Urteil vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (3. Senat) - 3 L 178/15

Tatbestand

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Der am (…) 1993 geborene Kläger und die am (…) 1997 geborene Klägerin wenden sich gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge als unzulässig und die angedrohte Abschiebung nach Bulgarien.

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Die Kläger sind Geschwister und besitzen die syrische Staatsangehörigkeit. Sie sind kurdischer Volks- und yezidischer Glaubenszugehörigkeit. Sie reisten über Bulgarien kommend am 25. Januar 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten am 2. März 2015 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Nachdem Hinweise für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates bestanden, wonach die Kläger bereits am 14. August 2014 in Bulgarien einen Asylantrag gestellt haben, richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 23. März 2015 jeweils ein Übernahmeersuchen an Bulgarien. Die bulgarischen Behörden teilten daraufhin mit, dass eine Rückübernahme auf der Grundlage der Dublin III-Verordnung nicht akzeptiert werden könne, da dem Kläger am 2. Oktober 2014 und der Klägerin am 31. Oktober 2014 bereits der Status eines Flüchtlings („refugee status“) in Bulgarien zuerkannt worden sei. Von daher müsse ein gesondertes Ersuchen für eine Zustimmung zur Wiederaufnahme an das Direktorat der bulgarischen Grenzpolizei beim Innenministerium in Sofia gerichtet werden.

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Daraufhin lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Kläger jeweils mit Bescheid vom 4. Juni 2015 als unzulässig ab (Ziffer 1. der Bescheide) und forderte die Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland binnen 30 Tagen zu verlassen und drohte ihnen für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Bulgarien oder in einen anderen zur Aufnahme bereiten oder verpflichteten Staat - mit Ausnahme von Syrien - an (Ziffer 2. der Bescheide). Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antrag auf Durchführung eines Asylverfahrens sei unzulässig und werde nicht materiell geprüft. Die Kläger könnten aufgrund des ihnen in Bulgarien zuerkannten Schutzes keine weitere Schutzgewährung verlangen. Das Bundesverwaltungsgericht habe im Juni 2014 entschieden, dass ein erneutes Anerkennungsverfahren unzulässig sei, wenn dem Ausländer bereits in einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz, also Flüchtlingsschutz oder subsidiärer Schutz, zuerkannt worden sei. § 60 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AufenthG schließe die neuerliche Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt aus. Nach § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gelte dies entsprechend für subsidiär Schutzberechtigte. Auch die Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz hinsichtlich „Syrien“ sei unzulässig. Bei einer Flüchtlingsanerkennung stehe den Klägern bereits kraft Gesetzes nationaler Abschiebungsschutz in Bezug auf ihr Herkunftsland auf Grund des im Ausland gewährten internationalen Schutzes zu. Für die Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz nach weiteren Rechtsgrundlagen fehle den Klägern daher ein Rechtsschutzbedürfnis. Zwar verweise der § 60 Abs. 2 AufenthG nicht ausdrücklich auf den Absatz 1 Satz 2. Allerdings komme ausschließlich eine Aufenthaltsbeendigung in den sicheren Drittstaat in Betracht. Die Unzulässigkeit der Asylanträge ergebe sich nach § 26a AsylVfG aus dem Schutzstatus im sicheren Drittstaat. Da sie dorthin abgeschoben werden sollen, werde nach § 34a AsylVfG grundsätzlich die Abschiebung angeordnet. Eine Abschiebungsandrohung sei aber ebenfalls zulässig, da es sich hierbei um das mildere Mittel gegenüber der Anordnung handele.

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Die Kläger haben am 24. Juni 2015 mit der Begründung Klage erhoben, die Beklagte sei wegen bestehender systemischer Mängel des Asylverfahrens in Bulgarien verpflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

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Sie haben ausweislich des erstinstanzlichen Urteils sinngemäß beantragt,

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die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 4. Juni 2015 zu verpflichten, jeweils ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen,

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und zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide Bezug genommen.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. September 2015 ohne mündliche Verhandlung abgewiesen. Zur Begründung hat es zunächst darauf hingewiesen, dass die Kläger nicht mehr dem Dublin-System, insbesondere nicht den materiellen Regelungen der Dublin II-VO unterfielen. Denn es stehe fest, dass die Kläger mit Entscheidung der bulgarischen Behörden bereits als Konventionsflüchtlinge anerkannt worden seien. Dies habe zur Folge, dass sich die Rückführung der Kläger allein nach bilateralen Vorschriften zwischen der Republik Bulgarien und der Bundesrepublik Deutschland richte.

