögensbildung betrieben haben, wird zu prüfen sein, inwieweit dies die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt hat und in welchem Umfang die Vermögensbildung nach der Scheidung weiter betrieben werden kann.
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IV. Nebenentscheidungen:
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1. Eine Kostenentscheidung ist wegen der Zurückverweisung nicht zu treffen.
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2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils begründet sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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3. Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 18, 17 a Nr. 1 GKG a.F.
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4. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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