Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (1. Senat) - 1 A 11941/17

Tenor

Unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 23. November 2017 wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Klägerin.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung seitens der Beigeladenen durch Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht die Beigeladene vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigung.

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Die Klägerin, eine Maschinenbaugesellschaft, unterhält in B*** ein im Geltungsbereich des Bebauungsplans „H***“ gelegenes Prüffeld, auf dem in einer Halle Großmaschinen im Dauerbetrieb getestet sowie auf Freiständen weitere Maschinen wie Rüttelplatten, Stampfer und Bandagen geprüft werden.

3

Die Beigeladene betreibt auf der Grundlage einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 30. Juli 2013 insgesamt neun Windkraftanlagen in der benachbarten Gemarkung K***. Die Standorte der Anlagen liegen im Süden und im Südwesten des Betriebsgeländes der Klägerin in einer Entfernung zwischen ca. 400 und 1.400 Meter zu diesem. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf den Plan Blatt 9 der Verwaltungsakte „BImSchG-Antrag“, Ordner 1.1, der Beklagten verwiesen. Nach Ziffer 2.7.2.2 der ursprünglichen Genehmigung war ein Betrieb der fünf Anlagen WEA SF1 bis 3 sowie WEA SF8 und 9 in der Zeit von 22:00 bis 06:00 Uhr nicht zulässig.

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Mit Bescheid vom 3. Juli 2014 erteilte der Beklagte der Beigeladenen antragsgemäß eine Änderungsgenehmigung, durch die der schallreduzierte Nachtbetrieb der fünf Anlagen nunmehr mit folgenden Maßgaben zugelassen wird:

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„Die Genehmigung ergeht unter Beachtung der Schallimmissionsprognose Nr. 14.017-5 der ted GmbH vom 20. Mai 2014.

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2.7.2.1 Der Schallleistungspegel von 104,1 dB(A) der beantragten Windenergieanlagen Typ REPower 3.2M114 darf bei 95 %iger Nennleistung nicht überschritten werden, zuzüglich eines gemäß schalltechnischer Immissionsprognose zulässigen Toleranzbereichs für die Seriensteuerung und die Unsicherheit der Vermessung.

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2.7.2.2 In der Nacht von 22:00 bis 6:00 Uhr dürfen folgende beantragte Windenergieanlagen nur schallreduziert betrieben werden. Dabei dürfen die aufgeführten Schallleistungspegel, zuzüglich eines gemäß schalltechnischer Immissionsprognose zulässigen Toleranzbereichs für die Seriensteuerung und die Unsicherheit der Vermessung, nicht überschritten werden:

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2.7.2.3 Durch eine von der nach Landesrecht zuständigen Behörde nach §§ 26/28 BImSchG bekannt gegebenen Stelle ist spätestens ein Jahr nach Inbetriebnahme der beantragten WEA SF anhand einer schalltechnischen Abnahmemessung die Einhaltung des von den beantragten Windenergieanlagen erzeugten Immissionsanteils an Geräuschen in der Nacht (Zusatzbelastung) unter Berücksichtigung der erforderlichen Zuschläge ... nachzuweisen."

11

Gegen diese Änderungsgenehmigung hat die Klägerin zunächst Widerspruch und – nach dessen Zurückweisung mit Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 24. November 2016 – am 3. Januar 2017 Klage erhoben.

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Angesichts der Vorbelastung durch ihren Betrieb, die übrigen Betriebe im Gewerbepark H*** und die durch den Gewerbepark H*** II zulässigen Emissionskontingente sei nicht auszuschließen, dass der Nachtbetrieb der Windenergieanlagen zu einer Überschreitung der Immissionsrichtwerte an der nächstgelegenen Wohnbebauung führe und infolgedessen auch sie selbst mit einer Verpflichtung zu weitergehenden Lärmschutzmaßnahmen rechnen müsse. Aufgrund dessen sei sie vorliegend klagebefugt.

13

In der Sache selbst fehle es bereits an der erforderlichen Vorprüfung zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit.

