Urteil vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (1. Strafsenat) - 1 OLG 2 Ss 3/18
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der 3. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 6. Oktober 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
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Durch Urteil des Amtsgerichts Landau in der Pfalz vom 4. April 2017 ist der Angeklagte wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 20,00 € belegt worden. Diesem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
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„Der Angeklagte war am Morgen des 30.07.2016 im betrunkenen Zustand auf der Landstraße zwischen Schwegenheim und Westheim unterwegs und wurde von der Polizei angetroffen. Im Rahmen einer Durchsuchung zur Eigensicherung wurde bei ihm ein Joint und eine kleine Menge Marihuana aufgefunden. Eine daraufhin durchgeführte Wohnungsdurchsuchung führte zum Auffinden von insgesamt 85,28g Marihuana, 8,19g Haschisch, Verpackungsmaterial und Betäubungsmittelutensilien. Die Betäubungsmittel hatten einen Wirkstoffgehalt von 12,4g THC. Zugunsten des Angeklagten wird davon ausgegangen, dass die Drogen zum Eigenkonsum bestimmt waren.“
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Auf die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung des Angeklagten hat ihn das Landgericht Landau in der Pfalz am 6. Oktober 2017 nur wegen des bei ihm aufgefundenen Joints sowie einer kleinen Menge Marihuana des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20,00 € verurteilt. Die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht verworfen.
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Mit ihrer zum Nachteil des Angeklagten erhobenen Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Verfahrensrüge die fehlerhafte Annahme eines Beweisverwertungsverbotes und rügt insoweit die Verletzung des § 261 StPO. Zudem hat sie die allgemeine Sachrüge erhoben.
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Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist zulässig und führt bereits auf die Sachrüge zur Aufhebung des angegriffenen Urteils. Auf die Verfahrensrüge kommt es deshalb nicht mehr an.
II.
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Nach den landgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte in Schwegenheim gefeiert und lief am Samstag, den 30. Juli 2016 gegen 7:35 Uhr in angetrunkenem Zustand auf der Landstraße zwischen Schwegenheim und Westheim. Ca. 500 m vor dem Ortseingang Westheim und damit 500 m vor der Wohnung des Angeklagten, wurde er durch die Streifenwagenbesatzung PHK S, POK P und PKAin U angehalten, nachdem diese durch einen LKW-Fahrer auf eine auf der Fahrbahn laufende Person aufmerksam gemacht worden waren. Der Angeklagte trug zu diesem Zeitpunkt einen Joint und eine kleine Menge Marihuana in einer Dose bei sich.
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Eine Verurteilung wegen des weitergehenden Tatvorwurfs des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge - bezogen auf die in der Wohnung verwahrten Betäubungsmittel - erfolgte nicht, da das Landgericht einen Tatnachweis insoweit als nicht geführt angesehen hat. Der Angeklagte hat diesbezüglich von seinem Recht zu Schweigen Gebrauch gemacht. Der Verwertung der aus der Wohnungsdurchsuchung bei dem Angeklagten erlangten Beweismittel, die wegen Gefahr im Verzug durch PHK S angeordnet worden ist, stand nach Auffassung des Landgerichts ein Beweisverwertungsverbot entgegen, da sich der Polizeibeamte bewusst über den Richtervorbehalt hinweggesetzt habe, obwohl die Voraussetzungen zur Annahme von Gefahr im Verzug nicht vorgelegen hätten.
III.
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1. Eine Durchsuchung darf gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO durch den Richter und nur bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) angeordnet werden. Art. 13 Abs. 1 GG garantiert insoweit die Unverletzlichkeit der Wohnung. Damit wird dem Einzelnen im Hinblick auf seine Menschenwürde und im Interesse der freien Entfaltung der Persönlichkeit ein elementarer Lebensraum gewährleistet. In seinen Wohnräumen hat er das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein. Dem Gewicht dieses Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2, Halbs. 1 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vorbehält. Der präventive Richtervorbehalt, der der verstärkten Sicherung des Grundrechts des Art. 13 Abs. 1 GG dient, zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz.
