Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 10 U 18/14

Tenor

1. Nachdem die Berufungsklägerin die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 9. Januar 2014, Az. 7 O 45/13, zurückgenommen hat, wird sie des Rechtsmittels der Berufung für verlustig erklärt. Die Berufungsklägerin hat die durch die Berufung entstandenen Kosten zu tragen (§ 516 Abs. 3 ZPO).

2. Der Streitwert wird für

- die 1. Instanz auf 125.404,62 EUR und

- die 2. Instanz auf 87.000,00 EUR

festgesetzt.

Gründe

 
Der Streitwert für den Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaft ist gem. §§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, 3 ZPO mit dem Höchstbetrag der Bürgschaft von 87.000,00 EUR zu bewerten (1.), was für die 1. Instanz zu einem Streitwert von 125.404,62 EUR (= 87.000,00 EUR + 38.404,62 EUR) und für die 2. Instanz zu einem Streitwert von 87.000,00 EUR führt. Trotz der mit Verfügung vom 5. August 2014 vom Senat erwogenen Gründe ist auch eine Anpassung des Streitwertes 1. Instanz vorzunehmen (2.).
1.
Der Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaft ist mit 87.000,00 EUR zu bewerten. Die Klägerin möchte mit ihrem Herausgabeverlangen verhindern, dass die V-Versicherung als Bürge wegen der von der Beklagten berühmten Mängelbeseitigungskosten von über 130.000,00 EUR bis zum Höchstbetrag der Bürgschaft in Anspruch genommen wird. Auf die Verfügung vom 31. Juli 2014 wird insoweit Bezug genommen.
2.
Auch für die 1. Instanz ist der Streitwert entsprechend anzupassen.
a.
Die erfolgte Rücknahme der Berufung steht dem nicht entgegen. Eine Abänderung des Streitwertes nach § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG ist erst ab der Mitteilung der Entscheidung nach § 516 Abs. 3 ZPO unzulässig (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 44. Aufl. 2014, § 63 GKG Rn. 51). Diese erfolgt aber erst mit dem vorliegenden Beschluss.
b.
Dass eine entsprechende Heraufsetzung des Streitwerts für den Herausgabeanspruch der Bürgschaft nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG für die 1. Instanz zu einem Gesamtstreitwert von 125.404,62 EUR und damit zu einer rechnerischen Unrichtigkeit der aufgrund der Berufungsrücknahme rechtskräftigen erstinstanzlichen Kostengrundentscheidung führt, ist hinzunehmen.
Einer rechnerischen Unrichtigkeit der rechtskräftigen erstinstanzlichen Kostengrundentscheidung kann nicht über eine analoge Anwendung des § 319 ZPO begegnet werden (so aber Dörndorfer in Binz/Dörndorfer/Petzold/ Zimmermann, GKG, FamGKG, JEVG, 3. Aufl. 2013, § 63 Rn. 12 a. E.; Hartmann, Kostengesetze, 44. Aufl. 2014, § 63 Rn. 40; OVG Münster, Beschl. v. 12.09.2006 - 13 A 3656/04, NVwZ-RR 2007, 213; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03.02.1992 - 19 U 16/91, NJW-RR 1992, 1407). Denn für eine analoge Anwendung des § 319 ZPO fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke (vgl. BGH, Beschl. v. 30. Juli 2008 - II ZB 40/07, MDR 2008, 1292, 1293; OLG Stuttgart, Beschl. v. 20.02. 2001 - 20 W 31/00, MDR 2001, 892, 893). Daraus, dass der Gesetzgeber mit § 107 Abs. 1 Satz 1 ZPO für das Kostenfestsetzungsverfahren eine entsprechende Anpassungsmöglichkeit bei einer nachträglichen Streitwertänderung vorsieht, kann zumindest nicht auf eine planwidrige Regelungslücke geschlossen werden. Denn mit § 99 Abs. 1 ZPO hat der Gesetzgeber eine isolierte Anfechtung der Kostengrundentscheidung im Grundsatz sogar ausgeschlossen (vgl. auch BGH, Beschl. v. 30.07.2008 - II ZB 40/07, MDR 2008, 1292, 1293, juris Rz. 17).
c.
Ebenso ist hinzunehmen, dass eine Erhöhung des Streitwerts in erster Instanz vorliegend zu einer unbilligen Kostenbelastung der Klägerin führt.
aa. Die Klägerin wird durch die Streitwerterhöhung mit höheren Kosten aus der für sie ungünstigen rechtskräftigen Kostenquote von 60% belastet. Bei zutreffender Streitwertfestsetzung durch das Landgericht hätte sie bei entsprechender Quotelung nur rund 30% (38.404,62 EUR/125.404,62 EUR) der Kosten 1. Instanz tragen müssen.
bb. Der Bundesgerichthof und andere Oberlandesgerichte haben in Fällen, in denen eine Streitwertkorrektur zu einer unbilligen Kostenbelastung geführt hätte, von einer Streitwertkorrektur aus diesem Grund abgesehen (vgl. BGH, Beschl. v. 31.08.2000 - XII ZR 103/98; BGH, Beschl. v. 30.06.1977 - VIII ZR 111/76, MDR 1977, 925; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.06.1992 - 9 W 52/92, NJW-RR 1992, 1532, 1533). Der Bundesgerichtshof hat zudem darauf hingewiesen, dass das Gebühreninteresse der Staatskasse und der Prozessbevollmächtigten dem Interesse der Parteien an einer zutreffenden Kostenentscheidung nachrangig sei (vgl. BGH, Beschl. v. 30.06.1977 - VII ZR 111/76, MDR 1977, 925, juris Rz. 5).
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cc. Gleichwohl sieht sich der Senat auch im vorliegenden Fall zu einer Streitwertkorrektur für die 1. Instanz veranlasst.
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(1) Denn die vorstehenden Billigkeitserwägungen würden bei einer Vielzahl von Streitwertbeschwerden zum Tragen kommen, die in Rechtstreitigkeiten erhoben werden, in denen eine am Streitwert orientierte Kostengrundentscheidung nach Quoten ergangen ist. Je nach Umfang der Abänderung des Streitwertes könnte dies zu einer als möglicherweise unbillig anzusehenden Kostenbelastung einer Partei führen.
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(2) Da sich diese Problematik nicht nur auf einige wenige Fälle beschränken würde, würde für die Streitwertbeschwerde hierdurch von der Rechtsprechung eine Hürde geschaffen werden, die der Gesetzgeber so nicht vorgesehen hat.
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(3) Die vom Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1977 angenommene Nachrangigkeit des Gebühreninteresses (vgl. BGH, Beschl. v. 30.06.1977 a. a. O., juris Rz. 5) lässt sich den gesetzlichen Regelungen nicht entnehmen. Vielmehr ist die Streitwertfestsetzung unter geringeren Voraussetzungen anfechtbar (u.a. einer längeren Anfechtungsfrist) als die Kostengrundentscheidung, die meist nur zusammen mit der Hauptsache (§ 99 Abs. 1 ZPO) angefochten werden kann.
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(4) Da der Gesetzgeber in Kenntnis der Problematik, dass eine nachträgliche Streitwertänderung zu einer Unrichtigkeit einer bereits rechtskräftigen Kosten-grundentscheidung führen kann, auch bei der Neukodifizierung des GKG keinen Handlungsbedarf gesehen hat, kann davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber weiterhin an der Möglichkeit der Streitwertkorrektur auch noch nach Rechtskraft eines Urteils festhalten wollte, ohne dass er es für erforderlich erachtet hat, für diesen Fall gleichzeitig eine Berichtigungsmöglichkeit vorzusehen (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 09.02.2006 - 12 UF 70/05, FamRZ 2007, 163 - 165, juris Rz. 16).
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(5) Zudem hat der Bundesgerichtshof 2008 selbst ausgeführt, dass der mit diesem Ergebnis verbundene Wertungswiderspruch zwischen der Abänderbarkeit des Streitwerts und der mangelnden Möglichkeit, die Kostengrundentscheidung dem geänderten Streitwert anzupassen, nur durch ein Eingreifen des Gesetzgebers, dem die Problematik seit langem bekannt sei, beseitigt werden könne (vgl. BGH, Beschl. v. 30.07.2008 - II ZB 40/07, MDR 2008, 1292, 1293, juris Rz. 20).

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