14

Überdies gelange die der Änderungsgenehmigung zugrundeliegende Schallimmissionsprognose der t*** GmbH vom 20. Mai 2014 ausgehend von einer Überschreitung des zulässigen Nacht-Immissionsrichtwertes von 45 dB(A) um 2 dB(A) über eine Reduzierung der Emissionen der einzelnen Anlagen zu einer verbleibenden Gesamtbelastung für den Immissionsort T*** von 46 dB(A). Bei der Optimierung seien jedoch nicht die genau errechneten Pegel der Vor- und Zusatzbelastung addiert, sondern gerundete Pegel verwendet worden. Bei korrekter Berechnung ergebe sich bei einer Vorbelastung 46,4 dB(A) und einem Rechenwert für den schalloptimierten Betrieb der Windkraftanlagen mit 35,2 dB(A) ein gerundeter Pegel von 47 dB(A). Zudem sei die Vorbelastung durch den Betrieb der Klägerin unzureichend ermittelt worden; bei der Ermittlung eines nächtlichen Emissionskontingents von 48 dB(A) für die gesamte Betriebsfläche habe man die exponierte Lage des Prüfstandfeldes verkannt. Durch die Emissionen ihres eigenen Betriebs und die zulässige Zusatzbelastung in dem neuen Gewerbepark H*** II werde der zulässige Immissionsrichtwert vollständig ausgeschöpft. Sie selbst sei bereits in der Vergangenheit gezwungen gewesen, umfangreiche Maßnahmen durchzuführen, um den Immissionsrichtwert von 40 dB(A) in den nächstgelegenen Wohngebieten einzuhalten. Angesichts der vollständigen Ausschöpfung der Immissionsrichtwerte sei die Lärmkontingentierung für das Plangebiet „H*** II“ mit dem Ziel einer Erfüllung des Relevanzkriteriums nach Ziffer 3.2.1 TA Lärm, d. h. einer Unterschreitung des jeweiligen Immissionsrichtwertes um mindestens 6 dB(A), erfolgt. Damit seien nicht zu einer Überschreitung der zulässigen Geräuschpegel führende Zusatzbelastungen weiterhin möglich, was bei einer Unterschreitung der maßgeblichen Immissionsrichtwerte durch die Beurteilungspegel der hinzukommenden Anlagen um mindestens 10 dB(A) der Fall sei. Von daher sei auch sie selbst nicht an einer Erweiterung ihres Betriebes gehindert. Der streitgegenständliche Nachtbetrieb der Beigeladenen führe nunmehr zu einer erheblichen Überschreitung der Immissionsrichtwerte an der benachbarten Wohnbebauung, wodurch sie selbst zur Lärmstörerin werde und eine nachträgliche Anordnung nach § 17 Abs. 1 BImSchG zu befürchten habe.

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Das Verwaltungsgericht Koblenz hat mit Urteil vom 23. November 2017 die Änderungsgenehmigung vom 3. Juli 2014 und den Widerspruchsbescheid vom 24. November 2016 aufgehoben und die Berufung gegen das Urteil zugelassen.

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Die Klagebefugnis ergebe sich vorliegend aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gleichbehandlungsgrundsatz in Verbindung mit §§ 5 Abs. 1, 6, 17 und 24 BImSchG.

