Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (6. Senat) - 6 A 10539/16

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Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 21. April 2016 geändert.

Unter Abweisung der Klage im Übrigen wird der Abwasserabgabeänderungsbescheid des Beklagten vom 3. August 2015 insoweit aufgehoben, als für das Veranlagungsjahr 2014 eine höhere Abwasserabgabe als 94.718,24 € festgesetzt wurde.

Die weitergehende Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge haben die Klägerin ein Fünftel und der Beklagte vier Fünftel zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann eine Vollstreckung seitens der Klägerin durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin, ein Unternehmen der papiererzeugenden Industrie, wendet sich gegen die Erhöhung der Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 2014 durch Bescheid des Beklagten vom 3. August 2015.

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Mit wasserrechtlichem Erlaubnisbescheid des Beklagten vom 3. Februar 2006 wurde der Klägerin die Einleitung aufbereiteten Abwassers in den H… bewilligt und für den Parameter Chemischer Sauerstoffbedarf (CSB) ein Überwachungswert von 40 mg/l festgesetzt. Bei einer staatlichen Überwachung des Betriebs der Klägerin am 15. Dezember 2014 wurde eine CSB-Konzentration von 69 mg/l gemessen. Die staatliche Überwachung vom 19. Dezember 2012, der einzigen innerhalb von drei Jahren vor dem 15. Dezember 2014, hatte keine Überschreitung dieses Überwachungswerts ergeben.

3

Daraufhin änderte der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 3. August 2015 den früheren Bescheid vom 10. Dezember 2014 und erhöhte die von der Klägerin für das Jahr 2014 zu zahlende Abwasserabgabe von 73.960,04 € auf 172.740,44 €. Diese Berechnung beruht auf der Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten (ZSE) für den Parameter CSB von 3200 ZSE um 1.160 ZSE auf 4.360 ZSE und der Verdoppelung des Abgabensatzes von 17,895 € auf 35,79 €.

4

Gegen diesen Änderungsbescheid legte die Klägerin Widerspruch ein und erhob Untätigkeitsklage, der das Verwaltungsgericht stattgab. Hinsichtlich des seinem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts im Übrigen nimmt der Senat gemäß § 130b Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung − VwGO − auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug, dessen tatsächliche Feststellungen er sich zu Eigen macht.

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Das Verwaltungsgericht hat den Änderungsbescheid vom 3. August 2015 im Wesentlichen mit der Begründung aufgehoben, der Überwachungswert für den Parameter CSB sei zwar bei der Messung vom 15. Dezember 2014 nicht eingehalten gewesen, er gelte jedoch als eingehalten. Dies folge aus der sogenannten 4-aus-5-Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Abwasserverordnung – AbwV −. Danach gelte ein Überwachungswert als eingehalten, wenn die Ergebnisse der aktuellen und der vier vorausgegangenen staatlichen Überprüfungen in vier Fällen den jeweils maßgebenden Wert nicht überschritten und kein Ergebnis den Wert um mehr als 100 Prozent übersteige, wobei länger als drei Jahre zurückliegende Überprüfungen unberücksichtigt blieben. Zwar hätten in einem Zeitraum von drei Jahren zuvor keine vier amtlichen Überwachungen stattgefunden; dies sei jedoch für die Anwendung des § 6 Abs. 1 AbwV unschädlich. Die Beschränkung in Satz 2 auf einen Betrachtungszeitraum von drei Jahren diene dem Schutz des Abgabeschuldners (Einleiters), sie solle nicht den Abgabengläubiger begünstigen. Sinn des § 6 Abs. 1 AbwV sei nämlich der Schutz des Einleiters vor der Verwertung von Zufallsergebnissen. Die Beschränkung auf den Beurteilungszeitraum von drei Jahren solle daher die Heranziehung von „Uralt-Ergebnissen", die mit der aktuellen Einleitsituation nichts mehr zu tun hätten, vermeiden, nicht aber dazu führen, dass, werde der Einleiter im Zeitraum von drei Jahren nicht mindestens fünfmal überwacht, die Regelung aus Satz 1 nicht zu seinen Gunsten zur Anwendung kommen dürfe. Dies hätten auch etliche Bundesländer erkannt und in „Arbeitshilfen" oder „Vollzugsleitfäden" diesbezügliche Aussagen getroffen.

