Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (8. Senat) - 8 ME 126/20

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 19. Kammer - vom 10. November 2020 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

A.

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Der Antragsteller wendet sich im Beschwerdeverfahren gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet und die Anordnung eines befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots sowie die Androhung seiner Abschiebung nach Ägypten.

2

Der am 20. September 1971 geborene Antragsteller reiste erstmals im Jahr 1994 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Aufgrund einer – seit 1997 wieder geschiedenen – Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen erhielt er wiederholt zunächst befristete Aufenthaltserlaubnisse; am 27. August 2005 wurde ihm eine Niederlassungserlaubnis erteilt. Aufgrund eines Strafverfahrens wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs eines Kindes wurde der Antragsteller am 19. Oktober 2011 vorläufig festgenommen. Nach Aufhebung des Haftbefehls reiste er Anfang November 2011 sofort aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Auf der Grundlage eines europäischen Haftbefehls wurde der Antragsteller am 1. November 2014 (erneut) in der Türkei festgenommen und am 7. Juli 2015 an die Bundesrepublik Deutschland überstellt. Mit – inzwischen rechtskräftigem – Urteil vom 22. November 2018 verurteilte ihn das Landgericht Hildesheim wegen fünf – in Tatmehrheit stehenden – im Zeitraum vom 19. Dezember 2006 bis 12. Januar 2007 in Ägypten zulasten einer im Tatzeitpunkt 13-jährigen deutschen Staatsangehörigen begangenen Fällen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in einem minder schweren Fall gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4, 2. Hauptsatz StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und setzte die Strafe nach § 56 StGB zur Bewährung aus. Vom Tatvorwurf der Vergewaltigung einer weiteren – im Tatzeitpunkt 14-jährigen – deutschen Staatsangehörigen wurde der Antragsteller freigesprochen.

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Mit Bescheid vom 13. Mai 2020 wies die Antragsgegnerin ihn aus dem Bundesgebiet aus, drohte ihm die Abschiebung nach Ägypten an und verfügte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für 5 Jahre ab Ausreise. Zur Begründung verwies sie auf die strafrechtliche Verurteilung des Antragstellers, die ein spezial- und generalpräventives Ausweisungsinteresse begründe und das Fehlen eines Bleibeinteresses von Gewicht.

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Hiergegen hat der Antragsteller Klage erhoben und einen Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bei dem Verwaltungsgericht gestellt, den er nach dessen Ablehnung in erster Instanz im Beschwerdeverfahren weiterverfolgt. Zur Begründung seiner Beschwerde trägt er im Wesentlichen vor, aus seinem alten sozialen Umfeld habe er sich seit Jahren gelöst, er sei (nunmehr) „Familienmensch“, verheiratet und habe einen 6-jährigen Sohn, so dass eine Wiederholungsgefahr nicht bestehe und seine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen nicht habe verfügt werden dürfen. Die Tat liege rund 13 Jahre zurück, so dass auch kein generalpräventives Ausweisungsinteresse gegeben sei. Aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit sei er in Deutschland verwurzelt und aufgrund seiner Aufenthaltsdauer und Sprachkenntnisse als faktischer Inländer anzusehen. Seine Frau und sein Sohn hielten sich ebenfalls im Bundesgebiet auf.

B.

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Die Beschwerde des Antragstellers gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen eine Änderung der angefochtenen Entscheidung nicht.

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I. Soweit der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die von der Antragsgegnerin verfügte Ausweisung vom Verwaltungsgericht als unstatthaft abgewiesen worden ist, da bereits die Klageerhebung den begehrten Suspensiveffekt ausgelöst habe (s. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.01.2020 - 11 S 3477/19 -, juris Rn. 12), trägt die Beschwerde nichts vor. Sie ist daher insoweit als unzulässig zu verwerfen (§ 146 Abs. 4 Sätze 3, 4 und 6 VwGO).

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II. Soweit die Beschwerde sich gegen die Anordnung des auf 5 Jahre befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots und die Androhung der Abschiebung richtet, ist sie zwar zulässig, jedoch nicht begründet. In Abwägung der betroffenen öffentlichen und privaten Interessen ist es dem Antragsteller und seiner Familie, die ägyptische und russische Staatsangehörige sind, zumutbar, den Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren aus dem Ausland, namentlich einem ihrer Heimatländer, weiterzuverfolgen.