17

Auf die gerichtlich bislang nicht geklärte Frage des asymmetrischen Konkurrenzschutzes für emittierende Anlagen sei die Rechtsprechung zu sog. echten Konkurrentenklagen, etwa solchen zwischen zwei Windenergieanlagenbetreibern, übertragbar. Bei Vorliegen mehrerer sich ausschließender Genehmigungsanträge stelle unter Berücksichtigung des Rechtsstaatsprinzips und des Gleichbehandlungsgrundsatzes die Genehmigungs- bzw. Antragspriorität grundsätzlich ein sachgerechtes Entscheidungskriterium dar. Im Bereich der Lärmimmissionen sei dieses Kriterium jedoch nicht ohne weiteres in der Lage, die behördliche Ermessensausübung – hier zugunsten des bestehenden Betriebs der Klägerin – zu lenken, da es in § 17 BImSchG und in der TA Lärm nicht wie beispielsweise im Baurecht verankert sei. Hier stelle sich etwa die Frage, was im Falle des Ablaufs der Genehmigung für das Erstvorhaben oder bei dessen späterer wesentlicher Änderung gelte. Zusätzliche bei Anforderungen an bestehende Anlagen mehrerer Emittenten zu berücksichtigende Gesichtspunkte ergäben sich aus der TA Lärm (Nr. 5.3) und der Kommentarliteratur. Nicht genannt seien dort indessen die Genehmigungspriorität oder die offensichtliche Rechtswidrigkeit einer Genehmigung wegen schon prognostisch zu hoher Emissionen. Ob ein genehmigter Betrieb trotz Einhaltung der festgesetzten Emissionswerte wegen zu hoher Immissionen bei einem Dritten durch eine nachträgliche Anordnung nach § 17 BImSchG in Anspruch genommen werde, liege damit letztlich im Ermessen der Behörde. Nach alledem könne die Klägerin nicht auf den Rechtsschutz gegen eine eventuelle nachträgliche Anordnung verwiesen werden. Als wirksamer Weg, die Gesichtspunkte der Priorität bzw. einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit der der Beigeladenen erteilten Änderungsgenehmigung in einem eventuellen späteren Anordnungsverfahren zur Geltung zu bringen, verbleibe vielmehr nur die Beseitigung der Tatbestandswirkung der erteilten Änderungsgenehmigung durch deren Anfechtung.

18

Die materielle Rechtswidrigkeit der angefochtenen Änderungsgenehmigung ergebe sich aus dem Fehlen eines validen Sachverständigengutachtens zur Lärmbelastung und einer ausreichenden Vorprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung; wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil – Seiten 19 bis 36 – Bezug genommen.

19

Am 19. Dezember 2017 hat die Beigeladene Berufung gegen das Urteil vom 23. November 2017 eingelegt und diese – innerhalb der durch den Senat bis zu diesem Tage verlängerten Begründungsfrist – am 22. März 2018 begründet.

20

Sie hält die Klage für bereits unzulässig. § 17 BImSchG greife schon deshalb nicht ein, weil es sich bei den der Klägerin erteilten Genehmigungen um Baugenehmigungen handele. Überdies gehe es vorliegend gerade nicht um Fragen der Priorität eines Genehmigungsantrages gegenüber dem Antrag eines Konkurrenten bzw. darum, dass der Beklagte die durch den Betrieb der Klägerin entstehenden Lärmvorbelastungen in unzureichender Weise berücksichtigt hätte. Entscheidend sei vielmehr allein die Frage, ob das Hinzutreten einer Lärmbelastung dazu führe, dass der Emittent der Vorbelastung aufgrund des Risikos, nachträglich zu Lärmminderungsmaßnahmen herangezogen zu werden, insoweit in seinen Rechten verletzt sein könne. Dies sei indessen durch vorliegende Entscheidungen des OVG Lüneburg – Beschluss vom 16. Juli 2012, 12 LA 105/11 – und des OVG Münster – Beschluss vom 19. Oktober 2000, 21 B 1119/00 – dahingehend geklärt, dass selbst ein im Einzelfall greifbarer Anlass für entsprechende Befürchtungen nicht zur Zulässigkeit einer „Emittentenkonkurrenzklage“ führe.

21

Überdies tritt die Beigeladene mit der Berufung den Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils zur Begründetheit der Klage entgegen.

22

Die Beigeladene beantragt,

23

das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 23. November 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

24

Der Beklagte beantragt ebenfalls,

25

das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 23. November 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

26

Er schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen der Beigeladenen an.

27

Die Klägerin beantragt,

28

die Berufung zurückzuweisen.

