Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (6. Senat) - 6 A 11200/18

Tenor

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 31. Juli 2018 wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

1

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil kein asylgesetzlich spezifischer Zulassungsgrund im Sinne des § 78 Abs. 3 AsylG vorliegt beziehungsweise durch den Klägerbevollmächtigten dargelegt wurde (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).

2

A. Die Berufung ist nicht deswegen zuzulassen, weil dem Verwaltungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen wäre (§§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG; 138 VwGO).

3

I. Die Kläger machen geltend, ohne einen bestimmten Zulassungsgrund im Sinne des § 78 Abs. 3 AsylG zu benennen, dass das Verwaltungsgericht seiner „Aufklärungspflicht“ nicht nachgekommen sei.

4

1. Die Zulassungsschrift führt hierzu zunächst aus, die Vorinstanz hätte im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes die klägerseitig vorgelegten aserbaidschanischen Unterlagen nicht vorschnell als Fälschungen einstufen dürfen, sondern hätte deren Echtheit mittels einer entsprechenden Anfrage an die deutsche Botschaft in Baku überprüfen lassen müssen.

5

Die Defizite der verwaltungsgerichtlichen Sachverhaltserforschung setzten sich darin fort, dass das Verwaltungsgericht bei der Einschätzung einer bestehenden Schutzwilligkeit und -fähigkeit der aserbaidschanischen Polizei (§§ 3c Nr. 3; 3d AsylG [i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG]) „alternative Quellen“ nicht herangezogen habe. Insoweit verweist der Klägerbevollmächtigte auf „den Länderbericht von Amnesty International 2018 zu Aserbaidschan“, woraus sich ergebe, dass „Folter und Korruption bei den Polizeibehörden nicht unüblich“ seien.

6

Schließlich habe das Verwaltungsgericht seine „Aufklärungspflicht“ auch dadurch verletzt, dass es den Kläger zu 1.) nicht darauf hingewiesen habe, dass er „aktuelle medizinische Unterlagen“ vorlegen müsse.

7

2. Die Kläger rügen damit eine Verletzung der gerichtlichen Pflicht zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) und – der Sache nach – auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch eine Überraschungsentscheidung.

8

II. Mit den erhobenen Verfahrensrügen wird jedoch schon nicht dargelegt, wieso die angenommenen Aufklärungsmängel entscheidungserheblich für das Verwaltungsgericht gewesen sind (nachfolgend 1.). Ungeachtet dessen ist der Vorinstanz kein beachtlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO durch Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht vorzuwerfen (nachfolgend 2.). Schließlich liegt auch eine Überraschungsentscheidung nicht vor (nachfolgend 3.).

9

1. Soweit der Klägerbevollmächtigte rügt, dass das Verwaltungsgericht ohne hinreichende weitere Sachverhaltsaufklärung sowohl von der Unechtheit der klägerseitig vorgelegten Dokumente (vgl. Bl. 16 ff. d.A.) ausgegangen sei als auch eine Schutzwilligkeit und -fähigkeit der aserbaidschanischen Sicherheitskräfte angenommen habe, fehlt es den behaupteten Verfahrensmängeln durch Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht bereits an der Entscheidungserheblichkeit. Denn das Verwaltungsgericht stützte seine Entscheidung nicht allein auf die Unglaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens und die Unechtheit der vorgelegten Unterlagen sowie auf die Schutzwilligkeit und -fähigkeit des aserbaidschanischen Staates (vgl. UA S. 8 f.), sondern selbstständig tragend (vgl. UA S. 10: „Unabhängig davon“) auch darauf, dass es den Klägern jedenfalls möglich sei, sich einer streitgegenstandsrelevanten Gefahr (insgesamt) durch die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Schutzalternative (§ 3e AsylG [i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG]) zu entziehen. Hiermit setzt sich der Zulassungsantrag jedoch nicht auseinander.

10

2. Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen ist dem Verwaltungsgericht auch kein beachtlicher Verfahrensfehler im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO durch Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht vorzuwerfen.

