Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (3. Senat) - 3 O 164/18

Gründe

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I. Die zulässige Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

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Dem Sachverhalt liegt ein am 7. Januar 2015 ergangener Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle (Az.: 6 D 262/14 HAL) zugrunde, mit welchem dem Antragsgegner auf der Grundlage des § 172 VwGO die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000,00 € für den Fall angedroht wurde, dass er seiner Verpflichtung aus dem rechtskräftigen Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 27. März 2013 (Az.: 3 L 441/10), die Antragstellerin wegen der Kosten des nichtpädagogischen Personals und des Sachkostenzuschusses unter Beachtung der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts neu zu bescheiden, bis zum 30. März 2015 nicht nachkomme. Die hiergegen erhobene Beschwerde wurde durch Beschluss des Senates vom 6. März 2015 (Az.: 3 O 19/15) zurückgewiesen. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 22. Mai 2017 setzte das Verwaltungsgericht die vom Antragsgegner zu tragenden Kosten beider Instanzen auf 1.478,46 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz beginnend ab 10. Dezember 2015 fest. Die hiergegen gerichtete Erinnerung des Antragsgegners, mit der er sich sowohl gegen die Gebührenfestsetzung als auch gegen die Verzinsung wandte, wies das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom Beschluss vom 8. März 2018 zurück.

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Die gegen diesen Beschluss erhobene Beschwerde des Antragsgegners ist überwiegend unbegründet.

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1. Das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 22. Mai 2017 zu Recht zurückgewiesen, soweit es angenommen hat, dass es sich bei der hier in Rede stehenden Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin um eine besondere anwaltliche Tätigkeit im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG gehandelt hat.

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Der Antragsgegner ist der Auffassung, bei dem Verfahren über Anträge auf gerichtliche Handlungen der Zwangsvollstreckung nach § 172 VwGO sei § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG nicht einschlägig. Der Gesetzgeber habe davon abgesehen, diese Verfahren als selbständige und damit besonders zu vergütende Angelegenheit auszuweisen; es fehle insofern an einer Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Vergütungsanspruch. Eine besondere Tätigkeit des Rechtsanwalts für die Durchführung eines derartigen Vollstreckungsverfahrens sei auch nicht erforderlich; es bedürfe lediglich eines Antrages auf Einleitung eines Vollstreckungsverfahrens, welches dann von dem zuständigen Verwaltungsgericht von Amts wegen durchzuführen sei. Außerdem sei bei der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Lesart des § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG ein Großteil der in § 18 Abs. 1 RVG aufgezählten Tatbestände überflüssig. Auch sei zu berücksichtigen, dass es bei § 172 VwGO um die Vollstreckung von Titeln gehe, die eine unvertretbare Handlung zum Gegenstand hätten, und der Gesetzgeber derartige Zwangsmittel gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 13 RVG lediglich dann als besondere Angelegenheit angesehen habe, wenn es um ein Verfahren zur Ausführung der Zwangsvollstreckung auf Vornahme einer Handlung durch Zwangsmittel nach § 888 ZPO gehe. Eine analoge Anwendung des § 18 Abs. 1 Nr. 13 RVG auf Sachverhalte der vorliegenden Art komme nicht in Betracht. Mit diesen Einwänden dringt der Antragsgegner nicht durch.

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Nach § 164 VwGO setzt der Urkundsbeamte des Gerichts des ersten Rechtszugs auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Kosten fest. Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts sind dabei stets erstattungsfähig (§ 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Die Vergütung (Gebühren und Auslagen) für anwaltliche Tätigkeiten eines Rechtsanwalts bemisst sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (§ 1 Abs. 1 Satz 1 RVG). Die Gebühren entgelten, soweit das RVG nichts anderes bestimmt, die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit (§ 15 Abs. 1 Satz 1 RVG). In „derselben Angelegenheit“ kann der Rechtsanwalt die Gebühren nur einmal fordern, in gerichtlichen Verfahren allerdings in jedem Rechtszug (§ 15 Abs. 2 RVG). Dieser Regelung liegt ein pauschalierender vergütungsrechtlicher Ansatz zugrunde. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts wird in einzelne „Angelegenheiten“ unterteilt, die den jeweiligen Gebührentatbeständen zugeordnet und dann pauschal vergütet werden. Die §§ 16 bis 18 RVG bestimmen ergänzend, welche Verfahren oder Verfahrensabschnitte noch als „dieselbe Angelegenheit“ (§ 16 RVG), „verschiedene Angelegenheiten“ (§ 17 RVG) oder „besondere Angelegenheiten“ (§ 18 RVG) gelten (vgl. VGH BW, Beschluss vom 8. November 2011 - 8 S 1247/11 -, juris Rn. 16).