6

Mit seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht der Beklagte geltend, die Fiktion der Einhaltung des Überwachungswerts für den Parameter CSB könne nur eingreifen, wenn in dem Drei-Jahres-Zeitraum vor der aktuellen Überwachung tatsächlich vier weitere Kontrollen stattgefunden hätten, die unbedenklich gewesen seien. Daran fehle es hier. Neben der Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten für den Parameter CSB sei auch die Versagung der Abgabesatzermäßigung rechtmäßig, weil die Klägerin den verordnungsrechtlich festgelegten BSB5-Wert (Biochemischer Sauerstoffbedarf in 5 Tagen) nicht eingehalten habe.

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Der Beklagte beantragt,

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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

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Sie verteidigt das angefochtene Urteil und bekräftigt ihre Auffassung, der Überwachungswert für den Parameter CSB gelte als eingehalten, weil in dem Drei-Jahres-Zeitraum vor der aktuellen Überwachung keine Messung einen erhöhten Wert ergeben habe. Die Ermäßigung des Abgabesatzes für den Parameter CSB könne nicht wegen der Überschreitung eines anderen verordnungsrechtlich festgelegten Parameters versagt werden.

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Die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten ergeben sich aus den zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätzen und den von dem Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgängen, die sämtlich Gegenstand der Beratung waren.

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Entscheidungsgründe

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Die Berufung des Beklagten, über die mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, ist nur zum Teil begründet.

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Anders als das Verwaltungsgericht kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Abwasserabgabeänderungsbescheid des Beklagten vom 3. August 2015 insoweit rechtmäßig ist, als damit eine Erhöhung der von der Klägerin für das Veranlagungsjahr 2014 zu zahlenden Abwasserabgaben von 73.960,04 € auf 94.718,24 € vorgenommen wurde. In diesem Umfang kann die Klage keinen Erfolg haben. Das angefochtene Urteil muss daher geändert werden.

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Soweit mit dem Änderungsbescheid des Beklagten vom 3. August 2015 eine höhere Abwasserabgabe als 94.718,24 € festgesetzt wurde, ist er jedoch rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der angefochtene Bescheid ist in diesem Umfang aufzuheben; die Berufung des Beklagten insoweit zurückzuweisen.

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Rechtsgrundlage des Änderungsbescheids vom 3. August 2015 ist die Bestimmung des § 4 Abs. 4 Satz 2 des Gesetzes über Abgaben für das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Abwasserabgabengesetz) i. d. F. vom 18. Januar 2005 (BGBl. I, S. 114 m. sp. Ä. – AbwAG –). Danach wird die Zahl der für die Abwasserabgabe maßgeblichen Schadeinheiten dann erhöht, wenn die staatliche Überwachung ergibt, dass ein der Abgabenrechnung zugrunde zu legender Überwachungswert im Veranlagungszeitraum nicht eingehalten ist (1.) und auch nicht als eingehalten gilt (2.). Unter den Voraussetzungen des § 9 Abs. 5 AbwAG ist eine Ermäßigung des Abgabesatzes zu gewähren (3.).

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1. Für das Veranlagungsjahr 2014 ist die Zahl der für die Abwasserabgabe der Klägerin maßgeblichen Schadeinheiten von 3200 ZSE um 1.160 ZSE auf 4.360 ZSE zu erhöhen, weil bei der am 15. Dezember 2014 im einleitenden Betrieb der Klägerin durchgeführten staatlichen Überwachung eine CSB-Konzentration von 69 mg/l gemessen und damit der mit Bescheid des Beklagten vom 3. Februar 2006 festgesetzte Überwachungswert für diesen Parameter von 40 mg/l nicht eingehalten wurde. Der CSB-Wert, der der Menge an Sauerstoff entspricht, welche zur Oxidation der gesamten im Abwasser enthaltenen organischen Stoffe erforderlich ist, wurde vielmehr um einen Prozentsatz von 72,5 überstiegen. Da der Überwachungswert damit nur einmal nicht eingehalten wurde, bestimmt sich die Erhöhung gemäß § 4 Abs. 4 Satz 4 AbwAG nach der Hälfte dieses Vomhundertsatzes, sie beträgt also 36,25 v. H. der bisher maßgeblichen 3200 Schadeinheiten.

