Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 7 D 303/20.AK
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die erstattungsfähig sind.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht zuvor der jeweilige Vollstreckungsgläubiger i. H. v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von vier Windenergieanlagen östlich des Ortsteils W. der Stadt F. .
3Sie ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten und von ihr bewohnten Grundstücks Gemarkung W. , Flur 3, Flurstück 264 mit der Anschrift I. 36 in F. -W. . Das Grundstück liegt westlich der geplanten Standorte für die Windenergieanlagen in einer Entfernung von ca. 1.800 m am westlichen Ortsrand von W. im unbeplanten Bereich.
4Die Beigeladene beantragte mit Schreiben vom 27.2.2019 bei dem Beklagten die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von vier Windenergieanlagen (WEA) des Typs Nordex N149/4.5 jeweils mit einer Nabenhöhe von 164 m, einem Rotordurchmesser von 149,1 m und einer Nennleistung von 4.500 kW auf den Grundstücken Gemarkung F. , Flur 17, Flurstück 52 (WEA 1) sowie Gemarkung W. , Flur 6, Flurstücke 227 (WEA 2 und WEA 3) und 230 (WEA 4). Zugleich beantragte sie die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Das Genehmigungsverfahren wurde nach § 10 BImSchG mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt. Das Vorhaben und das Ergebnis, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, wurden im Amtsblatt des Beklagten am 15.4.2019 veröffentlicht. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens erhob auch die durch ihren Prozessbevollmächtigten vertretene Klägerin Einwendungen.
5Mit Bescheid vom 10.11.2020 erteilte der Beklagte der Beigeladenen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb der vier Windenergieanlagen des Typs Nordex N149/4.5 mit den genannten technischen Daten auf den genannten Flurstücken der Flur 17 in der Gemarkung F. und der Flur 6 in der Gemarkung W. . Der Bescheid wurde am 26.11.2020 im Amtsblatt des Beklagten einschließlich der Rechtsbehelfsbelehrung öffentlich bekanntgemacht. Die Rechtsbehelfsbelehrung weist darauf hin, dass gegen diesen Bescheid Klage erhoben werden könne und dass das Widerspruchsverfahren abgeschafft worden sei.
6Die Klägerin hat am 22.12.2020 dagegen Klage erhoben.
7Auf den Änderungsantrag der Beigeladenen vom 19.5.2021 und nach Hinzuziehung der Klägerin als Beteiligte zum Verwaltungsverfahren erteilte der Beklagte unter dem 19.8.2021 einen Änderungsbescheid zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 10.11.2020. Danach wurde der bisher genehmigte Windenergieanlagentyp Nordex N149/4.5 (Produktreihe Delta 4000) durch den Anlagentyp Nordex N149/5.7 (Produktreihe Delta 4000) ersetzt und die Nennleistung auf 5.700 kW erhöht. Zugleich wurde der bisher genehmigte Stahl-Beton-Hybridturm in achteckiger Bauweise durch einen Stahl-Beton-Hybridturm in runder Bauweise ersetzt und der Durchmesser des bisher genehmigten Flachfundaments von 24,2 m auf 24,0 m verkleinert. Zudem erfolgte eine Änderung der schallreduzierten Betriebsweise der Windenergieanlagen zur Nachtzeit. Der Schallleistungspegel der WEA 1 und WEA 2 blieb dabei unverändert, derjenige der WEA 3 und WEA 4 wurde von 100 dB(A) auf 99,5 dB(A) reduziert. Der Änderungsbescheid vom 19.8.2021 wurde der Klägerin unter dem 25.8.2021 mit einer Belehrung über die Möglichkeit der Klageerhebung zugesandt.
8Die Klägerin hat am 31.8.2021 diesen Änderungsbescheid in ihre Klage einbezogen.
9Sie trägt zur Begründung der Klage im Wesentlichen vor: Der Betrieb der Anlagen führe jedenfalls zur Nachtzeit zu einer Überschreitung des geltenden Richtwerts, weil das Lärmgutachten der Kötter Consulting GmbH mangelhaft sei. Für ihr Wohnhaus sei ein Richtwert von 35 dB(A) zur Nachtzeit anzusetzen, da es sich in einem faktischen reinen Wohngebiet befinde. Die Vorbelastung durch die bestehenden Gewerbebetriebe wie die Zementwerke und den Abfallwirtschaftsbetrieb sei „passend gerechnet“ worden. Ebenso sei es fehlerhaft, dass die von der nahe gelegenen Bundesautobahn A 44 und der Bundesstraße B 55 ausgehenden Schallimmissionen nicht ermittelt worden seien. Zudem würden Reflexionseffekte an ihrem Wohnhaus aufgrund eines rechtwinkligen Vorsprungs in nordwestlicher Richtung eintreten, was zu einer Erhöhung des Einwirkungspegels um bis zu 3 dB(A) führe. Die so genannte Amplitudenmodulation durch den jeweiligen Rotorschlag der Anlagen sei nicht berücksichtigt worden; es sei zunächst ein Sicherheitszuschlag wegen einer möglichen störenden Auffälligkeit zu vergeben. Die Ausbreitungsberechnung sei auch deshalb unzulänglich, weil sie sowohl Witterungsbedingungen mit gefrorenem Boden als auch ausgeprägte Inversionswetterlagen unberücksichtigt gelassen habe. Es sei eine Kurzzeitmittelung unter Mitwindbedingungen vorgenommen worden, die gerade keine im Jahresverlauf sich ändernden Witterungsbedingungen berücksichtigt habe. Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, warum lediglich der Frequenzbereich ab 63 Hz und nicht auch die darunter liegenden Frequenzen Berücksichtigung finden sollte. Generell sei nicht berücksichtigt worden, dass es sich bei dem Interimsverfahren lediglich um eine übergangweise Hilfsberechnung handele. Die Errichtung und der Betrieb der Anlage würden bezogen auf den Immissionspunkt an ihrem Wohnhaus bei einem relevanten Teil der Bevölkerung zu einer Beeinträchtigung der Gesundheit und des körperlichen Wohlbefindens führen. Dieser Bevölkerungsteil entwickle – was Studien wie die so genannte VTT-Studie zeigten – gesundheitliche Symptome von leichteren Befindlichkeitsstörungen bis hin zu schwerwiegenden Symptomatiken. Hierfür machten die betroffenen Anwohner den von einer Windenergieanlage ausgehenden Infraschall verantwortlich. Ausschlaggebend dürfte letztlich die Gesamtheit der vielfältigen, von den Anlagen ausgehenden optischen und akustischen Auswirkungen sein. Dass es zur Verneinung der gesundheitsschädlichen Wirkung von Windenergieanlagen nicht ausreichend sei, sich auf die Studienlage zu beziehen, zeige ein aktueller Beweisbeschluss des OLG Hamm vom 8.12.2020. Das Vorhaben sei auch ihr gegenüber rücksichtlos. Es müsse in seiner Gesamtheit unter Berücksichtigung aller Eigenschaften und Auswirkungen und nicht nur mit Blick auf eine etwaige optisch bedrängende Wirkung betrachtet werden. Schließlich würde das Vorhaben zu unbeherrschbaren und für sie unzumutbaren Brandrisiken führen. Das gelte insbesondere mit Blick auf die Gefahr der Brandausbreitung durch Funkenflug.
10Die Klägerin beantragt,
11den der Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid des Beklagten vom 10.11.2020 zur Errichtung und zum Betrieb von vier Windenergieanlagen in der Fassung des Änderungsbescheids des Beklagten vom 19.8.2021 aufzuheben.
12Der Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Er trägt im Wesentlichen vor: Die Klage sei nicht begründet, da die Klägerin durch die Genehmigung nicht in ihren Rechten verletzt sei. Das Wohngrundstück der Klägerin liege nicht in einem reinen Wohngebiet und sei wenigstens als allgemeines Wohngebiet mit einem Immissionsrichtwert von 40 dB(A) nachts einzustufen. In der Umgebung befänden sich zahlreiche gewerbliche Nutzungen, die in ihren Schriftsätzen vom 10.3.2022 und 15.3.2022 mit Anlagen im Einzelnen dargestellt seien. Es liege in Randlage zum Außenbereich und werde von mehreren Bebauungsplänen umsäumt, die in diesem Bereich ein allgemeines Wohngebiet festsetzten. Das Wohngrundstück der Klägerin befinde sich schon nicht im Einwirkungsbereich der Anlagen. Deswegen und wegen Nr. 3.2.2 der TA Lärm müsse die Vorbelastung hier nicht berücksichtigt werden. Die Klägerin könne schon wegen der Entfernung zu den Windenergieanlagen keine Beeinträchtigung durch Infraschall geltend machen. Das OLG Hamm habe mit seiner Entscheidung lediglich eine Beweiserhebung eingeleitet. Anhaltspunkte dafür, warum am Wohnort der Klägerin zu beachtende Reflexionseffekte auftreten könnten, habe sie nicht geliefert. Eine Störwirkung des rhythmischen Rotorschlages sei im Einklang mit der Rechtsprechung im Rahmen der Schallimmissionsprognose nicht zu berücksichtigen gewesen. Ebenso seien das schalltechnische Gutachten der L. D. F1. GmbH vom 28.4.2020 und die Ergänzung vom 14.8.2020, die das Interimsverfahren zugrunde legten, hinsichtlich der Berücksichtigung von gefrorenen Böden und verschiedenen Wetterlagen nicht zu beanstanden. Das Vorhaben sei auch nicht rücksichtslos gegenüber der Klägerin. Eine optisch bedrängende Wirkung liege bei dem gegebenen Abstand fern. Ebenso sei hier keine Gesamtbetrachtung der Einwirkungen vorzunehmen. Hinsichtlich des Brandschutzes sei auf das Brandschutzkonzept des Sachverständigenbüros X. C. vom 24.3.2020 sowie den gegebenen Abstand zur Klägerin – auch mit Blick auf den Funkenflug – zu verweisen.