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§ 18 Abs. 1 RVG zählt die Tätigkeiten auf, die grundsätzlich selbständige („besondere“) Angelegenheiten darstellen. Hierzu gehört nach Nr. 1 jede Vollstreckungsmaßnahme zusammen mit den durch diese vorbereiteten weiteren Vollstreckungshandlungen bis zur Befriedigung des Gläubigers; dies gilt entsprechend im Verwaltungszwangsverfahren (Verwaltungsvollstreckungsverfahren). § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG enthält insofern zwei Aussagen:

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a) Die Regelung stellt erstens - und dies verkennt der Antragsgegner - den Grundsatz auf, dass Vollstreckungsmaßnahmen und Maßnahmen im Verwaltungszwangs- bzw. vollstreckungsverfahren gegenüber dem Verfahren, in dem der Vollstreckungstitel geschaffen wurde, eine selbständige und damit besonders zu vergütende Angelegenheit darstellen (Mock/N. Schneider/Volpert, in Schneider/Wolf, AnwK RVG, 8. Aufl., § 18 RVG Rn. 30-32). Die Zwangsvollstreckung bildet insofern gegenüber dem Hauptsacheverfahren - per se - eine besondere Angelegenheit. Lediglich für Tätigkeiten, die als Neben- und Abwicklungstätigkeiten mit dem der Zwangsvollstreckung vorhergehenden Erkenntnis- bzw. Hauptsacheverfahren zusammenhängen sowie für Tätigkeiten, die die Zwangsvollstreckung lediglich vorbereiten, erhält der Rechtsanwalt keine besonderen Gebühren (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 9, 12, 13, 16 RVG). Diese Tätigkeiten werden mit den Gebühren abgegolten, die im Erkenntnis- bzw. Hauptsacheverfahren entstanden sind.

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Die Klärung der Frage, ob eine bestimmte Vollstreckungsmaßnahme noch Teil des vorausgegangenen Erkenntnisverfahrens ist oder bereits zur „Zwangsvollstreckungsinstanz“ gehört, ist dann erforderlich, wenn der Rechtsanwalt, der den Auftrag zur Durchführung einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme erhält, - wie hier - bereits zuvor im Erkenntnisverfahren als Prozessbevollmächtigter tätig war. Nur dann ist die Angelegenheit „Zwangsvollstreckung“ von der Angelegenheit „Erkenntnisverfahren“ zu unterscheiden, weil geklärt werden muss, ob eine Maßnahme noch zum Erkenntnisverfahren gehört und damit keine besonderen Gebühren auslöst, oder ob sie zur Zwangsvollstreckung gehört mit der Folge, dass neue Gebühren entstehen (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, § 18 Rn. 12-13, beck-online).