29

Sie hält ihre Klage weiterhin für zulässig. Sie wiederholt und vertieft hierzu zunächst ihr Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren. Zudem treffe es bereits nicht zu, dass für die von ihr betriebenen Anlagen allein baurechtliche Genehmigungen vorlägen, wobei unabhängig davon aber auch bezüglich „lediglich“ baurechtlich genehmigter Anlagen der Erlass einer nachträglichen Anordnung nach § 24 BImSchG in Betracht komme. Ein ausreichender Schutz hiergegen bestehe trotz der zeitlich früher erfolgten Genehmigung ihrer Anlagen nicht. Bei den zitierten Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Lüneburg und Münster gehe es nicht um die hier relevante Frage der möglichen Inanspruchnahme eines bereits vorhandenen Emittenten im Falle der Genehmigung hinzukommender, nunmehr zusammen mit der Vorbelastung zu einer Richtwertüberschreitung führender Immissionen.

30

Im Übrigen sei die Klage auch begründet; insoweit tritt die Klägerin der Berufungsbegründung mit Sach- und Rechtsausführungen entgegen.

31

Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands ergeben sich aus den zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätzen der Beteiligten und den vorgelegten Verwaltungs- und Widerspruchsakten (6 Ordner, 4 Hefte und 1 CD), welche allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

32

Die Berufung ist zulässig und begründet.

33

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 23. November 2017 die streitgegenständliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 3. Juli 2014 zu Unrecht aufgehoben. Die hiergegen erhobene Klage ist bereits unzulässig.

34

Nach § 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ist die Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch diesen in seinen Rechten verletzt zu sein.

35

Ausreichend, aber auch erforderlich ist hierfür, dass die Verletzung einer subjektive Rechte oder rechtlich geschützte Interessen des Klägers begründenden Norm auf der Grundlage des Klagevorbringens jedenfalls möglich erscheint.

36

An dieser Voraussetzung fehlt es hier; die Möglichkeit einer Verletzung subjektiver Rechte oder rechtlich geschützter Interessen der Klägerin scheidet vorliegend offensichtlich und nach jeder Betrachtungsweise aus.

37

1. Dass eine Verletzung dem Schutz der Klägerin dienender Vorschriften einfachen Rechts nicht erkennbar ist, stellt bereits das erstinstanzliche Urteil zutreffend fest (§ 130b Satz 2 VwGO).

38

2. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ergibt sich die Klagebefugnis aber auch nicht aus verfassungsrechtlichen Vorschriften.

39

Fehlt es an einfachgesetzlichen Vorschriften, die den verfassungsrechtlich geforderten Mindestschutz von Grundrechten gewährleisten, und scheidet auch eine verfassungskonforme Auslegung in dieser Richtung aus, so besteht nach herrschender Meinung, der auch der Senat folgt, zwar die Möglichkeit eines direkten Rückgriffs auf die Grundrechte (vgl. zum Ganzen etwa Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 121 m. w. N. zum Streitstand).

40

Vorliegend werden jedoch durch die streitgegenständliche Änderungsgenehmigung keine Grundrechte der Klägerin – insbesondere nicht ihr durch Art. 14 Grundgesetz – GG – geschütztes Sacheigentum oder ihr als Vermögensgesamtheit in diesem Kontext mitgeschützter eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb – verletzt.

41

a) Ein finaler und unmittelbarer Eingriff der Änderungsgenehmigung in Eigentumspositionen der Klägerin liegt nicht vor, da der Genehmigungsbescheid keinerlei Regelungsgehalt in Bezug auf das Eigentum bzw. die betriebliche Tätigkeit der Klägerin aufweist. Unmittelbar in die Rechte der Klägerin eingreifen könnte vielmehr erst die von ihr befürchtete nachträgliche Anordnung nach § 17 bzw. 24 BImSchG, welche bislang indessen weder erfolgt noch seitens der Verwaltung konkret beabsichtigt ist.