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Zentraler Ausgangspunkt für das Verständnis des Richtervorbehalts ist der Grundsatz der Gewaltenteilung als tragendes Organisationsprinzip des Grundgesetzes, dessen Bedeutung in der politischen Machtverteilung, dem Ineinandergreifen der drei Gewalten und der daraus resultierenden Mäßigung der Staatsherrschaft liegt. Zwar ist die Staatsanwaltschaft als zur Objektivität verpflichtetes Rechtspflegeorgan (§ 160 Abs. 2 StPO) Garantin für Rechtsstaatlichkeit und gesetzmäßige Verfahrensabläufe und als "Wächter des Gesetzes" gerade auch dazu berufen, bei Grundrechtseingriffen im Ermittlungs- und Strafverfahren die Rechte aller Betroffenen zu wahren und die strikte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu garantieren. Dennoch lag es für den Verfassungsgeber in Anbetracht der Kontrollfunktion des Grundsatzes der Gewaltenteilung nahe, mit der Anordnung des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs, der mit einer Wohnungsdurchsuchung verbunden ist, den Richter als unabhängige Instanz zu befassen. Hinzu tritt der Gedanke effektiven Grundrechtsschutzes durch eine Verfahrensgestaltung, die darauf abzielt, strukturelle Rechtsschutzdefizite zumindest teilweise zu kompensieren. Bei Wohnungsdurchsuchungen, die ihren Zweck nicht erfüllen könnten, wenn der potentielle Betroffene vorher davon erführe und sich darauf einstellen könnte, werden vollendete Tatsachen geschaffen, ohne dass der betroffene Grundrechtsträger sich gerichtlich rechtzeitig zur Wehr setzen kann. Dieser Situation hat der Verfassungsgeber durch die Normierung des präventiven Richtervorbehalts in Art. 13 Abs. 2 GG Rechnung getragen. Das Grundgesetz geht davon aus, dass der Richter in Anbetracht seiner persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und seiner strikten Unterwerfung unter das Gesetz (Art. 97 GG) die Rechte des Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren kann. Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, das die Staatsanwaltschaft in eigener Verantwortung führt (§§ 158 ff. StPO), ist er unbeteiligter Dritter, der nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft tätig wird (§ 162 StPO). Durch seine Einschaltung soll von vornherein, nicht erst nach geschehener Durchsuchung, sichergestellt werden, dass die Interessen des Betroffenen angemessen berücksichtigt werden und in den Rechtskreis des Einzelnen nicht in weiterem Umfang eingegriffen wird, als es der Zweck der Durchsuchung erfordert. Demgemäß verlangt Art. 13 Abs. 1 GG eine umfassende richterliche Prüfung, bevor in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen werden darf. Die richterliche Durchsuchungsanordnung darf keine bloße Formsache sein. Der Richter muss vielmehr dafür Sorge tragen, dass die sich aus der Verfassung und dem einfachen Recht ergebenden Voraussetzungen der Durchsuchung genau beachtet werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.06.2015 - 2 BvR 2718/10; BVerfGE 139, 245-285, juris).
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2. Die Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und - subsidiär (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.02.2005 - 2 BvR 308/14, juris Rn. 13) - ihrer Ermittlungsbeamten wegen Gefahr im Verzug setzt hingegen voraus, dass konkrete, einzelfallbezogene Tatsachen ein sofortiges Tätigwerden zur Verhinderung eines Beweismittelverlustes erfordern. Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder auf kriminalistische Alltagserfahrungen gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen nicht aus. Die Strafverfolgungsbehörden müssen regelmäßig versuchen, eine richterliche Anordnung zu erlangen, bevor sie eine Durchsuchung beginnen. Nur dann, wenn ausnahmsweise schon die mit einem solchen Versuch verbundene zeitliche Verzögerung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde, dürfen sie selbst die Anordnung - wegen Gefahr im Verzug - treffen, ohne sich vorher um eine richterliche Entscheidung bemüht zu haben (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 19.10.2006 - 3 Ss 363/06, NStZ 2007, 355, beck-online).
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Die verfassungsrechtlich gebotene volle gerichtliche Kontrolle der Annahme von „Gefahr im Verzug” ist in der Praxis jedoch nur dann möglich, wenn nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Grundlagen der Entscheidung der Behörden und ihr Zustandekommen zuverlässig erkennbar werden. Aus Art. 19 Abs. 4 GG ergeben sich daher für die Strafverfolgungsbehörden Dokumentations- und Begründungspflichten, die den wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz erst möglich machen.
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3. Zur Beurteilung der Frage, welche Folgen ein möglicher Verstoß gegen strafprozessuale Verfahrensvorschriften hat und ob hierzu ein Beweisverwertungsverbot zählt, gilt Folgendes: Dem Strafverfahrensrecht ist ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd. Die Frage eines Verwertungsverbots ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Die Annahme eines Verwertungsverbots schränkt - auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung "um jeden Preis" gerichtet ist - eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle hierfür bedeutsamen Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24.02.2011 - 2 BvR 1596/10, juris Rn. 10).