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Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass nach Angaben der Klägerin eine von ihr in Auftrag gegebene Analyse der Referenzprobe einen Wert von 63 mg/l beim Parameter CSB ergab. Denn das Protokoll der Probenahme stellt eine öffentliche Urkunde im Sinne von §§ 98 VwGO, 415 Abs. 1, 418 Abs. 1 Zivilprozessordnung − ZPO − dar, deren Unrichtigkeit gemäß § 418 Abs. 2 ZPO nur bewiesen ist, wenn jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass der gesetzlich als erwiesen geltende Sachverhalt richtig ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Oktober 2004 – 9 B 6.04 –, NVwZ-RR 2005, 203 = juris). Ein solcher Beweis ist nicht erbracht.

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2. Der festgesetzte Überwachungswert von 40 mg/l für den Parameter CSB gilt auch nicht als eingehalten. Das Abwasserabgabengesetz regelt nicht, wann ein Überwachungswert eingehalten ist oder als eingehalten gilt. Dies beurteilt sich nach den einschlägigen wasserrechtlichen Bestimmungen (BVerwG, Urteil vom 2. November 2006 – 7 C 5.06 –, NVwZ-RR 2007, 124 = juris). Ist ein in der wasserrechtlichen Zulassung festgesetzter Wert nach dem Ergebnis einer Überprüfung im Rahmen der staatlichen Überwachung nicht eingehalten, gilt er nach § 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über Anforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Abwasserverordnung) i. d. F. d. Bek. v. 17. Juni 2004 (BGBl. I, S.1108 m. sp. Ä. – AbwV –) dennoch als eingehalten, wenn die Ergebnisse dieser und der vier vorausgegangenen staatlichen Überprüfungen in vier Fällen den jeweils maßgebenden Wert nicht überschreiten und kein Ergebnis den Wert um mehr als 100 Prozent 2;bersteigt. Überprüfungen, die länger als drei Jahre zurückliegen, bleiben dabei unberücksichtigt (§ 6 Abs. 1 Satz 2 AbwV).

21

Zwar hat der Beklagte keine CSB-Konzentration im von der Klägerin eingeleiteten Abwasser festgestellt, die mehr als das Doppelte des Überwachungswerts für diesen Parameter von 40 mg/l beträgt. In dem Drei-Jahres-Zeitraum vor dem 15. Dezember 2014 fanden allerdings keine vier (weiteren) staatlichen Überprüfungen der CSB-Konzentration statt, bei denen der Überwachungswert von 40 mg/l eingehalten wurde.

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Soweit die Klägerin mit dem Verwaltungsgericht die Auffassung vertritt, der Überwachungswert für den Parameter CSB gelte gleichwohl als eingehalten, weil der Beklagte in dem maßgeblichen Zeitraum keine vier staatlichen Überprüfungen durchgeführt habe, folgt dem der Senat nicht.

23

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 6 Abs. 1 AbwV greift die Fiktion der Einhaltung des Überwachungswerts nur, wenn innerhalb eines Drei-Jahres-Zeitraums die Ergebnisse der aktuellen und der vier vorausgegangenen staatlichen Überprüfungen in höchstens einem Fall den jeweils maßgebenden Wert um allenfalls das Doppelte übersteigen. Finden in dem genannten Zeitraum weniger als vier (weitere) staatliche Überprüfungen statt, wird eine aktuell festgestellte Überschreitung des Überwachungswerts nicht als dessen Einhaltung fingiert.