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1. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gegen einen Ausländer zu erlassen, der ausgewiesen worden ist. Die Ausweisung des Antragstellers, die nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG unbeschadet der aufschiebenden Wirkung der Klage wirksam ist, ist daher, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO bezogen auf den prognostischen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung inzident im Hinblick auf ihre voraussichtliche Rechtmäßigkeit zu überprüfen (vgl. Sächsisches OVG, Beschl. v. 21.01.2020 - 11 S 3477/19 -, BeckRS 2018, 19619 Rn. 14 m.w.N; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 14.8.2018 - 3 B 159/18 -, juris Rn. 30; Bayerischer VGH, Beschl. v. 19.1.2015 - 10 CS 14.2656 -, BeckRS 2015, 42415 Rn. 22). Durchgreifende Bedenken werden indes von der Beschwerde insoweit nicht aufgezeigt.

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a. Ermächtigungsgrundlage für die verfügte Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 22.2.2017 - 1 C 3/16 -, juris Rn. 21ff.).

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Zu Recht sind Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet voraussichtlich unter spezial- (aa.), jedenfalls aber unter generalpräventiven (bb.) Erwägungen geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG zu gefährden.

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aa) Ob die Ausweisung allein auf spezialpräventive Erwägungen gestützt werden könnte, nachdem die Strafkammer des Landgerichts die verhängte Strafe nach § 56 Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt hat, weil zu erwarten sei, dass der nicht vorbestrafte Antragsteller sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen werde (§ 56 Abs. 1 StGB), muss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend geklärt werden. Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte sind für die Frage der Wiederholungsgefahr zwar an eine Strafaussetzungsentscheidung der Strafkammer nicht gebunden. Solchen Entscheidungen kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch eine erhebliche indizielle Bedeutung zu; jedenfalls soweit die Prognose der Wiederholungsgefahr Bedeutung im Rahmen einer grundrechtlich erforderlichen Abwägung hat, bedarf es einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Einschätzung abgewichen werden soll (BVerfG, Beschl. v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 –, juris Rn. 21; ablehnend Bayerischer VGH, Beschl. v. 2.5.2017 – 19 CS 16.2466 –, juris). Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet insoweit zudem zwischen der Strafaussetzung nach § 56 StGB, die höheres Gewicht hat als die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach § 57 StGB (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.8.2010 – 2 BvR 130/10 –, juris Rn. 36 m.w.N.; Beschl. v. 1.3.2000 – 2 BvR 2120/99 –, juris Rn. 18; s. auch Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 18.1.2019 – 13 LA 452/17–, V.n.b., S. 3f. des Entscheidungsumdrucks). Wenn von der strafgerichtlichen Einschätzung abgewichen werden soll, bedarf es einer substantiierten Begründung (Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 6.5.2020 – 13 LB 190/19 –, juris Rn. 45 m.w.N.), die darin liegen kann, dass die ausländerrechtliche Entscheidung auf einer breiteren Tatsachengrundlage getroffen wird als derjenigen der Strafvollstreckungskammer, etwa wenn die Ausländerbehörde oder das Gericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben haben, welches eine Abweichung zulässt, oder wenn die vom Ausländer in der Vergangenheit begangenen Straftaten fortbestehende konkrete Gefahren für höchste Rechtsgüter erkennen lassen oder wenn den Strafgerichten bedeutsame Umstände des Einzelfalls nicht bekannt gewesen oder von ihnen nicht beachtet worden sind (BVerfG, Beschl. v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 –, juris Rn. 24). Ob solche Umstände, die eine von der strafvollstreckungsrechtlichen Prognose abweichende Einschätzung rechtfertigen, etwa darin zu sehen sind, dass sich aus den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin Anhaltspunkte für gewalttätige Übergriffe des Antragstellers in der Vergangenheit ergeben (Mitteilung der Staatsanwaltschaft Hannover im Ermittlungsverfahren … v. … 2016, Bl. 659f. Beiakte 001/II) – auch gegenüber Frauen (Mitteilung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth an die Stadt Nürnberg v. 13.5.2003 im Ermittlungsverfahren …, Bl. 397 Beiakte 001/I) – und auch die Erwartung der Strafkammer aus dem November 2018, der Antragsteller werde künftig keine Straftaten mehr begehen, sich möglicherweise nicht bestätigt hat, wie der Strafbefehlsantrag an das Amtsgericht Minden vom 26. November 2019 zeigen könnte, dem ein Vorfall zugrunde liegt, bei dem der Antragsteller am 28. September 2019 mit einem Pkw Marke Porsche unter anderem die BAB 2 ohne die erforderliche Fahrerlaubnis befuhr, kann im Hauptsacheverfahren bezogen auf den dann maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung – sofern dann entscheidungserheblich – gegebenenfalls geprüft werden.

