Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 13 A 4088/18.A
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 17. September 2018 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
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G r ü n d e :
2Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
31. Der als Berufungszulassungsgrund geltend gemachte Verfahrensfehler einer Versagung rechtlichen Gehörs im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO ist mit dem Zulassungsvorbringen nicht dargelegt. Wird – wie hier – eine Versagung des rechtlichen Gehörs durch die Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags im Sinne von § 86 Abs. 2 VwGO geltend gemacht, ist zu beachten, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör grundsätzlich keinen Schutz gegen Entscheidungen des Gerichts bietet, die das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lassen. Die Ablehnung einer beantragten Beweiserhebung verletzt das rechtliche Gehör nur dann, wenn sie im maßgeblichen Prozessrecht keinerlei Stütze mehr findet.
4Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. August 2015 – 5 B 48.15 –, juris, Rn. 10, und vom 8. März 2006 – 1 B 84.05 –, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Mai 2018 – 13 A 1190/18.A –, juris, Rn. 4 f., vom 18. Januar 2018 – 13 A 3298/17.A –, juris, Rn. 10 f., und vom 14. Juli 2017 – 13 A 1277/17.A –, juris, Rn. 11 f.
5Die geltend gemachte Verletzung rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.
6a) Ein zur Zulassung der Berufung führender Gehörsverstoß liegt zunächst nicht darin, dass das Verwaltungsgericht die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung beantragte Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage,
7- 8
1. Droht einer männlichen Person, 23 Jahre alt, aus Kunduz, dessen Vater von den Taliban gezwungen wurde, an sie (Schutz-)Geld zu zahlen, im Falle seiner Rückkehr in seiner Heimatregion die Gefahr der „Zwangsrekrutierung“ durch die Taliban?,
abgelehnt hat. Zwar trägt die vom Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung herangezogene Begründung, der Antrag sei unzulässig, weil er auf eine rechtliche Wertung gerichtet sei, die ausschließlich dem Gericht obliege, die Ablehnungsentscheidung nicht. Die vom Kläger aufgeworfene Frage war auf die tatsächliche Beurteilung des Risikos einer Person mit den genannten Merkmalen, Opfer einer Zwangsrekrutierung zu werden, gerichtet und setzte daher zunächst keine rechtliche Wertung voraus.
10Die fehlerhafte Ablehnung des Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung wird durch die in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils für die Ablehnung der Beweiserhebung (ergänzend) gegebene Begründung, das Gericht verfüge über ausreichende Sachkunde, auch nicht geheilt. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, Beweisanträge i. S. v. § 86 Abs. 2 VwGO in der mündlichen Verhandlung mit zutreffender Begründung abzulehnen, damit dem Antragsteller Gelegenheit gegeben wird, sich auf die durch die Ablehnung seines Beweisantrags geschaffene neue Prozesssituation einzustellen und ggf. neue Tatsachen vorzutragen oder neue Anträge zu stellen.
11Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. April 2002 – 8 A 1530/02.A –, juris, Rn. 5.
12Trotz der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung bleibt die Gehörsrüge aber ohne Erfolg. Der Kläger hat sie entgegen der Bestimmung des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht ausreichend begründet. Die ordnungsgemäße Begründung der Gehörsrüge erfordert neben Ausführungen zu den Umständen, aus denen sich das Vorliegen einer Gehörsversagung ergibt, auch die Darlegung, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre; nur auf der Grundlage eines solchen Vortrages kann nämlich geprüft und entschieden werden, ob auszuschließen ist, dass die Gewährung rechtlichen Gehörs zu einer anderen, dem Beteiligten günstigeren Entscheidung geführt hätte.
13Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. April 2002 – 8 A 1530/02.A –, juris, Rn. 6 f., unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 13. März 1993 – 2 BvR 1988/92 –, juris, Rn. 34, sowie BVerwG, Beschlüsse vom 9. Oktober 1984 – 9 B 138.84 –, juris, Rn. 2; vom 2. April 1985 – 3 B 75.82 –, juris, Rn. 10, und vom 13. Januar 1999 – 9 B 90.98 –, juris, Rn. 13.
14Wird eine im Termin zur mündlichen Verhandlung prozessordnungswidrig begründete Ablehnung eines Beweisantrags in den schriftlichen Urteilsgründen durch eine prozessordnungsgemäße Begründung ersetzt oder – wie hier – ergänzt, ist eine Gehörsrüge ausgehend von den vorstehenden Erwägungen nur schlüssig erhoben, wenn der Beweisantragsteller darlegt, wie er sich auf die ihm erst durch das Urteil bekannt gewordenen prozessordnungsgemäßen Ablehnungsgründe erklärt hätte, wenn sein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag vorab mit der im Urteil gegebenen Begründung abgelehnt worden wäre. Die Bestimmung des § 86 Abs. 2 VwGO soll gewährleisten, dass der Beweisantragsteller vor Erlass des Urteils die Meinung des Gerichts über die Erheblichkeit der von ihm angebotenen Beweise zur Kenntnis erhält, um sein weiteres Prozessverhalten darauf einstellen zu können. Danach müssen der Beschluss und auch dessen Begründung den Beteiligten in einem Zeitpunkt eröffnet werden, der es ihnen ermöglicht, sich auf die durch die Ablehnung des Beweisantrages geschaffene neue Verfahrenslage einzustellen. Gibt aber ein Beweisantragsteller nicht an, wie er auf die in den schriftlichen Urteilsgründen enthaltenen prozessordnungsgemäßen Ablehnungsgründe reagiert hätte, wären sie ihm bereits im Termin zur mündlichen Verhandlung bekannt gewesen, kann nicht beurteilt werden, ob sich die nach § 86 Abs. 2 VwGO verspätete Bekanntgabe der prozessordnungsgemäßen Ablehnungsgründe überhaupt auf die Entscheidung ausgewirkt haben kann.
15Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. April 2002 – 8 A 1530/02.A –, juris, Rn.12, unter Verweis auf Hess. VGH, Beschluss vom 14. Februar 2002 – 9 UZ 1249/98.A –, juris, Rn. 41, sowie BVerwG, Beschluss vom 13. September 1977 – V CB 68.74 –, juris, Rn. 13 zum Fall der gänzlich fehlenden Entscheidung über einen Beweisantrag; ebenso Bay. VGH, Beschluss vom 1. April 2020 – 14 ZB 19.31233 –, juris, Rn. 8.
16Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Der Kläger legt nicht dar, dass sich die prozessordnungswidrige Ablehnung des Beweisantrags auf die Entscheidung ausgewirkt haben kann. Das Verwaltungsgericht hat sich im Urteil (ergänzend) auf den Ablehnungsgrund eigener Sachkunde berufen und hierzu ausgeführt, dass es über ausreichende Erkenntnismittel verfüge, um beurteilen zu können, ob dem Kläger – in dessen Person die in der Frage benannten Merkmale erfüllt sind – im Falle einer Rückkehr die Gefahr einer Zwangsrekrutierung droht (UA S. 10). Diese Begründung findet im Prozessrecht eine Stütze.
17Liegen zu einer erheblichen Tatsache bereits amtliche Auskünfte oder gutachtliche Stellungnahmen vor, richtet sich die im Ermessen des Gerichts stehende Entscheidung über einen Antrag auf Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten nach § 98 VwGO i. V. m. § 412 Abs. 1 ZPO. Das gerichtliche Ermessen kann sich u. a. dann zu der Pflicht neuerlicher Begutachtung verdichten, wenn durch neuen entscheidungserheblichen Sachvortrag der Beteiligten oder eigene Ermittlungstätigkeit des Gerichts die Aktualität der vorliegenden Auskünfte zweifelhaft oder wenn sonst das bisherige Beweisergebnis ernsthaft erschüttert wird. Reichen indes die in das Verfahren bereits eingeführten Erkenntnismittel zur Beurteilung der geltend gemachten Gefahren aus, kann das Gericht einen Beweisantrag auf Einholung weiterer Auskünfte unter Berufung auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen, wenn es seine Sachkunde ggf. im Rahmen der Beweiswürdigung darstellt und belegt. Das Ermessen findet seine Grenze dort, wo sich weitere Ermittlungen aufdrängen.
18Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. März 2013 – 10 B 34.12 –, juris, Rn. 4, und vom 8. März 2006 – 1 B 84.05 –, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Januar 2018 – 13 A 3157/17.A –, juris, Rn. 14 f., und vom 14. Juli 2017 – 13 A 1277/17.A –, juris, Rn. 13 f., jeweils m. w. N.
19Die eigene Sachkunde kann sich aus der Gerichtspraxis, namentlich aus der Verwertung bereits vorliegender Erkenntnismittel oder aus einer im jeweiligen Verfahren durchgeführten Beweisaufnahme ergeben. Wie konkret der Nachweis der eigenen Sachkunde des Gerichts zu sein hat, hängt dabei von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, insbesondere den jeweils in tatsächlicher Hinsicht im Streit befindlichen Tatsachenfragen ab.
20Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Oktober 2009 – 13 A 2075/07.A –, juris, Rn. 11 f. m. w. N.
21Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Verwaltungsgericht unter ausdrücklicher Benennung und ausführlicher Auswertung einschlägiger Erkenntnismittel, insbesondere des Lageberichts des Auswärtigen Amts (Oktober 2016), der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender (August 2013 und August 2018), des Gutachtens von Dr. E. (April 2013) und der EASO-Berichte (September 2016 sowie Dezember 2017), dargelegt, dass dem Kläger als jungem afghanischen Mann bei einer Rückkehr keine Verfolgung durch die Taliban droht (UA S. 7-10). Aus der Zusammenschau der vorliegenden Erkenntnisse, die nur über Einzelfälle von Zwangsrekrutierungen berichteten, aber keine flächendeckende Zwangsrekrutierung durch die Taliban belegten, sondern allenfalls auf Gerüchten beruhten, ergebe sich keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass Rückkehrer wie der Kläger befürchten müssten, durch die Taliban zwangsrekrutiert oder im Falle der Ablehnung einer Zusammenarbeit bestraft oder gar getötet zu werden. Dies decke sich mit der Einschätzung von EASO, dass Fälle von Zwangsrekrutierungen in Afghanistan als außergewöhnlich zu bezeichnen seien (UA S. 9). Eine besonders hohe Gefahr der Zwangsrekrutierung für den Kläger im Vergleich zu anderen jungen Männern sei auch unter Berücksichtigung des geltend gemachten Streits zwischen dem Vater des Klägers und den Taliban nicht zu erkennen. Dieser Konflikt habe nichts mit etwaigen Rekrutierungsversuchen der Taliban zu tun gehabt. Dass die Taliban überhaupt Kenntnis über die Existenz des Klägers haben könnten, habe der Kläger nicht dargelegt. Darüber hinaus habe der Kläger auch nicht glaubhaft dargelegt, dass es etwaige Versuche der Taliban, ihn zu rekrutieren – wenn auch nur gegenüber dem Vater des Klägers geltend gemacht – gegeben habe. Hätten die Taliban tatsächlich ein Interesse an der Rekrutierung des Klägers als Sohn einer Person, von der Schutzgeld erpresst worden sei, gehabt, hätte es nahegelegen, dass derartige Versuche bereits vor der Ausreise des Klägers unternommen worden wären (UA S. 9-10).