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Ziffer 1. der streitbefangenen Bescheide, mit dem festgestellt werde, dass den Klägern in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht zustehe, sei rechtmäßig. Ein Asylantrag sei unzulässig, wenn der Asylbewerber - wie hier - bereits einen Schutzstatus im Schutzraum erlangt habe. Dies folge aus § 60 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 AufenthG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2014 (Az.: 10 C 7.13, juris Rn. 28 ff.).

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Auch die in Ziffer 2. der Bescheide getroffene Abschiebungsandrohung begegne keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Insbesondere lägen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG für Bulgarien nicht vor. Habe ein Ausländer - wie hier - bereits einen Schutzstatus erhalten, komme es allein darauf an, ob der gebotene Inhalt des jeweiligen Schutzstatus in dem den Schutzstatus aussprechenden Mitgliedstaat hinreichend eingehalten werde oder ein Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention vorliege bzw. für den Inhaber des Schutzstatus eine tatsächliche Gefahr bestehe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in dem ersuchten Mitgliedstaat im Sinne von Art. 4/Art. 19 Abs. 2 Grundrechtecharta bzw. dem inhaltsgleichen Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein. Der Umfang bzw. Inhalt des gewährten Schutzes richte sich nach Art. 20 ff. Flüchtlingsschutz-Richtlinie 2011/95/EU. Auf dieser Basis bestünden nach der aktuellen Auskunftslage keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Verhältnisse in Bulgarien - mit Ausnahme solcher für besonders schutzbedürftige Personengruppen - hinter dem unionsrechtlich vorgesehenen Flüchtlingsschutz zurückblieben.

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Auf entsprechenden Antrag der Kläger hat der Senat mit Beschluss vom 23. November 2015 die Berufung zugelassen.

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Zur Begründung der Berufung wiederholen und vertiefen die Kläger mit am 30. Dezember 2015 eingegangenen Schriftsatz ihren Vortrag aus dem Klageverfahren. Als Schutzberechtigten stehe ihnen in Bulgarien weder Anspruch auf Unterkunft noch auf staatliche Sozialleistungen zu. Auch sei ihnen die Ausübung ihrer yezidischen Religion in Bulgarien nicht möglich.

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Die Kläger beantragen schriftsätzlich,

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das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 16. September 2015 - 9 A 569/15 MD - abzuändern und die Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. Juni 2015 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge, die zum Gegenstand der Entscheidung gemacht wurden, verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung, über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, hat nur zum Teil Erfolg.

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Die von den Klägern erhobene Anfechtungsklage ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (I.). Sie ist allerdings nur zum Teil begründet (II.)

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Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG stellt auch das Berufungsgericht in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ab. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens ist deshalb das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 2 des Gesetzes vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460).

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I. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig, insbesondere statthaft.

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Mit dem Integrationsgesetz hat der Gesetzgeber zur besseren Übersichtlichkeit und Vereinfachung der Rechtsanwendung in § 29 Abs. 1 AsylG die möglichen Gründe für die Unzulässigkeit eines Asylantrags in einem Katalog zusammengefasst (BT-Drs. 18/8615 S. 51). Hierzu zählt gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nunmehr auch der Fall, dass ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz gewährt hat. Mit § 29 AsylG wird Art. 33 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes - Asylverfahrensrichtlinie n.F.-) umgesetzt, der in Absatz 2 abschließend regelt, wann die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten dürfen. Hierzu gehört nach Art. 33 Abs. 2 lit. a) der Verfahrensrichtlinie n.F. auch, dass ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat. Jedenfalls seit Inkrafttreten dieser Neuregelung ist die auf der Grundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ergangene Entscheidung des Bundesamtes, kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, mit der Anfechtungsklage anzugreifen (ebenso für den Fall einer Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG: BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, juris). Dafür spricht auch § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG, wonach das Bundesamt das Asylverfahren fortzuführen hat, wenn das Verwaltungsgericht in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht und nach § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG deshalb sowohl die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamtes als auch die Abschiebungsandrohung unwirksam werden. Hinter § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG steht der Gedanke, dass die verweigerte sachliche Prüfung vorrangig von der mit besonderem Sachverstand ausgestatteten Fachbehörde nachzuholen ist (BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016, a.a.O., Rn. 19). Mit dieser gesetzgeberischen Wertung stünde es im Fall einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht im Einklang, wenn das Verwaltungsgericht in dem Fall, dass kein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt worden ist, in der Hauptsache zu dem Ergebnis gelangt, dass die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig rechtswidrig ist und dann in der Sache über das Asylbegehren entscheiden würde (ebenso Pietzsch, in: Kluth/Heusch, Ausländerrecht, September 2016, § 37 AsylG Rn. 4).

