Urteil vom Oberlandesgericht Stuttgart - 4 U 97/16

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 26.4.2016 (3 O 340/15) wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil des Landgerichts Stuttgart und die Entscheidung des Senats sind vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 6.666,54 EUR

Gründe

 
I.
1. Sachverhalt und Vortrag in erster Instanz
Die Klägerin macht Regressansprüche nach der Regulierung eines Kaskoschadens geltend.
Am 31.03.2015 parkte das bei der Klägerin kaskoversicherte Fahrzeug vor dem Eingang der Evangelischen Kirche in der H. Straße in E.. Infolge eines Sturms lösten sich insgesamt ca. 60 Dachziegel, von denen einige einen Schaden am versicherten Fahrzeug in Höhe von 6.759,54 EUR verursachten. Am Flughafen S. wurden für die Unfallzeit Windgeschwindigkeiten bis 100 km/h (10 Beaufort) gemessen.
Zwischen den Parteien besteht Streit,
- ob ein Anspruch nach § 836 BGB besteht und der Klägerin insoweit der Anscheinsbeweis einer nicht ordnungsgemäßen Errichtung/Unterhaltung zu Gute kommt,
- die Dachziegel ausreichend kontrolliert wurden,
- der Sturm als außergewöhnliches Natur- beziehungsweise Windereignis einzustufen ist.
2. Entscheidung des Landgerichts
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung i.H.v. 6.666,54 EUR (Fahrzeugschaden, abzüglich einer Selbstbeteiligung in Höhe von 150,- EUR, zuzüglich der Kosten eines vorgerichtlich eingeholten Wettergutachtens und einer Grundbuchauskunft) und zum Ausgleich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt. Die Beklagte hafte nach § 836 BGB, da sich unstreitig infolge des Sturms Ziegel vom Dach gelöst hätten, die das Fahrzeug beschädigten.
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a. Das Herabfallen der Dachziegel stelle eine Ablösung im Sinne des § 836 BGB dar.
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b. Ein Bau sei fehlerhaft errichtet, wenn er nicht alle Anforderungen erfülle, das Leben und Gesundheit anderer nicht gefährdet werden, wobei dies nicht auf das Verschulden einer Person zurückzuführen oder alleinige Ursache sein muss. Die Beweislast für die mangelhafte Unterhaltung und deren Ursächlichkeit für den Verletzungserfolg liege zwar grundsätzlich beim Geschädigten, diesem komme jedoch ein Anscheinsbeweis für die Mangelhaftigkeit der Unterhaltung und deren Ursächlichkeit zu Hilfe, wenn das schädigende Ereignis ohne konkreten Anlass oder bei Einflüssen eintritt, mit deren Einwirkung auf das Bauwerk erfahrungsgemäß, wenn auch unter Umständen selten, zu rechnen ist.
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Dieser Anscheinsbeweis werde nur durch einen außergewöhnlichen Sturm erschüttert, mit dem erfahrungsgemäß nicht mehr zu rechnen war. Es sei nicht ersichtlich, dass am Schadenstag solche außergewöhnlichen Witterungsverhältnisse herrschten. Ein Gutachten des Deutschen Wetterdienstes habe für den Flughafen S. Windgeschwindigkeiten von 100 km/h (10 Beaufort) ergeben. Die Behauptung der Beklagten, dass die Windgeschwindigkeit etwa um einen Prozent pro (weiteren Höhen-)Meter zunehme, führe zu keiner anderen Betrachtung. Aufgrund der topographischen Lage sei davon auszugehen, dass keine Windgeschwindigkeiten von mehr als 110 km/h vorgelegen hätten. Ein außergewöhnliches Sturmereignis erfordere jedoch höhere Windgeschwindigkeiten.
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c. Die Beklagte habe nicht den notwendigen Entlastungsbeweis geführt. An die Pflicht zur Überwachung bezüglich der Gebäudesicherheit und deren Nachweis seien hohe Anforderungen zu stellen. Bei Zugrundelegung des gebotenen strengen Maßstabes könne nicht festgestellt werden, dass die Beklagte alle aus technischer Sicht gebotenen und geeigneten Maßnahmen getroffen habe, um der Gefahr einer sturmbedingten Ablösung von Dachteilen rechtzeitig zu begegnen.
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Eine Vernehmung der dazu angebotenen Zeugen sei nicht erforderlich gewesen. Der Sturm habe vielmehr die Probe aufs Exempel dargestellt, ob die Dachziegel ordnungsgemäß am Turmdach befestigt waren. Der vorliegende Sturm habe gerade gezeigt, dass die Dachziegel nicht ordnungsgemäß befestigt waren, weil 60 Dachziegel vom Turmdach gefallen waren, was belege, dass die Prüfung mangelhaft gewesen sein müsse.
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d. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und zu den Feststellungen des Landgerichts wird auf das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 26.04.2016 (Az. 3 O 340/15) Bezug genommen (Blatt 46 - 53; § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
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3. Berufungsvortrag der Beklagten
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Die Berufung der Beklagten rügt Rechtsverletzungen und eine fehlerhafte Beweiswürdigung, sie verfolgt weiter das Ziel einer vollumfänglichen Abweisung der Klage.
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Das Landgericht sei aufgrund falscher Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass ein außergewöhnliches Sturmereignis nicht vorgelegen habe. Insoweit seien die angebotenen Beweise nicht eingeholt worden. Die Beklagte habe vorgetragen, dass in der Höhe des Kirchturms von 30-35 m deutlich höhere Windgeschwindigkeiten vorherrschten als die am Flughafen S. in 10 m Höhe festgestellte Windgeschwindigkeit. Die Wetterstation am Flughafen sei mehr als 20 km vom Schadensort entfernt und deshalb nicht repräsentativ. Die topographischen Verhältnisse würden nicht für geringere Windgeschwindigkeiten sprechen, vielmehr für höhere Windgeschwindigkeiten, weil angesichts des ansteigenden Geländes von einer Kaminwirkung auszugehen sei. Deshalb sei in Höhe des Kirchturmdaches von einer um 20 - 25 % höheren Windgeschwindigkeit auszugehen, was zu Windgeschwindigkeiten von über 140 km/h geführt habe.
