Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 12 A 149/14
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicher-heitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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G r ü n d e : I.
2Die Beteiligten streiten um die Höhe der nach §§ 91 ff. SGB VIII anfallenden Kostenbeiträge, die der Kläger im Zeitraum vom 21. Mai 2008 bis zum 1. Februar 2010 für die Unterbringung seiner Tochter in Heimpflege nach §§ 27, 34 SGB VIII zu erbringen hat.
3Wegen des Sach- und Streitstandes im einzelnen und hinsichtlich der Auseinander-setzung im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
4Mit dieser Entscheidung hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und den angefochtenen Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 10. August 2009 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 16. März 2010 antragsgemäß hinsichtlich der Überschreitung der klägerseits als einkommensgerecht angenommenen Höchstsätze aufgehoben. Die Erhebung des Kostenbeitrags – so die Begründung – sei schon als solche rechtswidrig, da der Kläger nicht nach Maßgabe des § 92 Abs. 3 SGB VIII hinreichend belehrt worden sei. Weder die Mitteilung über die Kostentragungspflicht vom 4. Juni 2008 noch die weiteren Schreiben und Bescheide des Beklagten wiesen die notwendige Belehrung auf. Bei dieser handele es sich um eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Erhebung eines Kostenbeitrags, deren Fehlen deshalb auch nicht habe geheilt werden können. Was der Beklagte dem Kläger mitgeteilt habe, werde nicht der Anforderung gerecht, neben Angaben zu Beginn, Dauer, Art der Leistung und der möglichen Kostenbeteiligung über die in § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII benannten Folgen der Gewährung von Jugendhilfe für den zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch zu belehren. Bezüglich weiterer Einzelheiten der Argumentation wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom 17. Dezember 2013 verwiesen.
5Der Beklagte begründet seine mit Senatsbeschluss vom 27. März 2014 zugelassene Berufung damit, dem Kläger alle erforderlichen Informationen gegeben zu haben.
6Insbesondere sei es ausreichend, wenn sein Mitteilungsschreiben vom 4. Juni 2008 darauf hingewiesen habe, dass der Kläger Unterhaltszahlungen für seine Tochter ab sofort mit befreiender Wirkung nicht mehr an Dritte leisten dürfe.
7Der Beklagte beantragt,
8das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen.
9Der Kläger beantragt,
10die Berufung zurückzuweisen.
11Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
12II.
13Über die Berufung des Beklagten kann gemäß § 130a Abs. 1 VwGO durch Beschluss entschieden werden, weil der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich erachtet. Die Beteiligten sind hierzu nach § 130a Satz 2 VwGO i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO mit gerichtlicher Verfügung vom 5. Juni 2014 angehört worden.
14Die dem Grunde nach zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Ungeachtet des Umstandes, dass die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 130 Abs. 2 VwGO ohnehin nicht vorgelegen hätten, ist das Rechtsmittel nämlich unbegründet, weil das Verwaltungsgericht zu Recht von einer unzureichenden Belehrung des Klägers nach § 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB VIII ausgegangen ist.
15Die Bestimmung des § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII verfolgt das Ziel, demjenigen, der zu einem Kostenbeitrag herangezogen werden könnte, die Möglichkeit zu Vermögensdispositionen im Hinblick auf die drohende Beitragspflicht zu eröffnen. Daraus folgt, dass die Bestimmung nicht nur eine Mitteilung über die Gewährung der Leistung (§ 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB VIII) und einen deutlichen Hinweis auf die dadurch mögliche Kostenbeitragspflicht gebietet, sondern insbesondere eine Aufklärung über die Folgen für die Unterhaltspflicht (§ 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB VIII).
16Vgl. hierzu und zu Folgendem: BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2012 - 5 C 22.11 -, BVerwGE 144, 313, juris.
17Die unterhaltspflichtigen Eltern müssen im Hinblick auf eine drohende Kostenbeitragspflicht vermögensrechtliche Dispositionen treffen, zum Beispiel mit den durch die auswärtige Unterbringung des jungen Menschen einhergehenden Ersparnissen Rücklagen für die Beitragszahlung bilden. Insofern hat sich der Umfang der Informationspflicht im Einzelfall entsprechend dem Schutzzweck der Norm an dem Kanon der in Frage kommenden wirtschaftlichen Dispositionsmöglichkeiten der Kostenbeitragspflichtigen zu orientieren. Bei einem Barunterhaltspflichtigen - wie dem Kläger – stellt sich etwa die Frage, inwieweit durch Kürzungen des Barunterhalts Vorsorge für die Kostenbeitragszahlung zu treffen ist.
18Um vermögensrechtliche Fehldispositionen im Zusammenhang damit zu vermeiden, muss dem Betroffenen in erster Linie als in seinem Fall relevante Informationen entsprechend dem Wortlaut des § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII vermittelt werden, ob und inwieweit die Jugendhilfeleistung überhaupt unterhaltsrechtlich entlastende Auswirkungen hat. Die erforderliche Aufklärung über die unterhaltsrechtlich entlastenden Auswirkungen der Jugendhilfeleistung werden mit dem Hinweis darauf, dass Unterhaltszahlungen ab sofort nicht mehr mit befreiender Wirkung an "Dritte" geleistet werden dürfen, mangels ausreichender Klarheit und Eindeutigkeit jedoch verfehlt.
19Vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 21. November 2011 - 4 LA 40/11 ‑, juris.
20Der Formulierung lässt sich - anders als der Senat noch im Zulassungsbeschluss erwogen hat - nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass mit "Dritte" auch die unterhaltsberechtigte Tochter des Klägers selbst gemeint ist und der Kläger ihr im Prinzip keinen Unterhalt mehr zu leisten hat.
21Im Übrigen schließt sich der Senat den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur materiellen Rechtslage an.
22Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Abs. 2 Halbsatz 1 VwGO.
23Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
24Die Revision kann nicht zugelassen werden, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.
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Referenzen
- §§ 91 ff. SGB VIII 1x (nicht zugeordnet)
- § 92 Abs. 3 SGB VIII 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 132 1x
- VwGO § 188 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- VwGO § 130a 2x
- VwGO § 130 1x
- VwGO § 125 1x
- 4 LA 40/11 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII 1x (nicht zugeordnet)
- § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 167 1x
- §§ 27, 34 SGB VIII 2x (nicht zugeordnet)
- § 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB VIII 2x (nicht zugeordnet)
- § 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB VIII 1x (nicht zugeordnet)