Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 7 K 3537/14
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
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Tatbestand:
2Der am 00.00.0000 in E. geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Mit der Klage wendet er sich gegen seine Ausweisung.
3Der Kläger hält sich seit seiner Geburt ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Am 17.06.2003 wurde ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Seit dem 01.07.2005 ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Sein Vater war seit 1978 ununterbrochen als Arbeitnehmer im Bundesgebiet beschäftigt und ist mittlerweile berentet. Die Mutter ist Hausfrau. Der Kläger hat noch fünf Geschwister.
4Er besuchte eine Grundschule in E. und anschließend eine Lernbehinderten-Schule, die er mit Beendigung der 10. Klasse im Sommer 2003 ohne Schulabschluss verließ.
5Eine Lehrstelle fand er nach Beendigung der Schulzeit nicht, er hat bis heute keine Ausbildung abgeschlossen. Er war dann zunächst arbeitslos. Im Jahr 2005 war er ca. 4 Monate als Helfer in einer Kabelfirma geringfügig und für 3 Monate bei B. beschäftigt.
6Ab einem Alter von 13 bis 14 Jahren konsumierte der Kläger regelmäßig Haschisch und Marihuana, was er im März 2005 zunächst einstellte. 2005 nahm er auch Kokain. Mit 15 bis 16 Jahren fing er an, Alkohol zu trinken. Nach einer Abstinenzphase von einem Jahr und vier Monaten begann er erneut mit dem Alkoholkonsum und steigerte die Mengen auf bis zu zwei Gläser Schnaps am Tag.
7Im Alter von 15 Jahren wurde der Kläger im Jahr 2001 Vater eines deutschen Sohnes, zu dem bis zu seiner Inhaftierung Ende 2005 sporadischer Kontakt bestand.
8Seit seinem 15. Lebensjahr ist er wiederholt straffällig geworden.
9Mit Urteil des Amtsgerichts E. vom 18.10.2001 wurde der Kläger wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung am 26.04.2001 verwarnt und zu Arbeitsleistungen verurteilt. Wegen Zuwiderhandlung gegen die Auflagen verbüßte er zwei Wochen Jugendarrest.
10Am 22.04.2002 verurteilte ihn das Amtsgericht E. wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall, verwarnte ihn und verhängte zwei Wochen Dauerarrest, den der Kläger vom 14.10.2002 bis 28.10.2002 verbüßte.
11Mit Schreiben vom 11.06.2003 verwarnte ihn die Beklagte wegen der begangenen Straftaten ausländerrechtlich.
12In der Folgezeit machte sich der Kläger erneut strafbar.
13Am 09.06.2005 wurde er vom Amtsgericht E. wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Jugendstrafe von 6 Monaten zur Bewährung verurteilt. Im Rahmen dieser Tat hatte der Kläger dem im Bett liegenden Geschädigten zweimal mit beschuhten Füßen in dessen Rücken getreten.
14Mit weiterem Urteil des Amtsgerichts E. vom 10.11.2005 wurde er – unter Einbeziehung der Verurteilung vom 09.06.2005 – wegen Raubes zu einer Jugendstrafe von 1 Jahr verurteilt, die ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dabei hatte der Kläger den Geschädigten mit der Faust ins Gesicht geschlagen.
15Schließlich wurde der zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alte Kläger vom Landgericht E. mit Urteil vom 20.07.2006 wegen Totschlags am 24.12.2005 zu einer Einheitsjugendstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten – unter Einbeziehung der Urteile vom 09.06.2005 und 10.11.2005 – verurteilt. Für die Verurteilung kam Jugendstrafrecht zur Anwendung, da der Kläger nach Ansicht des Gerichts hinsichtlich seiner Reife einem Jugendlichen gleichstand.