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Das Landgericht habe die angebotenen Zeugen zu Unrecht nicht vernommen. Eine Vernehmung der Zeugen hätte ergeben, dass diese eine ordnungsgemäße Innen- und Außenprüfung vorgenommen haben. Auch die Anzahl der herunter gefallenen Dachziegel sei kein Indiz dafür, dass diese nicht ordnungsgemäß befestigt waren. Es spreche vieles dafür, dass eine Windhose entlang des Kirchturms nach oben gestiegen sei, die die Dachziegel im Randbereich hochgehoben habe. Hierdurch sei ein Reißverschlusseffekt entstanden, der zu einer weitergehenden Ablösung der Dachziegel geführt habe. Eine solche Schadensentstehung könne auch durch weitergehende technische Kontrollen nicht verhindert werden.
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Für den streitgegenständlichen Sturm habe es keine Vorwarnungen gegeben, weshalb die Beklagte auch keine Veranlassung gehabt habe, Flächen um die Kirche herum abzusperren.
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Das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass sich die Beklagte nicht gemäß § 836 Abs. 1 Satz 2 BGB entlasten konnte. Die Beklagte habe vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass nicht nur eine Innenkontrolle (Prüfung der Nasen der Dachziegel und deren ordnungsgemäße Verklammerung), sondern auch eine Außenkontrolle (Sichtkontrolle) des streitgegenständlichen Kirchturmdaches durchgeführt werde. Die letzte Kontrolle vor dem Schadensfall habe am 28. Oktober 2014 stattgefunden. Anlässlich der Beseitigung eines Sturmschadens auf dem Kirchendach sei auch das Dach des Kirchturms kontrolliert worden, um auszuschließen, dass auch dort Schäden aufgetreten sind oder Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dort künftig ein Schaden auftreten könnte. Entgegen der Auffassung des Landgerichts handle es sich um eine ausreichende Überprüfung des baulichen Zustands, weil weitere Maßnahmen den Einsatz eines Hubsteigers verlangen würden, der mindestens 1.000,00 EUR pro Tag koste. Das sei ein unverhältnismäßig hoher Kostenaufwand. Die vom Oberlandesgericht Hamm im Urteil vom 14.07.2010 (13 U 145/09) an eine Verkehrssicherungspflicht seitens des Gebäudeeigentümers gestellten Anforderungen seien überzogen. Diese Auffassung führe im Ergebnis dazu, dass Kirchtürme nicht mehr mit Ziegeldächern eingedeckt werden könnten.
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4. Anträge
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Die Beklagte beantragt (Blatt 76):
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Das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 26.04.2016 (3 O 340/15) wird abgeändert: Die Klage wird abgewiesen.
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Die Klägerin beantragt (Blatt 66, 90):
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Die Berufung wird zurückgewiesen.
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5. Berufungserwiderung der Klägerin
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Die Berufungserwiderung verteidigt das landgerichtliche Urteil.
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Die Beklagte könne nicht den ihr obliegenden Nachweis führen, dass ein außergewöhnliches Naturereignis vorgelegen habe. Ein Sachverständigengutachten könne mangels eines konkreten Referenzwertes die Windgeschwindigkeiten am Dach nicht punktgenau ermitteln. Das angebotene Sachverständigengutachten sei ein offensichtlich untaugliches Beweisangebot. Zudem habe die Beklagte überhaupt nicht exakt vorgetragen, welche Windgeschwindigkeit geherrscht habe.
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Die Beklagte habe auch nicht ausreichend für einen Entlastungsbeweis vorgetragen. Die Innenprüfung werde erstmals im Berufungsverfahren thematisiert, die vorgelegte Rechnung belege keine Prüfung. Es sei jedenfalls nichts zum Prüfauftrag, den Methoden und den zu ermittelnden Einflussfaktoren (Windsog, Winddruck, Umgebungsbebauung, geographische Lage) vorgetragen.
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6. Bemerkungen zum Verfahren
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Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst der dazu vorgelegten Anlagen Bezug genommen. Hinsichtlich des Vortrags in der mündlichen Verhandlung und zu den Aussagen der vom Senat vernommenen Zeugen D., J. und M. wird außerdem auf das Protokoll der Sitzung vom 23.11.2016 verwiesen.
II.
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1. Zulässigkeit der Berufung
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Die Berufung ist zulässig, sie wurde insbesondere innerhalb der vorgegebenen Fristen ordnungsgemäß eingelegt und begründet.
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2. Begründetheit der Berufung
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Die Berufung ist jedoch unbegründet.
37 
Das Landgericht hat den von der Klägerin im Regressweg geltend gemachten Anspruch sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach im Ergebnis zu Recht als aus §§ 836 Abs. 1 Satz 1, 249 BGB iVm § 86 Abs. 1 VVG gerechtfertigt angesehen.
38 
Wird durch die Ablösung von Teilen eines Gebäudes eine Sache beschädigt, ist der Besitzer verpflichtet, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen, sofern die Ablösung die Folge fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung ist. Der Besitzer kann den Entlastungsbeweis führen, dass er die zum Zwecke der Gefahrenabwendung erforderliche Sorgfalt beobachtet hat (§ 836 Abs. 1 BGB).
39 
Eine Haftung nach § 836 Abs. 1 BGB setzt danach voraus,
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- die Ablösung von Teilen eines Gebäudes
41 
- eine Sachbeschädigung,
42 
- wobei die Ablösung adäquat kausal durch eine fehlerhafte Errichtung oder mangelhafte Unterhaltung verursacht sein muss,
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- die Ablösung außerdem die Eigentumsverletzung (also den Sachschaden) adäquat kausal verursachte haben muss,
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- dem Besitzer der notwendige Entlastungsbeweis nicht gelungen ist.