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Soweit das Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung vom 14. Dezember 2016 (a.a.O) darauf hingewiesen hat, dass der Schutzsuchende zusätzlich zu der gegen die Unzulässigkeitsentscheidung gerichteten Anfechtungsklage hilfsweise eine Verpflichtungsklage mit dem Ziel der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG erheben kann, betrifft dies lediglich Fälle, in denen sich das Bundesamt auch sachlich mit den Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG befasst hat, und die Unzulässigkeitsentscheidung deshalb mit der Feststellung verbunden hat, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vorliegen. Um eine derartige Fallgestaltung handelt es sich vorliegend allerdings nicht. Weder ist eine Feststellung nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG erfolgt, noch gibt es Anhaltspunkte dafür, dass überhaupt eine zielstaatsbezogene Prüfung der Zulässigkeit der Abschiebung der Kläger nach Bulgarien erfolgt ist. Die Kläger sind deshalb vorliegend auch nicht gehalten (gewesen), zusätzlich zu der gegen die Unzulässigkeitsentscheidung (Ziffer 1.) und die Abschiebungsandrohung (Ziffer 2.) gerichteten Anfechtungsklage hilfsweise eine Verpflichtungsklage mit dem Ziel zu erheben, die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG festzustellen.

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II. Die danach zulässige Klage ist allerdings nur zum Teil begründet.

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1. Die Entscheidung der Beklagten in den Bescheiden vom 4. Juni 2015 (Ziffer 1.), die Asylanträge der Kläger in Deutschland als unzulässig abzulehnen, ist rechtmäßig und verletzt die Kläger daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die Klage insoweit zu Recht abgewiesen.

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a) Rechtsgrundlage der jeweils unter Ziffer 1. getroffenen Entscheidung ist § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz gewährt hat.

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Dass das Bundesamt den angefochtenen Bescheid nicht auf diese Vorschrift gestützt hat, ist unerheblich. Auch kann offen bleiben, ob und auf welcher gesetzlichen Grundlage die Behörde nach altem Recht ermächtigt war, den Asylantrag eines anerkannten Flüchtlings als unzulässig abzulehnen. Jedenfalls kann der Bescheid im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auf der Rechtsgrundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG aufrechterhalten werden (ebenso OVG NRW, Urteil vom 24. August 2016 - 13 A 63/16.A -, juris m.w.N.).

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Mit der Neufassung des § 29 AsylG durch die Aufnahme des Absatz 1 Nr. 2 ist der zuvor vertretenen Auffassung, die in den Fällen des unzulässigen Asylantrages aufgrund einer bereits bestehenden ausländischen Flüchtlingsanerkennung mangels konkreter Regelungen im AsylG als Rechtsgrundlage auf § 26a AsylG oder § 60 Abs. 1 Satz 1 bis 3 AufenthG zurückgegriffen hatte (vgl. hierzu: Bethke/Hocks, Neue „Unzulässigkeits“-Ablehnungen nach § 29 AsylG, Asylmagazin 2016, 336, 339 ff.), der Boden entzogen (ebenso z.B. VG Hamburg, Urteil vom 9. Januar 2017 - 16 A 5546/14 -, juris Rn. 28 ff.; Pietzsch, a.a.O., § 34a AsylG Rn. 8a ff.; a.A. Saarl. OVG, Urteile vom 10. Januar 2017 - 2 A 330/16 - sowie vom 25. Oktober 2016 - 2 A 96/16 -, juris; Hess. VGH, Urteil vom 4. November 2016 - 3 A 1292/16.A -, juris). Insbesondere kommt ein Rückgriff auf § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 26a AsylG nicht in Betracht. Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung insoweit zwei nebeneinanderstehende Unzulässigkeitstatbestände geschaffen (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 und § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG), die zudem mit unterschiedlichen Wegen der Aufenthaltsbeendigung einhergehen (§§ 34 Abs. 1, 35, 36 AsylG einerseits, § 34a Abs. 1 AsylG andererseits). Auch das Bundesverwaltungsgericht geht in seinem Urteil vom 14. Dezember 2016 (a.a.O.) erkennbar von diesem Ansatz aus, wenn es davon spricht, das Bundesamt habe seit der gesetzlichen Neuregelung „eine eigenständig geregelte Unzulässigkeitsentscheidung“ zu treffen. Soweit es in § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG überdies heißt, dass das Bundesamt „über die Zulässigkeit eines Asylantrages entscheidet“, so lässt auch diese Formulierung des Gesetzgebers die eigenständige Bedeutung der von § 29 Abs. 1 AsylG erfassten Fallgruppen erkennen.