22Die Antragsschrift lässt nicht hinreichend erkennen, was der Kläger noch vorgetragen hätte, wenn das Verwaltungsgericht den Beweisantrag bereits in der mündlichen Verhandlung in dieser Weise aufgrund eigener Sachkunde abgelehnt hätte, und warum dieser Vortrag seiner Klage hätte zum Erfolg verhelfen können. Insoweit wäre darzulegen gewesen, inwiefern sich dem Verwaltungsgericht trotz der dargestellten Auskunftslage weitere Ermittlungen zu der von ihm formulierten Frage aufdrängen mussten und inwiefern diese Ermittlungen neue, entscheidungserhebliche Erkenntnisse zu erbringen geeignet gewesen wären. Daran fehlt es. Das Zulassungsvorbringen zeigt insbesondere nicht auf, dass die vom Verwaltungsgericht herangezogenen Erkenntnisquellen keine hinreichende Grundlage für die Beurteilung des Risikos der Zwangsrekrutierung einer Person, deren Vater mit den Taliban aufgrund verweigerter Schutzgeldzahlungen in Konflikt geraten war, boten, weil sie insoweit unergiebig wären oder weil – entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts – in einem solchen Fall belastbare Anhaltspunkte für eine gesteigerte Zwangsrekrutierungsgefahr bestünden. Soweit der Kläger auf den EASO-Bericht von September 2016 verweist, der das Gutachten des Dr. E. in Frage stelle, auf das sich das Verwaltungsgericht stütze, weil darin ausführlich darüber berichtet werde, dass die Taliban gerade in Kunduz im Bereich der Zwangsrekrutierung besonders aktiv gewesen seien, übersieht er, dass das Verwaltungsgericht nicht nur dieses Gutachten, sondern auch den benannten EASO-Bericht ausgewertet und zur Begründung seiner Entscheidung herangezogen hat (UA S. 9). Soweit der Kläger ferner im Zusammenhang mit der von ihm ebenfalls erhobenen Grundsatzrüge (vgl. hierzu unten, 2. b)) behauptet, aus einer nicht näher benannten „Recherche des Österreichische[n] Roten Kreuzes (ACCORD)“, mit der wohl die als Anlage zur Zulassungsbegründung übersandte „Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Rekrutierungsmaßnahmen der Taliban“ vom 13. August 2018 gemeint sein dürfte, lasse sich die allgemeine Aussage entnehmen, die Gefahr der Zwangsrekrutierung habe im Jahr 2015 generell abstrakt für jede in Kunduz wohnende Familie bestanden, trifft dies nicht zu. Die vom Kläger behauptete Aussage lässt sich der „Anfragebeantwortung“ schon nicht entnehmen. Diese stellt lediglich verschiedene Aussagen und Erkenntnisse zum Thema Zwangsrekrutierung durch die Taliban zusammen – auf die sich zum Teil auch die angegriffene Entscheidung stützt, wie etwa den EASO-Bericht von September 2016 – ohne dass eine eigene Bewertung der Zwangsrekrutierungsgefahr vorgenommen wird. Inwiefern sich hieraus neuer Aufklärungsbedarf hinsichtlich der vom Kläger gestellten Beweisfrage ergeben könnte, bleibt offen.
23b) Eine Verletzung rechtlichen Gehörs folgt auch nicht aus der unterbliebenen Beweiserhebung zu den vom Kläger weiter formulierten Fragen,
24- 25
2. Droht ihm allein aufgrund seiner Ethnie (Usbeke) und aufgrund seines Alters eine besondere Gefährdung durch die Taliban?,
und
27- 28
3. Könnte er sich einer Aufforderung der Taliban, sich ihnen anzuschließen, gefahrlos widersetzen?.
Das Verwaltungsgericht hat die Beweiserhebung in der mündlichen Verhandlung mit der prozessrechtlich nicht zu beanstandenden Begründung abgelehnt, es verfüge bereits über ausreichende eigene Sachkunde, und sich hierbei auf die oben benannten Erkenntnismittel gestützt. In diesem Zusammenhang hat es – wie gezeigt – die Gefahr einer Zwangsrekrutierung des Klägers bzw. einer Bestrafung im Falle des Widersetzens für nicht beachtlich wahrscheinlich gehalten. Es hat ferner in den Urteilsgründen mit Blick auf die vom Kläger unter Ziffer 2.) formulierte Frage vertiefend ausgeführt, den aktuellen Erkenntnismitteln lasse sich nicht entnehmen, dass insbesondere Usbeken Zwangsrekrutierungsversuchen der Taliban ausgesetzt seien (UA S. 9). Ferner lägen auch keine Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung der Usbeken in Afghanistan vor (UA S. 12). Dem setzt das Zulassungsvorbringen nichts Substantielles entgegen. Anhaltspunkte, die in tatsächlicher Hinsicht vermehrte Zwangsrekrutierungsversuche gegenüber Usbeken oder allgemein eine entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts erhöhte Gefahr der Zwangsrekrutierung durch die Taliban nahelegen und daher eine weitere Sachaufklärung erforderlich erscheinen lassen würden, sind dem Zulassungsvorbringen nicht zu entnehmen. Den vom Kläger benannten EASO-Bericht von September 2016 hat das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung berücksichtigt.