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Das Verwaltungsgericht, auf dessen Ausführungen zur Vermeidung von Wiederholungen zu verweisen ist (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), hat sich umfassend mit den sich aus dem Urteil der Jugendschutzkammer des Landgerichts ergebenden näheren Tatumständen auseinandergesetzt und darauf gestützt angenommen, dass sich auch unter Berücksichtigung der derzeitigen familiären Verhältnisse des Antragstellers nicht ausschließen lasse, dass er erneut im Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern straffällig werde, so dass ein spezialpräventiv begründetes Ausweisungsinteresse bestehe. Zu Recht weist es im Hinblick auf die ausländerrechtliche Gefahrenprognose darauf hin, dass im aufenthaltsrechtlichen Ausweisungsverfahren die Frage maßgeblich ist, ob das Risiko einer erneuten Straffälligkeit des Ausländers von der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss und hierbei ein längerer Zeithorizont als für die strafrechtliche Bewährungsaussetzung in den Blick zu nehmen ist (vgl. dazu auch BVerwG, Urt. v. 15.01.2013 – 1 C 10/12 –, juris Rn. 19 u. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 18.1.2019 – 13 LA 452/17–, V.n.b., S. 4 des Entscheidungsumdrucks, beide zu einer Bewährungsentscheidung nach § 57 StGB; Fleuß, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1.7.2020, § 53 AufenthG Rn. 28). Der mehrfache schwere Missbrauch eines Kindes offenbare ein starkes sexuelles Interesse des Antragstellers an sehr jungen Mädchen sowie ein hierauf bezogenes mangelndes Unrechtsbewusstsein. Für diese Einschätzungen des Verwaltungsgerichts sprechen – neben den begangenen Sexualstraftaten – auch die Aussage der im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugin C. vom 22. November 2011, in der diese über sexuell konnotierte Handlungen des Antragstellers gegenüber ihrer damals 16-jährigen Tochter im Jahr 2006 berichtet (Bl. 49ff. Bd. II Strafakte), sowie die über seinen damaligen Strafverteidiger abgegebene Einlassung gegenüber dem Landgericht Hildesheim vom 15. November 2018 in der Strafsache … (Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs): „Der Mandant lebte sein freiheitliches Leben auch im Bereich der Sexualität ausschweifend aus. Sowohl in Ägypten als auch in Deutschland gab es vielerlei sexuelle Kontakte, die die Gedankenwelt des Mandanten in erheblichem Umfang prägten. ... Aufgrund seiner eigenen Libido sowie dem Umstand, dass er fest davon ausgegangen ist, dass ihm die Mädchen auch im Sinne eines amourösen Abenteuers nicht abgeneigt waren, kam es viermal zu sexuellen Handlungen mit den Mädchen“ (Bl. 55f. Bd. VI Strafakten; Bl. 824, 826 Beiakte 001/II). Im Strafverfahren sind zwar aussageanalytische Gutachten zur Glaubwürdigkeit der beiden Hauptbelastungszeuginnen eingeholt worden, zu einer psychotherapeutischen Exploration des schließlich zu Beginn der strafrechtlichen Hauptverhandlung geständigen Sexualstraftäters, die die Motive für sein sexuelles Interesse an Minderjährigen erhellen könnten, ist es demgegenüber nicht gekommen, so dass sich ein möglicher Therapiebedarf nicht abschätzen lässt und daher auch die Bewährungsprognose der Strafkammer auf einer insoweit schmalen Erkenntnisgrundlage beruht. Die vom Antragsteller gezeigte resiliente Haltung erscheint vor dem Hintergrund, dass – nach der im Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft eingeholten Auskunft des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht vom 13. November 2018 zur Strafbarkeit der Tathandlungen nach der ägyptischen Rechtsordnung (Bl. 38f. Bd. 6 Strafakten) – der Geschlechtsverkehr mit unter 18-jährigen Personen am Tatort (D.) in Ägypten strafbar ist, jedenfalls wenig nachvollziehbar, zumal er bei einer Strafverfolgung in Ägypten voraussichtlich mit deutlich gravierenderen Konsequenzen im Hinblick auf Strafmaß und Strafvollzug sowie die gesellschaftlichen und sozialen Folgen seines Handelns hätte rechnen müssen. Im Hinblick darauf können dem im Tatzeitpunkt etwa 35-jährigen Antragsteller auch nicht soziokulturelle Umstände seiner Herkunft zugute zu halten, weil er – wie in den Gründen des angegriffenen Beschlusses erwähnt – „… in einem arabisch geprägten, sexuell verschlossenen Land aufgewachsen ist und durch die Bekanntschaft mit dem Vater der Geschädigten, E. (Bordellinhaber und Swinger-Club-Besucher), möglicherweise in einen sexuellen Rauschzustand geraten (sei)“. Zu einer mangelnden Steuerungsfähigkeit des Sexualtäters im Tatzeitpunkt gibt es keinerlei Hinweise, weder in den Strafakten noch im Urteil des Landgerichts – dagegen spräche auch das vom Verwaltungsgericht betonte planvolle Vorgehen des Täters, das sich u.a. darin zeigte, dass er den beiden Mädchen ihre Handys wegnahm und sie damit von der Kommunikation mit Vertrauenspersonen in der Heimat abschnitt. Der strafrechtliche Schutz von Kindern gegenüber Sexualkriminalität kann durch derartige Mutmaßungen jedenfalls nicht relativiert werden, im Übrigen auch nicht dadurch, dass der Vater des damals 13-jährigen Tatopfers ein Bordell betrieb.

