Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 A 31/20.A
Tenor
Die Anträge werden abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung des Klägers aus den nachfolgenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
3II. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von ihm geltend gemachten Berufungszulassungsgründe der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 1 VwGO, dazu 1.), des Verstoßes gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 5 VwGO, dazu 2.), und der Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, dazu 3.) liegen nicht vor.
41. Die Berufung ist nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 1 VwGO (nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts) zuzulassen. Nicht vorschriftsgemäß besetzt im Sinne von § 138 Nr. 1 VwGO ist das erstinstanzliche Gericht unter anderem dann, wenn der erkennende Spruchkörper bei Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht den gesetzlichen Vorschriften, dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts nach § 21e GVG oder dem der Kammer selbst nach § 21g GVG entspricht und dies gleichzeitig eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darstellt.
5Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Februar 1988 - 9 C 276.86 -, Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 76 = juris Rn. 5; Neumann/Korbmacher, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 138 Rn. 19 m. w. N.
6Das Gebot des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dessen Sicherung und Durchsetzung die Besetzungsrüge dient, verlangt, dass die Geschäftsverteilungspläne des Gerichts und der Kammer im Voraus abstrakt-generell die Zuständigkeit hinreichend klar festlegen, damit sachfremde Einflüsse auf die Bestimmung des gesetzlichen Richters und damit möglicherweise auf das Entscheidungsergebnis ausgeschlossen sind. Das Erfordernis der Bestimmung der Zuständigkeit nach allgemeinen, abstrakten und objektiven Merkmalen gilt auch im Falle der Umverteilung bereits anhängiger Verfahren.
7Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2020 - 2 C 2.19 -, NJW 2020, 3333 = juris Rn. 8 f.
8Zur Darlegung einer Besetzungsrüge im Sinne von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG bedarf es der Angabe einzelner Tatsachen, aus denen sich die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts ergeben soll. Da es sich hierbei um gerichtsinterne Vorgänge handelt, die dem Rechtsmittelführer nicht ohne weiteres bekannt sind, muss er insoweit eine Aufklärung durch zweckentsprechende Ermittlungen anstreben und gegebenenfalls darlegen, dass er sich vergeblich um die Aufklärung dieser Tatsachen bemüht hat. Die lediglich „auf Verdacht" aufgestellte Behauptung einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung reicht insoweit nicht aus.
9Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 30. November 2004 ‑ 1 B 48.04 -, juris Rn. 3 m. w. N. (zu § 138 Nr. 1 VwGO), und vom 10. Oktober 2013 - 4 BN 36.13 -, BauR 2014, 57 = juris Rn. 11.
10An einer solchen Darlegung fehlt es hier. Ausweislich der Antragsschrift hält der Kläger es lediglich für möglich, dass die Verteilung der Klage auf die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf unter Anwendung der insoweit als unbestimmt gerügten Regelung in Ziffer 7 Abs. 1 Buchstabe a) des Geschäftsverteilungsplans für das Jahr 2017 „irrtümlich“ erfolgte. Dass tatsächlich ein „gleichzeitiger Eingang“ im Sinne der Ziffer 7 Abs. 3 des Geschäftsverteilungsplans für das Jahr 2017 vorgelegen hat bzw. es zu einer Übertragung des Verfahrens in das Dezernat der erkennenden Richterin aus anderen als abstrakt-generellen Gründen gekommen ist, lässt sich dem Vorbringen indes nicht entnehmen.
112. Ohne Erfolg rügt der Zulassungsantrag das Vorliegen eines Verfahrensmangels nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 5 VwGO, weil das angefochtene Urteil nicht öffentlich verkündet worden sei. Mit Blick auf § 138 Nr. 5 VwGO ist die Berufung zuzulassen, wenn das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind. Erfasst wird danach nur der Fall, dass das Urteil „auf eine mündliche Verhandlung“ ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, nicht hingegen die unterbliebene Verkündung des Urteils in öffentlicher Sitzung.
12Vgl. grundlegend: BVerwG, Beschluss vom 30. September 2010 - 9 B 3.10 -, Buchholz 310 § 138 Ziff. 5 VwGO Nr. 4 = juris Rn. 10 m. w. N., ebenso BVerwG, Beschluss vom 14. Juni 2016 - 4 B 45.15 -, juris Rn. 21.
13Diese im Wortlaut des § 138 Nr. 5 VwGO angelegte Einschränkung der Rügebefugnis rechtfertigt sich aus der Überlegung, dass sich eine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes bei der Urteilsverkündung nicht auf die Entscheidungsfindung auswirken kann.
14Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1980- 6 CB 29.80 -, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschlüsse vom 15. März 2018 - 13 A 171/18.A -, juris Rn. 5, und vom 12. Februar 2020 - 11 A 324/20.A -, AuAS 2020, 67 = juris Rn. 48.
15Danach kann das Vorbringen im Zulassungsantrag, das Verwaltungsgericht habe gegen Art. 47 Satz 1 und 2 GR-Charta bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK verstoßen, indem es das angefochtene Urteil nicht öffentlich verkündet, sondern unter Berücksichtigung von § 116 Abs. 2 VwGO zugestellt habe, nicht zur Zulassung der Berufung führen. Denn der damit geltend gemachte Verfahrensfehler betrifft ausschließlich die Frage der öffentlichen Verkündung des Urteils nach dem Schließen der mündlichen Verhandlung und nicht die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung.
16Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. März 2018 ‑ 13 A 171/18.A -, juris Rn. 7; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31. März 2017 - 4 L 93/16 -, juris Rn. 13 ff.; Nds. OVG, Beschluss vom 26. Januar 2015 ‑ 4 LA 232/14 -, juris Rn. 7; Bay. VGH, Beschluss vom 4. Mai 2011 - 14 ZB 11.30142 -, juris Rn. 3.
173. Schließlich ergibt sich aus dem Antragsvorbringen auch nicht, dass die geltend gemachte Gehörsverletzung (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) vorliegt.
18Das Gebot des rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche sowohl zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt als auch zu der entscheidungserheblichen Rechtslage vortragen zu können, und verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.
19Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 25. September 2020 - 2 BvR 854/20 -, NVwZ-RR 2021, 131 = juris Rn. 26 m. w. N.; BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 2011 - 10 B 38.11 -, juris Rn. 2.
20Es gebietet aber nicht, dass sich das Gericht in seinen schriftlichen Entscheidungsgründen mit jeder Einzelheit ausdrücklich und in ausführlicher Breite auseinandersetzt. Deshalb müssen, um eine Versagung rechtlichen Gehörs festzustellen, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.
21Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2006 - 2 BvR 722/06 -, DVBl. 2007, 253 = juris Rn. 23; BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 2011 - 10 B 38.11 -, a. a. O. Rn. 2.
22Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war.
23Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 25. September 2020 - 2 BvR 854/20 -, a. a. O. Rn. 26 m. w. N.
24a. Dies zugrunde gelegt, lässt sich eine Gehörsverletzung nicht feststellen. Dem Zulassungsvorbringen lässt sich nichts dafür entnehmen, dass das Verwaltungsgericht entscheidungserheblichen Vortrag des Klägers nicht zur Kenntnis genommen bzw. nicht in Erwägung gezogen haben könnte. Vielmehr wendet sich der Kläger mit der Behauptung einer - vermeintlich - in vielfältiger Hinsicht fehlerhaften Sachverhalts- und Beweiswürdigung gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, sein Vortrag zu seiner Verfolgungsgeschichte im Iran sei unglaubhaft und ihm drohe aufgrund seiner Konversion auch keine Verfolgung im Iran, weil nicht erkennbar sei, dass sein Glaubensübertritt auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhe. Dies gilt etwa für den Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Entscheidungsfindung die sich aus der Rechtsprechung des EGMR und EuGH ergebenden Grundsätze betreffend die Beweisführung durch den Asylsuchenden, zu länderspezifischen Gewohnheiten bei der Ausübung von Religion und zur Glaubhaftigkeitsprüfung bei Konversionsfällen nicht hinreichend beachtet sowie ferner bei der Würdigung seines Aussageverhaltens sein jugendliches Alter zum Zeitpunkt der Bundesamtsanhörung sowie den zeitlichen Abstand zwischen seiner Einreise, der Anhörung durch das Bundesamt und der mündlichen Verhandlung nicht ausreichend berücksichtigt. Gleiches gilt, soweit er der Bewertung seines Vortrags als unglaubhaft entgegenhält, die Frau, die ihn im Supermarkt im Iran angesprochen habe, sei eine Stammkundin und daher nicht fremd gewesen, eines (spezifischen) Anlasses zur Missionierung habe es nicht bedurft, weil sich dieser aus dem Missionsauftrag der Bibel selbst ergeben habe, und meint, er habe sehr wohl seine Motivation für die Konversion dargelegt und es habe keine bzw. keine gewichtigen Inkonsistenzen zwischen seiner Anhörung beim Bundesamt und seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung gegeben.
25Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs aufzuzeigen. Etwaige Fehler bei der nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Tatsachen- und Beweiswürdigung sind regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen.
26Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. März 2021 - 4 BN 35.20 -, juris Rn. 15, und vom 2. November 1995 ‑ 9 B 710.94 -, juris Rn. 4.
27Sie gehören insbesondere nicht zu den in § 138 VwGO genannten und in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Bezug genommenen Verfahrensfehlern. Eine gerichtliche Kontrolle des sachlichen Rechts ist für die Berufungszulassung in Asylverfahren grundsätzlich nicht vorgesehen, weil in der gesetzlichen Regelung des § 78 Abs. 3 AsylG der Berufungszulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nicht enthalten ist.
28Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausnahmsweise dann einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO begründen kann, wenn die die angegriffene Entscheidung tragende Sachverhalts- und Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet, ferner wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen.
29Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 18. Juli 2014 - 9 B 39.14 -, juris Rn. 9, und vom 12. März 2014 - 5 B 48.13 -, juris Rn. 22, jeweils m. w. N.; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 2. November 1995 - 9 B 710.94 -, a. a. O. Rn. 5.
30Ein die Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO rechtfertigender Verfahrensmangel in Form der Versagung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) ergibt sich daraus - einen derartigen Ausnahmefall einmal unterstellt - aber grundsätzlich nicht.
31Ablehnend auch Nds. OVG, Beschluss vom 25. August 2014 - 8 LA 60/14 -, juris Rn. 9, Sächs. OVG, Beschluss vom 19. Juli 2016 - 3 A 32/15.A -, juris Rn. 8 f., VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Juli 2020 - A 2 S 873/19 -, juris Rn. 19, ferner OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 29. Oktober 2020 - 4 LA 194/18 -, juris Rn. 6, Funke-Kaiser in: GK-AsylG, 131. EL Stand Mai 2021, § 78 Rn. 76; offen gelassen in OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Dezember 2016 - 1 A 2199/16.A -, juris Rn. 33, sowie vom 23. April 2020 - 1 A 2023/19.A -, juris Rn. 21.
32Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Verwaltungsgericht seiner Beweiswürdigung einen eindeutig aktenwidrigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat oder sonst über entscheidungserhebliches Vorbringen eines Beteiligten hinweggegangen ist, wenn also im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.
33Vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Juli 2020 - A 2 S 873/19 -, a. a. O. Rn. 19; Funke-Kaiser in: GK-AsylG, a. a. O., § 78 Rn. 263. Siehe auch BVerwG, Urteile vom 2. Februar 1984 - 6 C 134.81 - und vom 15. April 1997 - 8 C 20.96 -, beide juris; BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2006 ‑ 2 BvR 722/06 -, a. a. O. Rn. 23; BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 2011 - 10 B 38.11 -, a. a. O. Rn. 2.
34Dass ein solcher Fall hier gegeben sein könnte, lässt sich dem Zulassungsantrag nicht entnehmen. Soweit der Kläger behauptet, das Verwaltungsgericht habe Widersprüche in seinen Angaben vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung „konstruiert“, wo es keine Widersprüche gebe, ist nicht erkennbar, dass das Gericht von einem aktenwidrigen Sachverhalt ausgegangen sein könnte. Dies wäre nur dann der Fall, wenn ein offensichtlicher, keiner weiteren Beweiserhebung bedürfender Widerspruch zwischen den tatsächlichen Annahmen des Verwaltungsgerichts und dem Inhalt der Akten bestünde.
35Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 30. Juli 2001 ‑ 4 BN 41.01 -, juris Rn. 15.
36Das ist hier nicht der Fall. Die vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Passagen des Anhörungsprotokolls tragen sowohl die Annahme, der Kläger habe gegenüber dem Bundesamt angegeben, das Neue Testament gleich bei dem ersten Gespräch über das Christentum überreicht bekommen zu haben (Bl. 43 des Verwaltungsvorgangs: „F: Wie genau bist Du mit dieser Frau auf das Christentum zu sprechen gekommen? A: Sie hat immer dort eingekauft. Wir haben uns sehr gut verstanden. Sie hat gesagt, sie würde mir eine Religion vorstellen. F: Habt ihr vorher über das Thema Religion gesprochen? A: Nein, wir haben uns nur unterhalten. F: Wie genau hat sie Dir die neue Religion vorgestellt? A: Sie kam in den Supermarkt und sagte, sie würde mir ein Buch geben. Ich sollte zuhause versuchen, es zu lesen. Ich habe versucht, zuhause heimlich dieses Buch zu lesen. […]“), als auch die Annahme, er habe gegenüber dem Bundesamt geäußert, der Freund, den er habe bekehren wollen, habe es abgelehnt, über das Christentum zu sprechen (Bl. 43, 45 des Verwaltungsvorgangs: „…Als ich dann wieder zur Schule gegangen bin, habe ich versucht, meinen Freund zu bekehren. […] Er hat es immer abgelehnt, wenn ich versucht habe, mit ihm über das Christentum zu sprechen.“, „[…] Er wollte immer wissen, was ich vorhabe. Ansonsten wollte er nichts hören. Ich sollte ihm zeigen, was ich vorhabe. Ich hatte aber Angst, ihm das direkt zu sagen. Ich wollte ihn Schritt für
37Schritt dort hinführen.“). Von der Zugrundelegung eines aktenwidrigen Sachverhalts kann vor diesem Hintergrund keine Rede sein. Vielmehr hält der Kläger der Würdigung seiner tatsächlichen Angaben durch das Gericht, die er für falsch hält, lediglich seine eigene Wertung entgegen.
38Soweit der Kläger weiter behauptet, das Gericht habe in willkürlicher Weise, da nicht nachvollziehbar, den erfolgten Religionswechsel als nicht von einer inneren Überzeugung getragen gewertet, dringt er auch damit nicht durch. Nach den oben dargelegten Grundsätzen handelte es sich hierbei nicht um eine nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 VwGO rügefähige Gehörsverletzung. Angemerkt sei, dass angesichts der ausführlichen Würdigung der Angaben des Klägers zu den Gründen seines Glaubensübertritts, die nach Auffassung des Gerichts ein nachvollziehbares Konversionsmotiv vermissen ließen (Urteilsabdruck S. 9-10), auch für einen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nichts spricht.
39b. Einen Gehörsverstoß zeigt der Kläger auch nicht auf, soweit er geltend macht, die angefochtene Entscheidung sei „überraschend“. Unter dem Gesichtspunkt einer Überraschungsentscheidung wird das rechtliche Gehör nur dann verletzt, wenn das Gericht, das auf den Inhalt der beabsichtigten Entscheidung regelmäßig nicht vorab hinweisen muss, auf eine rechtliche Sichtweise oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts abstellt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte.
40Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Mai 2017 - 5 B
4175.15 D -, juris Rn. 11, m. w. N. und vom 18. Dezember 2017 - 6 B 52.17-, juris Rn. 6.
42Dagegen kann von einer Überraschungsentscheidung nicht gesprochen werden, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, in einer Weise würdigt oder aus ihnen Schlussfolgerungen zieht, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligten entsprechen oder von ihm für unrichtig gehalten werden.
43Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Juli 2020 ‑ 6 A 1784/20.A -, juris Rn. 11.
44Soweit der Kläger meint, es sei überraschend, dass das Gericht Widersprüche zwischen seinen Angaben in der Bundesamtsanhörung und der in der mündlichen Verhandlung sehe, weil die Anhörung beim Bundesamt nicht den EU-rechtlichen Schutz-Anforderungen entsprochen und das Gericht in der mündlichen Verhandlung nicht auf die Widersprüche hingewiesen habe, ist damit das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung im o. g. Sinn nicht dargelegt. Etwaige Mängel bei der Bundesamtsanhörung begründen keinen Gehörsverstoß durch das Gericht. Zudem verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht auch nicht, auf Unstimmigkeiten und Widersprüche oder einen sonst unzureichenden Sachvortrag hinzuweisen und eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. April 1986 - 9 C 318.85 ‑, juris Rn. 13; OVG NRW, Beschluss vom 6. Juni 2016 - 13 A 1882/15.A -, juris Rn. 28 ff.
46Soweit der Kläger mit diesem Vortrag möglicherweise rügen will, dass das Verwaltungsgericht sein Vorbringen auch unter Bezugnahme auf den Bescheid des Bundesamts sowie die Aussagen bei der Anhörung beim Bundesamt als nicht glaubhaft angesehen hat, wendet er sich gegen die Überzeugungsbildung des Gerichts, die - wie oben dargelegt - grundsätzlich nicht Gegenstand der Gehörsrüge ist.
47Zu Unrecht macht der Kläger ferner geltend, eine Überraschungsentscheidung liege darin, dass das Verwaltungsgericht es für unwahrscheinlich erachtet hat, „dass ihn eine ihm weitestgehend fremde persische Frau, die ausweislich ihres Kopftuchs eine geborene Muslime war, ohne jeglichen Anlass zum Christentum bekehren wollte und ihm in dem öffentlichen Supermarkt, in dem er arbeitete, das Neue Testament ausgehändigt hat“ (Urteilsabdruck S. 6), weil es von der falschen Vorstellung ausgegangen sei, nur muslimische Frauen müssten Kopftücher tragen, weil die Frau Stammkundin und daher nicht fremd gewesen sei und weil sich der Anlass aus der Bibel selbst ergeben habe. Denn auch insoweit ist dem Vorbringen des Klägers lediglich zu entnehmen, dass das Gericht seine Angaben in einer Weise gewürdigt und aus ihnen Schlussfolgerungen gezogen hat, die nicht seinen subjektiven Erwartungen entsprechen bzw. von ihm für unrichtig gehalten werden. Selbst wenn dies im Hinblick auf die Schlussfolgerung des Gerichts, es müsse sich bei der Frau „ausweislich ihres Kopftuchs“ um eine „geborene Muslime“ handeln, anders zu sehen wäre, und der Kläger mit dieser Bewertung des Sachverhalts nicht zu rechnen brauchte, würde die angefochtene Entscheidung nicht auf dem insoweit anzunehmenden Verfahrensmangel beruhen. Zum einen handelte es sich bei der vom Verwaltungsgericht angenommenen Religionszugehörigkeit der den Kläger angeblich missionierenden Frau offensichtlich nicht um eine entscheidungstragende Annahme, sondern lediglich einen ergänzenden Aspekt des Arguments, es sei unwahrscheinlich, dass eine dem Kläger weitestgehend fremde Frau an einem so öffentlichen Ort wie einem Supermarkt ohne erkennbaren Anlass das Neue Testament aushändigen würde. Zum anderen hat das Verwaltungsgericht seine Annahme, der Vortrag des Klägers zu seiner Vorverfolgungsgeschichte sei unglaubhaft, nicht nur auf die fehlende Nachvollziehbarkeit der Vorgänge in dem Supermarkt, sondern auch darauf gestützt, dass er seine Motivation für den erstmaligen Besuch der Hauskirche nicht nachvollziehbar dargelegt und überdies in zahlreichen zentralen Punkten widersprüchliche Angaben gemacht habe (Urteilsabdruck S. 6-7).
