Beschluss vom Sächsisches Oberverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 M 53/19

Gründe

I.

1

Der Antragsteller wendet sich gegen seine Ausweisung.

2

Der Antragsteller ist am 10.11.1995 in P./K. geboren und serbischer Staatsangehöriger. Im November 1999 – im Alter von vier Jahren – reiste er mit seinen Eltern und Geschwistern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ein Asylgesuch blieb erfolglos. Am 22.03.2007 erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG, die mehrfach verlängert wurde. Am 06.02.2015 erhielt er eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG.

3

Mit Urteil des Amtsgerichts Magdeburg vom 23.01.2017 – 24 Ls 373 Js 1320/16 (145/16) – wurde der Antragsteller wegen gemeinschaftlich begangenen schweren Raubes (§§ 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB) zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Berufung des Antragstellers wurde mit Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 19.04.2017 – 23 Ns 373 Js 1320/16 (7/17) – verworfen.

4

Mit Bescheid vom 31.07.2018 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Er wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland bis zum 04.09.2018 zu verlassen. Sofern er dieser Aufforderung nicht nachkomme, wurde ihm die Abschiebung nach S. angedroht. Die Sperrwirkung des Einreise- und Aufenthaltsverbots aufgrund der Ausweisung und der Abschiebung wurde jeweils auf 5 Jahre befristet. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Antragstellers wurde mit Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 03.12.2018 zurückgewiesen.

5

Am 04.01.2019 erhob der Antragsteller gegen den Bescheid vom 31.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2018 im Verfahren 8 A 138/19 MD beim Verwaltungsgericht Klage. Am 11.02.2019 beantragte er ergänzend vorläufigen Rechtsschutz.

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Mit Beschluss vom 05.03.2019 – 8 B 190/19 MD – lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 31.07.2018 in der Form Widerspruchsbescheides des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 03.12.2018 wiederherzustellen, ab. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, die von der Antragsgegnerin verfügte Ausweisung werde sich aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen. Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Antragstellers überwiege auch unter Berücksichtigung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet sein Interesse an einem Verbleib. Das überwiegende Ausweisungsinteresse ergebe sich aus § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Der Antragsteller sei mit Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 23.01.2017 zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt worden sei. Das Strafmaß sei durch das Urteil des Landgerichts A-Stadt vom 19.04.2017 bestätigt worden. Die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung stehe der Annahme eines Ausweisungsinteresses im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht entgegen. Auch künftig sei eine Beeinträchtigung der Sicherheit und Ordnung für solche Schutzgüter, die mi den durch die Tat verletzten vergleichbar seien, hinreichend wahrscheinlich. Dem Ausweisungsinteresse stehe ein Bleibeinteresse des Antragstellers gegenüber, das nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Wege der gesetzlichen Regelwertung ebenfalls als besonders schwerwiegend zu berücksichtigen sei. Mit seiner Niederlassungserlaubnis liege ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse vor. Eine für den vorliegenden Einzelfall vorzunehmende Gesamtabwägung ergebe jedoch, dass sich das Ausweisungsinteresse im Hauptsacheverfahren als überwiegend erweisen werde. Das Gewicht, das dem Ausweisungsinteresse beizumessen sei, wiege im vorliegenden Fall aus zwei Gründen besonders schwer. Zu der Schwere der vom Antragsteller begangenen Tat komme die dadurch deutlich gewordene Einstellung des Antragstellers zu Recht und Gesetz hinzu, ohne dass der Antragsteller umgekehrt einen Prozess glaubhaft gemacht habe, der zu einer Änderung seiner Einstellung geführt habe. Weder im Zeitpunkt der Verurteilung des Antragstellers noch im vorliegenden Verfahren sei eine solche Veränderung nachvollziehbar glaubhaft gemacht. Angesichts der Ausführungen des Amtsgerichts im Rahmen der Strafzumessung reiche eine Straflosigkeit des Antragstellers seitdem nicht aus. Das Bleibeinteresse des Antragstellers sei bei Einbeziehung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nicht geeignet, die Gefahrenprognose aufzuwiegen. Es sei nicht anzunehmen, dass die Lebensverhältnisse des Antragstellers faktisch denen eines Inländers gleich zu achten seien. Die Rechte des Antragstellers aus Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 Abs. 1 GG fielen bei der Abwägung nach § 53 Abs. 2 AufenthG nicht im besonderen Maße ins Gewicht. Der Antragsteller habe zu einer tatsächlichen gelebten Nähebeziehung zwischen sich und seinem Kind keinen näheren Vortrag gehalten. Ohnehin führe eine Ausweisung nicht zu einer unvermeidlichen Trennung einer etwaig gelebten Vater-Kind-Beziehung, da das Kind ebenfalls vollziehbar ausreisepflichtig und wie die Mutter Staatsangehöriger sei und die Familie der Mutter – im Gegensatz zu der Familie des Antragstellers – in S. lebe. In wirtschaftlicher Hinsicht sei zu berücksichtigen, dass eine feste Bindung im Bundesgebiet nicht vorhanden sei, die nicht auch in gleicher Weise außerhalb des Bundesgebietes aufgebaut werden könne. Der Antragsteller sei ohne Berufsabschluss und zuletzt im Rahmen eines Zeitarbeitsverhältnisses tätig gewesen. Er habe am 29.06.2011 seinen Hauptschulabschluss erworben. Seine erste Ausbildung habe er nach einem Jahr abgebrochen. Seine zweite Ausbildung als Schilder- und Lichtreklamehersteller habe er am 01.09.2013 aufgenommen. Diese sei bis August 2017 verlängert worden. Im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung habe der Antragsteller diese Ausbildung trotz der Verlängerung noch nicht abgeschlossen, sich am 10.01.2019 allerdings zur Gesellen- und Abschlussprüfung jedenfalls angemeldet. Unterdessen habe der Antragsteller ein sozialversicherungspflichtiges Einkommen aus Zeitarbeit erzielt. Das Zeitarbeitsverhältnis sei nun jedoch durch die am 05.02.2019 seitens des Arbeitsgebers ausgesprochene Kündigung zum 13.02.2019 beendet worden. Die Zusage eines neuen Arbeitgebers habe der Antragsteller zwar für April 2019 vorgetragen, aber weder im Einzelnen ausgeführt noch glaubhaft gemacht. Insgesamt sei der Antragsteller im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung ohne abgeschlossene Berufsausbildung und ohne Arbeitsverhältnis.

