Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 12 W 37/12

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 5.6.2012 wird auf ihre Kosten

zurückgewiesen.

Streitwert des Beschwerdeverfahrens: 58.854,39 EUR.

Gründe

 
A.
Die Beklagte wendet sich gegen einen Beschluss des Landgerichts, das den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig erklärt hat.
Die klagende Stadt ... macht einen Zahlungsanspruch aus einem Vertrag vom 25.10./8.12.1995 mit der G... B... der Stadt ... (G...) geltend, in dem es unter § 1 heißt: „Die G... erstattet der Stadt ... vierteljährlich sämtliche Personalkosten, die der Stadt ... für die zur G... beurlaubten Beamten entstanden sind.“ In § 2 wird geregelt, dass Versorgungs- bzw. Pensionsaufwendungen anteilig getragen werden (vgl. Anlage K 1, Bl. 8). Außerdem beantragt die Klägerin die Feststellung, dass die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung dieses Vertrages vom 5.5.2011 unwirksam sei.
Die G... war eine Betriebskrankenkasse für Beschäftigte der Klägerin. Die Klägerin beschloss am 18.5.1995, Beamte unter Fortzahlung ihrer Dienstbezüge zur Dienstverrichtung bei der G... zu beurlauben (Anlage K 2, Bl. 10). Der Beamte W... schloss mit der G... - für die er als hauptamtlicher Vorstand tätig war - befristete Arbeitsverträge ab (Anlage K 3, Bl. 12) und wurde für die Dauer der Verträge entsprechend beurlaubt, zuletzt im Jahre 2009 für sechs weitere Jahre (Anlage B 4, Bl. 46). Die Klägerin zahlte fortlaufend Dienstbezüge an Herrn W... und erhielt sie von der G... erstattet. Letztere vereinigte sich zum 1.1.2011 mit der m... Betriebskrankenkasse zur Beklagten (Anlage K 4, Bl. 15). Die Beklagte kündigte den Vertrag mit Herrn W... am 1.1.2011 und nochmals am 31.8.2011 (Anlagen B 5 und 6, Bl. 48 ff.). Seit Februar 2011 erstattet sie der Klägerin keine Dienstbezüge mehr. Dazuhin kündigte die Beklagte am 5.5.2011 den Vertrag mit vom 25.10./8.12.1995.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Erstattung der Dienstbezüge von Herrn W... für den Zeitraum von Februar bis August 2011. Sie verweist auf § 1 des Vertrages vom 25.10./8.12.1995.
Die Beklagte meint, der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten sei eröffnet. Im Übrigen sei die Klage unbegründet, weil sie den Vertrag mit der Klägerin wirksam außerordentlich gekündigt habe, § 314 BGB. Ein zur Kündigung berechtigender „wichtiger Grund“ liege u.a. im Fortfall des der Beurlaubung zugrunde liegenden Zwecks, denn die Beamten der Klägerin seien zur Dienstverrichtung bei der G... beurlaubt worden, die es nicht mehr gebe. Der Sonderurlaub habe deshalb widerrufen werden müssen. Ob die Beklagte den Arbeitsvertrag mit Herrn W... wirksam gekündigt habe, sei im vorliegenden Rechtsstreit nicht erheblich. Es sei aber auch unzumutbar, Herrn W... weiter zu beschäftigen, weil dieser zahlreiche Pflichtverletzungen begangen habe. Jedenfalls habe die Beklagte den Vertrag wirksam ordentlich gekündigt, §§ 624, 723 BGB. Dazuhin hätte die Klägerin im Rahmen ihrer Schadensminderungspflicht zwischenzeitlich die Arbeitsleistung von Herrn W... in Anspruch nehmen müssen.
In einem weiteren vor dem Landgericht Stuttgart anhängigen Verfahren streitet Herr W... mit der Beklagten um die Wirksamkeit der Kündigung seines Arbeitsvertrages (15 O 309/11, vgl. Anlage B 7, Bl. 51).
Das Landgericht hat am 5.6.2012 den Zivilrechtsweg für zulässig erklärt. Gegen den ihr am 7.6.2012 zugestellten Beschluss hat die Beklagte am 21.6.2012 Beschwerde eingelegt, der das Landgericht am 29.6.2012 nicht abgeholfen hat.
Auf die Sachdarstellung im angefochtenen Beschluss und die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze wird Bezug genommen.
B.
Die Beschwerde ist gemäß §§ 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG, 567 ff. ZPO zulässig, aber nicht begründet.
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Das Landgericht hat den ordentlichen Rechtsweg (§ 13 GVG) zu Recht bejaht. Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten (§ 40 VwGO) ist nur für solche Streitigkeiten eröffnet, die sich als Folge eines Sachverhalts darstellen, der nach öffentlichem Recht zu beurteilen ist. Insoweit ist, soweit keine ausdrücklichen gesetzlichen Rechtswegzuweisungen bestehen, die Natur des Rechtsverhältnisses maßgebend, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (GmS-OGB NJW 1986, 2359). Die Klägerin macht vorliegend einen Anspruch aus dem Vertrag vom 25.10./8.12.1995 auf Erstattung von Personalkosten in Höhe der an den Beamten W... bezahlten Bezüge geltend. Dieser Anspruch folgt den Regeln des Zivilrechts, da er auf der Grundlage eines dem Zivilrecht zuzuordnenden Vertrages beruht.
11 
1. Für die Abgrenzung des öffentlich-rechtlichen vom privatrechtlichen Vertrag kommt es nicht zwingend auf die Beteiligten des Vertragsverhältnisses an, sodass nicht maßgeblich ist, dass die Klägerin eine Gemeinde und die G... bzw. Beklagte als gesetzliche Krankenkasse eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist (§ 4 SGB V). Maßgeblich ist gemäß § 54 Satz 1 VwVfG vielmehr der Vertragsgegenstand. Ein Vertrag ist dann öffentlich-rechtlicher Natur, wenn er Rechte und Pflichten öffentlich-rechtlicher Art begründet. Abzustellen ist - entgegen der Auffassung der Beschwerde (Bl. 224) - auf den Gesamtcharakter des Vertragsverhältnisses; überwiegen die privatrechtlichen Elemente, ist der ordentliche Rechtsweg selbst dann gegeben, wenn die konkrete Klage auf eine öffentlich-rechtlich geprägte Bestimmung gestützt wird (OVG Schleswig NJW 2004, 1052; vgl. BGHZ 76, 16, juris Rn. 66; BVerwGE 22, 138, juris Rn. 18 f.; Bork in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2010, Vor §§ 145-156 Rn. 97).
12 
a) Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist ein Vertrag über die Erstattung von Personalkosten eine zivilrechtliche Regelung (BayVGH, Beschluss vom 12.12.2011 - 14 C 11.705 - juris Rn. 23, 25).
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Enthält ein solcher Vertrag neben einer solchen zivilrechtlichen Regelung noch andere Regelungen, die ihm sein wesentliches Gepräge verleihen und die ihre Rechtsgrundlage nicht im privaten, sondern im öffentlichen Recht finden, liegt hingegen ein öffentlich-rechtlicher Vertrag vor und ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (BVerwG DVBl 2005, 516, juris Rn. 13; BayVGH, Beschluss vom 12.12.2011 - 14 C 11.705 - juris Rn. 23). In dem zitierten, vom BVerwG entschiedenen Fall verlangte der Kläger eine Gegenleistung von 270 DM monatlich zurück, die er geleistet hatte, weil der Dienstherr sich verpflichtet hatte, ihn später als Beamten einzustellen; deshalb lag eine insgesamt beamtenrechtlich geprägte Streitigkeit vor, § 126 BRRG. In dem vom BayVGH entschiedenen Fall verlangte der Dienstherr Personalkostenerstattung, zu der sich der Beklagte verpflichtet hatte, weil ihm der Dienstherr die Überlassung von Dienstleistungen beamteter Sachverständiger zugesagt hatte. Die diesbezüglichen Regelungen verliehen dem Vertrag ein beamtenrechtliches Gepräge, da insbesondere geregelt wurde, dass die Beamten unverändert in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Dienstherrn standen und dessen Weisungsrecht unterlagen (ähnlich BVerwGE 69, 303 ff.).
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b) Im Streitfall enthält der Vertrag vom 25.10./8.12.1995 eine Vereinbarung über die Erstattung von Personalkosten (und eine entsprechende Vereinbarung über Versorgungs- und Pensionslasten), nach dem oben Gesagten also eine zivilrechtliche Regelung.
15 
