Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 3d A 2195/19.O
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der 1960 geborene Beklagte stand zuletzt als L. im Dienst des Klägers und befindet sich seit dem 1. G. 2015 im Ruhestand.
3Nachdem er vom 1. P. 1978 bis zum 25. N. 1980 als Regierungsassistentenanwärter im Beamtenverhältnis auf Widerruf seine Ausbildung zum mittleren Dienst beim Versorgungsamt C. absolviert hatte, wurde der Beklagte nach Bestehen der Laufbahnprüfung in der L1. des Landes NRW (Note „ausreichend") mit Wirkung zum 1. April 1980 zum Regierungsassistenten z. A. unter Verleihung der Eigenschaft eines Beamten auf Probe ernannt. Vom 1. P. 1978 bis zum 17. B. 1980 und vom 16. O. 1981 bis zum 31. E. 2007 stand er im Dienst des Landes NRW, Versorgungsamt C. , in der Zwischenzeit absolvierte er seinen Grundwehrdienst. Am 1. April 1982 wurde er zum Regierungsassistenten und am 27. G. 1985 zum Regierungssekretär ernannt. Am 30. B1. 1987 wurde er zum Regierungsobersekretär und am 16. O. 1987 zum Beamten auf Lebenszeit ernannt. Der Beklagte wurde als Sachbearbeiter im Bereich des Sozialen Entschädigungs- und Schwerbehindertenrechts eingesetzt. Er bewarb sich im G. 1988 um die Zulassung zum prüfungsgebundenen Aufstieg vom mittleren in den gehobenen Dienst. Sein Antrag wurde abgelehnt, weil seine bisherigen Leistungen nicht mindestens überdurchschnittlich beurteilt worden waren. Im Januar 1990 wurde ihm die Befugnis zur Feststellung der sachlichen Richtigkeit und zur Erteilung von Annahme- und Auszahlungsanordnungen erteilt. Am 27. E. 1996 wurde er zum Regierungshauptsekretär ernannt und mit Wirkung zum 1. E. 1996 in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 8 BBesO eingewiesen. Die Aufgaben des Beklagten umfassten zu diesem Zeitpunkt u. a. folgende Tätigkeiten: die Durchführung des Feststellungsverfahrens nach dem Schwerbehindertenrecht (Erstanträge), die Bearbeitung von Änderungsanträgen, soweit nicht eine Entziehung von Leistungen in Betracht kommt, die Ausstellung und Verlängerung von Schwerbehindertenausweisen sowie die Entscheidung über Beiblatt und Rückerstattungen, soweit nicht eine Bringpflicht bestand. Ab dem 2. Mai 2001 wurde der Beklagte als Bearbeiter in der Erziehungsgeldkasse eingesetzt. Ihm wurde im Juli 2001 die Befähigung zur Feststellung der rechnerischen Richtigkeit von Rechnungsbelegen und der sachlichen Richtigkeit der Bescheide und Datenbelege nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz zuerkannt.
4Am 1. Januar 2008 wurde der Beklagte als L. in den Dienst des Klägers übernommen und dort in der Abteilung 3.3 Arbeit und Soziales, Sachgebiet Besondere Soziale Angelegenheiten (Schwerbehindertenangelegenheiten und BAFÖG) eingesetzt. Hintergrund des Wechsels war die Übertragung der Aufgaben der Versorgungsämter auf die Kreise (§ 12 des Zweiten Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen und Verfügung des Versorgungsamtes C. vom 15. O. 2007), die mit der Auflösung der Versorgungsämter einherging. Der abschließende formale Dienstherrenwechsel vom Land NRW zum Kläger und die Übernahme des Beklagten als Lebenszeitbeamter erfolgte gemäß § 129 Abs. 3 BRRG mit Bescheid vom 27. N. 2012. Der Beklagte war nach dem Wechsel mit Aufgaben aus dem Bereich des Schwerbehindertenrechts befasst, die im Wesentlichen seinen früheren Aufgaben beim Versorgungsamt entsprachen. Dienstort war das Sozialamt des Klägers in S. -X. . Einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht N1. gegen die Überleitung vom Land NRW zum Kreis H. nahm der Beklagte im G. 2008 zurück. Ab dem 1. P. 2008 wurde er dem Sachgebiet 3.3.4 Schwerbehindertenangelegenheiten zugeordnet, wobei sich sein Aufgabenbereich (u. a. Bearbeitung von Anträgen auf Feststellung einer Schwerbehinderung, Ausstellen von Bescheinigungen für Steuervergünstigungen, Ausstellen von Schwerbehindertenausweisen) jedoch nicht änderte. Aus einer schriftlichen Mitteilung des Beklagten vom 12. N. 2008 dazu, dass er nicht an den neuen Dienstort umziehen und Trennungsentschädigung als Auslagenersatz beantragen wolle, ergibt sich, dass er für den Weg zur Arbeit unter Nutzung regelmäßig verkehrender Verkehrsmittel bis zu anderthalb Stunden veranschlagte. In dem Antrag gab er ferner an, wegen dieser langen Fahrtzeit stattdessen den eigenen Pkw zu nutzen. In den Anträgen auf Festsetzung des Auslagenersatzes für Januar bis Mai 2008 gab er ebenfalls an, die Strecke mit dem privateigenen Pkw gefahren zu sein. Dem Auslagenersatz lagen monatliche Kosten i. H. v. 71,64 Euro für ein Stammkunden-ABO zugrunde. Als ehemaligem Beamten der Versorgungsämter wurden dem Beklagten für die Jahre 2008, 2009 und 2010 Trennungsentschädigung und Auslagenersatz i. H. v. insgesamt 3.621,18 Euro gewährt.
5Während der Zeit beim Versorgungsamt C. wurde der Beklagte regelmäßig dienstlich beurteilt. In der vorletzten Beurteilung vom 21. B1. 2005 erhielt er eine Gesamtnote von 2 Punkten ("eine im Allgemeinen den Anforderungen entsprechende Leistung"). Die letzte Beurteilung vom 11. E. 2007 weist ein Gesamturteil von 3 Punkten ("eine voll den Anforderungen entsprechende Leistung") auf. Beim Kläger erhielt der Beklagte keine dienstlichen Beurteilungen mehr. Der Beklagte übte eine Nebentätigkeit als Versicherungsvermittler bei der Volksfürsorge mit einem Stundenumfang von 2 Stunden wöchentlich aus.
6Im B1. 2001 beantragte er erfolglos die Anerkennung als Schwerbehinderter wegen eines Wirbelsäulenleidens. Im Jahr 2005 stellte das Versorgungsamt C. auf einen weiteren Antrag wegen Verschlimmerung des Rückenleidens einen GdB von 20 fest. Ab P. 2007 litt der Beklagte seinen Angaben nach unter depressiven Episoden, welche u. a. auf Beziehungsprobleme und die anschließende Trennung von seiner damaligen Lebensgefährtin zurückzuführen waren. Mit Bescheid der Stadt C. vom 10. B1. 2008 wurde auf einen entsprechenden Antrag, gestützt auf eine psychosomatische Erkrankung und eine Funktionseinschränkung der rechten Schulter, der GdB auf 30 erhöht. Zwei im September 2009 und im N. 2010 gestellte weitere Anträge auf Erhöhung des GdB wurden abgelehnt. Der erste dieser Anträge war u. a. auf eine Hörminderung gestützt. Nach ärztlicher Auskunft der Dipl.-Psych. D. M. vom 9. O. 2009 litt der Beklagte unter einer rezidivierenden depressiven Störung mit einer gegenwärtig mittelgradigen Episode (F 33.1) mit deutlichem Rückzugsverhalten – F 10.1 – und schädlichem Gebrauch von Alkohol. Mit Bescheid der Stadt C. vom 16. B. 2010 wurde ihm unbefristet ab dem 15. Juni 2010 ein GdB von 50 zuerkannt, wobei der seelischen Störung ein GdB von 40 zugeordnet wurde. Er erhielt einen entsprechenden Schwerbehindertenausweis ohne Merkzeichen. Auf Grund seiner Behinderung erhielt der Beklagte eine Stundenreduzierung der Arbeitszeit auf 39 Stunden und 50 Minuten sowie für das Jahr 2010 drei Tage und ab dem Jahr 2011 fünf Tage zusätzlichen Urlaub.
7Der Beklagte war zwischen September 1989 und O. 1992 verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder aus zwei unterschiedlichen Beziehungen. Er erhält ein Ruhegehalt von 1.925,77 Euro brutto (Stand Mai 2015).
8Bis auf den hier in Rede stehenden Sachverhalt ist der Beklagte weder straf- noch disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten.
9Am 16. Mai 2013 ging bei der Stadt C. ein Schreiben des zentralen Fundbüros der Stadt I. ein, dem ein Anfang Mai aufgefundener Schwerbehindertenausweis auf den Namen des Beklagten nebst Beiblatt unter einem nicht existierenden Geschäftszeichen beigefügt war. Bescheinigt waren hierin ein Grad der Behinderung von 70 und die Merkzeichen "G" und "B". Das Beiblatt für die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr, auf dem links maschinenschriftlich der Name des Beklagten und das Aktenzeichen aufgedruckt sind, war von Januar bis E. 2013 gültig. Für diese Wertmarke war in den Jahren 2008 bis Ende 2012 pro Jahr eine Eigenbeteiligung i. H. v. 60 Euro zu entrichten, die ab Januar 2013 auf 72 Euro erhöht worden war. Der unter Benutzung eines noch von der Bundesdruckerei für die Versorgungsämter gedruckten Ausweisformulars hergestellte Ausweis war mit "N2. " unterzeichnet und mit einem Stempel des früheren Versorgungsamts C. gesiegelt. Die Stadt C. erstattete unter dem 14. Juni 2013 Strafanzeige und stellte Strafantrag. Da der Beklagte werktäglich mit dem Zug von C. nach S. -X. fuhr, wurde vermutet, dass er sich zwischenzeitlich einen neuen Ausweis erstellt haben könnte. Anlässlich einer am 22. Juli 2013 am Arbeitsplatz des Beklagten von der Polizei durchgeführten Durchsuchung wurde dieser ausweislich des Durchsuchungsberichts als Beschuldigter belehrt und mit dem Vorwurf konfrontiert, sich nach dem Verlust des Ausweises in I. einen neuen Ausweis erstellt zu haben. Nach kurzem Leugnen gab der Beklagte zu, sich tatsächlich einen neuen Ausweis erstellt zu haben, der sich am Arbeitsplatz in seiner Tasche befinde. Der an der angegebenen Stelle aufgefundene und sichergestellte Ausweis trägt das Ausstellungsdatum 6. P. 2008, bescheinigt einen Grad der Behinderung von 80 und die Merkzeichen "G" und "B" und verfügt über das Beiblatt mit der Wertmarke für das Jahr 2013. Auf dem Beiblatt sind wiederum links maschinenschriftlich der Name des Beklagten und das Aktenzeichen angegeben. Auf den dafür vorgesehenen Flächen ist der Ausweis jeweils mit einem Stempel des Versorgungsamts versehen. In dem von KHK G1. verfassten Durchsuchungsbericht vom 23. Juli 2013 heißt es, der Beklagte habe während der Durchsuchungen am Vortag erklärt, sich den ersten Ausweis nicht bereits 1999 sondern erst 2008 ausgestellt zu haben, nachdem er von C. nach S. -X. habe wechseln müssen. Er habe dies getan, um die immensen Fahrtkosten zu kompensieren.
10Im Anschluss an die Durchsuchung wurde dem Beklagten aufgrund der bekannt gewordenen Vorwürfe die Führung seiner Dienstgeschäfte verboten. Mit Verfügung vom 19. B. 2013 leitete der Kläger gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren ein. In der Einleitungsverfügung wurde dem Beklagten ein Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht sowie gegen die Pflicht zu uneigennütziger Amtsführung vorgeworfen. Mit Schreiben vom 20. B. 2013 wurde auf die beabsichtigte Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung hingewiesen. Deren Vorsitzender wurde mit E-Mail vom 7. P. 2013 über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unterrichtet.
11Mit Verfügungen vom 3. B1. 2014 wurden der Beklagte mit sofortiger Wirkung vorläufig seines Dienstes enthoben und das Disziplinarverfahren ausgedehnt auf die Vorwürfe, entgegen einer Dienstvereinbarung Anträge von nahestehenden Personen bearbeitet zu haben sowie entgegen der bestehenden Weisungslage mehrfach ohne Angabe von Gründen den Grad der Behinderung unter Streichung des versorgungsmedizinischen Vorschlags heraufgesetzt zu haben. Mit weiterer Verfügung vom 16. B1. 2014 wurden von den Dienstbezügen des Beklagten zunächst 25 % im Hinblick auf die erfolgte Suspendierung einbehalten.
12Mit seinem Antrag, die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung und die Einbehaltung der Dienstbezüge auszusetzen, machte der Beklagte u. a. geltend, die Ausweise, deren Herstellung er unmittelbar nach Vorhalt zugestanden habe, nicht im öffentlichen Nahverkehr genutzt zu haben. In formeller Hinsicht rügte er, nicht zur Absicht, das Disziplinarverfahren auszudehnen, angehört worden zu sein. Das Verwaltungsgericht N3. lehnte den Antrag durch Beschluss vom 12 Juni 2014 unter dem Aktenzeichen 13 L 399/14.O als unbegründet ab.
13Der Kläger dehnte mit Verfügung vom 25. Juli 2014 das Disziplinarverfahren auf 36 weitere verdächtige Fälle der Abänderung des Grades der Behinderung und von Nachuntersuchungsfristen im Rahmen der Sachbearbeitung durch den Beklagten aus.