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Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 05.03.2019 wurde dem Antragsteller am 11.03.2019 zugestellt. Hiergegen legte er am 11.03.2019 Beschwerde ein, die er mit Schreiben vom 26.04.2019 zurücknahm. Mit Beschluss vom 30.04.2019 – 2 M 31/19 – wurde das Beschwerdeverfahren eingestellt.

8

Am 26.04.2019 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht beantragt, den Beschluss vom 05.03.2019 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 04.01.2019 im Verfahren 8 A 138/19 MD gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 31.07.2018 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2018 wiederherzustellen.

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Mit Beschluss vom 03.05.2019 – 8 B 256/19 MD – hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Abänderung des Beschlusses vom 05.03.2019 – 8 B 190/19 MD – abgelehnt.

10

Am 07.05.2019 ist der Antragsteller nach S. abgeschoben worden.

II.

11

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

12

Der Antrag ist nicht deshalb unzulässig geworden, weil der Antragsteller während des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes abgeschoben wurde. Insbesondere ist das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen. Eine Beschwerde gegen eine den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ablehnende Entscheidung eines Verwaltungsgerichts wird nicht aufgrund der Abschiebung des rechtsschutzsuchenden Ausländers während des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens unzulässig. Dies folgt aus dem in § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO gesetzlich eingeräumten Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch, der den Fortbestand der Zulässigkeit voraussetzt (vgl. VGH BW, Beschl. v. 05.06.2018 – 11 S 867/18 –, juris RdNr. 2). Entsprechendes gilt für den Fall, dass der Ausländer – wie hier – nach der Ablehnung eines Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO durch das Verwaltungsgericht und vor der Einlegung einer Beschwerde abgeschoben wird.

13

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

14

Der Umstand, dass es vorliegend um ein Abänderungsverfahren im Sinne des § 80 Abs. 7 VwGO geht, bestimmt den Prüfungsumfang und -maßstab des Oberverwaltungsgerichts. Der Antragsteller,dessen Antrag auf Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO von dem Gericht der Hauptsache abgelehnt wird, kann seine Beschwerde nur darauf stützen, dass die Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO vorliegen und zu Unrecht vom Verwaltungsgericht verneint worden sind (vgl. HambOVG, Beschl. v. 03.02.1995 – Bs VII 2/95 –, juris RdNr. 14; OVG BBg, Beschl. v. 29.03.2012 – OVG 10 S 17.11 –, juris RdNr. 6; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl., § 80 RdNr. 203).