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a. Ablösung von Teilen eines Gebäudes
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Die heruntergefallenen Dachziegel sind Teile eines Gebäudes - hier der Kirche - gewesen, die sich abgelöst haben.
47 
Die Dachziegel waren als notwendiger Bestandteil des Gebäudes (ohne ein Dach fehlt der notwendige Schutz vor äußeren Einflüssen; vergleiche dazu Staudinger/Belling, BGB [2012], § 836 Rn. 22) ein Teil des Gebäudes Kirche. Gebäudeteil ist eine Sache nicht nur, wenn sie zur Herstellung eines Gebäudes eingefügt ist, sondern auch dann, wenn sie in einem so festen baulichen Zusammenhang mit dem Gebäude steht, dass sich daraus nach der Verkehrsanschauung ihre Zugehörigkeit zu dem Bauganzen ergibt (BGH NJW 1985, 2588; BGH NJW 1961, 1670 = VersR 1961, 803 [805]; RGZ 107, 337 [339]). Dachziegel und Steine sind danach Teile eines Gebäudes (BGH NJW 1993, 1782 f.; OLG Düsseldorf NJW RR 2003, 885; OLG Düsseldorf NJW-RR 1992, 1440).
48 
Das Herunterfallen der Dachziegel stellt eine Ablösung im Sinne des § 836 Abs. 1 BGB dar, denn darunter ist jede unwillkürliche und ungeplante Aufhebung der Verbindung zum übrigen unversehrten Ganzen zu verstehen (BGH NJW 1997, 1853; OLG Koblenz OLGR 2002, 468; OLG Saarbrücken NJW-RR 2006, 1255 [1257]).
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b. Eigentumsverletzung, kausaler Sachschaden
50 
Dass ein Sachschaden vorliegt, der adäquat kausal durch die Ablösung verursacht wurde, steht für den Senat schon nach § 314 ZPO fest, denn das Landgericht hat im unstreitigen Teil des Tatbestands festgestellt, dass an dem bei der Klägerin versicherten Fahrzeug vorfallsbedingt ein Schaden von 6.759,54 EUR entstand. Im Übrigen ist der entsprechende Vortrag der Klägerin (Blatt 3) nicht bestritten (Blatt 15 ff., § 138 Abs. 3 ZPO).
51 
c. Ablösung beruht kausal auf fehlerhafter Errichtung und/oder mangelhafter Unterhaltung
52 
Der für die Klägerin streitende Anscheinsbeweis einer mangelhaften Unterhaltung ist durch die Beklagte nicht erschüttert worden.
53 
aa. Anforderungen an die Kausalität
54 
Die Ablösung muss adäquat durch die fehlerhafte Errichtung oder die mangelhafte Unterhaltung des Gebäudes verursacht worden sein (RGZ 97, 114; RGZ 52, 239). Insoweit ist es ohne Bedeutung, wie die Trennung oder Lockerung der Verbindung eintritt, ob dies ohne äußere Einwirkungen von selbst oder auf äußere Einwirkungen zurückzuführen ist (Staudinger/Belling, BGB [2012], § 836 Rn. 39 m.w.N.). Es ist nicht erforderlich, dass eine fehlerhafte Errichtung oder mangelhafte Unterhaltung des Werks die einzige Ursache des Geschehens ist. Vielmehr können auch andere Ursachen hinzukommen. Das ergibt sich aus den auch im Rahmen des § 836 BGB geltenden allgemeinen Kausalitätsgrundsätzen. Es genügt also, wenn eine fehlerhafte Errichtung oder mangelhafte Unterhaltung eine adäquate Bedingung dafür war, dass es zum Ablösen von Teilen des Werks gekommen ist (BGHZ 58, 149 [153] m.w.N.).
55 
bb. außergewöhnliche Naturereignisse und Witterungseinflüsse
56 
Naturereignisse oder Witterungseinflüsse besonderer Art können die Annahme ausschließen, dass die Ablösung von Teilen eines Werkes auf fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung beruht.
57 
Das ist allerdings nur der Fall, wenn es sich um ein außergewöhnliches Naturereignis handelt, dem auch ein fehlerfrei errichtetes oder mit der erforderlichen Sorgfalt unterhaltenes Werk nicht standzuhalten vermag. Anders verhält es sich dagegen, wenn es sich um Naturereignisse oder Witterungseinflüsse handelt, mit denen nach der Erfahrung zu rechnen ist und denen ein Werk bei fehlerloser Errichtung und ordnungsgemäßer Unterhaltung standhalten muss. In einem solchen Fall beweist gerade die Loslösung von Werkteilen infolge der Witterungseinwirkung, dass die Anlage fehlerhaft errichtet oder mangelhaft unterhalten war (BGH VersR 1999, 1424 [1425]; BGH NJW 1993, 1782; BGHZ 58, 154 [153 f.]; BGH VersR 1960, 426 [428]; BGH VersR 1956, 627 [629]; RGZ 76, 260). Daher kommt es im Einzelfall darauf an, ob die den Schaden (mit) verursachende Wetterlage bei Errichtung und Unterhalt des Gebäudes noch zu berücksichtigen war oder nicht. Diese Frage kann nur für den Einzelfall unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten und etwaiger klimatischer Besonderheiten beantwortet werden, gegebenenfalls unter Berücksichtigung eines Sachverständigengutachtens (OLG Köln NJW-RR 1992, 858; OLG Hamm OLGR 1993, 65; OLG Düsseldorf OLGR 1992, 289).