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bb) Die von Antragsgegner und Verwaltungsgericht angestellten generalpräventiven Erwägungen sind jedoch auch für die Beurteilung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eigenständig tragfähig und rechtfertigen in Abwägung mit dem Bleibeinteresse des Antragstellers für sich genommen bereits dessen Ausweisung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann eine Ausweisung nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht regelmäßig auch allein auf generalpräventive Gründe gestützt werden (BVerwG, Urt. v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – juris Rn. 17 u. v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 –, juris Rn. 13, 16f.; ebenso Bayerischer VGH, Beschl. v. 12.11.2020 – 10 ZB 20.1852 –, juris Rn. 7; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 53 AufenthG Rn. 61ff.; Fleuß, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1.7.2020, § 53 AufenthG Rn. 35; a.A. noch Björn Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 25), wogegen grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 –, juris Rn. 23). Vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn von ihm selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr mehr ausgeht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen. Zur Annahme eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG, das auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern gegeben sein kann (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 9.7.2003 – 11 S 420/03 –, juris Rn. 29; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 31.3.1992 – 18 B 299/92 –, juris Rn. 35ff.; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 53 AufenthG Rn. 65) oder u.U. auch bei Fahren ohne Fahrerlaubnis (BVerwG, Urt. v. 27.3.1979 – I C 15.77 –, BeckRS 2016, 45864; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 53 AufenthG Rn. 65), bedarf es – anders als unter Geltung von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG a.F. – nicht der Verurteilung wegen besonders schwerwiegender Delikte für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Erforderlich ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts allerdings eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgerichtete Prüfung, bei der die Umstände der Straftat und die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen seitens der Ausländerbehörde von Amts wegen sorgfältig ermittelt, eingehend gewürdigt und in einer einzelfallbezogenen Abwägung den die Ausweisung verlangenden Interessen der Allgemeinheit gegenübergestellt werden, wofür im Regelfall die Einsicht in die Strafakten ebenso unerlässlich ist wie genaue Feststellungen zu den Bindungen des Betroffenen an die Bundesrepublik Deutschland und an seinen Heimatstaat (BVerfG, Beschl. v. 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 –, juris Rn. 24 u. v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 –, juris Rn. 42). Auch bei generalpräventiv motivierten Ausweisungen genügt es nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere nicht, das Gewicht des für eine Ausweisung sprechenden öffentlichen Interesses allein anhand der Typisierung der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten in den Ausweisungsvorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu bestimmen (BVerfG, Beschl. v. 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 –, juris Rn. 25 m.w.N.; s. aber auch Bayerischer VGH, Beschl. v. 12.11.2020 – 10 ZB 20.1852 –, juris Rn. 7).

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cc) Den dargestellten Anforderungen genügen die Ausweisungsverfügung der Antragsgegnerin vom 13. Mai 2020 und der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 10. November 2020.