24

Diese Auslegung wird durch die vom Verwaltungsgericht und von der Klägerin angestellten Überlegungen zu Sinn und Zweck der sogenannten „4-aus-5-Regelung“ des § 6 Abs. 1 AbwV und zu der Handhabung der Regelung in einzelnen anderen Bundesländern nicht erschüttert.

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25

Wie in dem angefochtenen Urteil zutreffend wiedergegeben wurde, zielt das Regelungssystem des § 4 Abs. 4 AbwAG darauf ab, durch den Druck der Abgabenbelastung den Einleiter anzuhalten, die festgelegten Überwachungswerte von sich aus einzuhalten und sogar möglichst zu unterbieten, um damit zugleich den wasserrechtlichen Verwaltungsvollzug ohne Verlust an Effektivität zu entlasten. Der Gesetzgeber hat sich zur Verstärkung dieser abgabenrechtlichen Flankierungswirkung bewusst für harte finanzielle Folgen bei Überschreitung der Überwachungswerte entschieden (vgl. BT-Drucks. 10/5533 S. 9; BVerwG, Urteil vom 2. November 2006 – 7 C 5.06 –, NVwZ-RR 2007, 124 = juris) und ausdrücklich schon eine einmalige Überschreitung als Rechtfertigung für eine überproportionale Abgabensteigerung ausreichen lassen. Damit hat der Gesetzgeber die Abgabenrelevanz sog. "Ausreißer" grundsätzlich in Kauf genommen (BT-Drucks. 10/5533 S. 12; BVerwG, Urteil vom 2. November 2006 – 7 C 5.06 –, NVwZ-RR 2007, 124 = juris). Angesichts der Möglichkeit, dass ein gemessener Wert, der den zu beachtenden Wert überschreitet, lediglich ein seltener „Ausreißer“ ist, während der zu beachtende Wert in der Regel eingehalten wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1998 – 8 C 16/96 –, DVBl 1999, 399 = juris; BVerwG, Urteil vom 2. November 2011 – 7 C 5/06 –, NVwZ-RR 2007, 124 = juris), hat sich der Verordnungsgeber nicht für eine generelle Irrelevanz eines Zufallsergebnisses entschieden, sondern in § 6 Abs. 1 AbwV eine spezielle Regelung getroffen, die die Fiktion der Einhaltung des Überwachungswerts von mehreren Voraussetzungen abhängig macht.

26

Dazu gehört – wie erwähnt – auch, dass innerhalb eines Drei-Jahres-Zeitraums vor der aktuellen Überprüfung vier (weitere) staatliche Überprüfungen stattgefunden haben und die Ergebnisse der aktuellen sowie der vier vorausgegangenen Überprüfungen in höchstens einem Fall den jeweils maßgebenden Wert um allenfalls das Doppelte übersteigen. Die „4-aus-5-Regelung“ soll die Schwierigkeiten ausnahmsloser Einhaltung von Einleitungswerten angesichts durch die tatsächlichen Verhältnisse bedingter Schwankungen oder technischer Fehlfunktionen dadurch erleichtern, dass ein nach vier Überprüfungen einmal vorkommender "Ausreißer" unberücksichtigt bleibt; darin erschöpft sich die Bedeutung der Regelung (vgl. BR-Drucks. 198/89, S. 41; BVerwG, Urteil vom 2. November 2006 – 7 C 5.06 –, NVwZ-RR 2007, 124 = juris zu der vergleichbaren früheren Bestimmung der Ziffer 2.2.4 der Rahmen-AbwasserVwV).

27

Es gibt keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AbwV lediglich länger als drei Jahre zurückliegende „Ausreißer“ unberücksichtigt bleiben sollen, die den Einleiter belasten. Vielmehr bringt § 6 Abs. 1 Satz 2 AbwV zum Ausdruck, dass länger als drei Jahre zurü;ckliegenden Messergebnissen unabhängig davon keine Aussagekraft mehr beigemessen wird, ob sie den Einleiter begünstigen oder belasten.