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cc. Anscheinsbeweis
59 
Hat ein Bauwerk Mängel, die nach dem natürlichen Verlauf der Dinge und nach der Erfahrung des Lebens besonders geeignet sind, einen bestimmten schädigenden Erfolg zu begünstigen, und tritt dieser Erfolg ein, so ist, wenn keine andere Ursache des Schadens feststellbar ist, bis zum Beweis des Gegenteils anzunehmen, dass sie zu dem schädigenden Erfolg mindestens als eine der Ursachen beigetragen haben; diese faktische Vermutung hat durch Beweis des Gegenteils zu widerlegen, wer die Mängel vertreten muss (BGH NJW 1997, 1853 [1854]; OLG Düsseldorf MDR 1975, 843). Deshalb spricht das Ablösen von Gebäudeteilen im Rahmen des Anscheinsbeweises grundsätzlich für eine fehlerhafte Errichtung des Bauwerks oder eine mangelhafte Unterhaltung (BGH NJW 1993, 1782 [1782]; OLG Hamm BeckRS 2010, 29594 II.2.d. = MDR 2010, 1386; OLG Köln VersR 2005, 512). Der Anscheinsbeweis erstreckt sich auch auf die Kausalität für das schädigende Ereignis in Form des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen (BGH NJW-RR 2006, 1098 [1099 Rn. 17]; BGH VersR 1994, 324 [325]; BGHZ 58, 149, [154]). Demgegenüber greift der Beweis des ersten Anscheins nicht, wenn die ernsthafte Möglichkeit feststeht, dass das schädigende Ereignis auf einer anderen Ursache als der fehlerhaften Errichtung oder der mangelhaften Unterhaltung beruht (BGH NJW-RR 2006, 1098 [1100 Rn. 18]).
60 
Der Bundesgerichtshof hat hierzu ausgeführt, dass
61 
„Naturereignisse oder Witterungseinflüsse besonderer Art die Annahme ausschließen [können], dass die Ablösung von Teilen eines Werkes auf fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung beruht. Das ist aber nur der Fall, wenn es sich um ein außergewöhnliches Naturereignis handelt, dem auch ein fehlerfrei errichtetes oder mit der erforderlichen Sorgfalt unterhaltenes Werk nicht standzuhalten vermag. Anders verhält es sich dagegen, wenn es sich um Naturereignisse oder Witterungseinflüsse handelt, mit denen nach der Erfahrung zu rechnen ist und denen ein Werk bei fehlerloser Errichtung und ordnungsgemäßer Unterhaltung standhalten muss. In einem solchen Fall beweist gerade die Loslösung von Werkteilen infolge der Witterungseinwirkung, dass die Anlage fehlerhaft errichtet oder mangelhaft unterhalten war (BGH NJW 1972, 724 [725]).“
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Der Anscheinsbeweis gilt auch bei Witterungseinflüssen, mit denen naturgemäß zu rechnen ist (BGH VersR 1999, 1424 [1425]). Nach der Lebenserfahrung legt die Ablösung von Gebäudeteilen infolge von Witterungseinflüssen die mangelhafte Errichtung oder Unterhaltung nahe (OLG Köln VersR 2005, 512; OLG Hamm BeckRS 2010, 29594 II.2.d. = MDR 2010, 1386). Dem Geschädigten kommt für den Beweis des objektiven Mangels der erste Anschein der fehlerhaften Errichtung und Unterhaltung eines Gebäudes auch dann zugute, wenn infolge eines ungewöhnlich starken Sturms der Windstärke 12 bis 13 Beaufort Gebäudeteile losgelöst werden (BGH NJW 1993, 1782 [1783] für besonders starke Sturmböen während eines unstreitigen Orkans; OLG Hamm BeckRS 2010, 29594 II.2.d. = MDR 2010, 1386; OLG Zweibrücken NJW-RR 2002, 749). Der Unterhaltspflichtige muss erhebliche Sturmstärken in seine Betrachtung mit einbeziehen und entsprechende Vorsorge für die Festigkeit der Teile des Gebäudes oder Werks treffen. In der Regel ist deshalb der Anscheinsbeweis noch nicht erschüttert, wenn die Schadenursache eine (besonders) starke Sturmböe war (BGH VersR 1999, 1424 [1425]; OLG Hamm BeckRS 2010, 29594 II.2.d. = MDR 2010, 1386; OLG Koblenz OLGR 2002, 446; OLG Düsseldorf NJW-RR 2003, 885; OLG Rostock NJW-RR 2004, 825; OLG Köln VersR 2005, 512; LG Karlsruhe NJW-RR 2002, 1541; LG Offenburg NJW-RR 2002, 596). Nur außergewöhnliche Naturereignisse, denen auch ein fehlerfrei errichtetes oder mit der erforderlichen Sorgfalt unterhaltenes Bauwerk nicht standhalten könnte, lassen den Anscheinsbeweis entfallen (BGH NJW 1972, 724; BGH NJW 1993, 1782 [1783]; BGH NJW 1999, 2593; OLG Hamm BeckRS 2010, 29594 II.2.d. = MDR 2010, 1386 [mehr als 13 Beaufort]; OLG Hamm OLGR 1992, 123 [7 Beaufort]; OLG Koblenz NVwZ-RR 2004, 322, 323; OLG Rostock NJW-RR 2004, 825; OLG Köln VersR 2005, 512; LG Baden-Baden VersR 2003, 517; Diehl ZfS 2011, 258). Keinesfalls außergewöhnlich in diesem Sinne sind Windgeschwindigkeiten von 120 km/h (12 Beaufort) (OLG Düsseldorf VersR 1993, 841; OLG Hamm BeckRS 2010, 29594 II.2.d. = MDR 2010, 1386 [mehr als 13 Beaufort]).
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Trotz der Begrenzung der Windlast auf Windstärken bis 12 Beaufort in technischen Regelwerken für Bauwerke wird im Hinblick auf den Klimawandel und die Häufung größerer Windstärken aber auch vertreten, dass diese nicht mehr als außergewöhnliches Naturereignis anzusehen seien (Staudinger/Belling, BGB [2012], § 836 Rn. 109; OLG Hamm BeckRS 2010, 29594 II.2.d. = MDR 2010, 1386 [mehr als 13 Beaufort]).