42

b) Bloß mittelbare, reflexhafte Auswirkungen eines Verwaltungsakts auf grundrechtlich geschützte Rechtsgüter Dritter können nicht ohne Weiteres bereits als Grundrechtsbeeinträchtigungen angesehen werden. Anderenfalls käme es zwangsläufig zu einer Ausuferung subjektiver Rechte durch die Aufwertung von Belangen Privater zu subjektiven Grundrechten und einer mittelbaren Subjektivierung von nur objektivrechtlichen Bestimmungen, die bei einem Grundrechtseingriff zu beachten sind (Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rnrn. 122 und 119). Von daher bedarf es im Falle nur mittelbarer Auswirkungen auf grundrechtlich geschützte Rechtsgüter für die Annahme eines Grundrechtseingriffs einer qualifizierten Grundrechtsbeeinträchtigung, für die je nach Sachbereich leicht variierende Schlagworte wie „schwer und unerträglich“ oder „schwer und unzumutbar“ gebräuchlich sind (vgl. näher Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 122; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 42 Rn. 58 m. w. N.).

43

Eine derart qualifizierte mittelbare Auswirkung der streitgegenständlichen Änderungsgenehmigung auf Grundrechte der Klägerin – konkret auf ihr durch Art. 14 GG geschütztes Eigentum – scheidet indessen offensichtlich und nach jeder Betrachtungsweise aus.

44

aa) Dass die streitgegenständliche Änderungsgenehmigung als weitere Folge zwangsläufig zu einer späteren Beeinträchtigung des Eigentums der Klägerin in Form einer gegen sie ergehenden nachträglichen Anordnung nach den §§ 17 bzw. 24 BImSchG führen würde, ist weder geltend gemacht noch sind hierfür irgendwelche sonstigen Anhaltspunkte erkennbar.

45

Im Gegenteil verhält es sich so, dass bis zum Datum der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 17. Oktober 2019 – und damit über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren nach dem Ergehen der Änderungsgenehmigung hinweg – dem von der Klägerin nicht in Abrede gestellten Vortrag der Beklagten zufolge irgendwelche Beschwerden von Anwohnern über eine unzumutbare Lärmbelästigung nicht bekannt geworden sind. Von daher erscheint bereits fraglich, ob es im Praxisbetrieb der streitgegenständlichen Windenergieanlagen überhaupt zu den nächtlichen Richtwertüberschreitungen kommt, wie sie die Klägerin aufgrund der mit entsprechenden Sicherheitszuschlägen versehenen Lärmschutzprognose für möglich hält, und mithin insoweit auch nur die Voraussetzungen eines von der Klägerin befürchteten behördlichen Einschreitens nach dem BImSchG vorlägen, ganz abgesehen davon, dass ein solches Einschreiten bislang von niemandem verlangt worden ist.

46

bb) Letztlich handelt es sich bei den mittelbaren Auswirkungen der streitgegenständlichen Änderungsgenehmigung auf die Rechtsposition der Klägerin allenfalls um eine abstrakte Gefährdung, zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise mit einer nachträglichen Anordnung nach den §§ 17 bzw. § 24 BImSchG belegt zu werden.

47

Diese bloße Gefährdung greift vorliegend offensichtlich nach keiner Betrachtungsweise schwer und unzumutbar in das Eigentum der Klägerin ein; für den Fall, dass tatsächlich eine entsprechende Anordnung gegen sie ergehen sollte, ist es der Klägerin vielmehr zuzumuten, sodann gegen diese Anordnung Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. a. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 16. Juli 2012 – 12 LA 105/11 –, und OVG NRW, Beschluss vom 19. Oktober 2000 – 21 B 1119/00 –, beide in juris).

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(1) Zum einen ist nämlich bereits völlig unwahrscheinlich, dass es überhaupt zu einer Heranziehung der Klägerin im Wege einer nachträglichen Anordnung kommen könnte.