15Die Beigeladene beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Sie trägt im Wesentlichen vor: Die Klage sei bereits unzulässig. Die Klägerin sei nicht klagebefugt, da ihre subjektiven Rechte offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise verletzt sein könnten. Für das Wohnhaus der Klägerin gelte allenfalls der Immissionsrichtwert für ein allgemeines Wohngebiet. Dies gelte schon wegen der im näheren Umfeld der Straße I. vorhandenen gewerblichen Nutzungen bzw. landwirtschaftlichen Betriebe. Nach Auskunft des Ordnungsamts der Stadt F. seien knapp 25 Gewerbeanmeldungen für diesen Bereich bekannt. Der Immissionsrichtwert von 40 dB(A) nachts sei deutlich unterschritten, was sich auch aus der Stellungnahme der L. D. F1. GmbH vom 26.4.2021 ergebe, die das Wohnhaus der Klägerin als Immissionsort „IO-25“ berücksichtigt habe. Nach Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 19.8.2021 ergebe sich nichts anderes. Der Schallleistungspegel bleibe danach in Bezug auf die WEA 1 und WEA 2 gleich und verringere sich in Bezug auf die WEA 3 und WEA 4 sogar leicht. Für die Immissionsorte „IO-01“ bis „IO-24“ habe der Beklagte ausdrücklich festgestellt, dass aufgrund der beantragten Änderung im Nachtzeitraum sogar eine Reduzierung der Zusatzbelastung um 0,1 dB(A) bis 0,5 dB(A) stattfinde. Angesichts dessen gelte die Beurteilung in der Stellungnahme der L. D. F1. GmbH vom 26.4.2021 nach wie vor.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Die Klage hat keinen Erfolg.
21A. Sie allerdings als (Dritt)Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 1. Fall VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
22I. Die Klägerin ist nach § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt.
23Nach dieser Vorschrift ist eine Anfechtungsklage, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger geltend machen kann, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein.
24Die Verletzung eigener Rechte muss auf der Grundlage des Klagevorbringens möglich erscheinen. Diese Möglichkeit ist dann auszuschließen, wenn offensichtlich und nach keiner Betrachtungsweise subjektive Rechte der Klägerin verletzt sein können. Da die Klägerin nicht Adressatin des von ihr angefochtenen immissionsrechtlichen Genehmigungsbescheides ist, kommt es darauf an, ob sie sich für ihr Begehren auf eine öffentlich-rechtliche Norm stützen kann, die nach dem in ihr enthaltenen Entscheidungsprogramm auch sie als Dritte schützt.
25Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.9.2020 - 8 A 1161/18 -, juris, m. w. N.
26Die Klägerin beruft sich hier insbesondere darauf, dass die Erteilung der streitgegenständlichen Genehmigung für sie als Bewohnerin und Eigentümerin des Grundstücks mit der Anschrift I. 36 mit nächtlichen Lärmimmissionen verbunden sei, die als schädliche Umwelteinwirkungen (§ 3 Abs. 1 BImSchG) unzulässig seien.
27Mit Blick auf Lärmimmissionen erscheint es möglich, dass der Betrieb einer Anlage für einen Kläger schädliche Umwelteinwirkungen hervorruft, wenn dessen Grundstück innerhalb des räumlichen Bereichs liegt, in dem die von der Anlage voraussichtlich ausgehenden Geräuscheinwirkungen für sich betrachtet oder in Zusammenhang mit bereits existierenden Geräuscheinwirkungen schädliche Umwelteinwirkungen (§ 3 Abs. 1 BImSchG) hervorrufen können.
28Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5.10.2020
29- 8 A 894/17 -, juris, m. w. N.
30Zwar kommt die schallgutachtliche Stellungnahme der L. D. F1. GmbH vom 26.4.2021 zu dem Ergebnis, dass am Grundstück der Klägerin nachts eine Zusatzbelastung von maximal 29 dB(A) zu erwarten sei, so dass dieser Ort bei einem dort angesetzten Immissionsrichtwert von 40 dB(A) nachts nicht im Einwirkungsbereich der Schallquellen im Sinne von Nr. 2.2 der TA Lärm läge. Die Klägerin greift jedoch den zugrunde gelegten Immissionsrichtwert für ihr im unbeplanten Innenbereich und nach ihrer Ansicht dort in einem faktischen reinen Wohngebiet liegendes Grundstück an und wendet sich gegen das Schallgutachten in seinen Einzelheiten – einschließlich der Ermittlung der Vorbelastung – und damit auch hinsichtlich der Gesamtbelastung für ihr Wohnhaus. Dies genügt nach dem aufgezeigten Maßstab noch zur Begründung ihrer Klagebefugnis.
31II. Eines Vorverfahrens vor Klageerhebung nach §§ 68 ff. VwGO bedurfte es nicht.
32Ein solches Vorverfahren war hier ausnahmsweise entbehrlich. Zwar findet nach § 110 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 JustG NRW das Vorverfahren Anwendung auf im Verwaltungsverfahren nicht beteiligte Dritte, die sich gegen den Erlass eines einen anderen begünstigenden Verwaltungsaktes wenden. Das gilt grundsätzlich auch im Rahmen von immissionsschutzrechtlichen Drittanfechtungen wie hier.
33Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.9.2020 - 8 A 1161/18 -, juris, m. w. N.
34Wenn allerdings die Behörde – wie hier – zu erkennen gibt, sie halte den Rechtsbehelf des Widerspruchs für nicht gegeben, und damit den Betroffenen von der Einlegung des Rechtsbehelfs abhält, ist ein Vorverfahren entbehrlich.
35Vgl. BVerwG, Urteile vom 19.1.1972 - V C 10.71 -, juris, vom 13.1.1971 - V C 70.70 -, juris, und vom 27.3.1968 - V C 3.67 -, juris; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 68 Rn. 35.
36Eines Vorverfahrens vor Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 19.8.2021 in die Klage bedurfte es nach § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO i. V. m. § 110 Abs. 1 Satz 1 JustG NRW schon deshalb nicht, weil der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 29.7.2021 förmlich als Beteiligte zu diesem Verwaltungsverfahren nach § 13 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 VwVfG NRW hinzugezogen hatte.