64 
Jedenfalls Werte im mittleren Bereich von 14 Beaufort (Sturm „Lothar“ - Weihnachten 1999) beziehungsweise von mehr als 150 km/h sollen den Anscheinsbeweis erschüttern (OLG Zweibrücken NJW-RR 2002, 749; OLG Koblenz NVwZ-RR 2004, 322 [323]). Es wird als unerheblich angesehen, ob das Gebäude oder Werk ordnungsgemäß errichtet beziehungsweise unterhalten war, wenn es auch in diesem Fall nicht den ex-tremen Witterungseinflüssen standgehalten hätte (LG Karlsruhe NJW-RR 2002, 1541).
65 
dd. Subsumtion
66 
Das Landgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der Anscheinsbeweis nicht durch ein außergewöhnliches Naturereignis erschüttert worden ist. Ein solches kann tatsächlich nicht festgestellt werden.
(1)
67 
Die vom Landgericht eingeholte amtliche Auskunft hat für die nächstgelegene Wetterstation des Deutschen Wetterdienstes am Flughafen S. für den 31.03.2015 um 12:00 Uhr auf 10 Meter über Grund eine Windspitze von 28,3 m/s, also 100 km/h beziehungsweise 10 Beaufort mitgeteilt (Blatt 38). Der Flughafen S. liegt auf 389 Meter über Meereshöhe, die Messung erfolgte daher auf einer Höhe von knapp 400 Metern. Die Entfernung zwischen E. und dem Flughafen beträgt knapp 20 Kilometer (Entfernungsmessung auf Googlemaps: 19,3 km). E. liegt etwa 50 Meter höher, also auf ca. 450 Metern.
(2)
68 
Der Vortrag der Beklagten und die dazugehörigen Beweisantritte führen nicht zur Annahme eines außergewöhnlichen Naturereignisses, denn damit kann gerade nicht festgestellt werden, wann welche Windgeschwindigkeiten gerade an der Kirche und dem Kirchturm herrschten.
69 
Soweit sich die Beklagte für den Vortrag zu Windböen von 100 - 140 km/h (zu diskutieren wären insoweit allenfalls die Windstärken von mehr als 130 km/h = 13 Beaufort) auf einen Bericht der S. Zeitung beruft, wird dort ausgeführt (B 1),
70 
„mit bis zu 100 Stundenkilometern fegte Sturmtief „Niklas“ durchs Land, im Schwarzwald wurden bis zu 140 Stundenkilometer gemessen. ... Am Feldberg im Schwarzwald wurden Orkanböen von 151 km/h gemessen.“
71 
Da der Feldberg etwas über 110 Kilometer entfernt (und deutlich höher) liegt, lässt sich dem Artikel keine Information zu den tatsächlichen Windgeschwindigkeiten in E. entnehmen, kann also der Entlastungsbeweis damit nicht geführt werden.
72 
Vielmehr wird für das „Land“ nur eine Spitzengeschwindigkeit von bis zu 100 Stundenkilometer mitgeteilt.
73 
Der Umstand einer in E. entwurzelten Pappel führt nicht zu einer anderen Betrachtung. Es steht nicht fest, ob diese Pappel aufgrund der Windgeschwindigkeiten entwurzelt wurde oder aber möglicherweise andere Schadensursachen hierfür verantwortlich waren, zumal die Pappel ein flach wurzelnder Baum ist und zum Zustand des Baums nichts Näheres bekannt ist. Nach der Tabelle des Wetterdienstes werden Bäume schon bei Windgeschwindigkeiten von 10 und 11 Bft entwurzelt (Blatt 40).
74 
Gleiches gilt für das eingedrückte Fenster, denn auch insoweit steht nicht fest, inwieweit hierfür eine - zudem nur behauptete - Windstärke>13 Beaufort verantwortlich war.
75 
Auch die Berufung auf die Expertise der Fa. M. betreffend einen Schadensfall in U. führt nicht zu einer anderen Betrachtung, weil dort lediglich Windgeschwindigkeiten von 11 Beaufort mitgeteilt wurden, die gerade noch nicht genügen, um ein außergewöhnliches Naturereignis anzunehmen.
(3)
76 
Das als (besonders) qualifizierter und damit vom Senat primär zu berücksichtigender Parteivortrag zu wertende, von der Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegte ausführliche (Privat-)Gutachten des Deutschen Wetterdienstes (im Folgenden: DWD) zu den Wetter- und Windverhältnissen am 31.3.2015 in E. (Blatt 104 ff) ist nicht annähernd geeignet, den ansonsten gehaltenen Vortrag der Beklagten zu Windgeschwindigkeiten von „über 140 km/h“ (so der neue Vortrag der Beklagten im Berufungsrechtszug, Blatt 79) oder auch nur von „... bis zu 140 km/h“ (so noch der Vortrag der Beklagten in der Klagerwiderung vom 18.1.2016, Blatt 17, und im Schriftsatz vom 22.3.2016, Seite 1, Blatt 25) zu stützen.
77 
Dies gilt insbesondere auch für die Annahme der Beklagten, man könne über die Anwendung einer Faustformel („mit zunehmender Höhe eines Gebäudes nimmt auch die Windgeschwindigkeit bei einem Sturm um 1 % pro Höhenmeter zu“, vgl. Seite 5 der Berufungsbegründung, Blatt 79) eine Windgeschwindigkeit von über 140 km/h am Dach des Kirchturms in E. hochrechnen.
78 
Das Gutachten des DWD führt schon auf Seite 2 aus:
79 
„Es sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Gutachten keine Aussagen darüber gemacht werden können, wie der Wind sich in der untersten Luftschicht, z.B. zwischen 10 m (die Höhe, in der in der Regel die Windmessungen im DWD stattfinden) und 35 m, unterscheidet. Bei einer herrschenden labilen Wetterlage, wie sie am 31.3.2015 auftrat, treten in der Atmosphäre turbulente Strömungen auf, d.h. zahlreiche ungeordnete Verwirbelungen können nach allen Richtungen hin auftreten, so dass nicht zwingend von einer stetigen Zunahme des Windes (insbesondere der Windspitzen) mit der Höhe ausgegangen werden kann. Ferner können keine Aussagen zu möglichen Windhosen gemacht werden.“
80 
Auf den Seiten 9 und 25 wird dies in ähnlichen Worten wiederholt, wenn ausgeführt wird:
81 
„Inwieweit eine derartige Modifizierung des Windfeldes unmittelbar an einem Schadensort vorgelegen hat und welches Ausmaß sie dort tatsächlich annahm, lässt sich im Nachhinein jedoch nicht exakt angeben“.