49

Wie bereits dargelegt, ist noch völlig ungeklärt, ob der zwischenzeitlich stattfindende Nachtbetrieb der fünf in Rede stehenden Windenergieanlagen überhaupt zu tatsächlichen Überschreitungen von für die Nachtzeit geltenden Immissionsrichtwerten führt und von daher auch nur die rechtlichen Voraussetzungen für ein diesbezügliches Tätigwerden der zuständigen Immissionsschutzbehörde gegeben sind.

50

Um eine nachträgliche Anordnung nach den §§ 17 bzw. 24 BImSchG erlassen zu können, müsste die zuständige Behörde zunächst einmal durch entsprechende Messungen ermitteln, ob es im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Nachtbetrieb der fünf Windkraftanlagen überhaupt zu den von der Klägerin befürchteten Richtwertüberschreitungen kommt. Für derartige Ermittlungen besteht indessen hier schon deshalb keine Veranlassung, weil bereits nach der mit entsprechenden Sicherheitszuschlägen versehenen Lärmschutzprognose – wenn überhaupt – allenfalls von einer geringfügigen Überschreitung in der Größenordnung von 0,4 dB(A) auszugehen ist und bis dato auch nach mehrjährigem Betrieb noch keine diesbezüglichen Beschwerden von Anwohnern über eine unzumutbare Lärmbelästigung bekannt geworden sind.

51

Abgesehen davon stünde selbst für den nach alledem eher unwahrscheinlichen Fall, dass die zuständige Behörde zu einem späteren Zeitpunkt nach entsprechenden Ermittlungen tatsächlich den Erlass einer nachträglichen Anordnung nach den §§ 17 bzw. § 24 BImSchG beabsichtigen sollte, aber auch keinesfalls fest, dass sich diese gegen die Klägerin richten würde. Im Gegenteil erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass eine ordnungsgemäße Auswahl zwischen den vorliegend in Betracht kommenden Störern zu einer Heranziehung gerade der Klägerin führen könnte.

52

Bei einer möglichen Auswahl zwischen mehreren in Betracht kommenden Störern wäre vorliegend im Rahmen einer pflichtgemäßen Ermessensausübung zwingend zu berücksichtigen, dass – wenn es denn in der Summierung überhaupt zu einer solchen kommen sollte – erst das Hinzutreten der allein streitgegenständlichen zusätzlichen Immissionsbelastung durch den Nachtbetrieb von fünf Windenergieanlagen zu einer Überschreitung der zulässigen Immissionsrichtwerte geführt und mithin auch erst das Vorhaben der Beigeladenen überhaupt Anlass zu einem Einschreiten der Immissionsschutzbehörde gegeben. Schon von daher wäre es in diesem Falle naheliegend, die Beigeladene, deren Vorhaben dann die Schwelle zur Störung überschritten und diese damit unmittelbar verursachte hätte, nunmehr auch als Störerin heranzuziehen. Dies gilt umso mehr, als die streitgegenständliche Genehmigung für den Fall, dass sie ein wegen einer Überschreitung der zulässigen Richtwerte immissionsschutzrechtlich unzulässiges Vorhaben zugelassen hätte, ja auch selbst rechtswidrig wäre. Damit wäre die Beigeladene – der die mögliche Rechtswidrigkeit ja von Anfang an bekannt gewesen wäre und die somit auch nicht auf die Rechtmäßigkeit der Genehmigung hätte vertrauen können – im Rahmen einer Störerauswahl insoweit weniger schutzwürdig als die Klägerin. Als besonders bedeutsam kommt zudem noch hinzu, dass auch unter dem Gesichtspunkt einer möglichst effektiven Störungsbeseitigung eine Heranziehung der Beigeladenen am naheliegendsten erscheint, da diese als Einzige in der Lage ist, eine tatsächliche Richtwertüberschreitung quasi auf Knopfdruck – durch ein bloßes zeitweiliges (Wieder-)Ausschalten einzelner oder aller fünf Windenergieanlagen – genau bis zu den einzuhaltenden Grenzwerten zu reduzieren.