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b) Ziffer 1. der angegriffenen Bescheide ist jeweils formell rechtmäßig. Zweifel hieran bestehen insbesondere nicht deshalb, weil die Kläger vor der Entscheidung über die Unzulässigkeit ihrer Anträge hierzu nicht gesondert angehört worden sind.

33

Zum Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Bescheide am 4. Juni 2015 bestand für eine derartige Anhörung keine gesetzliche Verpflichtung. Weder das Asylgesetz noch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft - Asylverfahrensrichtlinie a.F. - enthielten besondere Vorschriften für die Anhörung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung.

34

Zwar bestimmt § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG in der am 6. August 2016 in Kraft getretenen Fassung, dass das Bundesamt den Ausländer zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis Nummer 4 persönlich anhört, bevor es über die Zulässigkeit eines Asylantrags entscheidet. § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG setzt damit die unionsrechtlichen Vorgaben um, die aus Art. 34 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie n.F. folgen. Diese Vorschrift trifft eine besondere Regelung für die Anhörung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung eines Antrags. Danach geben die Mitgliedstaaten den Antragstellern Gelegenheit, sich zu der Anwendung der Gründe nach Art. 33 der Verfahrensrichtlinie n.F. in ihrem besonderen Fall zu äußern, bevor die Asylbehörde über die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz entscheidet. Hierzu führen die Mitgliedstaaten im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung eine persönliche Anhörung durch.

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Allerdings findet § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG jedenfalls auf vor Ablauf des 20. Juli 2015 ergangene Unzulässigkeitsentscheidungen des Bundesamtes keine Anwendung.

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aa) Ein allgemeiner Grundsatz des intertemporalen Verfahrensrechts, wie er auch in § 96 Abs. 1 VwVfG zum Ausdruck kommt, besagt zwar, dass neues Verfahrensrecht vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an regelmäßig auch bereits anhängige Verfahren erfasst. Daraus folgt aber im Umkehrschluss, dass sich das neue Verfahrensrecht grundsätzlich nicht mehr auf bereits abgeschlossene Verwaltungsverfahren erstreckt (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. August 2007 - 1 C 47.06 -, juris Rn. 29 m.w.N.). Diese Regel des intertemporalen Verwaltungsverfahrensrechts beruht wie das intertemporale Recht insgesamt auf allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Ihr liegt letztlich die Überlegung zugrunde, dass die Verwaltung naturgemäß nur das im Zeitpunkt ihres Tätigwerdens geltende Verfahrensrecht beachten kann. Dies gilt insbesondere in der vorliegenden Konstellation, die durch eine Erhöhung der verfahrensrechtlichen Anforderungen nach Abschluss des Verfahrens gekennzeichnet ist. Hier kann es ersichtlich nicht angehen, der Verwaltung die Nichtbeachtung einer Vorschrift vorzuhalten, die im Zeitpunkt ihrer Entscheidung noch nicht gegolten hat, die damals also noch keine rechtliche Wirkung entfaltet hat (vgl. VGH BW, Urteil vom 18. Oktober 2006 - 13 S 192/06 -, juris Rn. 57 m.w.N.). Von diesem Grundsatz ist jedenfalls dann auszugehen, wenn das Gesetz - wie hier - nicht mit hinreichender Deutlichkeit etwas Abweichendes bestimmt (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. April 2011 - 3 C 24.10 -, juris Rn. 17 m.w.N.).

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Dem Überleitungsrecht des Asylgesetzes aus Anlass der am 6. August 2016 in Kraft getretenen Änderungen (§ 87c AsylG) kann nicht entnommen werden, dass beim Bundesamt bereits abgeschlossene Asylverfahren unter Einhaltung der nunmehr geltenden Verfahrensvorschriften nochmals durchgeführt werden müssen. Zwar wäre es verfahrenstechnisch möglich gewesen, auch die Altfälle einer nachträglichen Überprüfung unter Beachtung der in § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG enthaltenen Vorgaben zu unterwerfen. Eine solche Rückwirkung des neuen Asylgesetzes hätte aber ausdrücklicher Geltungsanordnung des Gesetzgebers bedurft. Diese lässt sich weder aus § 29 Abs. 2 AsylG noch aus § 87c AsylG herleiten.