82 
Zu den am 31.3.2015 erreichten Windspitzen an allen (also nicht nur am Flughafen S.) in der Nähe des Schadensortes gelegenen Windmessstationen des DWD führt das Gutachten aus:
83 
„Die höchste Windspitze am 31.3.2015 wurde an allen DWD-Stationen um die Mittagszeit, d.h. zwischen etwa 11.50 Uhr und 14.40 Uhr erreicht (Seite 22).
84 
Der Mittelwind lag dabei sehr wahrscheinlich bei Werten zwischen ca. 8 m/s und 16 m/s (das entspricht einer Windstärke 5 Bft bis 7 Bft). Nahezu durchgängig lagen die Windspitzen währenddessen sehr wahrscheinlich bei Windstärke> 8 Bft. Zwischen etwa 12:00 Uhr und 14:30 Uhr wurden wahrscheinlich Windspitzen bis zu Windstärke 10 Bft bis 11 Bft erreicht.“
85 
Nachdem diese Passagen des Gutachtens des DWD in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausführlich mit den Parteien besprochen wurden, bedürfen diese, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriglassen, keiner weiteren Kommentierung mehr.
86 
d. Entlastungsbeweis
87 
Die von der Beklagten im Verlauf des Rechtsstreits in wesentlichen Teilen widersprüchlich vorgetragenen Kontrollen des Kirchen- und Kirchturmdachs sind nicht geeignet, schlüssig eine den Anforderungen der Rechtsprechung genügende sorgfältige Kontrolle darzulegen. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme sind sie nicht ansatzweise zu erkennen.
88 
aa. Vorgaben der Rechtsprechung an den Entlastungsbeweis
89 
An die dem für die Gebäudesicherheit Verantwortlichen obliegende Pflicht zur Überwachung, an die Substantiierung des dahingehenden Vortrags und an seinen Nachweis müssen hohe Anforderungen gestellt werden (BGH NJW 1993, 1782 [1783]; BGH VersR 1976, 66; BGH NJW 1985, 2588 = VersR 1985, 666 [667]; BGH NJW-RR 1988, 853 = VersR 1988, 629 [631]). Zwar braucht der Gebäudeunterhaltspflichtige nicht alle Gefahren der in § 836 BGB beschriebenen Art vollständig auszuschließen; denn für die Anforderungen an die Gefahrensicherung ist insbesondere auf die Sicherungserwartungen des Verkehrs abzustellen (BGH NJW 1993, 1782 [1783]; BGH NJW-RR 1990, 1423 = VersR 1990, 1280 [1281]; BGH NJW 1988, 853 [854]; BGH NJW 1985, 1076 = VersR 1985, 336 [337]; OLG Düsseldorf NJW-RR 2003, 885). Wegen der erheblichen Gefahren, die von herabfallenden Dachteilen für die Gesundheit und das Eigentum unbeteiligter Dritter drohen, hat derjenige, der für die Sicherheit des Gebäudes zu sorgen hat, alle zumutbaren Maßnahmen zu treffen, die aus technischer Sicht geboten und geeignet sind, die Gefahr einer Ablösung der Dachteile, sei es auch nur bei starkem Sturm, nach Möglichkeit rechtzeitig zu erkennen und ihr zu begegnen; dies gilt umso mehr, je älter das Gebäude und seine Dachkonstruktion ist (BGH NJW 1993, 1782 [1783]). Für eine Beseitigung eventueller Gefahrenquellen ist insbesondere auch dann zu sorgen, wenn damit ein hoher Kostenaufwand verbunden ist (OLG Hamm BeckRS 2010, 29594 unter II.2.d. = MDR 2010, 1386 [1687]). Wegen der bestehenden Unterhaltungspflicht muss das Gebäude auch im Zeitpunkt der Ablösung den geltenden Sicherheitsstandards entsprechen (Staudinger/Belling, BGB [2012], § 836 Rn. 116).
90 
Insoweit gehört es zur Wahrung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, dass der Haftpflichtige einen zuverlässigen Fachkundigen mit der regelmäßigen Nachprüfung im gebotenen Umfang betraut (BGH NJW 1993, 1782 [1783]; BGH NJW-RR 1988, 853 = VersR 1988, 629 [631]; BGH VersR 1976, 66; OLG Köln VersR 2005, 512). Dabei muss eine solche Überprüfung im Rahmen der technischen Möglichkeiten alle die Konstruktionselemente erfassen, bei welchen etwa auftretende Mängel zu einer Lösung von Gebäudeteilen führen können; auf ordnungsgemäße Sanierungsmaßnahmen, die sich nur auf einen Teilbereich erstrecken, kann sich der Unterhaltspflichtige nicht ohne weiteres verlassen (BGH NJW 1993, 1782 [1783]).
91 
Außer bei einfach aufgebauten Werken muss der Pflichtige die regelmäßige Prüfung durch zuverlässige Sachkundige durchführen lassen (BGH VersR 1976, 66; OLG Düsseldorf NJW-RR 2003, 885; OLG Köln VersR 2005, 512).