14Nachdem die Fehlzeiten des Beklagten in den Jahren 2011 bis 2013 innerhalb des Durchschnitts lagen, war er im Jahr 2014 dauerhaft dienstunfähig erkrankt. Er legte zunächst eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der behandelnden Psychiaterin für den Zeitraum vom 2. Januar 2014 bis zum 14. G. 2014 vor. Es folgte ein stationärer Aufenthalt in einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Median Klinik in C1. T. ) vom 6. N. bis zum 4. Juni 2014. Im Anschluss legte er weitere durch seine Psychiaterin ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bis zum 12. N. 2015 vor. Durch amtsärztliches Gutachten der Stadt C. vom 17. O. 2014 wurde bei dem Beklagten die dauernde Dienstunfähigkeit festgestellt. Nach Anhörung im E. 2014 wurde er wegen Dienstunfähigkeit mit Verfügung vom 7. Januar 2015 zum 1. G. 2015 in den Ruhestand versetzt. Mit Verfügung vom 13. Mai 2015 wurde die bisherige Gehaltskürzung geändert und eine Einbehaltung von 5 % des Ruhegehalts festgesetzt. Eine Nachuntersuchung fand am 28. Mai 2015 statt, bei der ein Fortbestehen der Dienstunfähigkeit festgestellt wurde.
15Mit Datum vom 21. B1. 2015 legte die Ermittlungsführerin ihren Ermittlungsbericht vor. Dieser wurde dem Beklagten persönlich, seiner Prozessbevollmächtigten und dem Vorsitzenden der Schwerbehindertenvertretung übersandt, letzterem mit dem Hinweis, dass vor einer abschließenden Entscheidung diese zur Anhörung zugeleitet werde.
16Die Bevollmächtigte des Beklagten nahm mit Schreiben vom 7. Juli 2015 für diesen u. a. wie folgt zu dem Bericht Stellung: Der Beklagte habe den Vorwurf der Urkundenfälschung unmittelbar nach Vorhalt anlässlich der Durchsuchung gegenüber den Polizeibeamten zugestanden. Die Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung weise Widersprüche auf und stütze sich weitgehend auf Vermutungen. So solle der Beklagte erst bei der Durchsuchung seiner Wohnung erklärt haben, dass er sich den ersten Ausweis im Jahr 2008 ausgestellt habe. Im Ermittlungsbericht sei demgegenüber niedergelegt, dass er diese Erklärung bereits bei der Durchsuchung am Arbeitsplatz abgegeben habe. Dass er die Ausweise im öffentlichen Nahverkehr benutzt habe, schließe der Kläger u. a. aus der Tatsache, dass der Beklagte ab dem 1. Januar 2008 kein Jobticket beantragt habe. Nicht nachgewiesen sei, dass sich Wertmarken nicht nur für das Jahr 2013 sondern auch für die vorangegangenen Jahre auf dem Ausweis befunden hätten. Dass er sich mit Hilfe der gefälschten Ausweise einen Vorteil verschafft habe, sei auch nicht durch die unter dem Druck der Entdeckung getätigte Äußerung bewiesen, er habe diese Ausweise erstellt, um hohe Fahrtkosten zu kompensieren. Zu seinen Gunsten sei davon auszugehen, dass er nicht gegen seine Pflicht zur uneigennützigen Amtsausübung verstoßen habe. Im Übrigen habe er bereits seit 2008 unter einer seelischen Störung gelitten und sich fortdauernd in Behandlung befunden, was schuldmindernd zu berücksichtigen sei. Zum Beleg der Erkrankung lege er eine ärztliche Auskunft des Dr. med. L2. , Facharzt in einer Gemeinschaftspraxis für Neurologie, Psychiatrie, Psychologie und Geriatrie, vor. Dieser habe unter dem 15. G. 2008 bei dem Beklagten eine schwere Depression (ICD-10: F 32.2) diagnostiziert. Eine gutachterliche Stellungnahme habe bereits Anfang B1. 2008 einen Einzel-GdB von 20 wegen dieser seelischen Störung ausgewiesen. Ebenfalls mildernd zu berücksichtigen sei ein Organisationsverschulden der Vorgesetzten, die den Sachbearbeitern eine unbegrenzte Menge von Vordrucken zur Verfügung gestellt hätten.
17Nach Einsicht in die bei der Stadt C. geführte Schwerbehindertenakte forderte der Kläger im September 2015 Unterlagen zu krankheitsbedingten Fehlzeiten des Beklagten in den Jahren 2011, 2012 und 2013 an. Im Jahr 2011 bestand an 37 Tagen eine Arbeitsunfähigkeit, im Jahr 2012 an 16 Tagen und im Jahr 2013 bis zu seiner Dienstenthebung an 20 Tagen.
18Unter dem 6. P. 2015 erhob die Staatsanwaltschaft C. Anklage gegen den Beklagten beim Amtsgericht - Strafrichter - C. wegen Falschbeurkundung im Amt in vier Fällen und wegen Urkundenunterdrückung (Az. 126 Js 386/13). Der Kläger setzte das Disziplinarverfahren im Hinblick auf das Strafverfahren mit Verfügung vom 29. P. 2015 gemäß § 22 LDG NRW aus und teilte dem Beklagten mit, dass das Disziplinarverfahren spätestens nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens fortzusetzen sei.
19In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht C. am 7. Juli 2016 erklärte der Beklagte, er sei seit 2007 psychisch krank gewesen und habe unter Depressionen gelitten. Seit 2008 sei er in psychologischer Behandlung. Nach der Auflösung des Standorts in C. sei die Kommunikation mit dem Vorgesetzten und den Kollegen schlecht gewesen. Durch die langen Anfahrtswege sei er zwölf Stunden am Tag unterwegs gewesen. Im Zuge dieser ganzen Sache habe er sich den Ausweis ausgestellt, um sich gut zu fühlen, und als Belohnung für den Stress. Er habe Alkoholprobleme und einen Hörsturz gehabt. Den Ausweis habe er nicht benutzt, er habe ihn sich nachts im Bett angesehen und sich dabei wohl gefühlt. Er habe das Gefühl gehabt, ihm stehe der Ausweis zu. Die Zeichen "G" und "B" seien im Ausweis schon vorgegeben. Für die Fahrten zur Arbeit habe er sich ein Monatsticket gekauft. Er habe im Jahr 8.000 Anträge zu bearbeiten gehabt und seine Arbeit nicht mehr geschafft. Der in der Hauptverhandlung vernommene KHK G1. bekundete, der Beklagte habe anlässlich der Durchsuchungen seines Arbeitsplatzes und seiner Wohnung am 22. Juli 2013 gesagt, dass er sich den Ausweis ausgestellt habe, um "nach Auflösung des Büros das mit seinen Fahrtkosten zu kompensieren". Er habe damit auch den zeitlichen Verlust ausgleichen wollen.
20In der Hauptverhandlung vom 28. Juli 2016 wurde das Verfahren hinsichtlich zweier Tatvorwürfe der Falschbeurkundung auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Mit Urteil des Amtsgerichts C. vom 28. Juli 2016 (37 Ds 367/16) wurde der Beklagte unter Freisprechung im Übrigen wegen Falschbeurkundung im Amt sowie wegen Urkundenunterdrückung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt. Die Vollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt.
21Der Beklagte legte gegen das Urteil Berufung ein. In der Hauptverhandlung des Landgerichts C. von 17. Mai 2017 teilte der Vorsitzende ausweislich des Protokolls mit, es habe Gespräche hinsichtlich einer frühzeitigen Verfahrensbeendigung gegeben. Die Kammer rege eine Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO bezüglich der Urkundenunterdrückung an. Hinsichtlich der Falschbeurkundungen sei mit einer Geldstrafe von höchstens 140 Tagessätzen zu rechnen. Daraufhin wurde das Verfahren auf entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Urkundenunterdrückung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt und die Beteiligten verzichteten auf eine Vernehmung der zum Termin geladenen und erschienenen Zeugen. Mit Urteil vom 17. Mai 2017 (6 Ns 97/16), rechtskräftig seit dem 25. Mai 2017, wurde das angefochtene Urteil des Amtsgerichts C. neu gefasst. Der Beklagte wurde wegen Falschbeurkundung im Amt zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 45 Euro verurteilt. Das gemäß § 267 Abs. 4 StPO abgekürzte Urteil enthält zur Sache im Wesentlichen folgende Feststellungen:
22"Wie bereits erwähnt, wurde der Angeklagte nach Auflösung des Versorgungsamtes C. zum 01.01.2008 in den Kreis H. umgesetzt, und zwar in das Sozialamt der Stadt S. -X. . Diese Umsetzung bedeutete für den Angeklagten einen erheblichen Einschnitt in seine Lebensführung. So verlängerte sich der Weg zu seiner Arbeitsstelle, welcher bisher ca. 10 bis 15 Minuten mit dem Pkw betragen hatte, ganz erheblich, da er nunmehr bis nach S. -X. entweder mit dem Pkw oder mit dem Zug fahren musste. Darüber hinaus musste er sich nach 30jähriger Tätigkeit beim Versorgungsamt auf eine andere Behördenstruktur einstellen sowie auf neue Kollegen. Er fühlte sich teilweise gemobbt und auch unverstanden. Zusätzlich war er nicht mehr belastbar und erlitt einen Hörsturz. Hinzu kam, dass seine damalige Beziehung kriselte und schließlich im Jahre 2009 zerbrach. Auf Grund von nun auftretenden Depressionen begab sich der Angeklagte in Psychotherapeutische Behandlung. Seitens der Stadt C. wurde ihm im Jahre 2010 ein GdB von 50 % zugestanden.
23Der Angeklagte war der Auffassung, dass ihm ein höherer Grad von GdB zusteht. Aus diesem Grunde stellte er sich selbst einen auf den 03.11.1999 datierten Schwerbehindertenausweis aus. Diesen unterschrieb er selbst mit dem Namen „N2. ", ohne dass es zuvor ein förmliches Verfahren gegeben hatte. Der Angeklagte räumte sich selbst einen Grad der Behinderung von 70 ein und vermerkte auf dem Ausweis die Merkzeichen „G" und „B''. Das zu Unrecht erteilte Merkzeichen „G" erlaubte dem Angeklagten, landesweit unentgeltlich den öffentlichen Personennahverkehr zu nutzen, da er zudem entsprechende Marken auf dem Schwerbehindertenausweis aufklebte. Ob und wie oft er dies tat, lässt sich letztlich nicht nachhalten. Das Merkzeichen „B" erlaubte es dem Angeklagten zusätzlich, eine Begleitperson bei sich zu haben. Diesen zunächst erstellten Ausweis - insoweit wird auf das Original Hülle BI. 4 d. A. verwiesen - verlor der Angeklagte Anfang Mai 2013 in I. . [….] Tatsächlich hatte sich der Angeklagte erneut und zu Unrecht, ohne förmliches Verfahren einen neuen Schwerbehindertenausweis ausgestellt, diesmal mit einem Grad der Behinderung von 80 und erneut mit den Merkzeichen „G" und „B". Insoweit wird auf den Originalausweis Hülle Bl. 15 d. A. Bezug genommen. Den Ausweis hatte der Angeklagte auf den 06.10.2008 datiert. Gestempelt war dieser Ausweis ebenso wie der alte Ausweis mit einem Stempel des Versorgungsamtes, welchen der Angeklagte nach der Auflösung des Versorgungsamtes behalten hatte.
24Bei der am 23.07.2013 durchgeführten Durchsuchung wurde dieser Schwerbehindertenausweis beim Angeklagten an seinem Arbeitsplatz sichergestellt. Am gleichen Tage wurde dem Angeklagten seine vorläufige Suspendierung mitgeteilt; an diesem Tag war er also das letzte Mal in der Behörde."
25Weiter führte die Strafkammer aus, der Beklagte habe rechtswidrig und schuldhaft gehandelt. Schuldausschließungsgründe seien nicht ersichtlich. Insbesondere gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit des Beklagten bei der Begehung der Tat erheblich eingeschränkt oder sogar ausgeschlossen gewesen sei.
26Im Rahmen der Strafzumessung führte die Strafkammer zu Gunsten des Beklagten aus, erst die Umsetzung nach S. -X. habe zu seinen psychischen Problemen und zu der hieraus resultierenden Straftat geführt. Außerdem müsse der Beklagte befürchten, mit erheblichen finanziellen Konsequenzen aus dem öffentlichen Dienst entfernt zu werden.
27Mit Schreiben vom 20. Juni 2017 wurde der Beklagte persönlich von der Fortführung des Disziplinarverfahrens in Kenntnis gesetzt.
28In seinem Abschlussvermerk vom 4. Januar 2018 gelangte der Kläger zu dem Ergebnis, dass auch unter Berücksichtigung der nach dem Ermittlungsbericht und der Stellungnahme des Beklagten noch gewonnenen Erkenntnisse zum Gesundheitszustand des Beklagten und des abgeschlossenen Strafverfahrens Disziplinarklage mit dem Ziel der Aberkennung des Ruhegehaltes zu erheben sei. Eine Übersendung des Vermerks an den Beklagten und eine Anhörung zur beabsichtigten Klageerhebung erfolgten nicht.
29Mit am 20. Juni 2018 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 6. Juni 2018 hat der Kläger Disziplinarklage erhoben. Er hat dem Beklagten vorgeworfen, durch die zweimalige Ausstellung gefälschter Schwerbehindertenausweise im Eigeninteresse Straftaten gemäß § 348 StGB begangen und damit gegen die ihm obliegende Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen zu haben, auch wenn eine tatsächliche Nutzung der Ausweise nicht nachweisbar sei (Vorwurf 1). Zudem habe er durch eigenmächtige Abänderungen von Nachuntersuchungsfristen, Graden der Behinderung und zuzuerkennender Merkzeichen in insgesamt 26 Fällen gegen die Pflicht zur Uneigennützigkeit sowie die Folgepflicht aus §§ 34 Satz 2, 35 Satz 2 BeamtStG verstoßen (Vorwürfe 2 und 3). Damit habe der Beklagte vorsätzlich und schuldhaft ein schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen, welches das Vertrauensverhältnis zu seinem Dienstherrn vollends zerstört habe. Er habe durch die Fälschungen das in ihn gesetzte Vertrauen rücksichtslos ausgenutzt, obwohl der Dienstvorgesetzte bei derartigen eigenverantwortlichen Tätigkeiten, wie sie dem Beklagten übertragen waren, in besonderem Maße auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit angewiesen sei. Erschwerend sei dabei insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich nicht um einen einmaligen Verstoß, zumal im Kernbereich seiner dienstlichen Aufgaben, handele und die gefälschten Urkunden einen besonders hohen finanziellen Wert gehabt hätten. Hinzu träten die unberechtigten und eigenmächtigen Abänderungen von GdB, Merkzeichen und Nachuntersuchungsfristen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Disziplinarklageschrift verwiesen.