37B. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung der der Beigeladenen erteilten Genehmigung des Beklagten vom 10.11.2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 19.8.2021, weil diese Genehmigung sie nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
38Eine solche Rechtsverletzung ergibt sich weder durch Schallimmissionen (dazu I.) noch durch die optischen Auswirkungen der streitgegenständlichen Anlagen (dazu II.). Die Gesamtbelastung aller Störwirkungen war nicht gesondert zu ermitteln und zu bewerten (dazu III.). Es bestehen keine Anhaltspunkte für durch die Anlagen bedingte rechtlich relevante gesundheitliche Beeinträchtigungen zulasten der Klägerin (dazu IV.). Eine relevante Beeinträchtigung besteht auch nicht durch Mikroplastikpartikel (dazu V.). Schließlich verletzen weder die Bestimmungen zum C. in der Genehmigung (dazu VI.) noch ein etwaiger Verstoß gegen die Regelung zum Mindestabstand für privilegierte Windenergieanlagen nach § 2 BauGB-AG NRW (dazu VII.) die Klägerin in ihren Rechten.
39I. Ausgehend von den hier maßgeblichen Immissionsrichtwerten der TA Lärm (dazu 1.) ist die Klägerin auf der Grundlage der vorgelegten Schallimmissionsprognosen keinen unzumutbaren Lärmimmissionen durch das Vorhaben ausgesetzt (dazu 2. bis 4.).
401. Der Immissionsrichtwert für das Grundstück der Klägerin mit der Anschrift I. 36 beträgt – soweit hier von Relevanz – nicht weniger als 40 dB(A) nachts.
41Unter welchen Voraussetzungen Geräuschimmissionen von Windenergieanlagen schädlich im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sind, bestimmt sich maßgeblich nach Nr. 6.1 TA Lärm.
42Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5.10.2020 - 8 A 894/17 -, juris – das Urteil ist nach dem Beschluss des BVerwG vom 8.11.2021 - 7 B 3/21 -, juris, rechtskräftig.
43Entgegen der Ansicht der Klägerin sind nicht die Immissionsrichtwerte der TA Lärm in der hier maßgeblichen Fassung vom 1.6.2017 für ein reines Wohngebiet (§ 3 BauNVO) nach Nr. 6.1 Buchst. f TA Lärm einschlägig. Vielmehr sind nach der in der näheren Umgebung des Grundstücks der Klägerin vorhandenen Bau- und Nutzungsstruktur zumindest die höheren Richtwerte für ein allgemeines Wohngebiet (vgl. § 4 BauNVO) gemäß Nr. 6.1 Buchst. e TA Lärm anzuwenden.
44Da es vorliegend für das Grundstück an einer Festlegung der Art des Gebiets durch einen Bebauungsplan als Grundlage für eine Zuordnung gemäß Nr. 6.6 TA Lärm fehlt, kann der von der Klägerin gewünschte Richtwert nur dann Anwendung finden, wenn es sich um ein faktisches reines Wohngebiet (vgl. § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 3 BauNVO) handelt. Das vermag der Senat anhand der vorliegenden Akten und unter Würdigung des Vorbringens der Beteiligten nicht festzustellen.
45Nach § 3 Abs. 1 BauNVO dienen reine Wohngebiete dem Wohnen. Zulässig sind gemäß § 3 Abs. 2 BauNVO Wohngebäude (Nr. 1) und Anlagen zur Kinderbetreuung, die den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienen (Nr. 2). Ausnahmsweise können zugelassen werden Läden und nicht störende Handwerksbetriebe, die zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets dienen, sowie kleine Betriebe des Beherbergungsgewerbes (Nr. 1) und sonstige Anlagen für soziale Zwecke sowie den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienende Anlagen für kirchliche, kulturelle, gesundheitliche und sportliche Zwecke (Nr. 2).
46Nach diesen Maßgaben können die Immissionsrichtwerte für ein (faktisches) reines Wohngebiet hier nicht zugrunde gelegt werden, weil die maßgebliche Umgebung des Grundstücks der Klägerin auch durch Gewerbebetriebe geprägt wird. Die von dem Beklagten in den Schriftsätzen vom 10.3.2022 und 15.3.2022 dokumentierten Gewerbebetriebe mit der Anschrift I. 20 (Elektromaschinenbau, Elektrotechnik) bzw. I. 2 (Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen) liegen innerhalb der näheren Umgebung des Grundstücks der Klägerin und wären in einem reinen Wohngebiet im Sinne von § 3 BauNVO unzulässig.
472. Unter Zugrundelegung der nach Nr. 6.1 Buchst. e TA Lärm für ein allgemeines Wohngebiet geltenden Immissionsrichtwerte von 40 dB(A) nachts und 55 dB(A) tags ist die Klägerin keinen unzumutbaren Lärmimmissionen ausgesetzt.
48a) Ihr Grundstück liegt nach den vorgelegten Schallimmissionsprognosen nicht mehr im Einwirkungsbereich der streitgegenständlichen Anlagen im Sinne von Nr. 2.2 TA Lärm.
49Nach Nr. 2.2 TA Lärm sind Einwirkungsbereich einer Anlage die Flächen, in denen die von der Anlage ausgehenden Geräusche
50a) einen Beurteilungspegel verursachen, der weniger als 10 dB(A) unter dem für diese Fläche maßgebenden Immissionsrichtwert liegt, oder
51b) Geräuschspitzen verursachen, die den für deren Beurteilung maßgebenden Immissionsrichtwert erreichen.