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Auch die Gesetzesbegründung zu § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG enthält für eine rückwirkende Anwendung dieser Regelung keine Anhaltspunkte (BT-Drs. 18/8615 S. 51). Der Gesetzgeber verfolgte mit den Änderungen im Asylgesetz - im Gegenteil - das Ziel, die Durchführung des Asylverfahrens noch effizienter zu gestalten (BT-Drs. 18/8615 S. 1, 3 und 6). Dieses Ziel würde bei Berücksichtigung der eingetretenen Rechtsänderung auch auf Altfälle allerdings nicht erreicht. Vielmehr wäre das Bundesamt in diesem Fall gehalten, in sämtlichen Altverfahren das Verwaltungsverfahren erneut durchzuführen, die Asylbewerber nach Maßgabe des § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG anzuhören und bereits ergangene Bescheide ggf. zurückzunehmen. Diese Vorgehensweise würde der mit den Änderungen angestrebten Prozesseffizienz zuwiderlaufen.

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Gegenteiliges folgt auch nicht aus § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach stellt das Gericht zwar grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. Andererseits soll diese Sonderregelung für asylrechtliche Streitigkeiten dazu beitragen, den Streit über das Asyl- und Bleiberecht umfassend zu beenden und neue Verwaltungsverfahren möglichst zu vermeiden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. April 2016 - 1 C 22.15 -, juris Rn. 13 m.w.N.). Dies würde bei Anwendung der Regelung des § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG auch auf Altfälle allerdings - wie dargelegt - gerade nicht erreicht. Überdies findet die in § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG enthaltene Regelung ihre Grenze in allgemeinen Rechtsgrundsätzen, vorliegend in Gestalt der dargelegten Grundsätze des intertemporalen Verfahrensrechts. Selbst wenn deshalb die (materiell-rechtliche) Regelung in § 29 Abs. 1 AsylG mangels nationaler Übergangsregelung auch auf Altfälle Anwendung findet, gilt dies jedenfalls nicht für die in § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG enthaltene (verfahrensrechtliche) Regelung (a.A. BayVGH, Urteil vom 20. Oktober 2016 - 20 B 14.30320 -, juris Rn. 32 ff.).

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bb) Dahinstehen kann vorliegend, ob § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG aus den dargelegten Gründen erst ab dem 6. August 2016 - dem Tag des Inkrafttretens des Integrationsgesetzes - oder auch noch für diejenigen Unzulässigkeitsentscheidungen des Bundesamtes Anwendung findet, die nach Ablauf des 20. Juli 2015 ergangen sind, also dem Tag, ab dem die Verfahrensrichtlinie n.F. von den Mitgliedstaaten umzusetzen war.

41

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind die nationalen Gerichte aufgrund des Umsetzungsgebots gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV verpflichtet, bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts, insbesondere einer speziell zur Umsetzung der Vorgaben einer Richtlinie erlassenen Regelung, das innerstaatliche Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zweckes dieser Richtlinie auszulegen, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen. Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlangt von den nationalen Gerichten mehr als bloße Auslegung im engeren Sinne entsprechend dem Verständnis in der nationalen Methodenlehre. Er erfordert auch, das nationale Recht, wo dies nötig und nach der nationalen Methodenlehre möglich ist, richtlinienkonform fortzubilden, denn der Gerichtshof unterscheidet terminologisch nicht zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung. Die sich aus dem Vorrang des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) ergebenden verfassungsrechtlichen Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung sind erst dann überschritten, wenn der erkennbare Wille des Gesetzgebers beiseite geschoben und durch eine autark getroffene richterliche Abwägung der Interessen ersetzt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2017 - 6 C 2.16 -, juris Rn. 27 m.w.N.).

42

Bei der Umsetzung der Vorgaben einer Richtlinie ist außerdem zu berücksichtigen, dass der von der Richtlinie vorgesehene Rechtszustand zu dem in der Richtlinie vorgesehenen Zeitpunkt herzustellen ist. Kommt ein Mitgliedstaat seiner Umsetzungspflicht verspätet nach, kann er die schädlichen Folgen durch eine rückwirkende Anpassung der nationalen Regelung auffangen (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Juli 1997 - Rs. C-94/95 -, juris). Unzulässig ist allerdings der eigenmächtige Erlass von Übergangsvorschriften für Sachverhalte, die sich in der Zeit zwischen dem Ablauf der Umsetzungsfrist und dem Inkrafttreten der nationalen Umsetzungsregelung ereignet haben (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Januar 1999 - Rs. C-150/97 -, juris sowie Urteil vom 9. August 1994 - Rs. C-396/92 -, juris).

43

Nach Art. 51 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie n.F. hatten die Mitgliedstaaten u.a. die in Art. 34 der Richtlinie enthaltene besondere Regelung für die Anhörung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung eines Antrags auf internationalen Schutz bis spätestens 20. Juli 2015 umzusetzen. In der Richtlinie findet sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die Mitgliedstaaten ermächtigt wären, diese Regelung für den Fall einer verspäteten Umsetzung der Richtlinie in der Zeit zwischen dem Ablauf der Umsetzungsfrist und dem Inkrafttreten der nationalen Umsetzungsregelung nicht anwenden zu müssen. Auch den Erwägungsgründen der Richtlinie lässt sich dies nicht entnehmen. Zwar wird dem asylrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz in Ziffer 18 der Erwägungsgründe Rechnung getragen, wenn es dort heißt, dass die Mitgliedstaaten über die Anträge auf internationalen Schutz „so rasch wie möglich“ entscheiden sollen. Andererseits wird an gleicher Stelle auch darauf hingewiesen, dass dies „unbeschadet der Durchführung einer angemessenen und vollständigen Prüfung der Anträge“ geschehen soll.

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Überdies hat der EuGH schon früh klargestellt, dass die Möglichkeit, vor belastenden gerichtlichen oder administrativen Entscheidungen Stellung nehmen zu können, einen elementaren Rechtsgrundsatz darstellt (vgl. Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt, Stand Oktober 2016, nach Art. 6 AEUV Rn. 319 m.w.N.). Nach Art. 41 Abs. 2 der EU-Grundrechtecharta umfasst das Recht auf eine gute Verwaltung insbesondere das Recht jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird. Mit dieser Vorschrift wird ein integraler Bestandteil des Rechts auf Verteidigung, eines tragenden Grundsatzes des Unionsrechts, normativ verankert. Das Recht auf Anhörung garantiert jeder Person die Möglichkeit, im Verwaltungsverfahren, bevor ihr gegenüber eine für ihre Interessen nachteilige Entscheidung erlassen wird, sachdienlich und wirksam ihren Standpunkt vorzutragen. Es ist allgemein anwendbar und beansprucht einen sehr weiten Geltungsumfang in der Unionsrechtsordnung (EuGH, Urteil vom 22. November 2012 - Rs. C-277/11 -, juris Rn. 81 ff.). Deshalb wird in der Rechtsprechung und in der Literatur mit Blick auf die Bedeutung der Anhörung als europarechtliches „Kernverfahrensrecht“ insbesondere im Asylverfahren auch argumentiert, dass eine „Heilung“ eines festgestellten Anhörungsmangels in Anwendung von § 46 VwVfG aus unionsrechtlichen Gründen nicht in Betracht komme (hierzu etwa VG Düsseldorf, Urteil vom 28. November 2016 - 6 K 12579/16.A -, juris Rn. 75 ff. m.w.N.; zur Beachtlichkeit des Unterlassens einer Anhörung gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates [Dublin-III-VO] im Rahmen des § 46 VwVfG siehe auch BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16 -, juris Rn. 20).

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Andererseits geht es vorliegend nicht um die - in Art. 14 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie n.F. verankerte - persönliche Anhörung des Asylbewerbers, mit der dieser regelmäßig die einzige Möglichkeit erhält, individuelle asylrelevante Tatsachen, insbesondere zu einer (politischen) Verfolgung, darzulegen (zur unmittelbaren Grundrechtsrelevanz dieser Anhörung vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1981 - 1 BvR 413/80 u.a. -, juris; zum hohen Stellenwert der asylverfahrensrechtlichen Anhörung siehe auch EuGH, Urteil vom 22. November 2012, a.a.O., Rn. 90 ff.). Vielmehr steht vorliegend „lediglich“ eine besondere Regelung für die Anhörung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung eines Antrags auf internationalen Schutz im Raum.

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Überdies ließe sich argumentieren, die in Art. 288 Abs. 3 AEUV verankerte Pflicht, bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts das innerstaatliche Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zweckes dieser Richtlinie auszulegen, bestehe nur insoweit, als die in Rede stehende Richtlinienbestimmung unmittelbare Wirkung entfalte. Unmittelbar anwendbar sind aber nur solche Bestimmungen, die „self executing“ sind, d.h. die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen. Unbedingt ist eine Gemeinschaftsbestimmung, wenn sie eine Verpflichtung begründet, die weder an eine Bedingung geknüpft ist noch zu ihrer Erfüllung und Wirksamkeit einer Maßnahme der Gemeinschaftsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf. Hinreichend genau, um von einem Einzelnen herangezogen und vom Gericht angewandt zu werden, ist eine Bestimmung, wenn sie unzweideutig eine Verpflichtung enthält (vgl. EuGH, Urteil vom 23. Februar 1994 - Rs. C-236/92 -, juris).