15

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Änderung des Beschlusses vom 05.03.2019 – 8 B 190/19 MD – gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Veränderte oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände i.S.d. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO, die eine Änderung des Beschlusses vom 05.03.2019 rechtfertigen würden, sind hier nicht gegeben.

16

1. Der Umstand, dass der Antragsteller aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 12.03.2019 seit dem 01.04.2019 in einem Arbeitsverhältnis bei der Allianz-Vertretung P. K.l in D-Stadt als Außendienstangestellter bzw. Kundenbetreuer in der Vertretung mit einer monatlichen Provisionspauschale von 1.045,00 € stand und dort eine Weiterbildung zum Versicherungsfachmann erhalten sollte, rechtfertigt keine von der früheren Entscheidung des Verwaltungsgerichts abweichende Beurteilung, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise auch unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Bindungen sein Bleibeinteresse überwiegt. Zu Recht geht das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 03.05.2019 davon aus, dass auch das zum 01.04.2019 begründete Arbeitsverhältnis bei der Allianz-Vertretung P. K. in D-Stadt die Annahme einer gelungenen wirtschaftlichen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik nicht rechtfertige und sich daher die für den Beschluss vom 05.03.2019 maßgeblichen Gesichtspunkte nicht geändert hätten. Das Verwaltungsgericht führt aus, die wirtschaftliche Basis des Antragstellers im Bundesgebiet stelle sich durch den Abschluss des Arbeitsvertrags vom 12.03.2019 nicht anders dar als zuvor. Der Antragsteller sei nach wie vor ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Die nunmehr begonnene dritte Ausbildung habe kein solches Stadium erreicht, dass der Antragsteller nicht auch in gleicher Weise außerhalb des Bundesgebietes eine Ausbildung absolvieren könne. Eine Verfestigung der wirtschaftlichen Basis im Bundesgebiet gegenüber dem Beschluss vom 05.03.2019 sei nicht auszumachen, weil nicht einmal absehbar sei, ob der Antragsteller in der Probezeit die Voraussetzungen für einen Folgevertragsschluss schaffen werde.

17

Eine andere Beurteilung ist auch nicht auf der Grundlage der mit der Beschwerdebegründung vom 04.06.2019 vorgelegten Stellungnahme des Herrn Peter K. vom 17.05.2019 gerechtfertigt. Hierin trägt Herr K. vor, der Antragsteller habe sich in der Bewerbung und im Assessmentcenter gegen andere Bewerber mit seiner positiven Ausstrahlung und im Umgang mit dargestellten Situationen in der Branche durchgesetzt. Das sowie ein vorheriges Praktikum in seiner Agentur befähigten ihn, eine hervorragende Ausbildung und einen sicheren Arbeitsplatz zu bekommen. Die Kosten der Ausbildung trage die Allianz mit der Überzeugung, dass er zu diesem Berufsbild passe und über die entsprechende Motivation zum Lernen und Arbeiten verfüge. Er sei sich aufgrund seiner bisherigen nur guten Erfahrung mit dem Antragsteller und dessen Entwicklung sicher, dass wie vorgesehen eine automatische Weiterführung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis erfolge. Diese Stellungnahme gibt allein die – subjektive – positive Einschätzung des Antragstellers durch Herrn K. wieder, die sich aber nicht auf belastbare Tatsachen zu stützen vermag. Entscheidend ist, dass die Dauer der neuen Beschäftigung des Antragstellers nach dem Arbeitsvertrag vom 12.03.2019 ungewiss und nicht auszuschließen ist, dass er nach einigen Monaten erneut ohne abgeschlossene Berufsausbildung und ohne Arbeitsverhältnis ist. Eine wirtschaftliche Verfestigung, die eine vom Beschluss vom 05.03.2019 abweichende Abwägung des Bleibe- und Ausweisungsinteresses rechtfertigen könnte, liegt damit nicht vor.

18

2. Eine andere Bewertung des Bleibeinteresses des Antragstellers bzw. der Gefahrenprognose als im Beschluss vom 05.03.2019 ist auch nicht aufgrund des Abschlussberichts des Sozialen Dienstes der Justiz A-Stadt vom 20.03.2019 und des Beschlusses des Amtsgerichts Magdeburg vom 15.04.2019, mit dem die Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen wurde, gerechtfertigt.