16Diese Tat erfolgte unter dem Einfluss von Drogen und Alkohol. Der Kläger hatte nachmittags ca. 0,5 g Kokain geschnupft und kurze Zeit später Lust auf Alkohol verspürt. Daraufhin traf er sich mit den zwei Mitangeklagten, mit denen er eine 0,7 l Flasche Wodka erwarb, die der Kläger zur Hälfte (vermischt mit Fanta) trank. Die Wirkung des Kokains war zu diesem Zeitpunkt weitgehend abgeklungen. Im weiteren Verlauf des Abends trank der Kläger weitere 0,08 l Wodka. Danach befand er sich in einer alkoholbedingten hochgradig agressiven Stimmungslage und suchte Streit mit ihm flüchtig bekannten Personen, indem er einen von ihnen mit dem von ihm mitgeführten Butterflymesser bedrohte. Im weiteren Verlauf des Abends trafen der Kläger und die zwei Mitangeklagten auf öffentlicher Straße auf zwei ihnen unbekannte Personen (U. T. (T) und dessen Vater S. -L. T. (R), das spätere Opfer), die sich von ihnen weg bewegten. Der Kläger suchte Streit und tippte T von hinten an, dann zog er sein Messer und fuchtelte mit diesem vor dem T herum und machte Stichbewegungen in Richtung von dessen Bauchraum. Der völlig überraschte T versuchte, dem Kläger das Messer abzunehmen und schubste den Kläger, woraufhin ihm die beiden Mitangeklagten zur Hilfe eilten, den T von hinten angriffen und mit Fäusten auf ihn einschlugen, so dass dieser zu Fall kam, woraufhin einer der Mitangeklagten noch mehrfach mit dem Fuß auf ihn eintrat. Der Vater des T, das spätere Opfer R, der eine Blutalkoholkonzentration von 2,83 Promille aufwies, wollte seinem Sohn zu Hilfe kommen, woraufhin der Kläger ihn zu Boden schlug und mit dem Fuß gegen dessen Kopf trat. Als R aufstehen wollte und sich zu diesem Zweck mit Händen und Knien auf der Straße abstützte, stach ihm der Kläger mit seinem Butterflymesser in Tötungsabsicht mit großer Wucht zweimal in den Nacken- und Schulterbereich. Im Nackenbereich erlitt R eine 7 cm tiefe und im Rückenbereich eine 9 cm tiefe Stichwunde. Der Stich in den Rücken führte durch den linken Lungenflügel und verursachte eine Verletzung der Aorta, so dass R innerlich verblutete. Zur Tatzeit wies der Kläger eine Blutalkoholkonzentration von max. 1,7 Promille auf, war aber schuldfähig. Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Gericht, dass der Kläger die Tat feige von hinten ausgeführt hatte.
17Seit dem 29.12.2005 befand er sich, nachdem er sich freiwillig gestellt hatte, in Untersuchungshaft in der JVA E1. . Seit dem 06.02.2007 verbüßte er die Freiheitsstrafe in der JVA T1. und seit dem 21.04.2009 in der JVA H. .
18Zu seinem Sohn und der Kindsmutter besteht seit seiner Inhaftierung kein Kontakt. Zunächst hatten seine Eltern weiter Kontakt zu dem Sohn des Klägers, dieser endete aber spätestens 2013 mit einem Umzug der Kindsmutter und deren Ehe mit einem anderen Mann.
19Mit Schreiben vom 03.06.2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie ihre Entscheidung über eine etwaige Ausweisung zunächst zurückstelle, da eine Prognose, die mindestens auf den Zeitpunkt einer möglichen Aufenthaltsbeendigung gerichtet sein müsse, auf Grund der langen Haftdauer derzeit nicht möglich sei. Gleichzeitig teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie eine erfolgreiche Teilnahme an einem Anti-Gewalt-Training, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit auch innerhalb der Haftanstalt und die Teilnahme an Aus- und Fortbildungen erwarte.
20Nach einer für die Staatsanwaltschaft angefertigten Stellungnahme der JVA T1. vom 27.11.2008 sei seine Führung in der JVA E1. nicht zu beanstanden gewesen, er habe dort ein Jahr lang in der Anstaltsküche gearbeitet und während der Untersuchungshaft regelmäßig Besuch von seiner Familie und seiner Freundin erhalten. Während der bisherigen (3-jährigen) Haftzeit habe es keine nennenswerten Auffälligkeiten gegeben (nur eine Verwarnung wegen Nichtbefolgen von Anweisungen und 14 Tage Freizeitsperre wegen Handybesitz). Er habe 2007 einen Schweißerlehrgang absolviert und im Anschluss daran Anfang August 2007 eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker begonnen, die jedoch vorzeitig im August 2008 beendet worden sei, da der Kläger ungenügende Leistungen gezeigt und unkonzentriert, unmotiviert und zuletzt desinteressiert gewesen sei. Seit September 2008 sei er in der Schneiderei eingesetzt. Es bestehe enger Kontakt zu seinen Eltern, den Geschwistern und der übrigen Verwandtschaft sowie zu seiner Freundin in Form von Besuchen und Schriftwechsel. Briefe schreibe der Kläger in deutscher Sprache, lediglich mit seinen Eltern spreche er auch Türkisch. Von Mitte Februar bis Mai 2007 habe er sich in der sozialtherapeutischen Abteilung der Anstalt befunden, diese Maßnahme sei aber auf seinen Wunsch beendet worden. Anfang 2008 habe er an einem 3 ½ Monate dauernden Anti-Gewalt-Training teilgenommen. Seit September 2008 sei er in der Behandlungsabteilung für Gewaltstraftäter untergebracht, dort zeige er sich behandlungsmotiviert und änderungsbereit. Bei der diagnostischen Exploration seien keine Auffälligkeiten zu erkennen gewesen, die auf eine durchgehend erhöhte Gewaltbereitschaft schließen ließen, so dass den bei dem Totschlagsdelikt einwirkenden situativen Randbedingungen und der enthemmenden Wirkung des Alkohols eine stärkere Rolle zukommen dürfe als bislang angenommen. Das Verhalten des Klägers in der Anti-Gewalt-Abteilung sei angemessen. Es lasse sich nach fast einem Jahr konkreter Behandlung eine Persönlichkeitsentwicklung erkennen, sein Respekt vor dem Leben und der Unversehrtheit anderer sei stärker geworden. Es gelinge ihm zunehmend, sich zu öffnen und er nutze die Behandlungsmaßnahme, um konkrete Handlungsstrategien für ein straffreies Leben zu bekommen. Sofern die bisher eingeschlagene positive Entwicklung anhalten sollte, sei eine einschlägige Rückfallgefahr mit größerer Wahrscheinlichkeit zu verneinen.