52Diese Voraussetzungen sind hier insgesamt nicht erfüllt.
53Ausweislich der gutachtlichen Stellungnahme der L. D. F1. GmbH vom 26.4.2021, die das Wohnhaus der Klägerin als Immissionsort „IO-25“ berücksichtigt hat, tritt der höchste Schalldruckpegel der Zusatzbelastung an den Fassadenpunkten „IO-25no_b 1. OG“ und „IO-25no_c 1. OG“ mit Lr = 29,0 dB(A) auf. Die Beurteilungspegel unterschreiten an jedem der untersuchten Fassadenpunkte den Immissionsrichtwert von 40 dB(A) nachts um mindestens 11 dB(A) und überschreiten damit die von Nr. 2.2 Buchst. a TA Lärm geforderte Differenz zwischen dem Beurteilungspegel und dem Immissionsrichtwert von weniger als 10 dB(A). Nichts anderes ergibt sich zugunsten der Klägerin im Ergebnis aus dem Änderungsbescheid vom 19.8.2021. Wie die Beigeladene mit anwaltlichem Schriftsatz vom 7.9.2021 zutreffend ausgeführt hat, bleibt der Schallleistungspegel nachts ausweislich dieses Änderungsbescheids in Bezug auf die WEA 1 und WEA 2 mit 96,5 dB(A) bzw. 97 dB(A) jeweils gleich und verringert sich in Bezug auf die WEA 3 und die WEA 4 sogar leicht von jeweils 100,0 dB(A) auf 99,5 dB(A). Ausweislich der im Änderungsbescheid (dort Seiten 14 f.) aufgeführten Ergänzung der L. D. F1. GmbH vom 27.11.2020 findet für die Immissionsorte „IO-01“ bis „IO-24“ eine Reduzierung der Zusatzbelastung um 0,1 dB(A) bis 0,5 dB(A) statt. Im Ergebnis muss es danach auch für das Wohnhaus der Klägerin als Immissionsort „IO-25“ dabei verbleiben, dass entsprechend der Stellungnahme vom 26.4.2021 der Immissionsrichtwert von 40 dB(A) nachts um mindestens 11 dB(A) unterschritten wird. Für die Tageszeit ergibt sich mit Blick auf den um 15 dB(A) auf 55 dB(A) erhöhten Immissionsrichtwert nichts anderes. Auch ist nicht ersichtlich, dass (kurzzeitige) Geräuschspitzen verursacht werden, die den für deren Beurteilung maßgebenden Immissionsrichtwert nach Nr. 6.1 Satz 2 TA Lärm erreichen.
54b) Die gegen die Schallimmissionsprognosen gerichteten Einwände der Klägerin greifen nicht durch.
55aa) Die Schallimmissionsprognosen sind nicht deshalb fehlerhaft, weil sie den Bodendämpfungsfaktor überschätzt hätten.
56Mit Blick auf die Berücksichtigung der Bodenstruktur (z. B. gefrorener Boden) ist davon auszugehen, dass eine Prognose regelmäßig dann auf der sicheren Seite liegt, wenn eine den Beurteilungspegel senkende Bodendämpfung in der Berechnung unberücksichtigt bleibt. Bei diesem Ansatz wird der Boden als schallharte Platte betrachtet, an der Schall reflektiert.
57Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.3.2021 - 8 A 3518/19 -, juris.
58Dies ist bei einer Schallimmissionsprognose nach dem Interimsverfahren wie derjenigen der L. D. F1. GmbH der Fall. Die Bodendämpfung Agr wird nach dem Gutachten vom 28.4.2020 (dort Seite 18) pauschal auf -3 dB festgesetzt und damit nicht berücksichtigt.
59bb) Entgegen der Ansicht der Klägerin berücksichtigen die den Schallimmissionsprognosen zugrunde liegenden Berechnungsmethoden die jahreszeitlich verschiedenen Witterungsbedingungen nicht in unzureichender Weise.
60Witterungsbedingungen werden bei der Berechnung nach dem Prognosemodell der DIN ISO 9613-2, auf dem – mit Modifikationen – sowohl das alternative Verfahren als auch das Interimsverfahren beruhen, über die meteorologische Korrektur Cmet berücksichtigt (vgl. Abschnitt 8 der DIN ISO 9613-2). Das Prognosemodell der DIN ISO 9613-2 geht grundsätzlich von schallausbreitungsgünstigen Witterungsbedingungen aus und bezieht neben anderen Dämpfungstermen auch die meteorologische Korrektur Cmet ein, so dass ein Langzeit-Mittelungspegel für verschiedene Witterungsbedingungen erhalten wird.
61Vgl. Agatz, Windenergie-Handbuch, 17. Ausg. Dezember 2020, S. 334 f.
62Entfällt diese Korrektur – wie hier nach dem Schallgutachten der L. D. F1. GmbH vom 28.4.2020 (dort Seiten 18 und 44) –, können unterschiedliche Witterungsbedingungen jedenfalls nicht zu einer Erhöhung des Schallpegels führen.
63Vgl. OVG NRW, rechtskräftiges Urteil vom 5.10.2020 - 8 A 894/17 -, juris.
64Soweit sich die Einwände der Klägerin der Sache nach gegen die allgemeinen Berechnungsansätze der Schallimmissionsprognosen nach der DIN ISO 9613-2 in Bezug auf Wettereffekte, etwa auch bezogen auf eine Kurzzeit- oder Langzeitmittelung, richten, greifen sie unabhängig vom Vorstehenden wegen der Bindungswirkung der TA Lärm, die auf die DIN ISO 9613-2 Bezug nimmt, nicht durch.
65Es ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die von der Klägerin benannten Aspekte (Inversionswetterlagen, gefrorener Boden, jahreszeitlich verschiedene Witterungsbedingungen) bei dem den Schallimmissionsprognosen zugrunde liegenden Berechnungsverfahren der DIN ISO 9613-2 unzureichend berücksichtigt worden sein könnten, und zwar weder bei der dort vorgesehenen Kurzzeitmittelung noch bei der Langzeitmittelung. Es handelt sich dabei nicht um neuere Erkenntnisse, sondern um Phänomene, die schon bei der Abfassung der DIN ISO 9613-2 bekannt waren und bei denen daher davon auszugehen ist, dass sie dabei angemessen berücksichtigt worden sind.
66Wegen der Bindungswirkung der TA Lärm und der darin in Bezug genommenen Berechnungsmethode nach der DIN ISO 9613-2 greift auch der Einwand der Klägerin nicht durch, dass es sich bei den Prognoseverfahren um Hilfsberechnungsverfahren handele, von deren Ergebnissen die Realität möglicherweise abweiche.
67Vgl. OVG NRW, rechtskräftiges Urteil vom 5.10.2020 - 8 A 894/17 -, juris, m. w. N.
68cc) Die Schallimmissionsprognosen sind auch nicht fehlerhaft mit Blick auf den von der Klägerin erhobenen Einwand der nicht ausreichenden Berücksichtigung möglicher Schallreflexionen entsprechend der Formel „Einfallswinkel = Ausfallswinkel“.
69Nach der Schallimmissionsprognose der L. D. F1. GmbH vom 26.4.2021 wurden Schallreflexionen in Bezug auf den für das Wohnhaus der Klägerin maßgeblichen Immissionsort „IO-25“ geprüft, aber nicht für jeden Fassadenpunkt bejaht. Dies ist der dortigen Tabelle 2 und der dazugehörigen Fußnote „1) Erhöhung des Schalldruckpegels durch Reflexion“ zu entnehmen. Die Klägerin beruft sich lediglich auf eine mögliche Schallreflexion „aufgrund des rechtwinkligen Vorsprungs des Gebäudes der Klägerin in nordwestlicher Richtung“ und spricht damit offenkundig die Garage an, die auch als Bild 1 in der Schallimmissionsprognose vom 26.4.2021 (dort Seite 4) abgebildet ist. Dass es nach der Prognose an den im 1. Obergeschoss gelegenen Fassadenpunkten mit dem höchsten Schalldruckpegel der Zusatzbelastung „IO-25no_b 1. OG“ und „IO-25no_c 1. OG“ zu keinen Schallreflexionen kommt, ist damit ohne Weiteres nachvollziehbar.
70dd) Ein Zuschlag für eine Amplitudenmodulation war bei der Schallimmissionsprognose nicht zu vergeben.
71Zwar kann es in konkreten Einzelfällen besondere Ausprägungen der charakteristischen Geräusche von Windenergieanlagen geben, die zu einer erhöhten Lästigkeit der Anlagengeräusche führen und bei der Beurteilung mit einem Zuschlag zu berücksichtigen sind.
72Vgl. dazu ausführlich OVG NRW, rechtskräftiges Urteil vom 5.10.2020 - 8 A 894/17 -, juris, Beschlüsse vom 22.3.2021 - 8 A 3518/19 -, juris, und vom 30.1.2020 - 8 B 857/19 -, juris.
73Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die in Rede stehenden Windenergieanlagen des Typs Nordex N149/5.7 derartige Wirkungen verursachen könnten, sind aber weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der bloße Hinweis auf die charakteristischen „Wusch“-Geräusche oder der Vergleich mit einem landenden Hubschrauber genügen dafür nicht.
74Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21.2.2020 ‑ 8 A 3269/18 -, juris.
75Soweit sich im Rahmen des laufenden Betriebs herausstellen sollte, dass die Anlagen entgegen den bei Erstellung der Prognose und Erteilung der Genehmigung zugrunde gelegten Annahmen störende Geräusche verursachen, wäre dem – auch unter Berücksichtigung etwa der Nebenbestimmung Nr. 3.8.8 des Änderungsbescheids vom 19.8.2021 – im Rahmen der Anlagenüberwachung Rechnung zu tragen.
76ee) Da das Grundstück der Klägerin nach den vorgelegten Schallimmissionsprognosen der L. D. F1. GmbH mit Blick auf die Zusatzbelastung des Vorhabens nicht mehr in dessen Einwirkungsbereich im Sinne von Nr. 2.2 TA Lärm liegt, bedarf es keiner näheren Betrachtung der Vorbelastung im Sinne von Nr. 2.4 Abs. 1 der TA Lärm.
77Vor diesem Hintergrund besteht hier kein Anlass für eine Sonderfallprüfung nach Nr. 3.2.2 TA Lärm. Das Vorhaben würde mit Blick auf ein Zusammenwirken unterschiedlicher Geräusche – insbesondere auch durch die Bundesautobahn A 44 und die Bundesstraße 55 – keinen relevanten Beitrag am Immissionsort „IO-25“ liefern.
783. Ungeachtet der vorstehenden Feststellungen hätte die Klage aber selbst dann keinen Erfolg, wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, ihr Grundstück liege in einem faktischen reinen Wohngebiet. Dies ergibt sich aus der Irrelevanzregel gemäß Nr. 3.2.1 Abs. 2 TA Lärm.
79Nach Nr. 3.2.1 Abs. 2 TA Lärm darf die Genehmigung für die zu beurteilende Anlage auch bei einer Überschreitung der Immissionsrichtwerte aufgrund der Vorbelastung aus Gründen des Lärmschutzes nicht versagt werden, wenn der von der Anlage verursachte Immissionsbeitrag im Hinblick auf den Gesetzeszweck als nicht relevant anzusehen ist. Das ist in der Regel der Fall, wenn die von der zu beurteilenden Anlage ausgehende Zusatzbelastung die Immissionsrichtwerte nach Nummer 6 am maßgeblichen Immissionsort um mindestens 6 dB(A) unterschreitet.
80So liegt der Fall hier. Nach der gutachtlichen Stellungnahme der L. D. F1. GmbH vom 26.4.2021 ergibt sich am Wohnhaus der Klägerin ein maximaler Schalldruckpegel der Zusatzbelastung von Lr = 29,0 dB(A). Der Nachtrichtwert von 35 dB(A) wird demnach von der Zusatzbelastung um 6 dB(A) unterschritten.
81Darüber hinaus ist in Rechnung zu stellen, dass das Grundstück der Klägerin im Einwirkungsbereich jedenfalls der westlich gelegenen Außenbereichsflächen liegt. Nach der Rechtsprechung ist anerkannt, dass einem in einem reinen Wohngebiet gelegenen Wohnhaus nicht nur, wenn es unmittelbar am Rande des Außenbereichs liegt, sondern auch, wenn es – wie hier – noch dem „Einfluss“ des Außenbereichs ausgesetzt ist, höhere Lärmimmissionen aufgrund einer Zwischenwertbildung gemäß Nr. 6.7 TA Lärm zugemutet werden.
82Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.1.2013 - 8 A 2016/11 -, juris.
83Dies zugrunde gelegt, wäre der für die Nacht im reinen Wohngebiet maßgebliche Richtwert von 35 dB(A) hier auf 38 dB(A) zu erhöhen. Damit würde die Zusatzbelastung von 29 dB(A) den maßgeblichen Richtwert um 9 dB(A) unterschreiten.
844. Die Klägerin ist auch nicht aufgrund von Infraschall in ihren Rechten verletzt.
85Die Rechtsprechung des Gerichts und anderer Obergerichte geht davon aus, dass Infraschall – wie auch tieffrequenter Schall – durch Windenergieanlagen im Allgemeinen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des menschlichen Gehörs liegt und nach dem bisherigen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse grundsätzlich nicht zu Gesundheitsgefahren führt.
86Vgl. nur OVG NRW, rechtskräftiges Urteil vom 5.10.2020 - 8 A 894/17 -, juris, und Beschluss vom 22.3.2021 - 8 A 3518/19 -, juris, jeweils m. w. N.
87Sämtliche Studien, die der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Senat vorgelegt hat oder die dem Senat anderweitig bekannt sind, sind lediglich Teil des wissenschaftlichen Diskurses, ergeben allerdings bisher keinen begründeten Ansatz für relevante tieffrequente Immissionen oder Infraschall durch Windenergieanlagen oder nachweisbare gesundheitsschädliche Auswirkungen.
88Vgl. nur OVG NRW, rechtskräftiges Urteil vom 5.10.2020 - 8 A 894/17 -, juris, und Beschluss vom 22.3.2021 - 8 A 3518/19 -, juris, jeweils m. w. N.
89Aus dem Hinweis der Klägerin auf den Beweisbeschluss des OLG Hamm vom 8.12.2020 - I-24 U 1/20 - ergibt sich nichts anderes. Das OLG Hamm hat in einem zivilgerichtlichen Verfahren, in dem der dortige Kläger privatrechtliche Ansprüche gegen die beklagte Betreiberin von sieben Windenergieanlagen geltend macht, u. a. Beweis darüber erhoben, ob die Windenergieanlagen Infraschall auf dem Grundstück dieses Klägers verursachen. Dabei dient die Beweiserhebung nach den dortigen Angaben des OLG Hamm zunächst der Klärung, ob es aus physikalisch-technischer Sicht prinzipiell möglich ist, Infraschallwellen auf dem Grundstück des Klägers zu messen und diese einer bestimmten Quelle wie z. B. den Windenergieanlagen der Beklagten zuzuordnen.
90Nach dem oben dargestellten derzeitigen Erkenntnisstand in der Wissenschaft zu den Auswirkungen von Infraschall durch Windenergieanlagen, mit dem sich der 24. Zivilsenat des OLG Hamm nicht näher befasst hat, besteht allein eine hypothetische Gefährdung.
91Angesichts des trotz zahlreicher Studien insoweit unsicheren Erkenntnisstandes in der Wissenschaft ist es nicht Aufgabe der Gerichte, weitere wissenschaftliche Forschung zu betreiben.
92Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 22.3.2021 - 8 A 3518/19 -, juris, m. w. N.; siehe auch OLG Schleswig, Urteil vom 4.12.2019 - 9 U 152/18 -,juris.
93Aus den vorstehenden Gründen musste die Schallimmissionsprognose auch nicht entgegen den Vorgaben der DIN ISO 9613‑2 (dort Tabelle 2) Frequenzen unter 63 Hz berücksichtigen.
94II. Von den genehmigten Windenergieanlagen geht keine unzumutbare optisch bedrängende Wirkung auf das Wohnhaus der Klägerin aus.
95Nach den von der Rechtsprechung des Gerichts hierzu entwickelten Maßstäben,
96vgl. nur OVG NRW, rechtskräftiges Urteil vom 5.10.2020 - 8 A 894/17 -, juris, m. w. N.
97kommt eine solche Wirkung bei dem gegebenen Abstand der jeweils knapp 240 m hohen Anlagen zum Wohnhaus der Klägerin von ca. 1.800 m (vgl. Stellungnahme L. D. F1. GmbH vom 26.4.2021, Seite 1) ersichtlich nicht in Betracht.
98III. Die Gesamtbelastung aller optischen und akustischen Störwirkungen, die bei Anwohnern zu empfundenem Stress führen können, war nicht gesondert zu ermitteln und zu bewerten.
99Es gibt keinen Rechtssatz, der allgemein eine summierende Gesamtbetrachtung der einzelnen von einem Vorhaben verursachten Immissionen gebietet. Die Erheblichkeitsschwelle ist vielmehr grundsätzlich für jede Immissionsart gesondert zu bewerten.
100Vgl. OVG NRW, rechtskräftiges Urteil vom 5.10.2020 - 8 A 894/17 -, juris, m. w. N.
101IV. Es bestehen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die von der Klägerin angeführten gesundheitlichen Symptome wie Stresssyndrom und psychosomatische Abwehrreaktionen über das vorstehend Geprüfte (Geräusche, Optik) hinaus als Folge schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG anzusehen oder im Rahmen des Rücksichtnahmegebots zu berücksichtigen wären.
102Für die Frage, ob Beeinträchtigungen im vorgenannten Sinne das zumutbare Maß überschreiten und damit eine erhebliche Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG darstellen, ist grundsätzlich ein objektivierter Maßstab – nämlich das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen, nicht die individuelle Einstellung eines besonders empfindlichen Nachbarn – zugrunde zu legen.
103Vgl. OVG NRW, rechtskräftiges Urteil vom 5.10.2020 - 8 A 894/17 -, juris, m. w. N.
104Der von der Klägerin angeführte Umstand, dass ein erheblicher Teil der in der Nachbarschaft von Windenergieanlagen wohnenden Bevölkerung nach der Inbetriebnahme solcher Anlagen über gesundheitliche Symptome unterschiedlicher Art klage, genügt daher nach dem bisherigen Stand der Erkenntnisse nicht, um diese Symptome als Folge schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG zu bewerten, die auf dem Betrieb von Windenergieanlagen beruhen. Aus der von der Klägerin vorgelegten Studie „Infrasound does not explain symptoms related to wind turbines“, von Maijala u. a., Helsinki 2020 (Seite 78 f.) ergibt sich zwar, dass 15 % der befragten Personen, die bis zu 2,5 km entfernt von Windenergieanlagen wohnen, über Symptome klagen, die sie auf den Betrieb dieser Anlagen zurückführen. In dieser Untersuchung heißt es jedoch ausdrücklich (Seite 78), dass sich daraus kein Kausalzusammenhang ergebe. Belastbare Untersuchungen, die einen solchen Zusammenhang belegen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
105V. Es ist auch nicht anzunehmen, dass die Klägerin bzw. ihr Wohngrundstück – wie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen – durch den Abrieb von Mikroplastikpartikeln von den Rotorblättern der Anlagen unzumutbar beeinträchtigt werden.
106Vgl. dazu im Einzelnen OVG NRW, Urteil vom 22.11.2021 - 8 A 973/15 -, juris.
107VI. Dass die Nebenbestimmungen unter Ziffer 3.9 zum C. in der angefochtenen Genehmigung sowie das dazugehörige Brandschutzkonzept des Sachverständigenbüros X. C. vom 24.3.2020 die Klägerin mit Blick auf den Abstand zwischen den Anlagen und ihrem Wohngrundstück von ca. 1.800 m in ihren Rechten verletzen könnten, ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
108VII. Schließlich ergibt sich eine Rechtsverletzung der Klägerin nicht aus einem in der mündlichen Verhandlung reklamierten Verstoß gegen die Regelung zum Mindestabstand für privilegierte Windenergieanlagen nach § 2 Abs. 1 BauGB-AG NRW in der ab dem 15.7.2021 geltenden Fassung (GV. NRW. S. 877). Unabhängig davon, dass hier ein solcher Verstoß mit Blick auf die Übergangsregelung des § 2 Abs. 3 Satz 2 BauGB-AG NRW zu verneinen ist, könnte sich die Klägerin auf einen Verstoß gegen § 2 BauGB-AG NRW ohnehin nicht berufen. Die Bestimmung dient jedenfalls nicht dem Schutz von Eigentümern von Wohngebäuden, deren Abstand zu streitgegenständlichen Windenergieanlagen den Mindestabstand von 1.000 m – wie hier mit ca. 1.800 m – deutlich überschreitet.
109Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind aus Gründen der Billigkeit erstattungsfähig, weil sie einen Sachantrag gestellt und sich damit selbst einem prozessualen Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
110Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO und §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
111Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision ergibt sich aus § 132 Abs. 2 VwGO; Zulassungsgründe sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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