11

a. Schon allgemein zeigt der schlichte Einwand eines Klägers, das Verwaltungsgericht habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt, keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im o.g. Sinn auf. Ein Aufklärungsmangel als solcher begründet grundsätzlich – und so auch hier – weder einen Gehörsverstoß, noch zählt er zu den sonstigen Verfahrensmängeln im Sinne der §§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG; 138 VwGO (vgl. jeweils m.w.N.: OVG NRW, Beschluss vom 18. Oktober 2018 – 4 A 746/18.A –, juris, Rn. 18 und OVG Nds, Beschluss vom 20. September 2018 – 10 LA 284/18 – juris, Rn. 29). Durch Mängel der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs allenfalls dann ausnahmsweise verletzt sein, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, vor allem wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl.: BayVGH, Beschluss vom 12.Oktober 2018 – 8 ZB 18.311172 –, juris, Rn. 15 m.w.N.) – mit anderen Worten dann, wenn sich dem Verwaltungsgericht eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen.

12

b. Eine derartige Sonderkonstellation liegt nicht vor, da sich der Vorinstanz aufgrund des verzögerten Vortrags der Kläger, der festgestellten Auffälligkeiten an den vorgelegten Dokumenten und der vorliegenden Erkenntnismittellage eine ergänzende Sachverhaltserforschung – etwa durch die Einholung einer Auskunft der deutschen Botschaft in Baku – nicht hätte aufdrängen müssen.

13

aa. Dem Verwaltungsgericht musste sich eine ergänzende Amtsermittlung zunächst nicht hinsichtlich der vorgelegten aserbaidschanischen Dokumente aufdrängen.

14

Gemäß den §§ 173 VwGO; 438 Abs. 1 ZPO spricht für die Echtheit einer solchen – nicht i.S.d. § 438 Abs. 2 ZPO legalisierten – ausländischen Urkunde keine gesetzliche Vermutung, wie es bei einer inländischen Urkunde (§ 437 ZPO) der Fall wäre. Das Verwaltungsgericht hat dies von Amts wegen im Wege des Freibeweises festzustellen. Hierbei kann insbesondere auch der Einschätzung von Behörden, die regelmäßig mit solchen Urkunden befasst sind, eine Indizwirkung zukommen (vgl.: Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 438 ZPO, Rn. 2 m.w.N.).

15

Das Verwaltungsgericht kann im Übrigen gemäß den §§ 173 VwGO; 142 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO anordnen, dass die (ausländische) Urkunde im Original und mit amtlicher Übersetzung vorgelegt wird, wovon es hier ausweislich der Eingangsverfügung vom 11. Mai 2017 auch Gebrauch gemacht hat (Bl. 7R d.A.).

16

Bei den daraufhin lediglich als Kopie zur Akte gereichten Unterlagen fällt bereits auf, dass die Übersetzung nicht von einem Dolmetscher i.S.d. §§ 173 VwGO; 142 Abs. 3 Satz 2 erstellt worden ist. Die vorgelegten Übersetzungen stammen von einem gewissen S… (vgl. Bl. 17, 19, 23, 25, 27 und 29 d.A.), dessen Unterschrift jedoch keinen Hinweis auf eine landesrechtliche Ermächtigung bzw. öffentliche Bestellung oder aber einer äquivalenten Berechtigung beigefügt ist (vgl. §§ 173 VwGO; 142 Abs. 3 Satz 3 ZPO). Daher spricht für die Übersetzung auch keine Richtigkeitsvermutung i.S.d. §§ 173 VwGO; 142 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

17

Ungeachtet dessen ergeben sich aus einer Auskunft des Auswärtigen Amtes an die Beklagte vom 7. Mai 2018 (Bl. 90 f. d.A.), die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde (Bl. 93 d.A.), spezifische Authentizitätsmerkmale der entsprechenden aserbaidschanischen Dokumente, die hier nicht vorliegen (UA S. 9). Das Verwaltungsgericht konnte daher in der Gesamtschau mit den übrigen Fallumständen – vor allem der erst verzögerten Dokumentenvorlage und der sich aus den übrigen Erkenntnismitteln ergebenden Häufigkeit entsprechender Fälschungen – von der Unechtheit der vorgelegten Dokumente ausgehen, ohne dass sich eine weitere Sachverhaltserforschung hätte aufdrängen müssen.