28

Der Verordnungsgeber hat mit der Regelung des § 6 Abs. 1 AbwV hingenommen, dass die Anwendbarkeit der &#8222;4-aus-5-Regelung“ wesentlich von der behördlichen Überwachungstätigkeit abhängt und beispielsweise im Falle der Überlastung der Überwachungsbehörde leerlaufen kann. Denn der (Bundes-)Verordnungsgeber hat keinen bestimmenden Einfluss auf die personelle und technische Ausstattung sowie den Geschäftsanfall (z. B. die Anzahl der Störfälle) der Überwachungsbehörden der Länder. Das Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 20. August 1997 – 8 B 170/97 –, DVBl 1998, 51 = juris; Urteil vom 2. November 2006 – 7 C 5.06 –, NVwZ-RR 2007, 124 = juris) hat eine niedrige Überwachungsfrequenz als für den Einleiter grundsätzlich unbedenklich angesehen, weil die staatlichen Untersuchungen stets nur weniger Überschreitungen feststellen können als tatsächlich von dem Abgabepflichtigen begangen wurden; der Einleiter habe nach dem Regelungssystem des § 4 Abs. 4 AbwAG in seiner Anknüpfung an staatliche Messergebnisse nie eine höhere Abgabe zu zahlen als "an sich" von ihm geschuldet. Das gilt grundsätzlich auch, wenn nur sehr wenige Überprüfungen durchgeführt werden. Dadurch wird der Einleiter ohne weiteres begünstigt, wenn er die Überwachungswerte öfter nicht einzuhalten vermag. Dass dem Einleiter durch die geringe Anzahl von Überprüfungen andererseits die Möglichkeit genommen werden kann, sich auf die Fiktion der Einhaltung der Überwachungswerte nach § 6 Abs. 1 AbwV zu berufen, hat der Verordnungsgeber mit den normierten Voraussetzungen dieser Fiktion in Kauf genommen. Soweit das Verwaltungsgericht darauf hinweist, in einigen Bundesländern werde die Einhaltungsfiktion davon abweichend gehandhabt, muss dies angesichts des klaren Wortlauts der Bestimmung des § 6 Abs. 1 AbwV und des damit übereinstimmenden Zwecks der Regelung unberücksichtigt bleiben.

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3. Die somit auf 4.360 erhöhte Zahl der Schadeinheiten ist mit dem auf die Hälfte ermäßigten Abgabesatz von 17,895 € zu multiplizieren, so dass sich für den Parameter CSB ein Abgabebetrag von 78.022,20 € ergibt. Anders als der Beklagte meint, kann die Klägerin eine Ermäßigung des Abgabesatzes – wie bisher – beanspruchen.

30

Nach § 9 Abs. 5 AbwAG ermäßigt sich der Abgabesatz um die Hälfte für die Schadeinheiten, die nicht vermieden werden, obwohl (erstens) der Inhalt des Bescheides nach § 4 Absatz 1 AbwAG oder die Erklärung nach § 6 Absatz 1 Satz 1 AbwAG mindestens den in einer Rechtsverordnung nach § 7a des Wasserhaushaltsgesetzes in der am 28. Februar 2010 geltenden Fassung oder § 23 Absatz 1 Nummer 3 in Verbindung mit § 57 Absatz 2 des Wasserhaushaltsgesetzes festgelegten Anforderungen entspricht und (zweitens) die in einer solchen Rechtsverordnung festgelegten Anforderungen im Veranlagungszeitraum eingehalten werden. Diese beiden kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen waren im Veranlagungszeitraum des Jahres 2014 gegeben. Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, die zweite der genannten Voraussetzungen sei wegen Überschreitung sowohl des verordnungsrechtlich festgelegten CSB-Werts (a) als auch des BSB5-Werts (b) nicht erfüllt gewesen, folgt dem der Senat nicht. Dabei stellt der BSB5-Wert die Maßzahl für die Menge des im Wasser gelösten Sauerstoffs dar, der zum biologischen aeroben Abbau gelöster organischer Verbindungen im Abwasser durch Mikroorganismen innerhalb von fünf Tagen benötigt wird.