47

Ob Art. 34 der Verfahrensrichtlinie n.F. in diesem Sinne unmittelbare Wirkung zukommt, weshalb sich der Einzelne auf die dort geregelte besondere Anhörungspflicht jedenfalls mit Ablauf des 20. Juli 2015 zu berufen vermag, kann vorliegend aber dahinstehen. Gleiches gilt für die Frage, ob es sich bei der Regelung in § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG (zumindest) um ein „unionsrechtlich aufgeladenes Verfahrensrecht“ handelt, das dem Betroffenen im Lichte des geltenden Unionsrechts eine vom materiellen Recht zwar unabhängige, aber dennoch eigene und selbstständig durchsetzbare Verfahrensposition einräumt, deren Verletzung (ggf. ungeachtet einer möglichen Ergebniskausalität) zu einem Aufhebungsanspruch führt. Selbst wenn man nämlich eine Anhörungspflicht des Bundesamtes im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung eines Antrags auf internationalen Schutz für mit Ablauf des 20. Juli 2015 noch nicht abgeschlossene Sachverhalte annehmen wollte (sei es über eine unmittelbare Anwendung des Art. 34 der Asylverfahrensrichtlinie n.F. oder über eine unionsrechtskonforme Auslegung der in § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG enthaltenen Regelung), gelangte diese Anhörungspflicht frühestens mit dem Ablauf der Umsetzungsfrist zur Anwendung. Die angegriffenen Bescheide sind allerdings vor diesem Datum ergangen.

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3. Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Ziffer 1. der angefochtenen Bescheide ist auch materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG sind gegeben. Ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union hat den Klägern im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bereits internationalen Schutz gewährt. Die Kläger sind in Bulgarien als Flüchtlinge anerkannt worden.

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a) Eine weitergehende Prüfung, insbesondere der Frage, ob die Kläger im Fall einer Überstellung nach Bulgarien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden, sehen weder das nationale Recht noch das Unionsrecht als Voraussetzung für die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig vor. Ungeachtet dessen, wie die tatsächlichen Verhältnisse für international Schutzberechtigte in Bulgarien sind, haben die Kläger als anerkannte Flüchtlinge keinen Anspruch auf erneute Zuerkennung internationalen Schutzes durch die Beklagte (ebenso: OVG NRW, Urteil vom 24. August 2016, a.a.O.).

50

b) Soweit die angegriffenen Bescheide hinter den geltenden Anforderungen zurückbleiben, als - entgegen § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG - eine Feststellung zu nationalen Abschiebungsverboten hinsichtlich Bulgariens fehlt, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit von Ziffer 1. der angegriffenen Bescheide.

51

Mit der zusammenfassenden Regelung verschiedener Unzulässigkeitstatbestände in § 29 Abs. 1 AsylG hat der Gesetzgeber das Verfahren strukturiert und dem Bundesamt nicht nur eine Entscheidungsform eröffnet, sondern eine mehrstufige Prüfung vorgegeben. Erweist sich ein Asylantrag schon als unzulässig, ist eine eigenständig geregelte Unzulässigkeitsentscheidung zu treffen (BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016, a.a.O., Rn. 18 und 20). Zugleich hat das Bundesamt über das Bestehen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu entscheiden (§ 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Handelt es sich bei der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG einerseits und der nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG erforderlichen Feststellung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG andererseits mithin um selbständige Prüfungsstufen eines mehrgliedrigen Verfahrens, macht das Fehlen einer Feststellung zu Abschiebungsverboten hinsichtlich Bulgariens die Entscheidung des Bundesamtes auf der ersten Stufe zur Unzulässigkeit des Antrags nicht rechtswidrig.

52

II. Die in Ziffer 2. der angefochtenen Bescheide verfügte Abschiebungsandrohung nach Bulgarien erweist sich allerdings als rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

53

Dabei ist die Abschiebungsandrohung nicht schon deshalb aufzuheben, weil die den Klägern gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen nicht in Einklang mit § 36 Abs. 1 AsylG steht. Danach beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist in den Fällen der Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG seit dem Inkrafttreten des Integrationsgesetzes lediglich eine Woche. Denn durch die den Klägern gewährte längere Ausreisefrist (30 Tage) sind sie nicht in ihren Rechten verletzt, da das Bundesamt insoweit eine für sie günstigere Regelung getroffen hat.

54

Im Übrigen kann offen bleiben, ob und auf welcher gesetzlichen Grundlage die Behörde nach altem Recht für den Erlass einer Abschiebungsandrohung ermächtigt war. Für die im Bescheid ausgesprochene Abschiebungsandrohung kann jedenfalls zu dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) als Rechtsgrundlage § 35 AsylG herangezogen werden. Nach dieser Vorschrift droht das Bundesamt in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war. § 35 AsylG kann sich nach Sinn und Zweck der Regelung nur auf den Staat, in dem Schutz gewährt wurde, beziehen (BayVGH, Urteil vom 13. Dezember 2016 - 20 B 15.30049 -, juris Rn. 41 m.w.N.). Im Übrigen modifiziert und ergänzt § 35 AsylG die Regelung in § 34 AsylG, weshalb auch die Voraussetzungen des § 34 AsylG zu prüfen sind (vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. August 2016, a.a.O.; Pietzsch, a.a.O., § 35 AsylG Rn. 2).