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Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist danach bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen der Strafverfolgungsbehörden, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, immer geboten (vgl. BGH, Beschluss vom 06.10.2016 - 2 StR 46/15, NStZ 2017, 367, beck-online Rn. 24). Im Übrigen ist eine umfassende Abwägung des Interesses der Allgemeinheit an der weiteren Strafverfolgung mit dem bei dem Betroffenen an der Einhaltung der Verfahrensvorschriften vorzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 17.02.2016 - 2 StR 25/15, juris Rn. 20). Auf Seiten des Beschuldigten fallen ins Gewicht die Bedeutung der verletzten Beweiserhebungsvorschrift für seinen Rechtskreis sowie die Tiefe des Verfahrensverstoßes. Danach muss die Verletzung der für die Rechtsstellung des Beschuldigten als Verfahrenssubjekt konstitutiven Bestimmungen - erwähnt seien insoweit das Schweigerecht sowie das Anwaltskonsultationsrecht aus § 136 Abs. 1 S. 2 StPO - in aller Regel zur Annahme eines Beweisverwertungsverbots führen. Bedeutsam ist weiterhin die Intensität des rechtsfehlerhaften Zugriffs auf Beweismittel. Sie hängt maßgeblich davon ab, ob die Strafverfolgungsbehörden gegen die den Beweiserhebungsvorgang regelnden Bestimmungen absichtlich-gezielt beziehungsweise zumindest in objektiv-willkürlicher Weise verstoßen haben oder aber ob ihnen insoweit lediglich fahrlässigkeitsähnliche Nachlässigkeit zur Last fällt. Aus der Perspektive rechtsstaatlicher Strafverfolgung spielt demgegenüber die Schwere der in Rede stehenden Straftat eine wichtige Rolle. So sollen Beweiserhebungsfehler tendenziell folgenlos bleiben, wenn es um die Aufklärung gravierender Verbrechen geht. Neben dem Tatschwerekriterium ist als weiterer gewichtiger Abwägungsfaktor die Bedeutung des rechtswidrig erlangten Beweismittels für die Überführung des Angeklagten bedeutsam.
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Schließlich gilt es die Rechtsfigur des hypothetischen Ersatzeingriffs zu berücksichtigen. Sie gibt vor, dass eine Verletzung von Beweiserhebungsvorschriften jenseits der bereits erwähnten Willkürschwelle grundsätzlich dann nicht zur Unverwertbarkeit der solchermaßen erlangten Beweismittel führt, wenn feststeht oder davon auszugehen ist, dass diese auch bei strafprozessual korrektem Vorgehen erlangt worden wären. Verhält es sich so, soll ein Beweisverwertungsverbot nicht greifen, weil das den Strafverfolgungsbehörden bei Beweiserhebungsverstößen anzulastende Handlungsunrecht bei normativ-wertender Betrachtung als bloßer Formalverstoß einzustufen ist und somit kein informationelles Erfolgsunrecht dergestalt bewirkt, dass den Strafverfolgungsbehörden durch die fehlerbehaftete Beweiserhebung Erkenntnisse zuwachsen, die ihnen von Rechts wegen vorenthalten werden sollen (vgl. Schneider, NStZ 2016, 551, 553, 554).
IV.
1.
- 15
Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist bereits auf die Sachrüge hin zu überprüfen, soweit sich die einer solchen Annahme zugrunde liegenden Feststellungen und Wertungen - wie hier - aus den Urteilsgründen ergeben. Ein Beweisverwertungsverbot stellt eine rechtliche Ausnahme vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO) dar, so dass dessen fehlerhafte Annahme zu einem auf die Sachrüge hin zu beachtenden Fehler der Beweiswürdigung führt, soweit das Beweismittel aus der Beweiswürdigung ausgeschlossen wurde (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 18. Mai 2017 - Ss Bs 8/2017 (8/17 OWi), juris Rn. 8).
2.
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Die Beweiswürdigung in der angefochtenen Entscheidung hält hinsichtlich der Annahme eines Beweisverwertungsverbotes wegen der im Zusammenhang mit der Wohnungsdurchsuchung bei dem Angeklagten erlangten Beweismittel - auch unter Berücksichtigung des nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsumfangs - rechtlicher Prüfung nicht stand.
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Auf die von der Staatsanwaltschaft erhobene Sachrüge ist der Senat befugt, auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen zu prüfen, ob die Subsumtion des Landgerichts dessen verfahrensrechtliche Folgerung rechtfertigt (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 287). Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 13.12.2017 - 2 StR 273/17, juris Rn. 5 m.w.N.).
3.
- 18
Die Wertung der Kammer, dass sich die eingesetzten Polizeibeamten bewusst über den Richtervorbehalt hinweggesetzt hätten, weil keine Gefahr im Verzug vorgelegen habe, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Denn die Kammer hat versäumt sich mit der naheliegenden Möglichkeit auseinanderzusetzen, dass diese sich zum Zeitpunkt der Anordnung in der konkreten Situation über die Voraussetzungen von Gefahr im Verzug geirrt haben könnten. Insoweit hat es die Kammer in rechtsfehlerhafter Weise unterlassen, die Beweggründe des die Durchsuchung anordnenden Polizeibeamten POK S zum hier relevanten Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung aufzuklären und näher darzulegen, obwohl sich dies aufgrund der im Urteil enthaltenen Feststellungen zu der Entfernung zwischen der Kontrollörtlichkeit und der Wohnung des Angeklagten aufgedrängt hat. Eine nachvollziehbare Begründung dafür, weshalb ein - nach den Urteilsfeststellungen - im Betäubungsmittelbereich erfahrener Polizeibeamter eigenmächtig - unter bewusster Umgehung des Richtervorbehaltes - wegen Gefahr im Verzug die Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten angeordnet haben soll, obwohl möglicherweise auch ein entsprechender richterlicher Beschluss auf Antrag hätte ergehen können, ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Insoweit ist es nach Auffassung des Senats auch keineswegs fernliegend, dass bei der damaligen Sachlage ein Ermittlungsrichter auf entsprechenden Antrag hin einen Durchsuchungsbeschluss erlassen hätte. Bei einer unter Betäubungsmitteleinfluss stehenden Person ist es - ebenso wie bei einer im Besitz von Betäubungsmitteln befindlichen Person - naheliegend, dass diese weitere verbotene Drogen im Besitz haben könnte. Gerade für die Wohnung besteht ein hohes Maß an Auffindungswahrscheinlichkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 25.04.2007, 1 StR 135/07, juris). Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das Landgericht vorliegend die Möglichkeit einer hypothetisch rechtmäßigen Beweiserlangung verkannt hat. Das wechselhafte Aussageverhalten der Polizeibeamten allein vermag vor diesem Hintergrund die Annahme einer bewussten Umgehung des Richtervorbehaltes nicht zu stützen. Mit der Annahme einer bewussten Missachtung des Richtervorbehaltes hat sich das Landgericht der notwendigen Berücksichtigung der Rechtsfigur des hypothetischen Ersatzzugriffs entzogen.
- 19
Deshalb kann der Senat auch nicht ausschließen, dass das Urteil auf der rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung beruht. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
V.
- 20
Die Entscheidung gibt Anlass auf Folgendes hinzuweisen:
- 21
Eine wirksame gerichtliche Nachprüfung einer nichtrichterlichen Durchsuchungsanordnung wegen Gefahr im Verzug setzt voraus, dass der handelnde Beamte vor oder jedenfalls unmittelbar nach der Durchsuchung seine für den Eingriff bedeutsamen Erkenntnisse und Annahmen in den Ermittlungsakten dokumentiert. Insbesondere muss er, unter Bezeichnung des Tatverdachts und der gesuchten Beweismittel, die Umstände darlegen, auf die er die Gefahr des Beweismittelverlusts stützt. Allgemeine Formulierungen, die etwa bloß die juristische Definition von „Gefahr im Verzug” wiedergeben, reichen nicht aus. Das Gericht muss über die konkrete Sachlage zum Zeitpunkt der Entscheidung des handelnden Beamten informiert sein. Insbesondere muss erkennbar sein, ob der Beamte den Versuch unternommen hat, den Ermittlungsrichter zu erreichen. Eine verspätete Dokumentation des zeitlichen Ablaufs birgt die Gefahr von Ungenauigkeiten oder gar Umgehungen mit der Folge, dass eine Behauptung der Strafverfolgungsbehörden, die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung erfolglos versucht zu haben, nicht mehr nachzuprüfen ist. Zudem führt die Pflicht zur Dokumentation vor oder jedenfalls unmittelbar nach dem Eingriff dazu, dass sich der anordnende Beamte in besonderem Maße der Rechtmäßigkeit seines Handelns vergewissert und dass er überdies im Falle der Nachprüfung dieses Handelns auf dokumentierte Tatsachen wird verweisen können, die sein Handeln erklären. Auf der Grundlage dieser Dokumentation haben die Strafverfolgungsbehörden ihre Durchsuchungsanordnung in einem späteren gerichtlichen Verfahren zu begründen. Ihre Ausführungen müssen sich auf die gesetzlichen Voraussetzungen der Durchsuchung (§§ 102 ff. StPO) erstrecken. Außerdem müssen sie darlegen, warum eine richterliche Anordnung zu spät gekommen wäre, und gegebenenfalls, warum von dem Versuch abgesehen wurde, eine richterliche Entscheidung zu erlangen. Nur eine vollständige Begründung ermöglicht dem von der Durchsuchung Betroffenen eine sachgerechte Verteidigung seines Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG und dem Gericht die von Verfassungs wegen gebotene effektive Kontrolle der Anordnung (BVerfG, Urteil vom 20.02. 2001 - 2 BvR 1444/00, NJW 2001, 1121, 1124, beck-online).
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Referenzen
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