31

a) Der in Anhang 28 der Abwasserverordnung für das Abwasser aus der Herstellung von Papier und Pappe aufstellte CSB-Wert (3 kg/t) war eingehalten, was der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 28. Januar 2016 eingeräumt hat. Gleichwohl geht er auf der Grundlage einer von ihm vorgenommenen „Umrechnung“ der (eingehaltenen) Schadstofffracht in eine Schadstoffkonzentration nicht nur von einer Überschreitung des Ü;berwachungswerts, sondern auch der verordnungsrechtlich festgelegten Anforderungen aus. Dies ist mit der in Anhang 28 Buchst. C Abs. 1 für den Parameter CSB normierten „Frachtanforderung“ nicht zu vereinbaren. Da der Verordnungsgeber mit dieser „Frachtanforderung“ für den Parameter CSB – anders als im Falle der übrigen Schadstoffwerte – ausdrücklich keine Schadstoffkonzentration für das Abwasser an der Einleitungsstelle festgelegt hat, muss eine „Umrechnung“ der gemessenen Schadstofffracht in eine Schadstoffkonzentration unterbleiben.

32

b) Die Ermäßigung des Abgabesatzes kann der Klägerin auch nicht mit der Begründung versagt werden, der vom Beklagten gemessene BSB5-Wert habe 42 mg/l betragen und damit den nach Anhang 28 Buchst. C Abs. 1 zugelassenen Wert von 25 mg/l BSB5 überstiegen.

33

Anders als der Beklagte meint, ist bei der Entscheidung, ob der Abgabesatz für das Veranlagungsjahr 2014 gemäß § 9 Abs. 5 AbwAG ermäßigt wird, nicht auf die Anforderungen an den BSB5-Wert, sondern lediglich auf die Einhaltung des im Anhang 28 Buchst. C Abs. 1 festgelegten CSB-Werts abzustellen.

34

Dies folgt aus dem eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AbwAG. Danach ist der Abgabesatz (nur) für diejenigen Schadeinheiten zu ermäßigen, die nicht vermieden werden, obwohl die in einer Rechtsverordnung festgelegten Anforderungen im Veranlagungszeitraum eingehalten werden. Bei diesen nicht vermiedenen, sondern trotz Einhaltung der verordnungsrechtlich festgelegten Anforderungen angefallenen Schadeinheiten kann es sich vorliegend nur um solche Schadeinheiten handeln, deren Zahl wegen Überschreitung eines wasserbehördlich festgesetzten Überwachungswerts nach § 4 Abs. 4 AbwAG zu erhöhen ist. Denn nur insoweit kommt die Festsetzung einer höheren Abwasserabgabe in Betracht, bei der eine Ermäßigung des Abgabesatzes nach § 9 Abs. 5 AbwAG zu prüfen ist. Die im Sinne des § 9 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AbwAG in einer Rechtsverordnung festgelegten (und eingehaltenen) Anforderungen beziehen sich damit ausschließlich auf den oder die Parameter, deren &#220;berwachungswert überschritten wurde, hier also auf den CSB-Wert. Allein die Überschreitung des wasserbehördlich festgesetzten Überwachungswerts für den Parameter CSB ist die Grundlage der Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten nach § 4 Abs. 4 AbwAG durch den angefochtenen Änderungsbescheid. Nur in Bezug auf diesen Wert stellt sich die Frage der Abgabesatzermäßigung.

35

Diese sich aus dem Wortlaut der Bestimmung bereits ergebende Auslegung wird durch ihre den Gesetzesmaterialien zu entnehmende Zweckbestimmung bestätigt. Danach soll die Einführung des Standes der Technik für die Einleitung gefährlicher Stoffe in § 7a Abs. 1 des Entwurfs einer 5. Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz – WHG – bei bestimmten gefährlichen Stoffen abgaberechtlich flankiert werden (BT-Drucks. 10/5533, S. 1), wobei der Einleiter bei Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik wie bisher die Halbierung des Abgabesatzes erhält (BT-Drucks. 10/5533, S. 9). Damit verbindet § 9 Abs. 5 AbwAG gewässerschutzpolitische Zwecke mit dem Ziel, die Abgabenbelastung in einem wirtschaftlich tragbaren Rahmen zu halten (vgl. BT-Drucks. 7/5183 S. 4). Dies geschieht, indem der Gesetzgeber einen Anreiz schafft, in den Gewässerschutz zu investieren und die für die einzelnen Schadstoffparameter festgelegten Anforderungen zu erfüllen, um − gleichsam im Gegenzug − zumindest zum Teil von der Abwasserabgabe entlastet zu werden (vgl. BT-Drucks. 10/5533, S. 1, 2 und 8; BT-Drucks. 11/4942, S. 1 und 6 f. sowie BT-Drucks. 12/4272, S. 1). Daneben ließ sich der Gesetzgeber auch vom Ziel der Verringerung des Verwaltungsaufwandes leiten (vgl. etwa BT-Drucks. 10/5533, S. 1, 2 und 8, BT-Drucks. 11/4942, S. 1, 6, 7 und 9 f.).

36

Aus gesetzessystematischen Gründen ist die Ermä3;igung nach § 9 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AbwAG auch nicht etwa zusätzlich davon abhängig, dass bei der Abwasserreinigung allgemeine Anforderungen nach dem Stand der Technik beachtet werden. Denn die Anforderungen, die sowohl die allgemein anerkannten Regeln der Technik als auch der Stand der Technik an die Beschaffenheit einzuleitenden Abwassers stellen, wurden durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 7a Abs. 1 WHG (Rahmen-AbwasserVwV) ebenso konkretisiert wie dies durch die nunmehr maßgebliche Abwasserverordnung erfolgt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1998 – 8 C 30.96 –, BVerwGE 107, 345 = juris). Wie auch der Beklagte einräumt, ist der Stand der Technik parameterbezogen zu definieren. Das gilt zumindest, wenn die Abwasserverordnung für einen bestimmten Schadstoff eine konkrete Anforderung enthält, wie dies für den CSB-Wert der Fall ist. Darin unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung – neben zwischenzeitlich erfolgter Änderungen des Abwasserabgabegesetzes – entscheidend von derjenigen, die dem Urteil des früher zuständigen 12. Senats des Oberverwaltungsgerichts vom 15. Mai 1996 (– 12 A 11132/95.OVG –, esovgrp) zugrunde lag. Dieses Urteil betraf Fälle, in denen keine Anforderungen in den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach § 7a Abs. 1 Satz 3 WHG gestellt waren und deshalb die Abgabesatzermäßigung von einer Abwasserreinigung nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik abhängig gemacht wurde. In dem dazu ergangenen Revisionsurteil vom 28. Oktober 1998 (BVerwG – 8 C 30.96 –, BVerwGE 107, 345 = juris) hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass bei allen Einleitungen die Ermäßigung des Abgabesatzes für jeden Schadstoff in gleicher Weise gesondert zu prüfen ist. Gemäß § 9 Abs. 5 Satz 4 i. V. m. Satz 1 AbwAG ist die Ermäßigung des Abgabesatzes nur zu versagen, wenn hinsichtlich dieses Schadstoffs die verordnungsrechtlich konkretisierten allgemein anerkannten Regeln der Technik nicht eingehalten werden.

37

Soweit der Beklagte meint, die Überschreitung des in Anhang 28 Buchst. C Abs. 1 der Abwasserverordnung festgelegten BSB5-Werts rechtfertige wie der Verstoß gegen allgemeine Anforderungen die Versagung der Abgabesatzermäßigung (auch) im Hinblick auf den Parameter CSB, folgt ihm der Senat nicht. Die Festlegung des BSB5-Werts in Anhang 28 Buchst. C Abs. 1 der Abwasserverordnung gehört nicht zu den allgemeinen Anforderungen des § 3 AbwV oder denjenigen des Anhangs 28 der Abwasserverordnung für das Abwasser aus der Herstellung von Papier und Pappe und ist diesen auch nicht vergleichbar.

38

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

39

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.

40

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

41

Beschluss

42

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 98.780,40 € festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 3 GKG).

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