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Im Rahmen der erforderlichen Abwägung sind gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind das geltende Ausweisungsrecht nach §§ 53 ff. AufenthG und die damit verbundene Ausweisungsentscheidung geprägt von einem umfassenden ergebnisoffenen Abwägungsprozess, in dem sämtliche Ausweisungs- und Bleibeinteressen angemessen zu berücksichtigen sind (vgl. § 53 Abs. 2 AufenthG); auch bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses und der hierdurch indizierten Annahme eines überwiegenden öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts ist eine individuelle Prüfung geboten, ob die Ausweisung im Hinblick auf die besonderen Umstände des Einzelfalles nicht unverhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.7.2017 – 1 C 28/16 –, juris Rn. 39).

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Aufgrund der Verurteilung des Antragstellers zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nrn. 1 und 1a AufenthG vor, das nach der gesetzgeberischen Entscheidung grundsätzlich geeignet ist, die Ausweisung des Straftäters aus dem Bundesgebiet zu rechtfertigen. Mit diesem Ausweisungsinteresse abzuwägen ist im Rahmen der erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung das konkrete persönliche Bleibeinteresse des Antragstellers, der seit 1994 langjährig in der Bundesrepublik Deutschland gelebt hat und dem am 27. Mai 2005 eine Niederlassungserlaubnis erteilt worden ist, sowie das Bleibeinteresse der Ehefrau und des gemeinsamen Sohnes, die sich zur Zeit ebenfalls noch im Bundesgebiet aufhalten. Diese Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen fällt indes im Ergebnis zu Lasten des Antragstellers aus.

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Soweit der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers geltend macht, dass das generalpräventive Ausweisungsinteresse mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung verliert und seit den im Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 22. November 2018 abgeurteilten Taten inzwischen gut 13 Jahre vergangen sind, ist dies zutreffend, lässt das Ausweisungsinteresse nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urt. v. 19.5.2009 10 – 1 C 21/18 –, juris Rn. 18ff.; u. v. 12.07.2018 - 1 C 16.17 -, juris Rn. 23) aber nicht entfallen. Danach bildet für die generalpräventive Ausweisung die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt, eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich hingegen regelmäßig an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln. Bei abgeurteilten Straftaten bilden die Tilgungsfristen des § 46 BZRG zudem eine absolute Obergrenze, weil nach deren Ablauf die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten werden dürfen (§ 51 BZRG).

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Die genannten Fristen sind hier nicht abgelaufen. Die strafrechtliche Verjährungsfrist für den – hier abgeurteilten – schweren sexuellen Missbrauch von Kindern (§§ 176 a, 176 Abs. 1 StGB) beträgt zehn Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB), die zu laufen beginnt, sobald die Tat beendet ist (§ 78a Satz 1 StGB). Nach § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB ist die Verfolgung spätestens verjährt, wenn seit Tatbeendigung das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist, hier: 20 Jahre, verstrichen ist. Ausgehend von einem Beginn der Verjährung am 12. Januar 2007 wird die absolute strafrechtliche Verjährungsfrist daher am 11. Januar 2027 ablaufen. Die Tilgungsfrist nach § 46 Abs. 1 Nr. 3 BZRG beträgt für Verurteilungen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176a StGB 20 Jahre und verlängert sich nach § 46 Abs. 3 BZRG um die Dauer der Freiheitsstrafe, hier um 2 Jahre. Der Fristlauf beginnt nach § 36 Satz 1 BZRG mit dem Tag des ersten Urteils, hier dem Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 22. November 2018, so dass die Tilgungsfrist am 21. November 2040 abläuft.

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Die fortbestehende Aktualität des Ausweisungsinteresses an einer Fernhaltung des Antragstellers vom Bundesgebiet ergibt sich – wie oben dargelegt, nicht allein, jedoch auch allein tragend – aus dem Präventionsziel, in Deutschland aufhältlichen Ausländern zu verdeutlichen, dass die Begehung von Sexualstraftaten, insbesondere gegenüber Kindern, nicht nur strafrechtliche Konsequenzen, sondern auch den Verlust des Aufenthaltsstatus nach sich ziehen kann. Es handelt sich um ein gewichtiges Gemeinschaftsinteresse, das insbesondere dem Opferschutz und damit zugleich der Wahrung hochrangiger Grundrechte auf sexuelle Selbstbestimmung sowie körperliche und seelische Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 1 GG) dient, die zu schützen Aufgabe der staatlichen Ordnung ist. Dass ein hohes gesellschaftliches und staatliches Interesse an der Verhinderung von vergleichbaren Straftaten, insbesondere zum Schutz von Frauen und Mädchen, besteht, dem durch wirksame verhaltenslenkende Maßnahmen Rechnung zu tragen ist, steht daher außer Frage.