55

Ob die Voraussetzungen des § 34 AsylG vorliegend erfüllt sind, insbesondere Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), kann allerdings dahinstehen. Denn die angegriffene Abschiebungsandrohung erweist sich bereits deshalb als rechtswidrig, weil es an einer Feststellung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen, fehlt und sich das Bundesamt in den Gründen der Bescheide auch inhaltlich nicht mit der Frage befasst hat, ob eine Abschiebung nach Bulgarien deshalb ausscheidet, weil die Situation von anerkannten Schutzberechtigten den Standards der EMRK widerspricht.

56

Es bestand schon vor Einführung des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG in der neuen Fassung die Verpflichtung des Bundesamtes, im Hinblick auf § 34a AsylG a.F. zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote und zusätzlich auch Duldungsgründe inzident zu prüfen (Pietzsch, a.a.O., § 34a AsylG Rn. 14 ff.), selbst wenn hierzu im Tenor noch keine gesonderten Feststellungen zu treffen waren. Mit der Neuregelung in § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG hat der Gesetzgeber nunmehr allerdings positiv festgeschrieben, dass das Bundesamt über das Bestehen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu entscheiden hat. Denn § 31 AsylG behandelt ausweislich der amtlichen Überschrift die „Entscheidung des Bundesamtes über Asylanträge“, weshalb sich auch der in § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG geregelte Handlungsauftrag zuallererst an das Bundesamt richtet. Davon kann nach Satz 2 der Vorschrift nur abgesehen werden, wenn der Ausländer (durch das Bundesamt) als Asylberechtigter anerkannt wird oder ihm internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zuerkannt wird. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

57

Mit Blick auf die hiermit einhergehende stärkere Betonung des behördlichen Asylverfahrens ist der Senat im vorliegenden Fall nicht gehalten, selbst festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG gegeben sind (ebenso im Ergebnis Saarl. OVG, Urteile vom 10. Januar 2017, a.a.O., vom 16. November 2016, a.a.O. sowie vom 25. Oktober 2016, a.a.O.). Vielmehr hat zunächst das Bundesamt über das Bestehen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu entscheiden und hierbei die tatsächlichen Verhältnisse für international Schutzberechtigte in Bulgarien in den Blick zu nehmen. Zwar sollen nach der im Asylverfahren geltenden Konzentrations-und Beschleunigungsmaxime alle in einem Asylprozess typischerweise relevanten Fragen in einem Prozess abschließend geklärt werden (BVerwG, Urteil vom 8. September 2011 - 10 C 14.10 -, juris Rn. 10; Beschluss vom 10. Oktober 2011 - 10 B 24.11 -, juris Rn. 4). Anderes gilt allerdings dann, wenn die mit besonderem Sachverstand ausgestattete Behörde mit der Sache noch nicht befasst gewesen war, obwohl dies - wie hier - von Gesetzes wegen zwingend vorgesehen ist. In diesen Fällen muss die Behörde entsprechend dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) erst Gelegenheit erhalten, eine nach Aufklärung des Sachverhaltes abschließende und dann der gerichtlichen Kontrolle unterliegende Sachentscheidung zu treffen (vgl. Saarl. OVG, Urteil vom 25. Oktober 2016, a.a.O., Rn. 34). Einer zentralen Behörde mit sachverständigem Personal ist es auch am ehesten möglich, Behauptungen der Asylsuchenden über Vorgänge und Verhältnisse im Ausland zu überprüfen und aufzuklären (BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1981, a.a.O., Rn. 66).

58

Soweit in der Rechtsprechung teilweise davon ausgegangen wird, beim Fehlen der Feststellung nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG sei die Abschiebungsandrohung nicht ohne weiteres aufzuheben (VG Lüneburg, Urteil vom 21. Dezember 2016 - 8 A 170/16 -, juris Rn. 54; VG Hamburg, Urteil vom 9. Januar 2017 - 16 A 5546/14 -, juris Rn. 68), betraf dies die - vorliegend nicht einschlägige - Fallgestaltung, dass sich das Bundesamt mit der Frage des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG inhaltlich befasst hatte.

59

II. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 159 VwGO, § 100 ZPO.

60

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

61

IV. Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt.


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