19

Das Verwaltungsgericht hat im Beschluss vom 05.03.2019 ausgeführt, ausgehend von der strafrechtlichen Verurteilung des Antragstellers sei nach seinem Verhalten vor und nach der Tat und unter Berücksichtigung der Art und Weise der Tatbegehung auch künftig eine Beeinträchtigung der Sicherheit und Ordnung für solche Schutzgüter, die mit den durch die Tat verletzten vergleichbar seien, hinreichend wahrscheinlich. Dabei hat es insbesondere die Schwere des vom Antragsteller begangenen Delikts und die mit erheblicher krimineller Energie und Planung verbundene Tatbegehung gewürdigt. Es hat auch berücksichtigt, dass der Antragsteller seit der Tat bis zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, bei der Prognose für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr jedoch entscheidend die Einschätzung des Amtsgerichts A-Stadt im Rahmen der Strafzumessung herangezogen, dass aufgrund der erheblichen Anlagemängel des Antragstellers ohne eine längere Gesamterziehung die Gefahr weiterer erheblicher Straftaten von ihm ausgehe. Diese Bewertung habe das Amtsgericht selbst vor dem Hintergrund der Schadenswiedergutmachungsbereitschaft des Antragstellers getroffen, die er in der Strafverhandlung bekundet habe. Auch das Landgericht habe hierzu festgestellt, dass die Schadenswiedergutmachungsbereitschaft nur zeige, dass der Antragsteller grundsätzlich bereit sei, an sich zu arbeiten. Im Rahmen des § 53 Abs. 1 und § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sei eine längerfristige Prognose dahingehend entscheidend, ob es dem Antragsteller gelingen werde, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Für diese längerfristige Prognose sei nicht zu erkennen, dass der Antragsteller in der Weise an sich gearbeitet habe, wie es das Amtsgericht für notwendig erachtet und das Landgericht zumindest für möglich gehalten habe, damit der Antragsteller tatsächlich von seiner Grundhaltung Abkehr genommen habe. Er habe nicht glaubhaft gemacht, dass er den vom Amtsgericht erkannten notwendigen Prozess zu einer Veränderung seiner Persönlichkeit bereits begonnen oder gar durchlaufen habe. Gegen eine Wiederholungsgefahr wegen einer grundsätzlich Recht und Gesetz zuwiderlaufenden Grundeinstellung des Antragstellers spreche auch nicht, dass für die Tat Jugendstrafrecht zur Anwendung gekommen sei. Denn es sei nicht zu erkennen, dass es sich um eine typische Jugendverfehlung gehandelt habe, die sich in Zukunft bereits durch die ausgeurteilte Strafe wahrscheinlich nicht mehr ereignen werde. Dies könne aufgrund der Schwere der Tat nicht angenommen werden. Der Antragsteller sei im Tatzeitpunkt zudem 20 Jahre alt gewesen und habe als ältester Mittäter nach den Feststellungen des Amtsgerichts einen entscheidenden Anteil an der Planung und Organisation der Tat gehabt. Dieser Rolle sei sich der Antragsteller ausweislich seiner Einlassung in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht auch bewusst gewesen. Der Tatplan wiederum zeige die hohe kriminelle Energie, die auch zu seiner Durchführung aufzubringen gewesen sei. Eine typische Jugendverfehlung weise eine solche Charakteristik nicht auf.

20

Das Verwaltungsgericht geht in seinem Beschluss vom 03.05.2019 davon aus, dass diese Annahme auch unter Berücksichtigung des Erlasses der Jugendstrafe nach Ablauf der Bewährungszeit und der Beseitigung des Strafmakels weiterhin Bestand habe. Der Straferlass und die Strafmakelbeseitigung erfolgten bereits, wenn während der Bewährungszeit keine Widerrufsgründe für die Strafaussetzung eingetreten seien. Dabei gehe es um Verstöße gegen Weisungen und Auflagen und um die erneute Begehung von Straftaten. Die Straffreiheit seit den Urteilen vom 23.01.2017 und 19.04.2017 sei bereits in dem Beschluss vom 05.03.2019 berücksichtigt worden. Der Beschluss des Amtsgerichts Magdeburg vom 15.04.2019 zeige keine neuen Aspekte auf, die einer negativen Gefahrenprognose entgegenstünden oder das Ausweisungsinteresse verringerten. Entscheidend sei die längerfristige Prognose, ob es dem Antragsteller gelingen werde, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Der Antragsteller habe bereits im Hauptsacheverfahren erklärt, dass er sich durch die strafrechtliche Verurteilung beeindruckt gezeigt habe. Dies habe auch der Abschlussbericht des Sozialen Dienstes der Justiz vom 20.03.2019 wiedergegeben. Ergänzend hierzu nehme der Abschlussbericht auf den Abbruch der Kontakte zum früheren kriminellen Umfeld Bezug. Nur bei diesem Aspekt handele es sich um einen neuen Gesichtspunkt für die anzustellende Prognose. Demgegenüber seien nach wie vor die Art der Tatbegehung, die sich durch eine erhebliche kriminelle Energie und Planung ausgezeichnet habe, sowie die vom Amtsgericht festgestellten erheblichen Anlagemängel zu berücksichtigen. Die Angaben des Antragstellers gegenüber der Bewährungshilfe hätten sein Verhalten während der Bewährungszeit betroffen. Die Abstandnahme von einem kriminellen Umfeld reiche als Anzeichen für einen Einstellungswandel, der auf eine auch nach dem Ende der Bewährungszeit nachhaltige Veränderung schließen lasse, nicht aus. Das Nachverhalten des Antragstellers sei an dem Tatbild – der Rolle bei der Organisation und Planung – und an der Begehung des besonders schweren Delikts zu messen. Der Antragsteller habe sich aber nach wie vor nicht einmal zu der von ihm angekündigten Schadenswiedergutmachung erklärt.

21

Diesen überzeugenden Ausführungen hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren keine substantiierten Einwendungen entgegengehalten. Auch unter Berücksichtigung des Abschlussberichts des Sozialen Dienstes vom 20.03.2019 und des Beschlusses des Amtsgerichts A-Stadt vom 15.04.2019 über den Straferlass hat der Antragsteller bislang keinen Prozess glaubhaft gemacht, der zu einer Änderung seiner Einstellung geführt hat. Die in dem Bericht vom 20.03.2019 enthaltene Prognose der künftigen Straffreiheit des Antragstellers beruht im Kern auf dem subjektiven Eindruck der Bewährungshelferin sowie auf dem Umstand, dass der unter dem Druck eines möglichen Widerrufs der Strafaussetzung nach § 26 JGG stehende Antragsteller in der Bewährungszeit keine weiteren Straftaten begangen hat. Dies erscheint dem Senat, insbesondere vor dem Hintergrund der vom Amtsgericht festgestellten Einstellung des Antragstellers zur Tat, nicht ausreichend für die im Rahmen des § 53 Abs. 1 und § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG maßgebliche längerfristige Prognose dahingehend, dass es dem Antragsteller gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Entsprechendes gilt auch für den Erlass der Jugendstrafe und die daraus folgende Beseitigung des Strafmakels aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts A-Stadt vom 15.04.2019. Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Straffreiheit in der Bewährungszeit, die eine wesentliche Grundlage für den Beschluss des Amtsgerichts gebildet hat, bereits in dem Ausgangsbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 05.03.2019 gewürdigt wurde und daher nicht geeignet ist, eine abweichende Beurteilung zu rechtfertigen. Auch die Tatsache, dass der Antragsteller ab dem 01.04.2019 ein weiteres sozialabgabenpflichtiges Erwerbsverhältnis bei der Allianz-Versicherung eingegangen ist, lässt nicht hinreichend darauf schließen, dass er zukünftig ein straffreies Leben führen wird.

22

3. § 53 Abs. 3 AufenthG findet vorliegend keine Anwendung. Insbesondere besitzt der Antragsteller keine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU. Die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU an den Antragsteller war gemäß § 9a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ausgeschlossen.

23

4. Das Kind des Antragstellers, E., besitzt nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Zwar erwirbt ein Kind ausländischer Eltern durch die Geburt im Inland gemäß § 4 Abs. 3 StAG u.a. dann die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt. Diese Voraussetzungen lagen im Zeitpunkt der Geburt des Kindes am 13.09.2018 jedoch nicht vor, da die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers infolge der Zustellung der Ausweisung am 02.08.2018 gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG erloschen war. Der gegen die Ausweisung eingelegte Widerspruch ließ gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die Wirksamkeit der Ausweisung und die damit bewirkte Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts unberührt.

24

5. Auf die Frage, ob auch generalpräventive Gründe die Ausweisung des Antragstellers rechtfertigen, kommt es vor diesem Hintergrund nicht mehr an. Das Verwaltungsgericht ist in seinem Beschluss vom 03.05.2019 auf generalpräventive Aspekte auch nur bei der Prüfung der vom Antragsteller nicht angegriffenen Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO eingegangen.

25

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

26

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

27

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO abgelehnt, weil die beabsichtigte nach den obigen Ausführungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

28

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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