30Der Kläger hat beantragt,
31dem Beklagten das Ruhegehalt abzuerkennen.
32Der Beklagte hat beantragt,
33die Klage abzuweisen,
34hilfsweise,
35auf eine mildere Disziplinarmaßnahme unterhalb der Höchstmaßnahme zu erkennen.
36Er hat in formeller Hinsicht gerügt, dass ihm der Inhalt des Abschlussvermerks nicht zur Kenntnis gebracht worden sei und zudem lediglich er selbst über die Fortsetzung des Disziplinarverfahrens nach erfolgter Aussetzung informiert worden sei, nicht jedoch seine Bevollmächtigte. Weitere Mängel des Disziplinarverfahrens seien darin zu sehen, dass er bis zum Eintritt in den Ruhestand nicht über das Recht belehrt worden sei, die Personalvertretung hinzuzuziehen, und darin, dass die Schwerbehindertenvertretung über die Ausdehnung des Verfahrens nicht informiert worden sei. Auch die vorläufige Dienstenthebung unter Einbehaltung der Dienstbezüge sei ohne Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung und ohne Hinweis auf die mögliche Beteiligung der Personalvertretung erfolgt.
37In tatsächlicher Hinsicht hat er die Begehung eines Dienstvergehens durch das Ausstellen der Schwerbehindertenausweise für sich eingestanden. Dies sei jedoch weder im Eigeninteresse noch zum eigenen Gebrauch geschehen. Das ergebe sich bereits aus den insoweit bindenden Feststellungen im Strafurteil. Er habe von der Möglichkeit, landesweit kostenfrei den öffentlichen Personennahverkehr zu nutzen, keinen Gebrauch gemacht, sondern sich die Ausweise im Rahmen seiner psychischen Erkrankung als Fetisch ausgestellt. Damit könne ihm auch kein Verstoß gegen die Pflicht zur Uneigennützigkeit vorgeworfen werden. Seine seelische Störung hätte zwar nicht zur Dienstunfähigkeit geführt und sei nicht ausreichend für eine erhebliche Einschränkung der Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit, jedoch beim Grad des Verschuldens zu berücksichtigen. Zu seinen Gunsten sei die milde Strafe im Strafverfahren ebenso zu berücksichtigen wie die Tatsache, dass er bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei. Er habe zuvor 30 Jahre lang seinen Dienst beanstandungsfrei beim Versorgungsamt geleistet. Erst die Umsetzung nach S. -X. habe zu den psychischen Problemen und der daraus resultierenden Straftat geführt. Dabei habe er lediglich mit geringer krimineller Energie gehandelt, da die Vordrucke für die Ausweise und Wertmarken für alle Mitarbeiter frei zugänglich gewesen seien. Sein Verhalten habe auch keinerlei Außenwirkung gehabt.
38Ferner ist er dem Vorwurf unberechtigter Änderungen in von ihm bearbeiteten Verwaltungsvorgängen entgegengetreten.
39In der mündlichen Verhandlung vom 6. Mai 2019 hat das Verwaltungsgericht gemäß § 55 Abs. 1 LDG NRW die in der Klageschrift vorgeworfenen Taten zu 2. und 3. aus dem Disziplinarverfahren ausgeschieden und dem Beklagten mit dem angefochtenen Urteil das Ruhegehalt aberkannt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Disziplinarklage leide zwar an einem wesentlichen Verfahrensmangel, weil die nach § 31 LDG NRW vorgesehene abschließende Anhörung des Beklagten nicht vor Klageerhebung stattgefunden habe. Dem habe der Kläger nicht durch die Übersendung des vor der Aussetzung des Disziplinarverfahrens verfassten Ermittlungsberichts im Juni 2015 genügt. Der Beklagte habe aber im gerichtlichen Verfahren ausreichend Gelegenheit gehabt, zu den Vorwürfen der Disziplinarklage Stellung zu nehmen. Diese habe die im Anschluss an das ursprünglich verfasste Ermittlungsergebnis ermittelten Tatsachen aufgeführt und gewürdigt. Mit der tatsächlich erfolgten Stellungnahme des Beklagten habe sich der Kläger auch auseinandergesetzt. Der Mangel sei damit als geheilt anzusehen. Keinen wesentlichen Verfahrensmangel stelle demgegenüber die fehlende Beteiligung des Personalrats und der Schwerbehindertenvertretung vor Erhebung der Disziplinarklage dar, weil der Beklagte zu diesem Zeitpunkt bereits Ruhestandsbeamter gewesen sei.
40Auf der Grundlage des durch Strafurteil festgestellten Sachverhalts habe der Beklagte vorsätzlich und schuldhaft ein sehr schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen im Kernbereich seiner Dienstpflichten begangen, das mit der Höchstmaßnahme zu ahnden sei. Der Strafrahmen des § 348 Abs. 1 StGB zeige, dass es sich bei der Falschbeurkundung durch Amtsträger um eine besonders schwere Straftat handle. Der sich hieraus ergebende Orientierungsrahmen bis zur Höchstmaßnahme sei wegen der Einzelumstände auszuschöpfen. Milderungsgründe, insbesondere eine verminderte Schuldfähigkeit, lägen nicht vor. Es fehle bereits an Anhaltspunkten für die Annahme eines Eingangsmerkmals i. S v. § 20 StGB. Eine zunächst schwere und später mittelgradige Depression ab E. 2007, die nach Angaben des Beklagten auf eine Beziehungskrise und anschließende Trennung einerseits sowie auf die Versetzung zu einer anderen Behörde andererseits zurückzuführen gewesen sei, biete keine ausreichenden Hinweise für das Vorliegen einer Erkrankung im Sinne des § 20 StGB. Als eine solche Erkrankung seien depressive Episoden lediglich bei Taten wegen krankheitsbedingter Unfähigkeit zur Erfüllung alltäglicher Pflichten in Betracht zu ziehen. Depressionen seien nicht kriminogen. Darüber hinaus fehle es jedenfalls an einer Erheblichkeit der fraglichen psychischen Störung. Da es im Disziplinarrecht entscheidend auf die Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ankomme, werde bei Zugriffsdelikten und diesen gleichgestellten Delikten eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit nur in Ausnahmefällen erreicht.
41Gegen das am 8. Mai 2019 zugestellte Urteil hat der Beklagte beim Verwaltungsgericht am 3. Juni 2019 Berufung eingelegt und diese fristgerecht begründet. Er macht sein erstinstanzliches Vorbringen vertiefend geltend:
42Einer Heilung der gerügten wesentlichen Verfahrensmängel stehe entgegen, dass er sich zu dem ihm unbekannten Abschlussvermerk, der ihm als verwaltungsinternes Schriftstück absichtlich nicht übersandt worden sei, gar nicht habe äußern können. Entsprechend fehle auch eine Auseinandersetzung des Klägers mit vermeintlichen Äußerungen zu diesem Abschlussvermerk, auf den auf Seite 25 der Klageschrift sogar "zur Vermeidung von Wiederholungen" Bezug genommen werde. Die Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung bzw. der Personalvertretung dienten dem Schutz des Beamten und müssten als Ausfluss des Fürsorgeprinzips über den Zeitpunkt des Ausscheidens aus der aktiven Dienstzeit hinaus Anwendung finden. Davon sei auch der Kläger bei Abfassen des Schreibens vom 6. Mai 2015 ausgegangen, als er die Schwerbehindertenvertretung über den Abschluss der Ermittlungen informiert habe. Denn zu diesem Zeitpunkt habe er, der Beklagte, sich schon im Ruhestand befunden. Wesentlich sei dieser Verfahrensmangels bereits, weil die Schwerbehindertenvertretung bei den Entscheidungen über die vorläufige Dienstenthebung und Einbehaltung von Dienstbezügen nicht beteiligt worden sei. Dass ausschließlich er selbst über die Fortsetzung des Disziplinarverfahrens nach Abschluss des Strafverfahrens informiert worden sei, stelle ebenfalls einen erheblichen Verfahrensfehler dar.
43In materieller Hinsicht sei zu beanstanden, dass der Kläger von zwei Urkundenfälschungen ausgegangen sei. Dass eine Tat strafrechtlich nicht mehr geahndet werden könne, schlage auf das Disziplinarverfahren durch bzw. müsse zumindest bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme Berücksichtigung finden. Bei der Ausstellung von Schwerbehindertenausweisen handele es sich lediglich um einen kleinen Teil der ihm übertragenen Aufgaben. Im Rahmen der Maßnahmebemessung sei ferner nicht berücksichtigt worden, dass die Strafkammer den Strafrahmen des § 348 Abs. 1 StGB nicht ansatzweise ausgeschöpft habe. Das zeige, dass sie eine eher geringe Schwere der Straftat angenommen habe. Es könne auch nicht darauf abgestellt werden, dass sich die besondere Schwere der Straftat aus der Verschärfung des Strafrahmens gegenüber einer „üblichen" Falschbeurkundung ergebe. Diese Argumentation übersehe, dass gerade dieser Strafrahmen bei der strafrechtlichen Würdigung der Schwere der Tat bereits Berücksichtigung gefunden habe. Wenn schließlich ein Eigeninteresse des Beklagten darin gesehen werde, dass er den gefälschten Ausweis als Fetisch nutzte, könne dies die Höchstmaßnahme nicht rechtfertigen. Insoweit sei von den bindenden tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil auszugehen. Der Ausweis möge mit der beigefügten Wertmarke zwar einen hohen finanziellen Wert gehabt haben, diesen habe er, der Beklagte, jedoch nicht realisiert bzw. in sonstiger Weise genutzt. Der Ausweis habe ihm nur als psychische Stütze gedient. Im Übrigen seien die Erwägungen des Strafgerichts, die zu dem ausgeurteilten Strafmaß geführt hätten, zu berücksichtigen. Das gelte auch für die sich mildernd auswirkenden Umstände. So sei das anlässlich der Durchsuchung unmittelbar abgegebene Geständnis durchaus ein Milderungsgrund, da sich dadurch insbesondere weitere Aufklärungen erübrigt hätten. Das gelte auch im Hinblick auf die schwierige Lebensphase und die depressiven Erkrankungen. Die schwierige Lebensphase nach der Trennung von seiner langjährigen Partnerin sei zwar überwunden gewesen, die Situation auf der Dienstelle habe ihn jedoch nach wie vor erheblich belastet. Diese persönliche Überlastungssituation habe das Verwaltungsgericht nicht ausreichend gewürdigt.
44Der Beklagte beantragt,
45das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen,
46hilfsweise,
47auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.
48Der Kläger beantragt,
49die Berufung zurückzuweisen.
50Er bekräftigt die Begründung des angefochtenen Urteils und führt ergänzend aus: Es stelle keinen Verfahrensmangel dar, dass dem Beklagten der Abschlussvermerk nicht zur Verfügung gestellt worden sei. Insoweit handele es sich um eine interne Entscheidung des Dienstherrn. Die Bezugnahme auf diesen Vermerk in der Disziplinarklageschrift sei zwar unglücklich, dadurch seien dem Beklagten aber keine wesentlichen Informationen vorenthalten worden. Die Bezugnahme betreffe lediglich Ausführungen dazu, weshalb bestimmte Vorwürfe nicht mehr Gegenstand der Klage seien.
51Die strafrechtliche Verjährung der ersten Tat wirke sich nicht auf das Disziplinarverfahren aus, für das es allein auf § 15 LDG NRW als speziellere Regelung ankomme. Unabhängig davon, ob zwischen den beiden Taten tatsächlich fünf Jahre lägen, wovon das Verwaltungsgericht ausgegangen sei, stehe fest, dass es eine zeitliche Zäsur zwischen den beiden Taten gegeben haben müsse. Dies zeige, dass der Pflichtverstoß nicht aufgrund einer psychisch labilen Phase in einer besonderen Ausnahmesituation begangen worden sei. Das Verwaltungsgericht habe zutreffend Anhaltspunkte für eine verminderte Schuldfähigkeit verneint. Eine mildere Maßnahme sei auch nicht im Hinblick auf die bereits erfolgte strafgerichtliche Verurteilung zu einer Geldstrafe gerechtfertigt. Selbst wenn mildernd die geringe Geldstrafe und die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren berücksichtigt würden und für eine geringere Maßnahme als die Aberkennung des Ruhegehalts sprechen sollten, müsse eine solche Einschätzung dazu führen, die vom Verwaltungsgericht ausgeschiedenen Disziplinarvorwürfe Nr. 2 und Nr. 3 wieder in das Disziplinarverfahren einzubeziehen.
52In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sich der Beklagte u. a. dahingehend eingelassen, er habe den ersten Ausweis im Jahr 2008 erstellt. Sowohl den ersten als auch den zweiten Ausweis habe er im Dienst gefälscht. Er habe bereits den ersten Ausweis zwar immer wieder einmal auf seinen Fahrten zur Dienststelle dabei gehabt und darüber nachgedacht, ihn einzusetzen, im Ergebnis habe er beide Ausweise aber nie benutzt. Er habe im Zug in der Regel zusammen mit Kollegen gesessen. Diese hätten den Ausweis gesehen, wenn er ihn vorgezeigt hätte. Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Dr. med. N4. L3. zu einer möglichen seelischen Erkrankung des Beklagten i. S. v. §§ 20, 21 StGB und zu einer gegebenenfalls hierdurch oder durch eine unterhalb dieser Schwelle liegende Erkrankung verursachten Beeinträchtigung seiner Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten vom 2. O. 2020 und die Erläuterungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
53Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Beiakten, die im Protokoll der mündlichen Verhandlung aufgeführt sind, Bezug genommen.
54Entscheidungsgründe:
55Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Beklagten zu Recht das Ruhegehalt aberkannt. Soweit das Disziplinarverfahren nach der in erster Instanz erfolgten Beschränkung noch anhängig ist, liegt ein wesentlicher Mangel weder des behördlichen Disziplinarverfahrens noch der Disziplinarklage vor (A.). Der Beklagte hat ein sehr schwerwiegendes Dienstvergehen begangen (B.), das nach umfassender Würdigung zu dem Schluss führt, dass der Beklagte das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat (C.).
56A.
57Das behördliche Disziplinarverfahren weist, soweit die gegen den Beklagten erhobenen Vorwürfe nach der Beschränkung durch das Verwaltungsgericht noch Gegenstand des Berufungsverfahrens sind, keine wesentlichen Fehler auf, die es geboten erscheinen ließen, dem Kläger gemäß §§ 54 Abs. 3 Satz 1, 65 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW eine Frist zu deren Behebung zu setzen. Die vom Beklagten beanstandeten Abläufe des Disziplinarverfahrens sind teils bereits nicht mit Fehlern behaftet, teils sind die gerügten Verfahrensmängel nicht wesentlich i. S. d. § 54 LDG NRW.
58Bei der unterlassenen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung und dem unterbliebenen Hinweis auf eine mögliche Beteiligung des Personalrats vor Erhebung der Disziplinarklage handelt es sich bereits nicht um Verfahrensmängel. Der Anwendungsbereich dieser Vorschriften war hier nicht eröffnet, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Der Beklagte befand sich bei Erhebung der Disziplinarklage bereits im Ruhestand und war deshalb nicht mehr Beamter im Sinne des Personalvertretungsgesetzes. Gemäß § 5 Abs. 2 LPVG NRW bestimmen die Beamtengesetze, wer Beamter ist. Die für die Statusrechte und-pflichten der Beamten maßgebliche Vorschrift des § 21 Nr. 4 BeamtStG regelt, dass das Beamtenverhältnis durch Eintritt oder Versetzung in den Ruhestand endet. Daraus folgt, dass das Beamtenstatusgesetz, wenn es von Beamten und Beamtenverhältnis spricht, den aktiven Beamten und dessen Rechte und Pflichten und nicht den Ruhestandsbeamten und dessen sich an das aktive Beamtenverhältnis anschließende Ruhestandsbeamtenverhältnis meint.
59Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.01.2015 – 2 B 15.14 –, juris Rn. 9 f., OVG NRW, Urteil vom 09.03.2015 – 3d A 2434/13.O –, juris Rn. 70.
60Es besteht in der vorliegenden Konstellation auch kein personalvertretungsrechtlicher Schutzbedarf, der eine Mitwirkung des Personalrats an personellen Maßnahmen, die "ehemalige" Dienststellenangehörige betreffen, erfordern könnte.
61Vgl. den bereits vom Verwaltungsgericht zitierten Beschluss des OVG NRW vom 11.02.2015 – 6 A 1832/12 –, juris Rn. 18 m.w.N.
62Das ist nämlich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur anzunehmen, wenn die Bindungen zur Dienststelle fortbestehen und der Schutzzweck der Beteiligung das Tätigwerden des Personalrats erfordert.
63Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10.01.2008 – 6 P 5.07 –, juris Rn. 13, und vom 15.11.2006 – 6 P 1.06 –, juris Rn. 24 ff.
64Fortbestehende Bindungen in diesem Sinne sind etwa gegeben während längerfristiger Beurlaubungen. Die organisatorische Zuordnung zur Dienststelle bleibt in diesem Fall erhalten, weil der Beamte grundsätzlich den Dienst nach dem Ende der Beurlaubung in der "alten" Dienststelle wieder aufzunehmen hat. Durch die Fortgeltung rechtlicher und tatsächlicher Bindungen zur Dienststelle unterscheidet sich der vorgenannte Personenkreis wesentlich von Personen, die weder in einem Dienstverhältnis zum Rechtsträger der Dienststelle stehen noch durch Verrichtung weisungsabhängiger Tätigkeit tatsächlich in die Dienststelle eingegliedert sind.
65Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.01.2008 – 6 P 5.07 –, juris Rn. 24.
66Bei Ruhestandsbeamten besteht eine solche Bindung typischerweise nicht fort.
67Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.01.2015 – 2 B 15.14 –, juris Rn. 9 f.
68Etwas anderes kann möglicherweise gelten, wenn es um Ansprüche der ehemaligen Dienststelle gegen den Ruhestandsbeamten geht, denen Verfehlungen des Beamten in seiner aktiven Dienstzeit zugrunde liegen. In Bezug auf solche Schadensersatzansprüche kann sich ein fortbestehender Bezug zur Dienststelle ergeben, der im Hinblick auf denkbare Ansprüche gegen andere Beschäftigte eine Mitwirkung der Personalvertretung im Interesse u. a. der noch aktiven Beamten erfordern kann.
69So OVG NRW, Beschluss vom 11.02.2015 – 6 A 1832/12 –, juris Rn. 26.
70Diese ausdrücklich den Belangen anderer aktiver Beschäftigter Rechnung tragenden Erwägungen rechtfertigen nicht eine grundsätzliche Ausdehnung des Mitbestimmungsrechts der Personalvertretung auf statusrechtliche Maßnahmen, die sich gegen Ruhestandbeamte richten und allein deren individuelle Interessen betreffen.
71Das Unterbleiben einer Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung vor Erhebung der Disziplinarklage stellt ebenfalls keinen Verfahrensmangel dar. Der Senat nimmt insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts auf den Seiten 11 und 12 der Urteilsausfertigung und auf die dort zitierte Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs,
72Bay. VGH, Urteile vom 28. Juni 2017 – 16a D 15.1484 –, juris Rn. 46, und vom 18. N. 2015 – 16a D 09.3029 –, juris Rn. 37,
73Bezug. Eine Verpflichtung des Klägers, die Schwerbehindertenvertretung vor Erlass der abschließenden Entscheidung anzuhören, ergibt sich auch nicht aus dessen Schreiben vom 3. Juni 2015. Aus der dortigen Ankündigung einer entsprechenden Anhörung gegenüber dem Vorsitzenden der Schwerbehindertenvertretung lässt sich bereits nicht folgern, dass er eine solche Anhörung auch bei einem Disziplinarverfahren gegen einen Ruhestandsbeamten als erforderlich angesehen hat. In dem Ermittlungsbericht, der dem Vorsitzenden zur Information übersandt wurde, ist zwar die Zurruhesetzung des Beklagten erwähnt, unmittelbar anschließend wird aber auf eine Mitte Mai 2015 vorgesehene erneute amtsärztliche Untersuchung hingewiesen. Daraus ergibt sich, dass es aus Sicht des Klägers in Bezug auf den Status des Beklagten als Ruhestandsbeamter durchaus noch vor Erlass der abschließenden Entscheidung eine Veränderung hätte geben können. Wäre der Beklagte reaktiviert worden, hätte die Schwerbehindertenvertretung angehört werden müssen. Abgesehen davon vermag eine – ggf. fehlerhafte oder irrtümliche – Ankündigung einer letztlich dann unterbliebenen Anhörung keine gesetzlich nicht vorgesehenen Beteiligungsrechte im Disziplinarverfahren zu begründen.
74Die weiteren vom Beklagten gerügten Verfahrensmängel sind jedenfalls nicht wesentlich i. S. v. § 54 LDG NRW. Wesentlich ist ein Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens, wenn sich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt, dass er sich auf das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens ausgewirkt haben kann. Für die Frage der Wesentlichkeit eines Mangels kommt es demgegenüber weder darauf an, ob er behebbar ist, noch darauf, ob und ggf. wie intensiv schutzwürdige – insbesondere grundrechtsbewehrte – Rechtspositionen Betroffener durch den Mangel berührt worden sind.
75Vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.07.2016 – 2 B 1.16 –, juris Rn. 10, zur im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschrift des § 60 HDG und m.w.N.
76In diesem Sinne nicht erheblich ist die vom Beklagten als unzureichend gerügte Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung im Verlauf des behördlichen Diszi-plinarverfahrens, wie das Verwaltungsgericht zutreffend auf den Seiten 13 und 14 der Urteilsausfertigung festgestellt hat. Auf diese Ausführungen nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.
77Dass eine Mitteilung über die Fortsetzung des Disziplinarverfahrens ausschließlich an ihn persönlich und nicht an seine Prozessbevollmächtigte gerichtet wurde, ist ebenfalls kein wesentlicher Mangel. Zum einen konnte sich der Beklagte, wie das Verwaltungsgericht bereits festgestellt hat, im Hinblick auf diese Mitteilung mit seiner Prozessbevollmächtigten in Verbindung setzen. Zum anderen war seiner Prozessbevollmächtigten bereits sowohl aufgrund eines Gesprächs Anfang E. 2016 mit dem Kläger betreffend das ausgesetzte Disziplinarverfahren als auch aus dem in der Hauptverhandlung vor der Strafkammer verlesenen Schreiben des Klägers vom 1. N. 2017 bekannt, dass aus dessen Sicht die Ermittlungen im Disziplinarverfahren abgeschlossen seien und nach Abschluss des Strafverfahrens Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung des Beklagten aus dem Dienst erhoben werden solle.
78Zwar beanstandet der Beklagte zu Recht, dass nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens im Mai 2017 keine – erneute – abschließende Anhörung nach § 31 LDG NRW erfolgt ist. Hierbei handelt es sich aber jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht – mehr – um einen wesentlichen Verfahrensfehler des Disziplinarverfahrens, weil Auswirkungen auf das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens auszuschließen sind. Der Beklagte hatte im gerichtlichen Verfahren Gelegenheit, sich zu den Tatvorwürfen und zur Würdigung des Ermittlungsergebnisses zu äußern. Von dieser Möglichkeit hat seine Prozessbevollmächtigte in der Klageerwiderung ausführlich Gebrauch gemacht und der Kläger hat sich mit diesem Vorbringen ebenfalls ausführlich in seinem Schriftsatz vom 22. N. 2019 auseinandergesetzt.
79Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Einwand des Beklagten, ihm sei der Abschlussvermerk des Klägers vom 4. Januar 2018 überhaupt nicht bekannt gegeben worden, obwohl in der Disziplinarklageschrift auf den Inhalt dieses Vermerks zur Vermeidung von Wiederholungen ausdrücklich Bezug genommen werde. Der Abschlussvermerk hätte dem Beklagten zwar tatsächlich mit Übersendung der Disziplinarklage zur Verfügung gestellt werden müssen, weil der Kläger in der Disziplinarklage auf diesen Vermerk verwiesen hat.
80Das führt allerdings zunächst nicht dazu, dass die Klageschrift nicht den Anforderungen des § 52 Abs. 2 Satz 1 LDG NRW genügt, die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet darzustellen. Die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, müssen hiernach aus sich heraus verständlich geschildert werden. Dem genügt die Klageschrift durch die Benennung der dem Beklagten vorgeworfenen Dienstvergehen auf den Seiten zwei bis elf der Klageschrift in Verbindung mit der eigenständigen Wiedergabe des Sachverhalts auf den Seiten 22 bis 30 der Klageschrift. Soweit der Kläger auf Seite 25 der Klageschrift zur Vermeidung von Wiederholungen auf Ausführungen unter 2a) und b) des Abschlussvermerks Bezug nimmt, handelt es sich lediglich um Erläuterungen zu Vorwürfen, die er nicht zum Gegenstand der Disziplinarklage gemacht hat. Ausführungen in dem Abschlussvermerk, die vom Beklagten in Bezug auf den Ermittlungsbericht geäußerte Einwände betreffen, sind demgegenüber wörtlich auf den Seiten 27 bis 30 der Klageschrift wiedergegeben. Das gilt auch für weitere Erkenntnisse zum Gesundheitszustand des Beklagten, die im Hinblick auf dessen Vorbringen in der Stellungnahme vom 7. Juli 2015 zum Ermittlungsbericht u. a. seiner Schwerbehindertenakte entnommen wurden.
81Dass dem Beklagten der Abschlussvermerk nicht bekannt gegeben wurde, führt auch nicht dazu, dass das Fehlen einer abschließenden Anhörung als wesentlicher Verfahrensmangel zu qualifizieren wäre. Der Beklagte konnte im Hinblick auf die Passagen des Abschlussvermerks, die gegenüber dem Ermittlungsbericht neue Tatsachen bzw. Erwägungen des Klägers betrafen, im gerichtlichen Verfahren reagieren, ohne den Disziplinarvorgang einsehen zu müssen, da diese in die Klageschrift wörtlich übernommen worden sind. Das Unterbleiben einer Übersendung des Abschlussvermerks hat damit eine sachgerechte Verteidigung des Beklagten gegen die disziplinaren Vorwürfe nicht erschwert. Der Inhalt des Abschlussvermerks wurde dem Beklagten auch nicht vorenthalten, wie er geltend macht. Er hätte den Vermerk im Disziplinarvorgang im Rahmen einer Akteneinsicht in die dem Verwaltungsgericht übersandten Verwaltungsvorgänge vollständig zur Kenntnis nehmen können.
82B.Der Beklagte hat in zwei Fällen als Amtsträger, der zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt ist, rechtlich erhebliche Tatsachen falsch beurkundet (I.). Er handelte dabei jeweils mit Verschulden (II.) und hat ein einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen begangen (III.).
83I.In tatsächlicher Hinsicht geht der Senat zunächst von den im Tatbestand wiedergegebenen Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Landgerichts C. vom 17. Mai 2017 (6 Ns 97/16) aus, an die das Berufungsgericht nach Maßgabe des § 56 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW gebunden ist (1.). Im Übrigen stützt er seine tatsächlichen Feststellungen auf das Geständnis des Beklagten, auf die sich aus den Strafakten ergebenden Beweismittel, auf den Inhalt der Schwerbehindertenakte und auf das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dr. L3. (2.).
841.Die Bindungswirkung eines strafgerichtlichen Urteils nach § 56 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW erstreckt sich auf sämtliche tatsächliche Feststellungen, die den Schuldspruch objektiv tragen; sie umfasst auch die Feststellung, dass der Beklagte die Tat vorsätzlich und nicht im Zustand der Schuldunfähigkeit i. S. v. § 20 StGB begangen hat.
85Aufgrund der Bindungswirkung der strafgerichtlichen Feststellungen steht damit für das Disziplinarverfahren fest, dass der Beklagte für sich zwischen Anfang Mai und dem 23. Juli 2013 vorsätzlich ohne vorheriges förmliches Verfahren einen Schwerbehindertenausweis mit einem GdB von 80 und den Merkmalen "G" und "B" hergestellt hat. Das zu Unrecht erteilte Merkzeichen "G" erlaubte ihm, landesweit unentgeltlich den Personennahverkehr zu nutzen, da er sich außerdem eine Wertmarke für das laufende Kalenderjahr verschaffte, die seinen Namen und das Aktenzeichen des falschen Schwerbehindertenausweises trug. Diese Wertmarke verwahrte er zusammen mit dem Ausweis in einer passenden Plastikhülle. Das ergibt sich aus dem in den Strafakten befindlichen Originalausweis (Hülle Bl. 15). Das Merkzeichen "B" berechtigte ihn darüber hinaus, ebenfalls unentgeltlich eine Begleitperson dabei zu haben. Dieser Ausweis diente als Ersatz für den ersten Ausweis, den er Anfang Mai 2013 in I. verloren hatte. Aufgrund der Einlassung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat steht ferner fest, dass er den Ausweis auf seiner Dienststelle angefertigt hat.
862.Zur Überzeugung des Senats steht auf der Grundlage der Einlassung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung und des Inhalts der Strafakten, insbesondere des Durchsuchungsberichts vom 23. Juli 2013, ferner fest, dass der Beklagte sich im Jahr 2008 den in der Strafakte, Hülle Blatt 5, befindlichen Schwerbehindertenausweis mit einem GdB von 70 und den Merkzeichen "G" und "B" ausstellte, den er für das Jahr 2013 mit einer Wertmarke versah.
87Dass der Beklagte sich den in I. verloren gegangenen Ausweis vorsätzlich selbst ausgestellt hat, steht aufgrund seines wiederholten Geständnisses außer Frage. Zum Tatzeitpunkt hat der Beklagte nach zunächst widersprüchlichen Angaben im Straf- und Disziplinarverfahren in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren klargestellt, dass er den Ausweis im Jahr 2008 anlässlich seines Wechsels nach S. -X. hergestellt hat. Zum Tatort hat er angegeben, auch diesen Ausweis auf der Dienststelle angefertigt zu haben.
88Der Senat ist davon überzeugt, dass diese Angaben des Beklagten den tatsächlichen Tathergang wiedergeben. Dafür spricht in Bezug auf den Tatzeitpunkt, dass er anlässlich der Durchsuchung seiner Büro- und Privaträume – nach Belehrung als Beschuldigter – erklärt hat, den ersten Ausweis nicht bereits 1999, sondern erst 2008 hergestellt zu haben, nachdem er vom Versorgungsamt in C. nach S. -X. habe wechseln müssen. Er habe dies getan, um die enormen Fahrtkosten zu kompensieren. Den Inhalt seines Aktenvermerks vom 25. Juli 2013 über diese Erklärungen des Beklagten hat KHK G1. anlässlich seiner Vernehmung als Zeuge durch die Strafrichterin in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht am 7. Juli 2016 bestätigt.
89II.Der Beklagte hat die ihm vorgeworfenen Falschbeurkundungen im Amt i. S. v. § 348 Abs. 1 StGB sowohl im Jahr 2008 und als auch zwischen Mai und Ende Juli 2013 vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft begangen.
90Das ergibt sich in Bezug auf die im Jahr 2013 begangene Tat aus den Feststellungen des Strafurteils vom 17. Mai 2017. Anhaltspunkte dafür, dass seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt oder ausgeschlossen gewesen wäre, bestanden dem Strafurteil zufolge nicht.
91Die Falschbeurkundung im Jahr 2008 hat der Beklagte ebenfalls vorsätzlich, rechtwidrig und schuldhaft begangen. Strafgerichtliche Feststellungen zu dieser Tat fehlen, da der Beklagte wegen dieser Tat nicht verurteilt worden ist. An der vorsätzlichen Tatbegehung bestehen keine Zweifel. Der Beklagte räumt sie ein. Auch eine Schuldunfähigkeit des Beklagten ist auszuschließen.
92Dass die Schuldfähigkeit des Beklagten auch bei Herstellung des ersten falschen Ausweises nicht ausgeschlossen war, ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem im Berufungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. L3. .
93Dieser hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 2. O. 2020 ausgeführt, eine auf einem der Eingangsmerkmale des § 20 StGB beruhende Aufhebung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Beklagten zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Taten könne sachverständig mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Beim Beklagten habe in den Jahren 2008 bis 2013 eine schwere depressive Symptomatik bestanden (ICD-10: F32.2). Eine Persönlichkeitsstörung sei nicht zu diagnostizieren, es sei aber von einer Akzentuierung von abhängigen Persönlichkeitszügen (ICD-10: Z73) auszugehen. Im Hinblick auf eine langjährige Alkoholproblematik sei bei dem Beklagten – auch in den fraglichen Zeiträumen – ein Abhängigkeitssyndrom in Bezug auf Alkohol (ICD-10: F10.2) anzunehmen. Gleichwohl habe im Tatzeitraum bereits kein Eingangsmerkmal im Sinne des § 20 StGB vorgelegen. Weder die abhängige Persönlichkeitsakzentuierung noch die Alkoholabhängigkeit hätten einen hinreichenden Schweregrad, um sie unter die insoweit allein in Betracht kommenden Merkmale einer krankhaften seelischen Störung oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit i. S. v. § 20 StGB zu subsumieren. Auch die beim Beklagten von 2008 bis 2013 vorliegende schwere depressive Episode erfülle nicht die Voraussetzungen einer krankhaften seelischen Störung in dem genannten Sinne. Den Schilderungen des Beklagten zufolge hätten sich aus dieser Erkrankung zwar Einschränkungen seines sozialen Handlungsvermögens ergeben, er sei aber dennoch in der Lage gewesen, seiner beruflichen Tätigkeit unter den belastenden Rahmenbedingungen der langen Fahrtzeit bzw. in dem für ihn stark belastenden Kontext am Arbeitsplatz nachzugehen. Seine Fehlzeiten seien im Zeitraum von 2008 bis 2013 durchschnittlich gewesen und hätten, soweit erkennbar, nicht auf nervenärztlichen Krankschreibungen beruht. Außerhalb des delinquenten Verhaltens des Beklagten habe sich infolge seiner psychischen Erkrankung keine forensisch relevante Einschränkung seines beruflichen Handlungsvermögens gezeigt. Insgesamt sei daher nicht erkennbar, dass die von 2008 bis 2013 vorliegende Depression das Leben des Beklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Auswirkungen gestört, belastet oder eingeengt habe, wie eine krankhafte seelische Störung (Gutachten vom 2. O. 2020, Seite 34).
94Auf der Grundlage dieser auf einer ausführlichen Untersuchung des Beklagten beruhenden Ausführungen, die der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung bekräftigt und erneut überzeugend begründet hat, ist der Senat davon überzeugt, dass eine Schuldunfähigkeit des Beklagten nach § 20 StGB schon deshalb ausgeschlossen ist, weil es am Vorliegen eines Eingangsmerkmals fehlt. An der fachlichen Kompetenz des Gutachters bestehen keine Zweifel. Der Beklagte hat keine Anhaltspunkte dargetan, die Zweifel an der Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen aufkommen lassen oder eine weitere Sachverhaltsaufklärung erforderlich machen. Solche sind auch für den Senat nicht ersichtlich.
95III.
96Die disziplinarische Würdigung des festgestellten Sachverhalts ergibt, dass der Beklagte sich eines – einheitlichen – innerdienstlichen Dienstvergehens im Kernbereich seiner Pflichten schuldig gemacht hat.
97Der Beklagte hat durch die zweifache Falschbeurkundung im Amt i. S. v. § 348 Abs. 1 StGB schuldhaft ihm obliegende Dienstpflichten verletzt und nach § 47 Abs. 1 BeamtStG ein Dienstvergehen begangen.
98Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, sind dem Beklagten disziplinarrechtlich zwei Falschbeurkundungen im Amt vorzuwerfen. Verfolgungsverjährung steht der Ahndung der bereits im Jahr 2008 begangenen ersten Tat nach den disziplinarrechtlichen Bestimmungen nicht entgegen. Die strafrechtlichen Verjährungsvorschriften sind für das Disziplinarverfahren ohne Belang. Ein insoweit allenfalls zu berücksichtigendes Disziplinarmaßnahmeverbot wegen Zeitablaufs gemäß § 15 LDG NRW greift für die vorliegend im Raum stehende Höchstmaßnahme nicht ein.
99Gemäß § 34 Satz 3 BeamtStG muss das Verhalten der Beamten der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordert. Das Verhalten eines Beamten muss so integer sein, dass der Dienstherr von ihm die ordnungsgemäße Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben erwarten kann und die Allgemeinheit ihm Respekt und Wertschätzung entgegenbringt. Das Verhalten eines Beamten wird diesen Vorgaben nicht gerecht, wenn es die Funktionsfähigkeit der Verwaltung unmittelbar (in der Erfüllung der Amtsaufgaben und der Wahrnehmung der dienstlichen Interessen) oder mittelbar (im Ansehen der Beamtenschaft nach außen) beeinträchtigt. Das ist in der Regel der Fall, wenn der Beamte gegen seine beruflichen Kernpflichten verstößt und der Verstoß außerdem zugleich ein strafbewehrtes Verhalten darstellt.
100Die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises, einer öffentlichen Urkunde i.S.v. §§ 415, 417 ZPO –
101vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2011 – B 5 R 56/10 R –, juris Rn. 25 –,
102ohne dass der davon Begünstigte ein förmliches Verfahren durchlaufen hat, in dem die fraglichen Feststellungen getroffen worden sind, stellt für einen Beamten, dessen Aufgabenbereich im Sachgebiet Schwerbehindertenangelegenheiten u. a. die Bearbeitung von Anträgen auf Feststellung einer Schwerbehinderung und das Ausstellen von Schwerbehindertenausweisen ist, eine Straftat und schon deshalb einen Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht dar. Sie ist zudem als innerdienstlicher Verstoß gegen die beruflichen Kernpflichten zu bewerten. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts auf Seite 22 der Urteilsausfertigung Bezug. Da der Beklagte die Schwerbehindertenausweise für sich ausgestellt hat, verstieß sein Verhalten ferner gegen die Dienstpflicht zu uneigennütziger Amtsführung. Insofern kann hier dahingestellt bleiben, ob die Darstellung zutrifft, die er zu den Gründen seines Handelns gibt. Selbst bei Fehlen wirtschaftlicher Motive ist die Inanspruchnahme ihm dienstlich zur Verfügung stehender Mittel – u. a. von Wertmarken, für die von Begünstigten ein nicht unerhebliches Entgelt zu zahlen ist – durch den Beklagten zu dem Zweck, für sich einen – von ihm als solchen gesehenen – Vorteil zu erlangen, nicht zu bezweifeln.
103C.Das vom Beklagten begangene Dienstvergehen führt nach einer Gesamtwürdigung sämtlicher zu berücksichtigender Gesichtspunkte zur Aberkennung des Ruhegehalts.
104Hat ein Beamter durch ein Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren, ist er aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen (§ 13 Abs. 3 Satz 1 LDG NRW). Der endgültige Verlust des Vertrauens ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen.
105Vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.07.2010 – 2 B 121.09 –, juris Rn. 5.
106Das Ruhegehalt ist abzuerkennen, wenn der Beamte als noch im Dienst befindlicher Beamter aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen (§ 13 Abs. 3 Satz 2 LDG NRW). So liegt der Fall hier. Denn der Beklagte hat durch das Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren (§ 13 Abs. 3 Satz 1 LDG NRW).
107Das Dienstvergehen des Beklagten ist von einer Schwere, die schon für sich genommen die Verhängung der Höchstmaßnahme indiziert. (I.). Die angemessene Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beklagten gibt keinen Anlass, eine andere als die indizierte Disziplinarmaßnahme zu verhängen (II.). Auch die Berücksichtigung des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit führt zu keiner abweichenden Beurteilung (III.). Die Disziplinarmaßnahme steht schließlich unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten (IV.).
108Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.2013 – 2 C 63.11 –, juris Rn. 13.
109I.Für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens richtungweisend. Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Hiernach indiziert das Dienstvergehen die Verhängung der Höchstmaßnahme.
110Bei der disziplinaren Maßnahmebemessung ist auch bei einem innerdienstlichen Dienstvergehen, das ein strafbares Verhalten zum Gegenstand hat, für die Bestimmung der Schwere des Fehlverhaltens auf den gesetzlichen Strafrahmen zurückzugreifen, weil der Gesetzgeber mit der Strafandrohung seine Einschätzung zum Unwert eines Verhaltens verbindlich zum Ausdruck gebracht hat.
111Vgl. BVerwG, Urteile vom 24.10.2019 – 2 C3.18 –, juris Rn. 28, und vom 10.12.2015 – 2 C 6.14 –, juris Rn. 19; Beschluss vom 05.07.2016 – 2 B 24.16 – juris Rn. 14.
112Schwerwiegende Vorsatzstraftaten bewirken generell einen Vertrauensverlust, der unabhängig vom jeweiligen Amt zu einer Untragbarkeit der Weiterverwendung als Beamter führt. Während gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zwingend den Verlust der Beamtenrechte zur Folge hat und damit aus der Höhe der verhängten Strafe unwiderleglich auf das Ausmaß der Vertrauensbeeinträchtigung geschlossen wird, hat unterhalb dieses Strafmaßes eine Zuordnung bestimmter Straftaten zu einer der im Katalog des § 5 LDG NRW aufgeführten Disziplinarmaßnahmen nach dem Ausmaß des im konkreten Einzelfall hervorgerufenen Vertrauensschadens zu erfolgen, wenn die betreffende Straftat nicht deliktsbezogen als nachhaltig das Vertrauen schädigend identifiziert ist.
113Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.10.2019– 2 C 3.18 –, juris Rn. 24-26 m.w.N.
114Eine solche deliktsbezogene Zuordnung zu einer bestimmten Disziplinarmaßnahme gibt es bei einer vorsätzlichen Falschbeurkundung im Amt zwar nicht. Das objektive Gewicht eines solchen Delikts im Amt belegt jedoch schon der in § 348 Abs. 1 StGB vorgesehene Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Begeht ein Beamter innerdienstlich unter Ausnutzung seiner Dienststellung eine Straftat, für die das Strafgesetz als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren – hier sind es bis zu fünf Jahre – vorsieht, reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
115Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.2015 – 2 C6.14 –, juris Rn. 20.
116Dies zugrunde gelegt handelt es sich bei der Falschbeurkundung im Amt i. S. v. § 348 Abs. 1 StGB, derentwegen der Beklagte zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist, um eine schwerwiegende Straftat, für die disziplinarrechtlich die Verhängung der Höchstmaßnahme angezeigt sein kann. Dem steht nicht entgegen, dass dieser Straftat tatbestandsmäßig der innerdienstliche Charakter und die Ausnutzung der Dienststellung innewohnt. Dies ist kein Grund, bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung von Amtsdelikten von der Maßgeblichkeit der in der Strafandrohung dokumentierten Bewertung der Deliktsschwere durch den Gesetzgeber abzuweichen.
117Insofern ist vielmehr zu berücksichtigen, dass eine solche Straftat typischerweise in besonderem Maße geeignet ist, das Ansehen des Beamtenstandes zu beeinträchtigen und das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Sicherheit behördlicher Urkundstätigkeit schwer zu erschüttern. Die Sicherheit des Urkundenverkehrs ist für die öffentliche Verwaltung von besonderer Bedeutung. Sie muss sich bei ihren Entscheidungen weitgehend auf Urkunden stützen und ist dabei auf deren Echtheit angewiesen. Ein Beamter, der sich dieser Erkenntnis verschließt oder sich darüber hinwegsetzt, erleidet ein hohes Maß an Vertrauenseinbuße.
118Vgl. zur notariellen Falschbeurkundung: S-H OLG, Urteil vom 11.12.1998 – X (Not) 4/98 –, juris Rn. 16, für eine (einmalige) innerdienstliche Urkundenfälschung eines Polizeibeamten vgl. BVerwG, Urteil vom 21.08.1996 – 1 D 66.95 –, juris Rn. 32 m.w.N.
119Insbesondere wiederholte Falschbeurkundungen können unbeschadet ihrer strafrechtlichen Würdigung nach § 348 Abs. 1 StGB durchaus so schwerwiegend sein, dass sie eine Entfernung aus dem Amt rechtfertigen.
120Vgl. BGH, Urteil vom 08.05.1995 – NotSt (Brfg) 2/94 –, juris Rn. 10.
121Da der Beklagte als Beamter des Klägers damit betraut war, u. a. Anträge auf Feststellung einer Schwerbehinderung zu bearbeiten und Schwerbehindertenausweise auszustellen, hat er sich mit der falschen Beurkundung zweier Schwerbehindertenausweise, ohne dass dem ein förmliches Verfahren zugrunde gelegen hätte, Verfehlungen schuldig gemacht, die den Kernbereich seiner Tätigkeit als Beamter in dem ihm übertragenen Aufgabenbereich betreffen. Er hat sich für die Tatbegehung dienstlich eingeräumter (Zugangs-)Möglichkeiten bedient. Das gilt insbesondere auch für die Wertmarken für das Jahr 2013, die er mit den erforderlichen Daten zu seiner Person und mit einem Aktenzeichen versehen hat.
122Die weiteren Einzelumstände verleihen dem Dienstvergehen des Beklagten ebenfalls ein solches Gewicht, dass der Orientierungsrahmen „nach oben“ auszuschöpfen ist.
123Der Senat legt ebenso wie das Verwaltungsgericht zugrunde, dass der Beklagte sich die beiden Ausweise im eigenen Interesse erstellt hat. Der Beklagte hat sowohl im Strafverfahren als auch gegenüber dem Sachverständigen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2021 erklärt, dass er sich mit den Ausweisen wohler fühlte. Schon dies ist ein persönlicher Nutzen, den er mit der Begehung seiner Dienstpflichtverletzungen erstrebte. Der Beklagte hat in den Ausweisen ferner nicht nur einen unzutreffend hohen GdB von 70 bzw. später von 80 eingetragen, sondern auch mit dem erforderlichen Stempel jeweils die Merkzeichen "G" und "B" als vermeintlich zutreffend gekennzeichnet. Diese Merkzeichen sind zwar, wie er gegenüber der Strafrichterin angemerkt hat, tatsächlich in dem Vordruck enthalten, deren Zuerkennung setzt aber einen entsprechenden Stempel voraus, den der Beklagte im Rahmen der Herstellung des falschen Ausweises jeweils aufgebracht hat. Darüber hinaus hat er die Ausweise jedenfalls im Jahr 2013 mit den Wertmarken versehen, die den Inhaber und seine Begleitperson zu einer unentgeltlichen Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs berechtigten und gegen eine Eigenbeteiligung i. H. v. 72 Euro erhältlich sind, die von dem Beklagten allerdings nicht entrichtet wurde. Hierdurch besaßen die Ausweise einen hohen wirtschaftlichen Wert.
124Diese Ausweise hat der Beklagte nicht lediglich bei sich zuhause aufbewahrt und im Bett betrachtet. Vielmehr hat er beide Ausweise in einer Brieftasche bzw. in einer Tasche mit sich geführt. Das ergibt sich hinsichtlich des ersten Ausweises zunächst aus der Tatsache des Auffindens in I. . Zudem wird eine über ein "Betrachten im Bett" erheblich hinausgehende Nutzung belegt durch die deutlichen Spuren der Abnutzung im Bereich der mittigen Faltung dieses Ausweises, die auf ein Zusammenfalten zurückzuführen ist. Dieser ausgeblichene Knick, in dessen Bereich die Eintragungen nicht zu lesen sind, deutet auf einen häufigen Transport in einer Brieftasche oder in einem Portemonnaie hin. Dasselbe ergibt sich aus den Abdrücken der Ösen, mit denen das Passfoto befestigt wurde, auf der gegenüberliegenden Seite des Ausweises. Den zweiten Ausweis hat der Beklagte jedenfalls am Tag der Durchsuchung in einer Arbeitstasche mit zu seiner Dienststelle genommen. Der Beklagte hat im Übrigen bereits gegenüber dem Sachverständigen erklärt, die Ausweise durchaus mit sich geführt zu haben (S. 22 des Gutachtens). Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er eingeräumt, die falschen Ausweise bei seinen Fahrten zur Dienststelle immer mal wieder mitgenommen und manchmal darüber nachgedacht zu haben, den falschen Ausweis einzusetzen, sich dann aber immer dagegen entschieden zu haben. Dass er die falschen Ausweise tatsächlich genutzt hat, lässt sich zwar nicht feststellen. Da er sie jedoch bewusst und gewollt mit sich geführt hat, hätte er sie ohne Weiteres einsetzen können. Diese Möglichkeit der Nutzung reicht aus, um eine Falschbeurkundung im – auch – wirtschaftlichen Eigeninteresse zu bejahen. Dass es dem Beklagten auch auf diese Nutzungsmöglichkeit ankam, belegt zur Überzeugung des Senats die Aktualisierung des ersten Ausweises durch Beifügen der mit Namen und Aktenzeichen versehenen Wertmarke für das Jahr 2013. Dies wäre bei einem lediglich als "Fetisch" dienenden Schriftstück nicht erforderlich gewesen. Der Beklagte hat auch in der mündlichen Verhandlung nicht zu erläutern vermocht, warum er den Ausweis mit dieser aktuellen Wertmarke versehen hat, wenn er gar nicht von den damit verbundenen Vergünstigungen hätte Gebrauch machen wollen. In gleicher Weise bewertet es der Senat, dass der Beklagte auch dem zweiten hergestellten falschen Schwerbehindertenausweis eine Wertmarke für 2013 beigefügt hat.
125Weiter erschwerend wirken sich folgende Gesichtspunkte aus: Der Beklagte hat über einen langen Zeitraum von mehr als fünf Jahren den falschen Ausweis zu seiner Verfügung gehalten und sein Vergehen jedenfalls im Jahr 2013 durch Beifügen der individuell beschrifteten Wertmarke aktualisiert. Er hat es nicht bei dieser einen Fälschungstat belassen, sondern sich nach dem Verlust des verloren gegangenen Ausweises in gleicher Weise Ersatz beschafft. Dieses wiederholte Fehlverhalten weist ferner eine Steigerungstendenz auf. Der Beklagte hat anlässlich der Herstellung des zweiten falschen Ausweises im Jahr 2013 den bescheinigten GdB auf 80 heraufgesetzt. Dass er überhaupt nach fünf Jahren weiterhin im Besitz eines alten Stempels des Versorgungsamtes gewesen ist, deutet zudem darauf hin, dass er diesen Stempel nach der Auflösung dieser Dienststelle für eventuelle weitere Fälschungen vorgehalten hat.
126Ein geringeres Gewicht der Pflichtverletzungen ergibt sich nicht daraus, dass der Beklagte unkontrolliert Zugang zu sämtlichen Vordrucken und Stempeln gehabt hat. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts auf Seite 26 der Urteilsausfertigung Bezug.
127Auch die vom Landgericht C. in seinem Urteil vom 17. Mai 2017 verhängte Geldstrafe, die sich im unteren Bereich des gesetzlichen Strafrahmens bewegt, spricht nicht für ein minderes Gewicht des Dienstvergehens.
128Bei einem innerdienstlichen Dienstvergehen, bei dem der Beamte nicht wie jeder andere Bürger, sondern in seiner dienstlichen Pflichtenstellung und damit als Garant einer unparteilichen und gesetzestreuen Verwaltung betroffen ist, kommt dem ausgeurteilten Strafmaß bei der Bestimmung der konkreten Disziplinarmaßnahme bereits keine "indizielle" oder "präjudizielle" Bedeutung zu.
129Vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.07.2016 - 2 B 24.16 -, juris Rn. 15.
130Das gilt auch bei Straftaten im Amt. Der Beklagte weist zwar zu Recht darauf hin, dass das Strafgericht das sachnähere Gericht ist, um umfassende Erwägungen zur Strafzumessung zu treffen. Die disziplinarrechtliche Ahndung insbesondere eines innerdienstlichen Dienstvergehens dient aber nicht der strafrechtlichen Sanktionierung des Pflichtenverstoßes, sondern der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes. Deshalb muss – und darf – sich das Disziplinargericht nicht an einer – im Streitfall ohnehin nicht unerheblichen – Geldstrafe orientieren, sondern hat bei seiner Bemessungsentscheidung in Ausübung der ihm übertragenen Disziplinarbefugnis eigenständig und ohne Bindung an strafgerichtliche Zumessungserwägungen zu entscheiden, ob der betroffene Beamte durch das innerdienstlich begangene Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat und deshalb aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist.
131Vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.07.2016 – 2 B 24.16 –, juris Rn. 16.
132Anzumerken bleibt, dass eine Geldstrafe ohnehin nicht als eine Art minderer Strafe anzusehen ist.
133Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.10.2019 – 2 C3.18 –, juris Rn. 35 m.w.N.
134Vielmehr ist im Blick zu halten, dass die Geldstrafe im Strafgesetzbuch gleichwertig zur Freiheitsstrafe als Hauptstrafe konzipiert ist. Die Geldstrafe ist eine Strafe, die nur durch ein Strafurteil oder durch einen Strafbefehl im Strafprozess nach Feststellung der Schuld des Täters (§ 46 Abs. 1 StGB) verhängt werden kann. Sie ist als schuldangemessene Strafe von Gewicht von zivil- oder öffentlich-rechtlichen Geldbußen, Ordnungsgeldern, Zwangsgeldern oder anderen Ordnungsmitteln zu unterscheiden. Ebenso ist sie von der bloßen Geldauflage bei einer Verfahrenseinstellung zu unterscheiden.
135Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.10.2019 – 2 C3.18 –, juris Rn. 37 ff., mit eingehender Begründung.
136Bei einer irgendwie gearteten Berücksichtigung der strafrechtlichen Verurteilung des Beklagten wäre zudem zu beachten, dass er im Strafverfahren nur für die Herstellung des zweiten Ausweises belangt worden ist, weil bezüglich der ersten Tat von einer Verfolgungsverjährung ausgegangen wurde. Im Disziplinarverfahren sind demgegenüber zwei Falschbeurkundungen zu ahnden, von denen sich die erste auf einen Ausweis bezieht, den der Beklagte über fünf Jahre besessen und ausweislich der Abnutzungsspuren häufig mit sich geführt und jedenfalls im Jahr 2013 noch mit einer aktuellen Wertmarke ausgestattet hat.
137II.Ist demzufolge die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung für das dem Beklagten zur Last fallende Dienstvergehen, so kommt es für die Bestimmung der im konkreten Einzelfall zu verhängenden Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere indizierte Maßnahme geboten ist.
138Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.2013 – 2 C 63.11 –, juris Rn. 17 m.w.N. sowie Beschluss vom 01.03.2012 – 2 B 140.11 –, juris Rn. 9.
139Im Streitfall sind keine außergewöhnlichen Umstände erkennbar, die zu einer Abweichung von der durch die Schwere des Dienstvergehens indizierten Disziplinarmaßnahme führten.
140Das Bemessungskriterium „Persönlichkeitsbild des Beamten" gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 LDG NRW erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor, bei und nach Tatbegehung. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder ob es etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder psychischen Ausnahmesituation davon abweicht.
141Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.12.2013 – 2 B 35.13 –, juris Rn. 6.
142In diesem Zusammenhang sind zunächst die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten sogenannten "anerkannten" Milderungsgründe zu berücksichtigen, denen als gemeinsames Kennzeichen eigen ist, dass sie regelmäßig zu einer Disziplinarmaßnahme führen, die um eine Stufe niedriger liegt als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme, es sei denn es liegen gegenläufige, belastende Umstände vor (1.).
143Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.12.2013 – 2 B 35.13 –, juris Rn. 27
144Unter der Geltung der Bemessungsvorgaben des § 13 Abs. 2 Satz 1 bis 3 LDG NRW dürfen allerdings weitere entlastende Gesichtspunkte nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil sie für das Vorliegen eines solchen anerkannten Milderungsgrundes ohne Bedeutung sind oder nicht ausreichen, um dessen Voraussetzungen – im Zusammenwirken mit anderen Umständen – zu erfüllen. Sie sind vielmehr in die gebotene Gesamtbetrachtung einzubeziehen (2.).
145Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.12.2013 – 2 B 35.13 –, juris Rn. 21, 26.
1461.
147Sogenannte "anerkannte" Milderungsgründe liegen nicht vor.
148a)Zugunsten des Beklagten greift nicht der Milderungsgrund einer verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB.
149Eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne von § 20 StGB bei der Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Hat der Beamte zum Tatzeitpunkt an einer krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB gelitten oder hat ein anderes der dort genannten Merkmale vorgelegen oder kann eine solche Störung nach dem Grundsatz in dubio pro reo nicht ausgeschlossen werden und ist die Verminderung der Schuldfähigkeit des Beamten erheblich, so ist dieser Umstand bei der Bewertung der Schwere des Dienstvergehens mit dem ihm zukommenden erheblichen Gewicht heranzuziehen. Bei einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit kann die Höchstmaßnahme regelmäßig nicht mehr ausgesprochen werden.
150Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.01.2012 – 2 B 78.11 –, juris Rn. 5 m.w.N.
151Bestehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Fähigkeit des Beamten, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne von § 20 StGB erheblich gemindert war, sind die Verwaltungsgerichte folglich gehalten, die Frage einer Minderung der Schuldfähigkeit des Beamten aufzuklären.
152Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.01.2015 – 2 B 15.14 –, juris Rn. 18.
153Eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit i. S. v. § 21 StGB lag bei dem Beklagten im Tatzeitraum nicht vor. Dies ergibt sich aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. L3. in seinem schriftlichen Gutachten vom 2. O. 2020. Nach diesem überzeugenden Gutachten, das der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat noch einmal bekräftigt hat, litt der Beklagte im Tatzeitraum bereits nicht unter einer krankhaften seelischen Störung im Sinne eines Eingangsmerkmals nach § 20 StGB. Bei der von § 21 StGB vorgegebenen zweistufigen Prüfung ist schon aus diesem Grunde die Annahme einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit gemäß dieser Vorschrift ausgeschlossen.
154Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.03.2016 – 2 B 79.18 –, juris Rn. 10 f. m. w. N.
155Abgesehen davon hat der Sachverständige in seinem Gutachten (neben einer Aufhebung) auch eine Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Beklagten zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Taten sachverständig mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen. Auch diese Ausführungen sind nach Bewertung des Senats überzeugend. Insbesondere pflichtet er dem Hinweis des Gutachters bei, dass die Tatcharakteristik durchgreifend gegen eine nennenswerte Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Beklagten bei Tatbegehung spricht. Der Beklagte hat den Ausführungen des Gutachters nichts entgegengesetzt.
156b)Das Verhalten des Beklagten stellt sich nicht als einmalige persönlichkeitsfremde Augenblickstat im Zuge einer plötzlich entstandenen Versuchungssituation dar. Dies würde voraussetzen, dass es sich bei der Dienstpflichtverletzung um eine durch eine spezifische Versuchungssituation hervorgerufene Kurzschlusshandlung handelte, und dass sich eine Wiederholung in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten ausschließen lässt. Das wiederum hängt davon ab, ob sich der Beamte zuvor dienstlich wie außerdienstlich tadellos verhalten hat, wobei Verfehlungen auf einem völlig anderen Gebiet außer Betracht bleiben. Es kommt darauf an, ob das Fehlverhalten nach dem Gesamtbild der Persönlichkeit des Beamten eine einmalige Entgleisung darstellt.
157Vgl. BVerwG, Beschluss vom 09.10.2014 – 2 B 60.14 –, juris Rn. 29 m.w.N.
158Hier fehlt es bereits an einer außergewöhnlichen, nicht zu den gewohnten dienstlichen Aufgaben des Beklagten gehörenden Versuchungssituation. Der Beklagte missbrauchte ihm dienstlich zur Verfügung stehende Vordrucke und Stempel, auf die er grundsätzlich jederzeit zugreifen konnte.
159Zudem fällt dem Beklagten ein mehrfacher Pflichtverstoß zur Last, so dass von einer einmaligen Entgleisung keine Rede sein kann.
160c)Das Geständnis des Beklagten wirkt sich ebenfalls nicht durchgreifend mildernd aus.
161Das Offenbaren der Tat stellt einen gewichtigen Milderungsgrund dar, wenn es vor deren Aufdeckung erfolgt, weil dies eine „Umkehr“ des Beamten aus freien Stücken dokumentiert und Anknüpfungspunkt für die Erwartung sein kann, die verursachte Ansehensschädigung könne wettgemacht werden.
162Vgl. BVerwG, Urteile vom 28.07.2011 – 2 C 16.10 –, juris Rn. 36 f., und vom 09.05.1990– 1 D 81.89 –, juris Rn. 16.
163Demgegenüber legte der Beklagte sein Geständnis erst ab, nachdem ihm das Auffinden des ersten Ausweises und der Verdacht, dass es sich um das Produkt einer falschen Beurkundung handeln könnte, eröffnet und der Durchsuchungsbeschluss vorgelegt worden war. In dieser Situation war die Beweislage hinsichtlich der ersten Fälschung erdrückend, die Aufdeckung der zweiten stand unmittelbar bevor. Die zunächst eingestandene Absicht, mit Hilfe der falschen Ausweise Fahrtkosten zu kompensieren, stellt er zudem nunmehr in Abrede. Weitere wesentliche Beiträge zur Aufklärung der Straftaten leistete er nicht.
1642.Entlastende Aspekte des Persönlichkeitsbildes sind bei der Maßnahmebemessung auch dann zu berücksichtigen, wenn sie keinen der "anerkannten" Milderungsgründe verwirklichen. Diese Milderungsgründe bilden aber Vergleichsmaßstäbe für die Bewertung, welches Gewicht entlastenden Gesichtspunkten in der Summe zukommen muss, um eine Fortsetzung des Beamtenverhältnisses in Betracht ziehen zu können. Generell gilt, dass deren Gewicht umso größer sein muss, je schwerer das Dienstvergehen im Einzelfall wiegt.
165Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.2013 – 2 C 63.11 –, juris Rn. 25, Beschluss vom 20.12.2013 – 2 B 35.13 –, juris Rn. 21.
166Ausgehend von diesen Maßstäben kommt den in den Blick zu nehmenden den Beklagten entlastenden Gesichtspunkten weder für sich genommen noch in ihrer Gesamtheit ein solches Gewicht zu, dass sie eine Maßnahmemilderung für das ihm zur Last fallende Dienstvergehen rechtfertigten.
167a)Der Milderungsgrund einer „Entgleisung während einer negativen, inzwischen überwundenen Lebensphase“ kann dem Beklagten nicht zu Gute gehalten werden. Eine so genannte negative Lebensphase während des Tatzeitraums kann je nach den Umständen des Einzelfalles mildernd berücksichtigt werden. Dies gilt allerdings nur für außergewöhnliche Verhältnisse, die den Beamten zeitweilig aus der Bahn geworfen haben. Hinzukommen muss, dass er die negative Lebensphase in der Folgezeit überwunden hat. Die Berücksichtigung einer schwierigen, inzwischen überwundenen Lebensphase liegt dabei vor allem dann nahe, wenn sich der Pflichtenverstoß als Folge der Lebensumstände darstellt. Dieser Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, dass die Frage, welche Disziplinarmaßnahme zu verhängen ist, insbesondere ob ein Beamter trotz eines gravierenden Dienstvergehens noch tragbar ist, nach dem Zweck der disziplinarrechtlichen Sanktionierung stets in Ansehung der gesamten Persönlichkeit zu beantworten ist.
168Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.02.2013 – 2 C3.12 –, juris Rn. 40 f. m.w.N., Beschluss vom 09.10.2014 – 2 B 60.14 –, juris Rn. 32.
169Es muss sich um eine persönlich besonders belastende Situation gehandelt haben, die so gravierend ist, dass die Pflichtverletzung des Beamten in einem milderen Licht erscheint, weil ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten vom Beamten nicht mehr erwartet und damit nicht mehr vorausgesetzt werden kann.
170Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.06.2016 – 2 B 49.15 –, juris Rn. 11.
171Der Senat hat im Blick, dass der Beklagte durch eine Beziehungskrise einerseits und aufgrund der weiten Entfernung von seinem neuen Arbeitsplatz andererseits im Jahr 2008 erheblichen psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt war. Die Belastungen durch den Wechsel nach S. -X. hielten bis zu seiner Suspendierung im Sommer 2013 an. Gleichwohl wurde der Beklagte hierdurch nicht im Sinne des Milderungsgrundes der „Entgleisung während einer negativen, inzwischen überwundenen Lebensphase“ aus der Bahn geworfen. Dagegen spricht bereits, dass er seiner Arbeit weiterhin ohne Auffälligkeiten nachgehen konnte und im Tatzeitraum nicht durch außergewöhnlich häufige krankheitsbedingte Fehlzeiten aufgefallen ist.
172b)Für den Beklagten sprechen allerdings seine fehlende strafrechtliche und disziplinare Vorbelastung und die langjährige unbeanstandete Dienstausübung. Das im Übrigen beanstandungsfreie dienstliche und außerdienstliche Verhalten führt jedoch weder für sich genommen noch in der Gesamtschau mit den weiteren angesprochenen Gesichtspunkten zu einem anderen Abwägungsergebnis. Eine langjährige Dienstleistung ohne Beanstandungen fällt jedenfalls bei gravierenden Dienstpflichtverletzungen, wie sie hier in Rede stehen, gegenüber der Schwere des Dienstvergehens in aller Regel nicht mildernd ins Gewicht. Denn jeder Beamte ist verpflichtet, dauerhaft bestmögliche Leistungen bei vollem Einsatz der Arbeitskraft zu erbringen und sich innerhalb und außerhalb des Dienstes achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten. Eine langjährige Erfüllung dieser Verpflichtung kann nicht dazu führen, dass die Anforderungen an das innerdienstliche Verhalten abgesenkt werden.
173Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.01.2013 – 2 B 63.12 –, juris Rn. 13.
174c)Anhaltspunkte für eine Mitverursachung durch den Dienstherrn oder für ein Mitverschulden gibt es nicht. Wenn konkrete Anhaltspunkte für ein teilweise entlastendes Mitverschulden von Vorgesetzten – etwa im Hinblick auf eine nicht hinreichende Wahrnehmung der Dienstaufsicht – erkennbar werden, kann sich dies tatmildernd zugunsten des (Ruhestands)beamten auswirken. Mangelnde Dienstaufsicht kann als Ursache einer dienstlichen Verfehlung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme dann mildernd berücksichtigt werden, wenn Kontrollmaßnahmen durch Vorgesetzte aufgrund besonderer Umstände unerlässlich waren und pflichtwidrig unterlassen wurden.
175Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.09.2003 – 2 WD 49.02 –, juris Rn. 23.
176Solche Umstände sind nicht ersichtlich. Allein die vom Beklagten angeführte Tatsache, dass ihm Vordrucke in unbeschränkter Anzahl zur Verfügung gestanden hätten, reicht als dem Dienstherrn zuzurechnende Mitursache einer dienstlichen Verfehlung nicht aus. Das beruht auf dem Beklagten – letztlich zu Unrecht – entgegengebrachtem Vertrauen einerseits und dem Bedürfnis nach einer reibungslosen Verfahrensgestaltung andererseits. Es gibt keinen Anlass für die Annahme eines Mitverschuldens des Dienstherrn, wenn den Beamten lediglich die für die Erledigung ihrer Kernaufgaben erforderlichen Materialien zur pflichtgemäß eigenverantwortlichen Bearbeitung zur Verfügung gestellt werden. Anhaltspunkte dafür, dass dem Beklagten eine solche eigenverantwortliche Tätigkeit nicht zuzutrauen gewesen wäre, sind ebensowenig zu erkennen wie dem Dienstherrn erkennbare Umstände, die zu einer besonderen Kontrolle des Beklagten hätten führen müssen.
177d)Der Senat hat weiter im Blick, dass ggf. auch krankhafte Beeinträchtigungen der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit unterhalb der Schwelle einer seelischen Abartigkeit des §§ 20, 21 StGB bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigen sind.
178Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.02.2017 – 2 B 85.16 –, juris Rn. 10.
179Unabhängig davon, ob dieser Gesichtspunkt, den das Bundesverwaltungsgericht bislang ausdrücklich nur in Bezug auf das Eingangsmerkmal einer seelischen Abartigkeit (§ 20 Alt. 4 StGB in der bis Ende 2020 geltenden Fassung) angeführt hat, auch bei einer krankhaften seelischen Störung von Bedeutung sein kann, ist der Senat davon überzeugt, dass bei dem Beklagten die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit im Tatzeitraum nicht durch die bei ihm festgestellten psychischen Erkrankungen beeinträchtigt gewesen ist.
180Der Sachverständige hat bereits in seinem schriftlichen Gutachten auf den Seiten 34 f. dargelegt, dass sich aus sachverständiger Sicht kein Hinweis auf eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Beklagten zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Taten ergibt; diese Fähigkeit sei vielmehr intakt gewesen. Dies hat der Sachverständige überzeugend mit dem Fehlen forensisch relevanter psychopathologischer Funktionsbeeinträchtigungen und der komplexen Tatcharakteristik begründet. Den Schilderungen des Beklagten seien keine Anhaltpunkte für etwa innere drängende Aspekte, die seine Handlungskompetenz korrumpiert hätten, zu entnehmen. Es handele sich ferner nicht um kurze abrupte Taten, sondern um lang hingezogene und komplexe Handlungen, die ein logisch-schlüssiges Vorgehen erforderten. Beeinträchtigungen der Einsichtsfähigkeit hat der Sachverständige mangels relevanter kognitiv-intellektueller Einbußen oder erheblicher psychotischer Realitätsverkennung ebenfalls überzeugend verneint.
181Diese Einschätzung hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung auf ergänzende Nachfragen bekräftigt und erneut eingehend begründet. Er halte daran fest, dass bei dem Beklagten sicherlich keine strafrechtlich relevante Schuldminderung auf der Ebene der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit festzustellen sei. Er habe auch keine Anhaltspunkte gefunden, die positiv für eine Einflussnahme der krankhaften Beeinträchtigung auf die Tathandlungen sprächen. Ausgehend von der ihm unterbreiteten Fragestellung und unter Berücksichtigung der "Aufweichung" gegenüber den strafrechtlichen Kategorien könne er allerdings eine Beeinflussung der Steuerungsfähigkeit des Beklagten durch dessen krankhafte Störungen bei Tatbegehung letztlich auch nicht ausschließen.
182Die Ausführungen des Sachverständigen sind im Hinblick auf die für die Herstellung einer in sich schlüssigen Urkunde in Bezug auf inhaltliche Gestaltung und praktische Anfertigung erforderliche Sorgfalt nachvollziehbar und für den Senat überzeugend. Zu einem solchen planmäßigen Vorgehen war der Beklagte in beiden Fällen der Falschbeurkundung offenkundig in der Lage. So hat er den ersten im Jahr 2008 erstellten Ausweis als im Jahr 1999 ausgestellt erscheinen lassen und ein dazu passendes altes Passfoto verwendet. Passend zu dieser "Legende" hat er diesen Ausweis mit Stempeln betreffend Verlängerungen in den Jahren 2004 und 2007 versehen und in ein weiteres Feld den Stempel "unbefristet gültig" gesetzt. Auch bei dem zweiten Ausweis hat er das Datum der ersten Erstellung um mehrere Jahre auf das Jahr 2008 – passend zu den verwendeten Stempeln des früheren Versorgungsamtes C. – zurückdatiert und wiederum ein zeitlich passendes Foto angebracht. Gegen psychopathologische Funktionsbeeinträchtigungen spricht ferner, dass der Beklagte seinen Dienst ohne von ihm berichtete oder aktenkundige Auffälligkeiten leistete. Nach Aktenlage führte er zudem regelmäßig mehrstündige private Telefonate.
183Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die Ausführungen des Sachverständigen zur 4. Beweisfrage in seinem schriftlichen Gutachten vom 2. O. 2020. Hierzu hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt, diese Erläuterungen beruhten auf einem – gemessen an strafrechtlichen Kategorien – sehr niedrigschwelligen Maßstab. Er sei bei der Beantwortung dieser Frage davon ausgegangen, dass sie gegenüber den strafrechtlichen Kategorien eine "Aufweichung" sowohl hinsichtlich des Eingangsmerkmals als auch hinsichtlich der Auswirkungen auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit enthalte. Vor diesem Hintergrund habe er die Depressionen beim Beklagten und seine Persönlichkeitsakzentuierung im Zusammenspiel betrachtet und den Versuch einer "Deliktshypothese" unternommen. Die Taten trügen seines Erachtens auch Züge einer "Eigentherapie" des Beklagten in der Form, dass er seinem Dienstherrn gleichsam "eins habe auswischen" wollen. Hieraus ergibt sich, dass dem Beklagten auch in Anwendung des Zweifelsgrundsatzes eine Beeinträchtigung durch eine krankhafte seelische Störung "unterhalb" des Eingangsmerkmals des § 20 StGB nicht mildernd zugute gehalten werden kann. Der Sachverständige beschreibt im Rahmen der von ihm entwickelten "Deliktshypothese" im Kern eine von ihm als realistisch angesehene Motivation des Beklagten. Hierbei will er einen Einfluss krankhafter psychischer Beeinträchtigungen letztlich nicht ausschließen. Auf der anderen Seite sieht er aus sachverständiger Sicht keine Anhaltpunkte, die positiv für einen Einfluss der krankhaften Beeinträchtigung des Beklagten auf das Tatgeschehen sprechen. Auf der Grundlage dieser Feststellungen des Sachverständigen sieht der Senat keinen Ansatzpunkt für die Möglichkeit, dass sich die psychischen Erkrankungen des Beklagten auf sein Fehlverhalten ausgewirkt haben. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist damit für eine Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" kein Raum.
184e)
185Abgesehen davon rechtfertigten die Ausführungen des Sachverständigen zur 4. Beweisfrage nach Überzeugung des Senats selbst bei Annahme einer – nach dessen Ausführungen ganz eindeutig unterhalb eines strafrechtlich bedeutungsvollen Maßes liegenden – krankheitsbedingten Beeinflussung der Steuerungsfähigkeit keine Milderung der durch die ganz erhebliche Schwere des Dienstvergehens indizierten Disziplinarmaßnahme. Das gilt auch unter Berücksichtigung der vom Beklagten geltend gemachten und sich aus den Akten ergebenden Lebensverhältnisse einschließlich seiner Biographie sowie der familiären und finanziellen Belastungen. Solche Gesichtspunkte können zwar unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen einer Entgleisung in einer negativen Lebensphase in die Abwägung einbezogen werden. Dies gilt auch für eine Alkoholerkrankung und das langjährige Vorliegen einer – jedenfalls nach Einschätzung des Sachverständigen Dr. L3. – schweren Depression.
186Diese Aspekte führen auch in Zusammenschau mit den bisher genannten entlastenden Gesichtspunkten nicht zu einer durchgreifenden Entlastung des Beklagten. Er hätte diesen Belastungen in anderer Weise begegnen können und müssen als durch die Begehung von Straftaten. Der Beklagte befand sich seit 2008 in psychologischer Behandlung, in der u. a. die Alkoholproblematik thematisiert wurde, wie der Stellungnahme der Dipl.-Psychologin D. M. vom 2. O. 2009 im Rahmen eines Antrags des Beklagten auf Erhöhung des GdB zu entnehmen ist.
187f)Auch das subjektive Empfinden einer Ungerechtigkeit bezüglich des dem Beklagten zuerkannten Grades der Behinderung und ein innerliches Opponieren gegen die Institution als mögliche Auslöser des Dienstvergehens lassen dieses nicht in milderem Licht erscheinen. Dem Beklagten war aus seiner beruflichen Tätigkeit bekannt, in welchem Verfahren – allein – ein höherer GdB sowie Merkzeichen festgestellt bzw. gewährt werden können. Für eine Minderung seiner Einsichtsfähigkeit ist nichts ersichtlich. Wenn er – aus welchen Gründen auch immer – einen Versuch unterlässt, auf diesem – legalen – Wege den von ihm für zutreffend gehaltenen GdB und/oder zusätzliche Merkzeichen zuerkannt zu bekommen, führt dies nicht zu einer milderen Bewertung stattdessen begangener gravierender Straftaten mit dem Ziel, die Zuerkennung eines GdB und bestimmter Merkzeichen vorzutäuschen.
188Ebenfalls nicht zu einer durchgreifenden Milderung führt es, wenn der Beklagte tatsächlich unter Konflikten am Arbeitsplatz gelitten haben sollte. Von einem Beamten ist zu erwarten, dass er ggf. seinen Vorgesetzten von diesen Konflikten berichtet und ihnen so die Möglichkeit gibt, sich fürsorgend für ihn einzusetzen. Nachdem der Beklagte dies unterlassen hat, lassen die etwaigen Konflikte die Falschbeurkundungen nicht in einem maßgeblich milderen Licht erscheinen. Ein Rückzug in eine "innere Opposition" unter Begehung wiederholter Falschbeurkundungen kann nicht durch eine Milderung der Disziplinarmaßnahme gleichsam "honoriert" werden.
189III.Das Bemessungskriterium "Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit“ gemäß § 13 Abs. 2 Satz 3 LDG NRW erfordert eine Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten insbesondere im Hinblick auf seinen allgemeinen Status und seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung.
190Vgl. BVerwG, Urteile vom 29.05.2008 – 2 C 59.07 –, juris Rn. 15, und vom 20.10.2005– 2 C 12.04 –, juris Rn. 26.
191Die Würdigung aller Aspekte unter Beachtung auch dieses Kriteriums führt bei prognostischer Beurteilung zu der Bewertung, dass der Dienstherr und die Allgemeinheit dem Beklagten nach dem von ihm begangenen schweren Dienstvergehen (ausgehend von einem aktiven Beamten) kein Vertrauen mehr in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen können, weil die von ihm zu verantwortende Ansehensschädigung des Berufsbeamtentums bei einem Fortbestehen des Beamtenverhältnisses nicht wieder gutzumachen und der vollständige Vertrauensverlust nicht zu beheben ist. Der Beklagte hat gegen leicht einsehbare Pflichten verstoßen, deren strikte Einhaltung auch in den Augen der Allgemeinheit von zentraler Bedeutung ist. Sein pflichtwidriges Verhalten hat sich über einen Zeitraum von fünf Jahren hingezogen. Innerhalb dieses Zeitraums hat der Beklagte nicht von seinem pflichtwidrigen Handeln Abstand genommen, sondern an seinem Vorgehen festgehalten. So hat er den im Jahr 2008 hergestellten Ausweis mit einer Wertmarke für das Kalenderjahr 2013 versehen. Nach dem Verlust dieses Ausweises, den er auf einer Reise nach I. mitgeführt hatte, hat er sich innerhalb von rund zwei Monaten einen neuen falschen Ausweis ausgestellt, den er ebenfalls mit einer aktuellen Wertmarke versehen hat. Selbst die Gefahr, dass sein erstes Fehlverhalten nach dem Verlust des Ausweises entdeckt werden könnte, hat ihn nicht von einer zeitnahen Wiederholung der Straftat abgehalten. Dies zeigt eine erhebliche Hartnäckigkeit und Unverfrorenheit bei dem Bemühen, sich in den Besitz eines ihm nicht zustehenden Ausweises mit einem erheblichen wirtschaftlichen Wert zu bringen bzw. diesen zu erhalten. Durch das festgestellte pflichtwidrige Verhalten hat er das Vertrauen von Dienstherrn und Allgemeinheit endgültig verloren. Er ist – auch unter Berücksichtigung der genannten mildernden Gesichtspunkte – als Beamter untragbar geworden. Wäre er noch im aktiven Dienst, wäre er aus dem Beamtenverhältnis zu entlassen. Nach seiner Zurruhesetzung ist ihm das Ruhegehalt abzuerkennen.
192IV.Angesichts des vom Beklagten begangenen Dienstvergehens und der aufgezeigten Gesamtwürdigung ist die Höchstmaßnahme nicht unverhältnismäßig. Der Beklagte hat ein besonders schweres Fehlverhalten gezeigt. Hat ein Beamter– wie hier – durch das Gewicht des
von ihm begangenen Dienstvergehens und mangels durchgreifender Milderungsgründe die Vertrauensgrundlage des Dienstverhältnisses zerstört, dann ist seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis die einzige Möglichkeit, das durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Beamtenverhältnis einseitig zu beenden. Entsprechendes gilt für einen Ruhestandsbeamten. Die darin liegende Härte für den Beklagten ist nicht unverhältnismäßig, denn sie beruht auf seinen schuldhaften schwerwiegenden Pflichtverletzungen und ist ihm als für alle öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnisse vorhersehbare Rechtsfolge bei derartigen Rechtsverletzungen zuzurechnen.
Die Gesamtdauer des Disziplinarverfahrens von inzwischen annähernd acht Jahren führt ebenfalls nicht zur Unverhältnismäßigkeit dieser Maßnahme. Die Dauer des Straf- und Disziplinarverfahrens bietet keine Handhabe, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten ist.
194Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.02.2013 – 2 C3.12 –, juris Rn. 53 m.w.N.
195D.
196Für eine Abänderung der Laufzeit des Unterhaltsbeitrags (§§ 12 Abs. 2, 10 Abs. 3 Satz 2 bis 4 LDG NRW) bestand kein Anlass. Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 Abs. 1 LDG NRW, § 154 Abs. 2 VwGO.
197Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 3 Abs. 1 LDG NRW, § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
198Ein Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
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Referenzen
- BeamtStG § 34 Wahrnehmung der Aufgaben, Verhalten 2x
- BeamtStG § 35 Weisungsgebundenheit 1x
- StGB § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen 9x
- StGB § 21 Verminderte Schuldfähigkeit 3x
- §§ 54 Abs. 3 Satz 1, 65 Abs. 1 Satz 1 LDG 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 415 Beweiskraft öffentlicher Urkunden über Erklärungen 1x
- ZPO § 417 Beweiskraft öffentlicher Urkunden über amtliche Anordnung, Verfügung oder Entscheidung 1x
- §§ 12 Abs. 2, 10 Abs. 3 Satz 2 bis 4 LDG 3x (nicht zugeordnet)
- StGB § 348 Falschbeurkundung im Amt 5x
- § 31 LDG 2x (nicht zugeordnet)
- § 15 LDG 2x (nicht zugeordnet)
- § 54 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- § 60 HDG 1x (nicht zugeordnet)
- § 129 Abs. 3 BRRG 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 154 Teileinstellung bei mehreren Taten 1x
- StPO § 267 Urteilsgründe 1x
- BeamtStG § 47 Nichterfüllung von Pflichten 2x
- § 55 Abs. 1 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- § 5 Abs. 2 LPVG 1x (nicht zugeordnet)
- BeamtStG § 21 Beendigungsgründe 1x
- § 52 Abs. 2 Satz 1 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- § 56 Abs. 1 Satz 1 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- § 13 Abs. 3 Satz 1 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- § 13 Abs. 2 Satz 1 bis 3 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- 13 L 399/14 1x (nicht zugeordnet)
- 126 Js 386/13 1x (nicht zugeordnet)
- 37 Ds 367/16 1x (nicht zugeordnet)
- 6 Ns 97/16 2x (nicht zugeordnet)
- 3d A 2434/13 1x (nicht zugeordnet)
- 6 A 1832/12 2x (nicht zugeordnet)
- 5 R 56/10 1x (nicht zugeordnet)