20

Demgegenüber ist das Bleibeinteresse des Antragstellers nicht gewichtig. Zunächst greift keiner der normativ vertypten Tatbestände des § 55 Abs. 1 AufenthG ein, in denen der Gesetzgeber die Voraussetzungen für ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse im Bundesgebiet umschrieben hat. Den in § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG genannten Erfordernissen ist nicht genügt; insoweit ist auf die Ausführungen der Antragsgegnerin in ihrer angegriffenen Ausweisungsverfügung vom 13. Mai 2020 zu verweisen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Zumindest für den Zeitraum nach seiner ersten Entlassung aus der Untersuchungshaft Anfang November 2011 bis zu seiner Überstellung nach Deutschland im Juli 2015 sind Aufenthaltszeiten des Antragstellers in Deutschland nicht dargelegt oder sonst erkennbar, so dass davon auszugehen ist, dass ein zu diesem Zeitpunkt bestehender Aufenthaltstitel nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen wäre. Dass die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, der einen mindestens 15-jährigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzt, ist nicht ersichtlich. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers dem entgegentritt, fehlt es an einer ausreichenden Substantiierung sowohl von Aufenthaltszeiten wie auch von Aufenthaltsorten in Deutschland, die seitens des – insoweit beweisbelasteten – Antragstellers eigentlich ohne größere Schwierigkeiten geleistet werden können müsste, da in Deutschland Meldepflicht besteht. Darüber hinaus stellt die Beantragung von Prozesskostenhilfe im Verfahren seiner Ehefrau und des gemeinsamen Sohnes (Az. 19 B 2658/20; Beschwerdeverfahren 8 PA 8/21) in Frage, ob die Lebensunterhaltssicherung als weitere Voraussetzung der Norm erfüllt ist und die Behauptungen zum Firmenkapital aus der Beschwerdeschrift zutreffend sind.

21

Aber auch unabhängig von der Frage des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis ist das Bleibeinteresse des Antragstellers und seiner Familie nicht als gewichtig zu bewerten. Im Bescheid der Antragsgegnerin und im Beschluss des Verwaltungsgerichts, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen in diesem Zusammenhang zu verweisen ist (§ 117 Abs. 5 VwGO; § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), wird ausführlich dargelegt, dass der Antragsteller weder in Deutschland verwurzelt, noch in seiner Heimat Ägypten entwurzelt ist. Er ist in Ägypten aufgewachsen und dort sozialisiert worden; bei seiner Ersteinreise in die Bundesrepublik Deutschland am 16. September 1994 war der am 20. September 1971 geborene Antragsteller bereits fast 23 Jahre alt. Eine (weitere) Berufsausbildung hat er in Deutschland nicht absolviert. Der Antragsteller hat sich zudem auch in der Zeit, in der er eine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland besaß, durchgängig für längere Zeiträume in Ägypten aufgehalten und verfolgt dort einen wesentlichen Teil seiner geschäftlichen Interessen. Seine Ehe mit der russischen Staatsangehörigen F. wurde in Kairo geschlossen, was ebenfalls dafür spricht, dass der Schwerpunkt der persönlichen Beziehungen des Antragstellers nach wie vor in seinem Herkunftsstaat liegt. Als faktischer Inländer kann er daher keinesfalls angesehen werden. Soweit der Antragsteller behauptet, „… seit 1994 … Freundschaften geschlossen (zu haben)“ und „… eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse“, vorträgt, ist sein Sachvortrag unsubstantiiert und kontrastiert im Übrigen auch zu der Behauptung, sich „… als Familienmensch … von seinem alten sozialen Umfeld seit Jahren gelöst (zu haben)“.