18

bb. Gleiches gilt hinsichtlich der verwaltungsgerichtlichen Einschätzung, dass die Kläger im Falle einer Rückkehr nach Aserbaidschan den Schutz der dortigen Sicherheitsbehörden in Anspruch nehmen können. Das Verwaltungsgericht gelangte auf der Grundlage der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismittellage (vgl. Bl. 83 ff.; 93 d.A. und UA S. 5) und hier insbesondere aufgrund des Berichts des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan vom 18. Juni 2018 zum Ergebnis, dass die Kläger den Schutz der dortigen Behörden im Sinne der §§ 3c Nr. 3; 3d AsylG (i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG) in Anspruch nehmen können. Eine weitergehende Erforschung des Sachverhalts war nicht geboten. Entsprechendes ergibt sich auch nicht aus dem pauschalen Verweis der Kläger im Zulassungsantrag auf „alternative Quellen“ bzw. einen Länderbericht von Amnesty International aus dem Jahr 2018 (vgl. S. 2 der Zulassungsschrift; Bl. 131R d.A.).

19

3. Das Verwaltungsgericht hat schließlich auch nicht den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör durch eine Überraschungsentscheidung verletzt, weil es den Kläger zu 1.) nicht darauf hinwies, dass er aktuelle medizinische Unterlagen vorlegen müsse.

20

a. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht auch in Anbetracht der Ausprägung, die der Anspruch auf rechtliches Gehör in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Juli 2010 – 6 B 20/10 –, juris, Rn. 4 m.w.N.). Das gilt auch für den Tatsachenvortrag des Asylbewerbers, der selbst für die Darlegung seiner Asylgründe verantwortlich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. November 2001 – 1 B 347/01 –, juris, Rn. 5 m.w.N.). Dass es im Asylverfahren, soweit entscheidungserheblich, stets auch um die Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers und die Glaubhaftigkeit seines Vortrags geht, ist selbstverständlich und bedarf grundsätzlich nicht des besonderen Hinweises durch das Gericht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. November 2001, a.a.O.). Eine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung liegt jedoch vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens auch unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Juli 2010, a.a.O., m.w.N.).

21

b. Eine derartige Ausnahmekonstellation liegt nicht vor. Die Anforderungen an ärztliche Atteste ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz (vgl. § 60a Abs. 2c AufenthG). Die Anwendung dieser Vorschrift auf die Fallgruppen des § 60 Abs. 7 AufenthG war auch vor der jüngsten Novelle der Vorschrift obergerichtlich anerkannt (vgl. etwa: OVG RP, Beschluss vom 2. Oktober 2018 – 6 A 11552/17 –, juris, Rn. 11). Zudem waren die Kläger bereits während des gesamten erstinstanzlichen Verfahrens anwaltlich vertreten, weswegen diese rechtlichen Rahmenbedingungen als bekannt vorausgesetzt werden konnten. Es versteht sich dabei von selbst, dass der Betroffene zur Darlegung seines Gesundheitszustandes stets aktuelle Atteste vorzulegen hat, weil es für die Annahme einer erheblichen konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen i.S.d. § 60 Abs. 7 AufenthG nur auf den aktuellen Gesundheitszustand ankommen kann.

22

B. Zuletzt kann der Zulassungsantrag auch nicht auf das erst im Zulassungsverfahren mit Schriftsatz vom 28. September 2018 vorgelegte Attest vom 6. September 2019 (Bl. 133 ff. d.A.) gestützt werden.

23

Auch wenn dieses Attest noch innerhalb der Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Satz 4 AsylG vorgelegt wurde, können hierauf allenfalls ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gestützt werden, die jedoch – anders als dies in allgemeinen Verfahren der Fall ist (§§ 124a Abs. 5 Satz 2; 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) – in Verfahren nach dem Asylgesetz keinen Zulassungsgrund darstellen (vgl. § 78 Abs. 3 AsylG).

24

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.

25

D. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen