Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 A 1599/21
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 10.000,- Euro festgesetzt.
Gründe:
1Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Er ist jedenfalls unbegründet.
2Aus dem gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO maßgeblichen Zulassungsvorbringen ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtsbescheides (Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache (Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und auch nicht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
31. Zur Darlegung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bedarf es einer hinreichenden Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Dabei ist in substantiierter Weise an der Gedankenführung des Gerichts orientiert aufzuzeigen, dass und warum das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis ernstlich zweifelhaft sein soll. In der Sache liegen ernstliche Zweifel vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Sie sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.
4Derartige Zweifel ruft das Antragsvorbringen nicht ansatzweise hervor.
5Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Antrag,
6die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zum Neubau eines Einfamilienwohnhauses mit Garage vom 4. Dezember 2019 aufzuheben,
7im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die angefochtene Baugenehmigung verletze subjektiv-öffentliche Rechte der Klägerin nicht. Ob das Vorhaben objektiv, d. h. hinsichtlich derjenigen Vorschriften, die nicht nachbarschützend sind, rechtmäßig sei, sei vorliegend unbeachtlich. Das Bauvorhaben der Beigeladenen verstoße insbesondere nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts. Grundlage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens sei § 34 BauGB. Im vorliegenden Zusammenhang sei unerheblich, ob sich das Bauvorhaben der Beigeladenen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung oder der überbaubaren Grundstücksfläche einfüge, denn insoweit handele es sich regelmäßig - wie auch hier - um nicht nachbarschützende Aspekte. Das genehmigte Bauvorhaben verstoße auch nicht zu Lasten der Klägerin gegen das Rücksichtnahmegebot. Die Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks der Klägerin würden nicht eingeschränkt. Angesichts der Einhaltung der Abstandsflächen scheide ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot im Hinblick auf Beeinträchtigungen aus, vor denen das Abstandsflächenrecht schütze. Von einer erdrückenden Wirkung des Bauvorhabens auf das Grundstück der Klägerin könne schon aufgrund der Tatsache, dass es die Höhe des Wohnhauses der Klägerin unterschreite und straßennah in einer Entfernung von ca. 20 m zu diesem errichtet werde, nicht ausgegangen werden. Auch aus städtebaulichen Erwägungen könne nicht von einer Rücksichtslosigkeit gesprochen werden, da die Klägerin grundsätzlich keinen Anspruch darauf habe, dass bestimmte städtebauliche Rahmenbedingungen oder gar Stilrichtungen in der Nachbarschaft gewahrt blieben. Aus rein gestalterischen Gesichtspunkten könne die Klägerin nachbarliche Abwehrrechte nicht herleiten, da der Gestaltung des Ortsbildes keine Nachbarrelevanz im Sinne subjektiv-öffentlicher Rechtspositionen zukomme. Die Annahme, das Bauvorhaben werde zu einer unzumutbaren Verunstaltung führen, sei im Übrigen abwegig. Eine Rechtsverletzung ergebe sich auch nicht aus der von der Klägerin geltend gemachten Rechtswidrigkeit des Vorhabens im Hinblick auf den Anschluss an den Abwasserkanal. Weder beeinträchtige sie der Anschluss des Vorhabens an den vorhandenen Kanal noch werde durch die Errichtung des Vorhabens der Kanalanschluss ihres eigenen Wohnhauses beeinträchtigt.
8Das dagegen gerichtete Zulassungsvorbringen greift nicht durch.
9Im Rahmen der Drittanfechtung einer Baugenehmigung ist nicht deren objektive Rechtmäßigkeit in den Blick zu nehmen, sondern es kommt allein darauf an, ob diese subjektiv-öffentliche Rechte der Klägerin verletzt.
10vgl. z. B. OVG NRW, Beschluss vom 1. Oktober 2019 - 2 B 1395/18 -, juris Rn. 6.
11Vor diesem Hintergrund ist die Annahme der Zulassungsbegründung, "wenn aber schon die Baugenehmigung an sich rechtswidrig ergangen ist, kann das Gericht … nicht davon ausgehen, dass eine nachbarschützende Wirkung gegen eine rechtswidrige Baugenehmigung nicht existent sein soll" bzw. "die nachbarschützende Wirkung besteht gerade darin, dass die Klägerin nicht damit rechnen muss, dass rechtswidrige Bebauungen stattfinden, die nicht den baurechtlichen Vorschriften entsprechen" (S. 3 oben der Zulassungsbegründung), bereits im Absatz verfehlt.
12Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 4. August 2021 - 2 B 898/21 -, juris.
13Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht – entgegen der Annahme der Zulassungsbegründung (dort S. 2) - nicht darauf abgestellt, dass die angegriffene Baugenehmigung nicht gegen baurechtliche Bestimmungen verstößt, sondern herausgestellt, dass keine nachbarschützenden baurechtlichen Bestimmungen verletzt sind. Aus den von der Antragsbegründung in diesem Zusammenhang in den Raum gestellten Aspekten (der "ordnungsgemäße Verwaltungsweg" sei bei Genehmigungserteilung nicht eingehalten worden, der Planungsausschuss sei nicht angehört worden, es fehle an einer "entsprechenden Beschlussempfehlung durch den Rat" usw.) ergeben sich nachbarliche Abwehrrechte der Klägerin ersichtlich nicht.
14Vgl. auch OVG NRW, Beschlüsse vom 4. November 2015 – 7 B 744/15 -, juris Rn. 3, und vom 4. August 2021 – 2 B 898/21 -, juris.
15Gleiches gilt, soweit die Klägerin moniert, dass hier eine "Vorgartenbebauung mit einem völlig anderen Bebauungsstil stattgefunden" habe (S. 3 f. der Zulassungsbegründung), da gestalterische bzw. stilistische Erwägungen regelmäßig - und so auch hier – allein dem öffentlichen Interesse dienen und nicht subjektive Rechtspositionen Einzelner begründen. Auch dies hat bereits das Verwaltungsgericht erschöpfend ausgeführt.
16Unklar bleiben die Ausführungen der Zulassungsbegründung zur "Grenzbebauung" (S 3 f.), da ausweislich der genehmigten Bauvorlagen keine Grenzbebauung zum Grundstück der Klägerin mit der angefochtenen Baugenehmigung zugelassen worden ist.
17Soweit die Klägerin der Sache nach rügt, das Verwaltungsgericht hätte nicht ohne Ortsbegehung "und optische Eindrucksgewinnung" entscheiden dürfen, ist nicht erkennbar, dass die – bereits erstinstanzlich anwaltlich vertretene – Klägerin eine solche angeregt hätte; vielmehr hat sie ausdrücklich der Entscheidung durch Gerichtsbescheid zugestimmt. Einen - allenfalls in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommenden - nachbarlichen Abwehranspruch wegen Verunstaltung dokumentieren die von der Klägerin vorgelegten Fotos unbeschadet dessen ersichtlich nicht; dass das Gericht ihrer Bewertung der Fotos nicht gefolgt ist, begründet schon deshalb keine ernstlichen Zweifel an der gerichtlichen Entscheidung.
18Die Klägerin meint weiter, das Gericht habe "mit falscher Tatsachenwertung" darauf abgestellt, "dass die Beklagte den Beigeladenen gestattet haben soll, den Abwasserkanal an den Kanalanschluss der Klägerin anzuschließen" (S. 4 f. der Zulassungsbegründung). Die Ausführungen hierzu sind unklar und gehen nicht auf die Begründung ein, mit der das Verwaltungsgericht auf S. 5 f. des Gerichtsbescheides eine Rechtsverletzung der Klägerin abgelehnt hat. Dieses hat ohne Weiteres nachvollziehbar darauf abgestellt, dass die Erschließung des Bauvorhabens der Beigeladenen durch Anschluss an den unterhalb des Flurstücks 000 verlaufenden Kanal unabhängig von den Eigentumsverhältnissen grundsätzlich nur öffentlichen Interessen diene und damit keinerlei nachbarschützende Funktion habe. Es bestehe auch nicht ausnahmsweise ein öffentlich-rechtlicher Abwehranspruch aus Art. 14 Abs. 1 GG aufgrund eines „Notleitungsrechts“. Zwar könne in den Fällen, in denen das genehmigte Bauvorhaben eine unmittelbare Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks zur Folge habe, einem Nachbarn ein Abwehrrecht dann zustehen, wenn eine Baugenehmigung dadurch in sein Eigentum eingreife, dass sie in Folge des Fehlens einer wegemäßigen Erschließung zur Begründung oder Ausweitung eines Notwegerechts (im Rahmen eines Kanalanschlusses: Notleitungsrecht) nach § 917 Abs. 1 BGB (analog) an seinem Grundstück führe.
19Vgl. hierzu z. B. OVG NRW, Beschluss vom 24. Januar 2014 – 2 B 1405/13 -, juris Rn. 17 ff. m. w. N.
20Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor, da aus dem Vorhaben kein Anspruch gegen die Klägerin auf Duldung eines Notleitungsrechts gemäß § 917 BGB analog folge. Vielmehr sei umgekehrt die Klägerin der Auffassung, bei Realisierung des Vorhabens entstehe zu ihren Gunsten ein Duldungsanspruch gegen die Beigeladenen. Auf diesen umgekehrten Fall, in dem der Nachbar einen Notleitungsanspruch gegenüber dem Bauherrn haben könnte, weil sein eigenes Grundstück durch ein Bauvorhaben den Zugang zur öffentlichen Straße oder auch zum öffentlichen Kanalnetz verliere, sei Art. 14 Abs. 1 GG jedoch nicht anwendbar. Das Grundstück der Klägerin werde in seiner Substanz durch das Bauvorhaben ebenso wenig betroffen wie dessen Zugang zum öffentlichen Kanalnetz. Der Verlust der Rechte am Kanal gründe sich auf ein Handeln bzw. Unterlassen der Klägerin selbst. Sie habe die Flurstücke 000 und 001, unter denen der Kanal verlaufe, bereits im Jahre 2011 an die Beigeladenen veräußert, ohne sich zuvor dinglich durch Eintragung einer Grunddienstbarkeit gemäß §§ 1018 ff. BGB oder auch nur schuldrechtlich im Kaufvertrag ihre Rechte am Bestandskanal gesichert zu haben. Damit habe sie sich ihrer Rechte an diesem Kanal begeben. Darauf, ob das Grundstück der Klägerin mit Duldung der Beigeladenen über deren Grundstück oder über einen neu zu errichtenden Kanalanschluss entwässert werden müsse und wer ggf. die Kosten für einen solchen neuen Anschluss zu tragen habe, komme es im vorliegenden Verfahren nicht an.
21Die Ausführungen in der Zulassungsbegründung setzen sich hiermit nicht auseinander. Im Übrigen dürfte die Zulassungsbegründung insoweit verkennen, dass der Kanal wesentlicher Bestandteil des Vorhabengrundstücks geworden ist (§ 94 Abs. 1 BGB); dass die Klägerin sich beim Verkauf des Vorhabengrundstücks an die Beigeladenen im Jahre 2011 insoweit (dingliche) Rechte vorbehalten hätte (vgl. § 95 Abs. 1 BGB),
22vgl. hierzu allgemein auch Stresemann, in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 1, 6. Auflage 2012, § 94 Rn. 16 i. V. m. § 95 Rn. 23 ff. m. w. N.,
23trägt sie nicht vor und dies ist auch sonst nicht ersichtlich.
242. Der Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Sache wird zwar genannt, aber – wie sich nicht zuletzt auch aus den vorstehenden Ausführungen zu 1. ergibt - nicht dargelegt. Hierfür reicht es nicht aus, darauf zu verweisen, dass "bezogen auf den hier vorliegenden Einzelfall sich somit aus Sicht der Klägerin bezogen auf den Gerichtsbescheid in der Tat doch rechtliche Schwierigkeiten ergeben in besonderer Hinsicht, was die Rechtssache betrifft" (S. 5 unten der Zulassungsbegründung).
253. Die Zulassungsbegründung zeigt eine grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht auf. Auf die in diesem Zusammenhang allein (sinngemäß) aufgeworfene Frage,
26"inwieweit hier in öffentlich rechtlicher Hinsicht der Bauplanungsausschuss anzuhören wäre bei Verwirklichung eines Bauvorhabens wie es hier streitgegenständlich ist",
27kommt es schon nicht an, da nicht ansatzweise erkennbar ist, dass bzw. inwieweit ein etwaiges Unterlassen der Anhörung des Planungsausschusses hier nachbarliche Abwehrrechte der Klägerin begründen könnte. Im Übrigen entzieht sie sich jedenfalls in ihrer formulierten Form einer verallgemeinerungsfähigen Klärung.
28Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben.
29Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.
30Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird der angefochtene Gerichtsbescheid rechtskräftig (§§ 84, 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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Referenzen
- VwGO § 84 1x
- VwGO § 124 4x
- §§ 1018 ff. BGB 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 152 1x
- BGB § 917 Notweg 2x
- 2 B 1395/18 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 95 Nur vorübergehender Zweck 1x
- §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- BGB § 94 Wesentliche Bestandteile eines Grundstücks oder Gebäudes 1x
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 3 1x
- § 34 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 162 1x
- VwGO § 124a 2x
- 2 B 1405/13 1x (nicht zugeordnet)
- 2 B 898/21 2x (nicht zugeordnet)
- 7 B 744/15 1x (nicht zugeordnet)