30c) Der geltend gemachte Verfahrensfehler einer Versagung rechtlichen Gehörs im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO ergibt sich auch nicht aus der Ablehnung der Beweiserhebung zu den vom Kläger weiter benannten Fragen,
31- 32
4. Ist Kabul eine interne Schutzalternative?,
- 34
5. Ist Kabul eine Fluchtalternative, auch wenn der Rückkehrer nicht auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen kann?,
- 36
6. Wird die Provinz Kunduz von den Taliban beherrscht?.
Das Verwaltungsgericht hat die Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung mit der Begründung abgelehnt, die zum Beweis gestellten Tatsachen seien unerheblich, da, selbst wenn der Kläger nicht nach Kunduz zurückkehren könne, neben Kabul auch andere Regionen als Fluchtalternativen in Betracht kämen. Der Kläger zeigt schon nicht auf, dass diese Erwägung nicht vom Prozessrecht gedeckt ist, sodass es auf die im Urteil enthaltenen weiteren Begründungsansätze und das darauf bezogene Zulassungsvorbringen nicht ankommt.
38Die Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung unbedingt gestellten Beweisantrags ist entsprechend § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO gerechtfertigt, wenn die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da es für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts weder auf die Frage, ob der Kläger gemäß § 3e AsylG auf Kabul als Ort internen Schutzes (mit oder ohne dortige familiäre Unterstützung) verwiesen werden kann, noch auf die Möglichkeit einer Rückkehr des Klägers nach Kunduz ankam. Das Verwaltungsgericht hat die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Gewährung subsidiären Schutzes selbständig tragend mit der Begründung abgelehnt, der Kläger könne jedenfalls auf die Stadt Mazar-i Sharif in der Provinz Balkh als Ort internen Schutzes im Sinne von § 3e Abs. 1 AsylG verwiesen werden. Er könne Mazar-i Sharif legal erreichen und sich hier zumutbar niederlassen, da er als junger, alleinstehender und arbeitsfähiger Mann auch ohne familiäre Unterstützung ein Auskommen werde erwirtschaften können (UA S. 12-13). Ferner stehe auch die dortige Sicherheitslage der Annahme einer internen Schutzalternative nicht entgegen (UA S. 20-21). Der Kläger sei in Mazar-i Sharif auch vor der von ihm befürchteten Zwangsrekrutierung durch die Taliban sicher. Er habe eine landesweite Verfolgung seiner Person durch die Taliban nicht schlüssig dargelegt. Es sei insbesondere nicht ersichtlich, dass und warum die Taliban ein besonderes Interesse gerade an ihm haben sollten. Individuelle Fähigkeiten des Klägers, die ihn für die Taliban im Vergleich zu sonstigen jungen Männern interessanter erscheinen ließen, seien nicht ersichtlich (UA S. 12).
39Diesen Ablehnungsgrund stellt der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen nicht in einer den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise in Frage. Soweit er vorträgt, die Frage der internen Fluchtalternative in Kabul sei nur dann unerheblich, wenn ein subsidiärer Schutzanspruch nicht in Betracht komme, was aber durchaus möglich sei, weil er geltend gemacht habe, vorverfolgt ausgereist zu sein, genügt dies den Darlegungsanforderungen nicht. Sollte der Kläger damit argumentativ darauf abzielen, dass ihm am Ort des vom Verwaltungsgericht angenommenen internen Schutzes Verfolgung aufgrund der Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban drohe, setzt er sich nicht mit den diesbezüglichen gegenteiligen Feststellungen des Verwaltungsgerichts auseinander. Auch sonst ist dem Zulassungsvorbringen nichts dafür zu entnehmen, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger könne auf Mazar-i Sharif als Ort internen Schutzes verwiesen werden, nicht tragfähig sein und es daher auf die Möglichkeit einer Rückkehr des Klägers nach Kunduz oder Kabul ankommen könnte.
40Soweit der Kläger darüber hinaus geltend macht, das Verwaltungsgericht habe gegen seine Aufklärungsverpflichtung verstoßen, weil es sich im Zusammenhang mit der Ablehnung von Abschiebungsverboten nicht mit den entscheidungserheblichen „Persönlichkeitskriterien (Gefährdungskriterien)“ des Klägers auseinandergesetzt habe, legt er keinen Zulassungsgrund dar. Eine Verletzung der Amtsaufklärungspflicht stellt grundsätzlich weder einen Gehörsverstoß dar, noch gehört sie zu den sonstigen im Zulassungsverfahren beachtlichen Verfahrensmängeln im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 VwGO.
41Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Dezember 2017 – 13 A 753/17.A –, juris, Rn. 5, vom 28. Juni 2017 – 13 A 1182/17.A –, juris, Rn. 4 und vom 25. März 2013 – 13 A 493/15.A –, juris Rn. 8.
42Im Übrigen trifft die Behauptung des Klägers, das Verwaltungsgericht habe im Zusammenhang mit der Prüfung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AsylG die individuellen Umstände des Klägers und etwaige Vulnerabilitätskriterien nicht erwogen, nicht zu. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht gerade darauf abgestellt, dass es sich bei dem Kläger um einen jungen, gesunden und alleinstehenden Mann handelt, der keine familiäre Unterstützung hat und nicht über ein nennenswertes Vermögen verfügt (UA S. 21).
432. Der Kläger hat die von ihm als weiteren Berufungszulassungsgrund geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ebenfalls nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt.
44Die Darlegung der Grundsatzbedeutung setzt voraus, dass eine bestimmte, obergerichtlich oder höchstgerichtlich noch nicht hinreichend geklärte und (auch) für die Berufungsentscheidung erhebliche Frage rechtlicher oder tatsächlicher Art herausgearbeitet und formuliert wird; zudem muss angegeben werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Darzulegen sind demnach die konkrete Frage, ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und allgemeine Bedeutung.
45Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Juni 2020 – 13 A 250/19.A –, juris, Rn. 4 f., vom 8. Februar 2019 – 13 A 1776/18.A –, juris, Rn. 3 f., und vom 20. Februar 2018 – 13 A 124/18.A –, juris, Rn. 3 f., jeweils m. w. N.
46Ein auf die grundsätzliche Bedeutung einer Tatsachenfrage gestützter Zulassungsantrag genügt zudem nicht den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, wenn in ihm lediglich die Behauptung aufgestellt wird, die für die Beurteilung maßgeblichen Verhältnisse stellten sich anders dar als vom Verwaltungsgericht angenommen. Es ist vielmehr im Einzelnen darzulegen, welche Anhaltspunkte für eine andere Tatsacheneinschätzung bestehen. Der Kläger muss die Gründe, aus denen seiner Ansicht nach die Berufung zuzulassen ist, dartun und in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht erläutern. Hierzu genügt es nicht, bloße Zweifel an den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Hinblick auf die Gegebenheiten im Herkunftsland
47des Ausländers zu äußern oder schlicht gegenteilige Behauptungen aufzustellen. Vielmehr ist es erforderlich, durch die Benennung bestimmter Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Behauptungen in der Antragsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.
48Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Juni 2020 – 13 A 250/19.A –, juris, Rn. 6 f., vom 8. Februar 2019 – 13 A 1776/18.A –, juris, Rn. 5 f., und vom 14. März 2018 – 13 A 433/18.A –, juris, Rn. 13 f., jeweils m. w. N.
49Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht.
50a) Die vom Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtete Frage,
51„welche Umstände sind im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan in ihrer Kumulation so erheblich, dass sie zu einer individuellen konkreten Gefahrensituation führen, die eine Rückkehr nach Afghanistan auch nach Kabul oder Mazar-E-Sharif unmöglich macht?“,
52die sich im Zusammenhang mit der Feststellung nationaler Abschiebungsverbote stelle, ist in dieser Allgemeinheit schon nicht klärungsfähig. Unabhängig davon, dass für die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG mit Blick auf die allgemeinen Lebensbedingungen unterschiedliche rechtliche Maßstäbe hinsichtlich der erforderlichen individuellen Gefahr gelten,
53vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2019 – 13 A 3930/18.A –, juris, Rn. 111, 312 ff., m. w. N.,
54hängt deren Feststellung jeweils von zahlreichen individuellen Faktoren ab, wie etwa dem Familienstand, dem Gesundheitszustand, dem Alter, den Vermögensverhältnissen, dem Bildungsstand, den Sprachkenntnissen, anderen auf dem Arbeitsmarkt nützlichen Fähigkeiten, der Volkszugehörigkeit, dem bisher überwiegenden Aufenthalt im Ausland, einem in Afghanistan vorhandenen bzw. fehlenden familiären Netzwerk oder sonstigen sozialen Kontakten. Zudem ist auch die jeweils aktuelle Sicherheitslage am Zielort der Abschiebung in den Blick zu nehmen. Hierbei sind – angesichts der Vielzahl der zu berücksichtigenden Kriterien – unzählige verschiedene Fallgestaltungen denkbar, die die Feststellung eines Abschiebungsverbots rechtfertigen können, sodass eine (abschließende) abstrakte Aufzählung, wie sie der Kläger erstrebt, nicht möglich ist. Dies gilt selbst dann, wenn man zugunsten des Klägers annimmt, dass er die von ihm formulierte Frage auf die Situation eines jungen, alleinstehenden afghanischen Mannes ohne familiäres Netzwerk beschränken wollte.