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b) Der Norm des § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG lässt sich zweitens entnehmen, dass jede Vollstreckungsmaßnahme (und nicht etwa das gesamte Vollstreckungsverfahren) gebührenrechtlich als besondere Angelegenheit zu behandeln ist (vgl. Mock/N. Schneider/Volpert, a. a. O., Rn. 33 f.; Riedel/Sußbauer/Pankratz, RVG, 10. Aufl., § 18 Rn. 3 f.). Unter dem Begriff der Vollstreckungsmaßnahme ist das konkrete, durch den Auftrag des Mandanten eingeleitete Verfahren zu verstehen. Dies wiederum setzt sich aus mehreren Vollstreckungshandlungen zusammen, die ihrerseits im Rahmen der Vollstreckungsmaßnahme in einem inneren Zusammenhang zueinander stehen (vgl. Riedel/Sußbauer/Pankatz, a. a. O.). Für jede Vollstreckungsmaßnahme als besondere Angelegenheit erhält der Anwalt gemäß § 2 Abs. 2 RVG i.?V.?m. Nr. 3309 der Anlage I zum RVG (Vergütungsverzeichnis) eine 3/10-Vollstreckungsverfahrensgebühr. Allerdings hat der Gesetzgeber für bestimmte Vollstreckungsmaßnahmen geregelt, dass diese als Nebentätigkeiten zur Zwangsvollstreckungsinstanz (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG) der betroffenen Vollstreckungsmaßnahme gehören bzw. mit diesen Vollstreckungsmaßnahmen eine Einheit bilden und insofern keine besonderen Gebühren auslösen (vgl. § 19 Abs. 2 RVG).

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c) Aus dem unter Punkt a) genannten Gesichtspunkt folgt, dass der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin dann eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG verlangen kann, wenn die streitgegenständliche Tätigkeit bereits als zur „Zwangsvollstreckungsinstanz“ gehörig zu betrachten ist. Dies ist hier der Fall.

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Die Verwaltungsgerichtsordnung versucht im Grundsatz, die Vollstreckung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen durch Verweis auf die entsprechenden zivilprozessrechtlichen Vorschriften zu behandeln, ergänzt diese jedoch durch die speziellen Regelungen in den §§ 168 bis 172 VwGO, die auf spezifische Bedürfnisse der hoheitlichen Verwaltungstätigkeit Rücksicht nehmen sollen. Weitere spezielle Vorgaben der §§ 170 und 172 VwGO gelten für die Vollstreckung gegen den Staat. Diese Normen dienen als Schutznormen der öffentlichen Hand, indem sie auf die Besonderheiten der Verwaltung und die von ihr zu erfüllenden öffentlichen Aufgaben Rücksicht nehmen (vgl. Heckmann, in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 172 Rn. 11). Der Antragsgegner weist insofern zutreffend darauf hin, dass die Verfahrensherrschaft des (privaten) Gläubigers eingeschränkt ist, indem in § 170 Abs. 1 VwGO das Gericht des ersten Rechtszugs zum Träger der Vollstreckungsgewalt ernannt wird und daher dieses Gericht und nicht etwa der Gläubiger die zu ergreifenden Vollstreckungsmaßnahmen selbst bestimmt und die zuständige Stelle um deren Vornahme ersucht. Auch wenn das Zwangsgeldverfahren damit annähernd vollständig in der Hand des Gerichts liegt, hängen allerdings Beginn und Fortsetzung des Vollstreckungsverfahrens von Anträgen des Vollstreckungsgläubigers bei Gericht ab. Insbesondere hat der Vollstreckungsgläubiger gesondert die Androhung und dann die Festsetzung des Zwangsgeldes zu beantragen (vgl. Heckmann, in Sodan/Ziekow, a. a. O., § 172 Rn. 67 ff.). In jedem Fall ist die auf der Grundlage des § 172 VwGO ergangene Vollstreckungsandrohung bereits Teil der „Vollstreckungsinstanz“. Die Zwangsvollstreckung aus dem im Erkenntnisverfahren erlangten Titel beginnt bereits mit der Vollstreckungsandrohung (vgl. auch § 19 Abs. 2 Nr. 5 RVG) und ist deshalb eine „besondere“, eigenständige Gebührenansprüche auslösende anwaltliche Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG (ebenso für die dem § 172 VwGO vergleichbare Regelung in § 201 SGG: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. September 2006 - L 10 B 752/06 AS ER -, juris Rn. 4; SG Berlin, Beschluss vom 4. März 2009 - S 164 SF 194/09 E -, juris Rn. 9; SG Marburg, Beschluss vom 15. Juli 2008 - S 6 KR 246/04 -, juris Rn. 3).