Andere Regelungen - insbesondere solche, die dem Vertrag sein wesentliches Gepräge verleihen und ihre Rechtsgrundlage im öffentlichen Recht finden - enthält der Vertrag nicht. Eine u.U. öffentlich-rechtlich zu beurteilende Verpflichtung der Klägerin zur Überlassung von Dienstleistungen enthält der Vertrag nicht, weder schriftlich noch - wie die Beklagte meint - „nicht fixiert“. Vielmehr zeigt die Beklagte nicht auf, dass die Klägerin eine solche Pflicht überhaupt übernommen hat. Die G... war die Betriebskrankenkasse der Klägerin (§ 147 ff. SGB V). Letztere musste bis Ende 1995 von Gesetzes wegen das Personal stellen und die Kosten tragen. Mit Änderung des § 147 SGB V wurde der Klägerin insoweit ein Wahlrecht eingeräumt (zur Normgeschichte vgl. Peters in KassKomm Sozialversicherungsrecht, 73. EL, § 147 SGB V Rn. 19; Koch in jurisPK-SGB V, 2. Aufl., § 147 Rn. 1, 15 ff.; Förster NZS 1996, 200; Meydam NZS 2000, 332). Der Parteivortrag legt nahe, dass die Klägerin die weitere Kostentragung abgelehnt hat. In solchen Fällen trat die Betriebskrankenkasse grundsätzlich in die Rechte und Pflichten aus den Dienst- oder Arbeitsverhältnissen derjenigen Personen ein, die bisher mit der Führung der Geschäfte der Betriebskrankenkasse beauftragt waren (vgl. Förster NZS 1996, 200, 201 und den insoweit von der Klägerin geschlossenen Tarifvertrag mit Rückkehrrecht, Anlage B 1; zum 1.1.2011 waren noch 18 Angestellte und 2 Beamten der Klägerin bei der Beklagten tätig, die mittlerweile aber zur Klägerin zurückgekehrt sind mit Ausnahme des Beamten W..., Bl. 10). Die Beklagte zeigt nicht auf, dass die Klägerin im Vertrag vom 25.10./8.12.1995 darüber hinaus gehende Verpflichtungen gegenüber der Beklagten eingegangen ist. Die Klägerin hatte am 4.5.1995 lediglich intern beschlossen (Anlage K 2), bereits für die BKK tätigen Beamten Sonderurlaub unter Belassung der Bezüge zu gewähren, wenn sie weiter dort tätig sind, § 12 Abs. 4 der Verordnung über den Sonderurlaub der Beamtinnen und Beamten und Richterinnen und Richter im Lande Nordrhein-Westfalen (Sonderurlaubsverordnung - SUrlV). Das mag Hintergrund oder Vorgeschichte der Erstattungsvereinbarung vom 25.10./8.12.1995 sein, macht sie selbst aber nicht zu einer, die ihre Rechtsgrundlage im öffentlichen Recht hat.
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2. Die Beklagte zeigt auch nicht auf, dass aus sonstigen Gründen die Natur des streitgegenständlichen Rechtsverhältnisses öffentlich-rechtlich wäre.
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Vielmehr beruft die Beklagte sich in ihrer Klageerwiderung auf Normen des Zivilrechts und meint insbesondere, der geltend gemachte Anspruch bestehe nicht, weil sie gemäß § 314 BGB, jedenfalls aber nach §§ 624, 723 BGB zur Kündigung des Vertrages berechtigt gewesen sei. Dass sie u.a. die Frage aufwirft, ob die Klägerin nach der SUrlV verpflichtet war, den Sonderurlaub des Beamten W... zu widerrufen, führt nicht dazu, dass öffentlich-rechtlichen Besonderheiten in einem Maße in Betracht zu ziehen sind, dass eine etwaige Sachnähe (zu diesem Argument vgl. BGH NZS 1997, 341, 342) für eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte spricht. Gegen eine solche Sachnähe spricht vielmehr, dass die Klägerin dem Beamten W... den Streit verkündet hat, der vor dem Landgericht Stuttgart einen weiteren Rechtsstreit mit der Beklagten führt, in dem wie vorliegend ebenfalls die Frage aufgeworfen wurde, ob diese das Vertragsverhältnis mit Herrn W... wirksam beenden konnte. Die Interventionswirkungen nach §§ 74, 68 ZPO träten aber nicht ein, wenn dadurch eine Bindung des Streitverkündeten in einem Verfahren, für welches ein anderer Rechtsweg gegeben ist, herbeigeführt würde (BGHZ 123, 44).
18 
3. Da die Beschwerde somit erfolglos bleibt, ergibt sich die Kostenentscheidung aus § 97 Abs. 1 ZPO (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl., § 17 a GVG Rn. 19).
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Der Streitwert beträgt ¼ des Hauptsachestreitwerts (vgl. OLG Nürnberg MDR 2010, 1015; OLG Dresden MDR 2012, 246; Lückemann in Zöller, ZPO, 29. Aufl., Rn. 20).
20 
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor, § 17 Abs. 4 Sätze 4, 5 ZPO (vgl. Lückemann aaO, Rn. 16 a).

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