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Die Einbeziehung der Aufenthaltsinteressen seiner Familie, die sich ebenfalls im Bundesgebiet aufhält, in die Abwägung rechtfertigt auch unter Berücksichtigung des allein in Betracht zu ziehenden insbesondere schwerwiegenden Bleibeinteresses im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG keine andere Beurteilung. Mit dieser Bestimmung wollte der Gesetzgeber einen Auffangtatbestand schaffen, um die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Anforderungen höherrangigen Rechts an Ausweisungsentscheidungen nachzuvollziehen und die Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen insbesondere gegenüber Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen (vgl. Niedersächsisches OVG, Urt. v. 14.11.2018 – 13 LB 160/17 –, juris Rn. 57f. unter Hinweis auf BT-Drs. 18/4097, S. 53). Die Ehefrau des Antragstellers, die russische Staatsangehörige F., und der am 4. August 2014 geborene Sohn, sind am 6. Dezember 2019 mit einem von der französischen Botschaft in Kairo ausgestellten Schengen-Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Beide verfügen seitdem über keinen gesicherten Aufenthaltsstatus. Inzwischen ist ihr Antrag auf Gewährung eines vorläufigen Aufenthaltsrechts in der Bundesrepublik Deutschland unanfechtbar abgelehnt (Beschlüsse des VG Hannover v. 8.1.2021, Az. 19 B 2658/20, und des Senats im Beschwerdeverfahren, Az. 8 ME 7/21). Eine engere Bindung an den Aufenthaltsstaat ist nicht erkennbar. Der Antragsteller und seine Ehefrau haben bisher vorwiegend zusammen in Ägypten gelebt, der gemeinsame Sohn ist dort geboren. Über frühere Aufenthalte in Deutschland und Kenntnisse in der Sprache des Gastlandes bei letzteren ist nichts bekannt. Zur Motivation für ihre Einreise hat die Ehefrau des Antragstellers im aufenthaltsrechtlichen Verfahren angegeben, sie und ihr Sohn seien von einem Mieter ihres Ehemannes mit Kontakten zur organisierten Kriminalität bedroht worden. Der Antragsteller selbst, der während seines Aufenthalts in Deutschland in der Vergangenheit persönliche und geschäftliche Kontakte ins Bordell- und Rotlichtmilieu aufgebaut hatte, hat ausweislich eines Telefonvermerks gegenüber der Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde am 3. Februar 2020 (Beiakte 001/II, Bl. 754) vorgetragen: “Zuletzt gab er an, dass sich seine Ehefrau und das Kind nunmehr wieder in Deutschland aufhalten würden. Seine Frau habe für 120.000 € auch einen Bentley gekauft und 50.00 € Bargeld (gemeint offenbar 50.000) bei der Einreise angemeldet eingeführt. Zusätzlich seien noch weitere 600.000 € vorhanden. Ein Verbleib seines Kindes im Ausland wäre länger auch nicht möglich gewesen, da es sonst nach seinen Angaben Probleme mit der russischen Mafia gegeben hätte.“ Soweit der Antragsteller und seine Familie hiermit eine Bedrohung ihrer Sicherheit in Ägypten als Begründung für ihr Aufenthaltsinteresse in Deutschland geltend machen, ist ihnen zuzumuten, sich wegen ihres persönlichen Schutzes an die ägyptischen Polizeibehörden zu wenden. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch die Sicherheitsbehörden in Ägypten gegen kriminelle Aktivitäten, wie die Bedrohung von Personen, vorgehen, so dass eine Rückkehr nach Ägypten nicht unzumutbar erscheint. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Ehefrau des Antragstellers und der gemeinsame Sohn die russische Staatsangehörigkeit besitzen und anzunehmen ist, dass auch der Antragsteller mit ihnen in die Russische Föderation einreisen kann, zumal er sich in der Vergangenheit bereits in Russland aufgehalten hat. Auch im Hinblick darauf erscheint es zumutbar, den Antragsteller und seine Familie darauf zu verweisen, ihren Aufenthaltsanspruch im Hauptsacheverfahren aus dem Ausland zu verfolgen.