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Der Einwand der Beschwerde, in diesem Fall sei „der Großteil des Kataloges des § 18 Abs. 1 RVG überflüssig“, verfängt nicht. Denn die Bestimmungen in § 18 Abs. 1 Nr. 4 ff. RVG besagen nicht nur, dass die in ihnen genannten Tätigkeiten zur Vollstreckungsinstanz gehören und für den mit der Vollstreckung beauftragten Rechtsanwalt die Vollstreckungsgebühr auslösen. Vielmehr ergibt sich aus diesen Reglungen in erster Linie, ob eine oder mehrere Angelegenheiten gegeben sind und der Rechtsanwalt weitere Gebühren verdient oder nicht (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl., Nr. 3309 VV, Rn. 67). Es werden dort die Tätigkeiten aufgezählt, die grundsätzlich selbständige Angelegenheiten darstellen, gleichgültig, mit welchen anderen Tätigkeiten des Anwalts sie in Zusammenhang stehen. Sonstige Tätigkeiten, auch wenn ein innerer Zusammenhang mit der besonderen Tätigkeit besteht, sind ausgegrenzt und können dann eine andere, weitere gebührenauslösende Tätigkeit darstellen (vgl. Bräuer, in Bischof/Jungbauer, RVG, 7. Aufl., § 18 RVG Rn. 10). Aus diesem Grund vermag der Antragsgegner auch aus dem Inhalt der Regelung in § 18 Abs. 1 Nr. 13 RVG nichts zu seinen Gunsten abzuleiten. Dieser Regelung lässt sich zwar (auch) entnehmen, dass das Verfahren zur Ausführung der Zwangsvollstreckung auf Vornahme einer Handlung durch Zwangsmittel (§ 888 ZPO) im Verhältnis zum vorausgehenden Hauptsacheverfahren eine eigene Angelegenheit darstellt. Aus der Norm folgt aber zugleich, dass das Verfahren selbst vom Antrag auf Verurteilung zu Zwangsmitteln bis zur Vollstreckung hinsichtlich des verhängten Zwangsgeldes eine Angelegenheit ist (vgl. Gerold/Schmidt, a. a. O., Nr. 3309 VV, Rn. 290).

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2. Die Beschwerde ist allerdings begründet, soweit sie sich gegen die Festsetzung der Verzinsung beginnend ab dem 10. Dezember 2015 richtet.

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Im Rahmen der Kostenfestsetzung gemäß § 164 VwGO ist nach § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO i. V. m. § 173 Satz 1 VwGO auf Antrag auszusprechen, dass die festgesetzten Kosten vom Eingang des Festsetzungsantrags ab mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB zu verzinsen sind. Der Antragsgegner weist insoweit zutreffend darauf hin, dass die Antragstellerin mit Schreiben vom 10. Dezember 2015 zunächst lediglich 91,39 € geltend gemacht hatte und diesen Antrag mit weiterem Schreiben vom 2. Dezember 2016 auf einen Betrag von 1.478,46 € „korrigiert“ hatte. Da die Verzinsung an den tatsächlich beantragten Betrag anknüpft, konnten Zinsen ab dem 10. Dezember 2015 vorliegend nur aus 91,39 € und erst ab dem 2. Dezember 2016 aus 1.478,46 € (also aus weiteren 1.387,07 €) beansprucht werden.

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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Da die Beschwerde nur zu einem geringen Teil erfolgreich gewesen ist, sind dem Antragsgegner die Kosten des Erinnerungs- und Beschwerdeverfahrens insgesamt aufzuerlegen. Das Erinnerungsverfahren ist mangels Gebührentatbestand im GKG gerichtsgebührenfrei. Im Beschwerdeverfahren fällt nach Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG eine Festgebühr in Höhe von 60,00 € an, wenn die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird; wird die Beschwerde nur teilweise verworfen oder zurückgewiesen, kann das Gericht die Gebühr nach billigem Ermessen auf die Hälfte ermäßigen oder bestimmen, dass eine Gebühr nicht zu erheben ist. Der Senat erachtet es für angemessen, im vorliegenden Fall die Gebühr auf die Hälfte zu ermäßigen. Hiervon ausgehend bedarf es auch keiner Streitwertfestsetzung.

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III. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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