55Soweit der Kläger mit der von ihm aufgeworfenen Frage die der Verneinung von Abschiebungsverboten zugrundeliegende Tatsacheneinschätzung des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen beabsichtigt, genügt das Zulassungsvorbringen ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen. Der Kläger setzt sich nicht mit den auf der Grundlage aktueller Erkenntnismittel und unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Klägers getroffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zur Versorgungs- und Sicherheitslage in Afghanistan, insbesondere betreffend Mazar- i Sharif, auseinander. Er benennt auch keine Erkenntnisquellen, auf die er seine in der aufgeworfenen Frage sinngemäß zum Ausdruck kommende und von der Beurteilung des Verwaltungsgerichts abweichende Auffassung, eine Rückkehr nach Afghanistan im Allgemeinen und nach Kabul und Mazar-i Sharif im Besonderen sei aufgrund der dortigen Gefahrensituation nicht möglich, stützt.
56b) Eine grundsätzliche Bedeutung lässt sich auch nicht aus der vom Kläger weiter als klärungsbedürftig erachteten Frage ableiten,
57„Bestand die Gefahr der Zwangsrekrutierung von männlichen Jugendlichen / jungen Erwachsenen in der Provinz Kundus im Jahre 2015 (ca. Mitte 2015)?“.
58Auch für die hiermit sinngemäß zum Ausdruck gebrachte und von den eingehend begründeten Feststellungen des Verwaltungsgerichts, der Kläger sei nicht vorverfolgt ausgereist und werde im Falle einer Rückkehr auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Opfer einer Zwangsrekrutierung der Taliban werden (UA S. 6-10), abweichende Auffassung benennt der Kläger keine stützenden Erkenntnisquellen. Auch in diesem Zusammenhang genügt der pauschale Verweis auf eine nicht näher benannte „Recherche des Österreichische[n] Roten Kreuzes (ACCORD)“ den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG offensichtlich nicht. Selbst wenn man davon ausgeht, dass sich der Kläger damit auf die als Anlage zur Zulassungsbegründung übersandte „Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Rekrutierungsmaßnahmen der Taliban“ vom 13. August 2018 bezieht, ist damit noch keine Erkenntnisquelle aufgezeigt, die die tatsächlichen Behauptungen des Klägers zu stützen geeignet wäre. Wie bereits dargelegt (vgl. oben 1. a)), lässt sich der von ACCORD erstellten Anfragebeantwortung die vom Kläger behauptete allgemeine Aussage, die Gefahr der Zwangsrekrutierung habe im Jahr 2015 generell abstrakt für jede in Kunduz wohnende Familie bestanden, nicht entnehmen.
59Im Übrigen legt der Kläger die Entscheidungserheblichkeit der Frage nicht dar. Das Verwaltungsgericht hat – wie gezeigt – selbständig tragend angenommen, der Kläger könne jedenfalls nach Mazar-i Sharif in der Provinz Balkh als Ort internen Schutzes zurückkehren und sei dort auch vor der von ihm geltend gemachten Verfolgung durch die Taliban sicher, da nicht ersichtlich sei, dass die Taliban ein besonderes Interesse an der Person des Klägers haben könnten (UA S. 12). Insofern kam es auf die Frage, ob im Jahr 2015 in der Provinz Kunduz möglicherweise eine allgemeine Gefahr der Zwangsrekrutierung durch die Taliban bestand, nicht entscheidungserheblich an.
60Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
61Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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