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2. Ist danach die Ausweisung des Antragstellers im Rahmen einer Inzidentprüfung als voraussichtlich rechtmäßig zu beurteilen, ist auch das von der Antragsgegnerin verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG nicht zu beanstanden. Es handelt sich um eine gebundene Entscheidung, die nach § 11 Abs. 2 Sätze 3 und 1 AufenthG mit der Ausweisungsverfügung zu verbinden und zu befristen ist. Über die Länge der Frist hat die Ausländerbehörde nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 AufenthG), wobei allein präventive Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind (BVerwG, Urt. v. 10.7.2012 – 1 C 19/11 –, juris Rn. 42; ausführlich Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 25.6.2013 – 8 PA 98/13 –, juris Rn. 10 u. v. 14.2.2013 – 8 LC 129/12 –, juris Rn. 49, beide zu der insoweit unveränderten Fassung von § 11 AufenthG 2004). Im Rahmen der Ermessensausübung ist zu prognostizieren, wie lange die mit der konkret verfügten Ausweisung verfolgten Zwecke (Bayerischer VGH, Urt. v. 26.3.2009 - 19 ZB 09.498 -, juris Rn. 2; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 26.3.2003 - 11 S 59/03 -, juris Rn. 32 m.w.N.) eine Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet erfordern ("Zweck-erreichung als Fristobergrenze"). Ist die Ausweisung zu generalpräventiven Zwecken erfolgt, stellt sich die Frage, wann die Abschreckungswirkung erreicht bzw. verbraucht ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.7.2012 – 1 C 7/11 –, juris Rn. 29; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 25.6.2013 – 8 PA 98/13 –, juris Rn. 10 m.w.N.), ist die Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken erfolgt, ist zu fragen, für welche Dauer das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle die Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet zu tragen vermag (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.7.2012 – 1 C 19/11 –, juris Rn. 42; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 25.6.2013 – 8 PA 98/13 –, juris Rn. 10 m.w.N.).

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Aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung des Antragstellers war die Antragsgegnerin gemäß § 11 Abs. 3 Satz 3 AufenthG berechtigt, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von bis zu 10 Jahren als Höchstgrenze anzuordnen. Die hier von der Antragsgegnerin in Ausübung ihres Ermessens verfügte Einreise- und Aufenthaltssperre ist mit einer Dauer von 5 Jahren jedenfalls nicht zu lang bemessen. Im Hinblick auf das hohe Schutzgut der sexuellen Selbstbestimmung und unter Berücksichtigung der maßgeblichen strafrechtlichen Verjährungsfristen (§§ 78 Abs. 3 Nr. 3; 78a Satz 1 i.V.m. §§ 176 Abs. 1, 176a Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 StGB) sowie der Tilgungsfristen des Bundeszentralregistergesetzes (§§ 46 Abs. 1 Nr. 3; 51 Abs. 1 BZRG), die in der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts näher erläutert sind, ist die gewählte Fristbemessung auch allein bei Zugrundelegung generalpräventiver Erwägungen in Abwägung mit den grundrechtlich geschützten Interessen des Antragstellers (Art. 2 Abs. 1 GG) nicht erkennbar ermessensfehlerhaft (§ 114 Satz 1 VwGO).

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3. Die Androhung der Abschiebung nach Ägypten im Ausweisungsbescheid der Antragsgegnerin vom 13. Mai 2020 ist ebenfalls voraussichtlich nicht zu beanstanden.

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Die Abschiebungsandrohung nach § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG kann rechtmäßig bereits dann erlassen werden, wenn der Ausländer nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig ist, weil er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt (vgl. Senat, Beschl. v. 12.9.2019 - 8 ME 66/19 -, juris Rn. 69; Urt. v. 25.11.2010 - 12 LB 245/08 -, juris Rn. 14ff.; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 28.1.2021 – 13 ME 355/20 –, juris Rn. 15; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 29.4.2013 - 11 S 581/13 -, juris Rn. 27; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 20.2.2009 - 18 A 2620/08 -, juris Rn. 30 ff.). Die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht (§ 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) ist nicht erforderlich. Mit § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG in der Fassung durch Art. 1 Nr. 31 Buchst. a) des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) hat der Gesetzgeber klargestellt, dass nur der Lauf einer Ausreisefrist durch den Entfall der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung unterbrochen wird, mithin der Erlass einer Abschiebungsandrohung und deren Rechtmäßigkeit von der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht unbeeinflusst bleibt (Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 28.1.2021 – 13 ME 355/20 –, juris Rn. 15 m.w.N.; Hamburgisches OVG, Beschl. v. 30.1.2020 - 6 Bs 233/19 -, juris Rn. 12).

27

Der Antragsteller verfügt über keinen Aufenthaltstitel mehr, nachdem seine Niederlassungserlaubnis nach seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet im November 2011 gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG, spätestens aber infolge der von der Antragsgegnerin verfügten Ausweisung gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG erloschen ist. Seine Klage gegen die Verfügung vom 13. Mai 2020 lässt die Wirksamkeit der Ausweisung unberührt (§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), so dass auch die Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG gegeben ist.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

29

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und Nrn. 1.5 und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

30

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

 


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