48c. Anders als der Kläger meint, liegt ein Gehörsverstoß oder ein Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens auch nicht etwa darin, dass das Verwaltungsgericht seinen Beweisantrag zur zeugenschaftlichen Einvernahme seiner Pastoren mit der Begründung abgelehnt hat, es komme maßgeblich auf das Vorbringen des Klägers und dessen Bewertung durch das Gericht an, bei der Ablehnung des PKH-Antrags aber auf die Begründung des angefochtenen Bundesamtsbescheids verwiesen hat. Hierin liegt schon deshalb kein widersprüchliches Verhalten, wie der Kläger meint, weil die Bewilligung von Prozesskostenhilfe einerseits und die Tatsachen- und Beweiswürdigung bei einer Konversion bzw. das Beweisantragsrecht jeweils vollkommen verschiedenen rechtlichen Maßstäben unterliegen.
49d. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zeigt der Kläger schließlich auch nicht mit seiner Behauptung auf, das Gericht habe gegen das staatliche Neutralitätsgebot verstoßen, indem es der Taufbescheinigung und den weiteren Bescheinigungen der Gemeinde des Klägers lediglich einen eingeschränkten Beweiswert beigemessen habe. Bezogen auf die Frage der Verfolgungsgefahr im Iran entspricht es der Rechtsprechung unter anderem des Senats, dass zum Christentum konvertierten ehemaligen Muslimen bei einer Rückkehr in den Iran allein im Falle eines ernst gemeinten, der inneren Überzeugung folgenden Glaubenswechsels eine rechtserhebliche Verfolgung drohen kann, weil nur in diesem Fall davon auszugehen ist, dass sie auch nach einer Rückkehr in den Iran entsprechend ihren Glaubensvorstellungen leben und sich dadurch - nach den Umständen des Einzelfalls - einer Verfolgung durch staatliche oder dem Staat zurechenbare Akteure aussetzen können. Denn im Iran ist von einer Verfolgungsgefahr für zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime dann auszugehen, wenn sie nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle einnehmen oder ihre Abkehr vom Islam dadurch nach außen sichtbar werden lassen, dass sie in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten wie etwa Gottesdiensten teilnehmen wollen.
50Vgl. näher OVG NRW, Urteil vom 7. November 2012 - 13 A 1999/07.A -, juris Rn. 49 ff., und Beschlüsse vom 1. März 2019 - 6 A 1882/18.A -, juris Rn. 18, sowie vom 19. Februar 2020 - 6 A 1502/19.A -, juris Rn. 21 - 22; BayVGH, Beschluss vom 16. November 2015 - 14 ZB 13.30207 -, juris Rn. 6.
51Das Verwaltungsgericht ist vor diesem Hintergrund zu Recht davon ausgegangen, dass der Formalakt der Taufe für sich genommen regelmäßig nicht ausreichend ist, um einen ernsthaften Glaubenswechsel zu belegen,
52vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. Januar 2019 ‑ 6 A 1069/18.A -, juris Rn. 14 m. w. N.,
53und dass es bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch nicht an die - in einer Taufbescheinigung möglicherweise zum Ausdruck gebrachte - Beurteilung des zuständigen Amtsträgers einer christlichen Kirche gebunden ist, der Taufe des betroffenen Asylbewerbers liege eine ernsthafte und nachhaltige Glaubensentscheidung zugrunde.
54Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. August 2015 - 1 B 40.15 -, juris Rn. 9.
55Die durch die Taufe herbeigeführte Rechtstatsache der Kirchenmitgliedschaft wird dabei nicht in Frage gestellt.
56III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
57Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.
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