92 
Eine der Sorgfaltspflicht entsprechende Fürsorge für ein Gebäude oder ein Werk erfordert die regelmäßige Überprüfung seines Zustands. Ein genereller Maßstab von Anforderungen an die Intensität und zeitliche Häufigkeit der Überprüfungen existiert nicht. Er muss im Einzelfall bestimmt werden. Auch bei einem Dach kommt es grundsätzlich zunächst darauf an, inwieweit Gefahren für die Allgemeinheit zu befürchten sind. Konkret ist bei der Bestimmung des Maßstabs für die Überprüfung eines Dachs zu beachten, ob es sich um ein alleinstehendes Gebäude ohne Publikumsverkehr handelt (BGH NJW 1985, 2588 = VersR 1985, 666; BGH VersR 1955, 692 [693]), das Dach schon älter ist und deshalb eine erhöhte Schadensanfälligkeit besteht (OLG Hamm BeckRS 2010, 29594 unter II.2.d. = MDR 2010, 1386 [1687]), bereits zuvor Schäden vorlagen (OLG Düsseldorf, NJW 1992, 1440 [1441]), es sich um die dem Wind und Wetter ausgesetzte Seite handelt oder die Dachkonstruktion zu besonderer Schadensanfälligkeit neigt (OLG Köln VersR 2005, 512). Es ist nicht nur zu kontrollieren, ob das Gebäude oder Werk den Anforderungen zur Zeit der Errichtung noch entspricht, sondern es sind auch spätere Einwirkungen zu berücksichtigen, mit denen zuvor noch nicht gerechnet werden konnte (Staudinger/Belling, BGB [2012], § 836 Rn. 123). Für ein älteres Dach ist insoweit eine jährliche gründliche Sichtkontrolle verlangt worden (OLG Köln VersR 2005. 512; LG Duisburg NZV 2013, 590 [592 f.]).
93 
bb. Subsumtion
(1)
94 
Der Vortrag der Beklagten zu den veranlassten Kontrollen des Kirchturmdachs ist widersprüchlich. Die Widersprüche konnten vom Beklagtenvertreter im Termin zur mündlichen Verhandlung auch auf konkreten Vorhalt derselben nicht aufgeklärt werden.
95 
Im Klagerwiderungsschriftsatz vom 18.1.2016 (Blatt 17/18) wurde vorgetragen, die Firma M. (deren Geschäftsführer der vom Senat gehörte Zeuge M. M. ist) kontrolliere das Dach des Kirchturms
96 
„jährlich unter Einsatz eines Hubsteigers, ob Handlungsbedarf besteht. Die letzte Kontrolle fand am 22.10.2014 durch die Mitarbeiter der M. GmbH R. J. und M. D. statt. Dabei wurden alle lockeren Dachziegel ordnungsgemäß befestigt und beschädigte Dachziegel ausgetauscht. Weitere etwa beschädigte oder lockere Dachziegel wurden nicht festgestellt.“
97 
In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 22.4.2016 (Blatt 43/44) erklärte der Vertreter der Beklagten, dass
98 
„jährlich das Kirchendach und Turmdach von innen aus durch den Zimmermann untersucht wird, insbesondere ob Nasen bei den Ziegeln abgebrochen sind. Darüber hinaus untersucht der Zimmermann auch, ob die Sturmspangenklammern vorhanden sind“.
99 
In der Berufungsbegründung vom 25.8.2016 (Seite 2/3, Blatt 76/77) wird ausgeführt, dass
100 
„von der Beklagten regelmäßig nicht nur eine Innenkontrolle (Prüfung der Nasen der Dachziegel und deren ordnungsgemäße Verklammerung), sondern auch eine Außenkontrolle (Sichtkontrolle) des streitgegenständlichen Kirchturmdaches durchgeführt wird... Die letzte Kontrolle vor dem streitgegenständlichen Schadensfall vom 31.3.2015 fand am 28.10.2014, also 5 Monate davor, statt... Bei den Dachdeckerarbeiten, die die Firma M. ... in der Rechnung vom 28.10.2014 abgerechnet hat, handelt es sich ebenfalls um die Beseitigung eines Sturmschadens. Dieser trat jedoch nicht auf dem Dach des Kirchturmes auf, sondern am Dach über dem Kirchenschiff an der Ostseite der Kirche. Anlässlich dieser Schadensbeseitigung wurde von den Mitarbeitern und dem Geschäftsführer der Holzbau M. ... auch und insbesondere das Dach des Kirchturmes kontrolliert, um auszuschließen, dass auch dort Schäden aufgetreten sind oder Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dort künftig ein Schaden auftreten könnte... Weitere technische Möglichkeiten einer zusätzlichen Außenkontrolle der Verkehrssicherheit eines 30 bis 35 Meter hohen Kirchturmdaches bestehen nur durch den Einsatz eines mindestens 40 m auslegenden Hubsteigers zu einem Tagessatz von ca. EUR 1.000,00. Dies ist ein unverhältnismäßig hoher Kostenaufwand.“
101 
Auf Grund der dargestellten Widersprüche blieb danach jedenfalls unklar,
102 
- wann die letzte Kontrolle des Kirchturmdachs durchgeführt wurde, am 22. oder am 28.10.2014,
103 
- wer diese Kontrolle durchführte (die Mitarbeiter D. und J. oder auch zusätzlich der Zeuge M.),
104 
- was der Anlass für diese Kontrolle war (ein Schaden am Kirchendach oder eine jährliche, turnusgemäße Kontrolle auch des Kirchturmdachs),
105 
- ob dabei von innen und von außen (gegebenenfalls auf welche konkrete Art und Weise) oder nur von innen kontrolliert wurde.
106 
- ob dabei ein Hubsteiger eingesetzt wurde oder - weil dessen Kosten unverhältnismäßig seien - hiervon abgesehen wurde.
(2)
107 
Um den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. hierzu Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 35. Auflage, RN 6 zu § 138 ZPO mwN) zur Wertung widersprüchlichen Vortrags (der mit der Schlüssigkeit nicht verwechselt werden darf) zu genügen und gegebenenfalls diesen Vortrag in eine Würdigung eingezogener Beweise mit einfließen lassen zu können, hat der Senat die von der Beklagten benannten Zeugen D., J. und M. vernommen.
108 
Auf Grund deren - angesichts u.a. ihrer Anschaulichkeit und in den Kernaussagen weitgehenden Deckungsgleichheit für den Senat ausgesprochen glaubwürdigen - Angaben sind wesentliche Behauptungen der Beklagten zum Umfang der Kontrollen des Kirchturmdaches nicht nur nicht bestätigt, sondern als widerlegt anzusehen.