53

Unter Berücksichtigung dieser spezifischen Umstände des Einzelfalles hält es der Senat – jedenfalls bei ansonsten gleichbleibenden Verhältnissen – für äußerst unwahrscheinlich, dass eine hypothetische nachträgliche Anordnung nach den §§ 17 bzw. 24 BImSchG rechtsfehlerfrei gegen einen anderen Störer als die Beigeladene ergehen könnte; es spräche insoweit vielmehr alles für eine Ermessensreduzierung in Richtung auf eine Heranziehung der Beigeladenen.

54

(2) Abgesehen von der somit nur äußerst geringen Wahrscheinlichkeit einer Verwirklichung der in Rede stehenden Gefahr, mit einer nachträglichen Anordnung nach §§ 17 bzw. 24 BImSchG belegt zu werden, kann diese Gefahr auch vom Gewicht der drohenden Rechtsgutbeeinträchtigung nicht als schwer und unzumutbar mit der Folge angesehen werden, dass bereits die Gefährdung selbst als mit Rechtsmitteln angreifbarer Eingriff in das Eigentum der Klägerin bewertet werden müsste.

55

Als der Klägerin – theoretisch – drohende Eingriffe kämen angesichts der in Rede stehenden allenfalls geringen Richtwertüberschreitungen tendenziell auch nur kleinere und begrenzte Maßnahmen in Betracht, welche nicht gravierend in den Betriebsablauf eingreifen und erst recht kein existenzbedrohendes Potential haben, wie z. B. ein stundenweiser Verzicht auf bestimmte besonders emittierende Tätigkeiten zur Nachtzeit. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass für den hypothetischen Fall einer Inanspruchnahme der Klägerin diese nach Lage der Dinge voraussichtlich auch nur gemeinsam mit anderen Störern („anteilig“) herangezogen werden könnte; Anhaltspunkte für besondere Umstände, die im Rahmen einer Störerauswahl bei pflichtgemäßer Ermessensausübung zu einer alleinigen oder überwiegenden Inanspruchnahme der Klägerin führen könnten, sind – erst recht – auch nicht ansatzweise erkennbar.

56

(3) Etwas Anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung.

57

Das Verwaltungsgericht leitet die von ihm angenommene Klagebefugnis der Klägerin aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) in Verbindung mit den §§ 5 Abs. 1, 6, 17 und 24
BImSchG ab. Es sei der Klägerin nicht zumutbar, auf einen Rechtsschutz erst gegen eine eventuelle nachträgliche immissionsschutzrechtliche Anordnung verwiesen zu werden, da sie in diesem Verfahren die Gesichtspunkte der zu ihren Gunsten streitenden Genehmigungspriorität sowie der Rechtswidrigkeit der Änderungsgenehmigung nicht mehr wirksam zur Geltung bringen könne.

58

Dem vermag der Senat indessen nicht zu folgen:

59

Dabei bedarf es vorliegend keiner näheren Betrachtung, ob und inwieweit es sich bei der zeitlich früheren Genehmigung einer Anlage zum einen und einer möglichen Rechtswidrigkeit der zeitlich nachfolgend erteilten (Konkurrenz-)Genehmigung zum anderen überhaupt um Gesichtspunkte handelt, welche generell im Rahmen der Störerauswahl für eine später ergehende nachträgliche Anordnung eine ausschlaggebende Rolle spielen müssen. Jedenfalls für den vorliegenden Fall ist nämlich
– wie bereits ausgeführt – unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch der zusätzlichen Betrachtung unter Effizienzgesichtspunkten, im Ergebnis davon auszugehen, dass eine rechtmäßige Heranziehung der Klägerin als Störerin letztlich ohnehin nicht in Betracht kommt. Deshalb ist es ihr – unabhängig davon, ob man vorliegend die Klagebefugnis anhand einer möglichen Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG oder anhand der Art. 20 Abs. 3 und 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Vorschriften des BImSchG beurteilt – zumutbar, Rechtsschutz nicht bereits aufgrund einer durch die Änderungsgenehmigung hervorgerufenen bloß abstrakten Gefährdung, sondern erst dann in Anspruch nehmen zu können, wenn sich die zuständige Genehmigungsbehörde zu einem späteren Zeitpunkt ungeachtet der aufgezeigten Bedenken gleichwohl entschließen sollte, eine nachträgliche Anordnung gegen die Klägerin zu erlassen.

60

Soweit das Verwaltungsgericht Bedenken äußert, dass Genehmigungsbehörde und für den Erlass nachträglicher Anordnungen zuständige Behörde regelmäßig nicht identisch seien, sondern sogar unterschiedlichen Rechtsträgern angehörten, und die letztgenannte Behörde bei der Prüfung, gegen wen sie einschreiten wolle, zur Klärung der Priorität und der Rechtswidrigkeit von Genehmigungen nicht einfach auf die Genehmigungsakten zurückgreifen könne, selbst wenn sie dies überhaupt in Erwägung ziehe, überzeugen diese nicht.

61

Für die zuständige Behörde ist es ohne weiteres möglich, benötigte Verwaltungsakten auch bei Behörden eines anderen Rechtsträgers anzufordern. Dies wäre für eine ordnungsgemäße Sachverhaltsermittlung und ermessensfehlerfreie Störerauswahl vorliegend ohnehin zwingend erforderlich; eine Entscheidung über nachträgliche Anordnungen ohne nähere vorherige Ermittlungen, welche Optionen in der konkreten Situation für eine wirkungsvolle Reduktion unzulässig hoher Immissionspegel einerseits erforderlich, andererseits aber auch ausreichend sind, erscheint bereits generell kaum und im konkreten Fall angesichts des Zusammenwirkens einer Mehrzahl von Emittenten gar nicht vorstellbar. Überdies ist es keineswegs in das Belieben der zuständigen Immissionsschutzbehörde gestellt, ob diese die Priorität und eine konkret in Betracht kommende Rechtswidrigkeit einer der beteiligten Genehmigung bei ihrer Entscheidung als solche berücksichtigt, sondern zwingendes Erfordernis einer ordnungsgemäßen Ermessensbetätigung.

62

Soweit das Verwaltungsgericht schließlich noch auf einen der Klägerin für den Fall der Heranziehung eines anderen Störers drohenden zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch gemäß § 426 BGB hinweist, liegt auch in dieser Möglichkeit keine unzumutbare Gefährdung, welche es erfordern würde, bereits die streitgegenständliche Änderungsgenehmigung anfechten und damit ihre Tatbestandwirkung beseitigen zu können. Insoweit dürfte nämlich jedenfalls bei Rechtswidrigkeit einer der „beteiligten“ Genehmigungen mangels gleichrangiger Verantwortlichkeit bereits gar keine Gesamtschuldnerschaft bestehen, und die Klägerin kann diese Rechtswidrigkeit der Genehmigung auch noch in dem späteren Verfahren geltend machen, da diese ihr gegenüber mangels Anfechtungsbefugnis nicht in Bestandskraft erwachsen kann.

63

4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 und 162 Abs. 3 VwGO, wobei es der insoweit maßgeblichen Billigkeit entsprach, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen in voller Höhe aufzuerlegen, da Letztere zum einen Berufungsklägerin ist und zum anderen auch bereits im erstinstanzlichen Verfahren einen eigenen Antrag gestellt und sich damit gemäß § 154 Abs. 3 VwGO ihrerseits einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.

64

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

65

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt. Insbesondere hat die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. VwGO; auf die vom Verwaltungsgericht aufgeworfenen Fragen zur Anfechtung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung durch einen „Emissionskonkurrenten“ kommt es vorliegend nicht an, da mit der Änderungsgenehmigung vorliegend jedenfalls angesichts der konkreten Einzelfallumstände nicht schwer und unzumutbar in Rechte der Klägerin eingegriffen worden ist.

66

Beschluss

67

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 15.000, -- € festgesetzt (§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG).

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