109 
Demnach ist festzustellen, dass
110 
- es keine regelmäßigen Kontrollen des Kirchturmdaches gab, jedenfalls keine solchen, die in ihrer Regelmäßigkeit von aufgetretenen Schadensfällen unabhängig waren, da die Firma M. mit dem Kirchendach und Kirchturmdach immer nur dann befasst war, wenn es zu Schadensfällen kam, um Reparaturarbeiten durchzuführen,
111 
- es dem Zufall oder dem genauen Hinsehen irgendeines zufällig nach dem Dach der Kirche sehenden vorbeifahrenden Mitarbeiters der Firma M. zu verdanken war, dass notwendige Reparaturarbeiten wegen verrutschter oder herabgefallener Ziegel vorgenommen wurden,
112 
- die letzte solcher „Kontrollen“ nicht am 22.10., sondern am 28.10.2014 stattfand,
113 
- diese „Kontrolle“ deshalb veranlasst war, weil es nicht etwa am Kirchendach, sondern am Kirchturmdach (und zwar zum wiederholten Mal innerhalb relativ kurzer Zeit) sturmbedingt etwas zu reparieren galt,
114 
- „Kontrollen“ lediglich von innen, am 28.10.2014 zudem durch den Zeugen J. „nur ganz kurz von innen“ in Form einer „Sichtprüfung“ nach hellen Stellen, die auf eine Lockerung von Ziegeln hindeuten, stattfanden, allenfalls noch - wie den Angaben des Zeugen M. entnommen werden kann - man von außen „drum herum“ ging,
115 
- Mit solchen „Kontrollen“ von innen auf hell durchscheinende Stellen der sichere Sitz der Ziegel nicht festgestellt werden kann,
116 
- bei den erfolgten „Kontrollen“ nicht „Reihe für Reihe jede Ziegelreihe“ auf Defekte oder gelockerte Ziegel geprüft wurde und
117 
- ein Hubsteiger jedenfalls nie eingesetzt wurde, ein solcher nach Ansicht der Zeugen, die allesamt Fachleute sind, aber eine Kontrolle auf verrutschte, also nicht mehr sicher sitzende Ziegel von außen - und zwar nur von außen - durchaus ermöglicht.
118 
Demnach steht zur Überzeugung des Senats fest, dass Kontrollen auf sicheren Sitz der Dachziegel am Dach des Kirchturms der Kirche in E. vor dem 31.3.2015, wie sie nach der dargestellten Rechtsprechung erforderlich sind, nie in auch nur annähernd ausreichendem Maß durchgeführt wurden.
119 
Zudem wäre der Einsatz eines Hubsteigers, den nicht nur die fachkundigen Zeugen, sondern offenbar auch die Beklagte selbst für ein geeignetes - wenn auch aus Sicht der Beklagten zu teures - Hilfsmittel bei der Dachkontrolle halten, keineswegs unverhältnismäßig (gewesen), zumal wenn man sich vergegenwärtigt, dass dieser - nur ein Mal im Jahr eingesetzt - 1.000,- EUR pro Tag kostet, weiter kaum vorstellbar erscheint, dass mehr als ein Tag zu einer sorgfältigen Kontrolle notwendig ist, andererseits aber - wie der vorliegende Fall zeigt - dadurch (Sach-)Schäden in der Höhe von rund 6.000,- EUR vermieden werden können, ganz zu schweigen von drohenden Personenschäden.
120 
Dass diese Auffassung im Ergebnis dazu führe, dass Kirchtürme nicht mehr mit Ziegeldächern eingedeckt werden könnten, was die Beklagte zu ihrer Verteidigung auch im Berufungsverfahren ausführt, liegt angesichts der durch die Beweisaufnahme festgestellten individuellen Sorglosigkeit der für die Verkehrssicherheit des Kirchturmdachs der Evangelischen Kirche in E. Verantwortlichen neben der Sache. Es kann keineswegs festgestellt werden, dass überall im Land ähnliche oder nur vergleichbare Defizite in der Unterhaltung eines Kirchturmdaches, dessen Schadensanfälligkeit schon vor dem hier zu beurteilenden Schadensfall bekannt war, vorlägen.
121 
e. Wetterwarnung
122 
Eine solche gab es entgegen dem Vortrag der Beklagten sehr wohl, nämlich ausweislich des von der Beklagten selbst vorgelegten Gutachtens des DWD am Vorabend des 31.3.2015, ausgegeben vom DWD um 21:53 Uhr (Blatt 117).
123 
Angesichts der Vorkenntnisse der Beklagten über die Anfälligkeit des Dachs des Kirchturms bei Auftreten jedweder Stürme hätte die Beklagte allen Anlass gehabt, den Bereich um den Kirchturm herum so abzusichern, dass dort keine Fahrzeuge parken (oder keine Passanten gehen oder stehen).
124 
Die Beklagte kann sich mit dem erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vor dem Hintergrund dieser Wetterwarnung erhobenen Mitverschuldenseinwand auch nicht teilweise aus der Haftung befreien, weil von ihr keinerlei weitere, aber erforderliche Tatsachen zur Begründung dieses Mitverschuldenseinwands vorgetragen wurden.
125 
f. Schaden
126 
Der Schaden ist der Höhe nach unstreitig, ebenfalls im unstreitigen Teil des Tatbestands des landgerichtlichen Urteils festgestellt, damit auch für den Senat nach § 314 ZPO bindend festgehalten und im Berufungsverfahren nicht weiter thematisiert (vgl. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
III.
127 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Die Entscheidung des Senats setzt seit langer Zeit geltende höchstrichterliche Rechtsprechung auf den gegebenen Einzelfall um.
128 
Haag     
Schüler     
Klier
Vors. Richter am     
Oberlandesgericht     
Richter am     
Oberlandesgericht     
Richter am
Oberlandesgericht

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