21Mit Schreiben vom 05.12.2008 hörte die Beklagte den Kläger zu der beabsichtigten Ausweisung an. Mit Schreiben vom 06.01.2009 äußerte der Kläger, Deutschland sei sein Vaterland, er sei hier integriert und habe in der Türkei niemanden. Er habe einen 7-jährigen Sohn, den er über alles liebe, er bereue seine Tat und plane ein Leben ohne Straftaten und ohne Gewalt. Er versuche sich fortzubilden, habe ein Anti-Aggressionstraining erfolgreich durchlaufen und nehme seit September 2009 an einem Anti-Gewalt-Training teil. Zudem bestünde ein enger Kontakt zu seiner Familie und er habe bereits einen Arbeitsplatz für den Zeitpunkt der Entlassung.
22Mit Schreiben der Beklagten vom 31.03.2009 teilte diese dem Kläger mit, dass die Entscheidung über die Ausweisung um ein weiteres Jahr zurückgestellt werde, da eine Prognose wegen der noch langen Haftdauer derzeit nicht möglich sei.
23Nach einer Stellungnahme der JVA H. vom 29.04.2010 sei der noch in der JVAT2. seit November 2008 besuchte schulische Integrationskurs bereits nach ca. 10 Tagen abgebrochen worden. In der Schneiderei habe er abgelöst werden müssen, da er Arbeitsmaterial beschädigt und Anweisungen nicht befolgt habe. In der jetzigen Einrichtung nehme er erneut an einem Integrationskurs teil. Er habe weiterhin regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie und seiner Freundin. Seine Führung gestalte sich aber nicht immer beanstandungsfrei. So habe es immer wieder disziplinarische Verwarnungen wegen Handy- und Drogenfunden und Nichtbefolgen von Anweisungen gegeben. Die durchgeführten Drogenscreenings seien aber unauffällig gewesen. So habe er im Januar 2010 diszipliniert werden müssen, da er mit Mitgefangenen ein Handy genutzt habe. Insgesamt sei festzuhalten, dass der Kläger subkulturellen Verhaltensmustern verhaftet sei, auf Grund der wiederholten Auffälligkeiten sei eine positive Sozialprognose derzeit nicht vertretbar.
24Am 05.05.2010 teilte die Staatsanwaltschaft L1. mit, dass gegen eine Ausweisung keine Bedenken bestünden.
25Mit Schreiben vom 15.07.2010 stellte die Beklagte ihre Entscheidung über die Ausweisung erneut im Hinblick auf ein anhängiges Verfahren vor dem EuGH zur Frage der Anwendbarkeit der Unionsbürgerrichtlinie auf assoziationsberechtigte Türken zurück.
26Bei einer persönlichen Vorsprache des Vaters des Klägers bei der Beklagten am 27.03.2013 teilte dieser mit, der Kläger könne nach seiner Haftentlassung wieder zu Hause wohnen.
27Nach vollständiger Verbüßung seiner Strafe wurde der Kläger am 31.05.2013 entlassen. Er kehrte er in sein früheres familiäres Umfeld zurück und bezog von Juni 2013 bis Juni 2014 Arbeitslosengeld.
28Am 20.06.2013 nahm die Beklagte nach zwischenzeitlicher Entscheidung des EuGH im Dezember 2011 das Ausweisungsverfahren wieder auf und hörte den Kläger erneut an.
29Am 24.06.2013 teilte der Kläger der Beklagten telefonisch mit, er wolle sein Leben auf die Reihe kriegen, er habe – bis auf eine Ausnahme – keinen Kontakt mehr zu seinen früheren Freunden und er bemühe sich um eine Kontaktaufnahme zu seinem Sohn.
30Aus einer nach der Haftentlassung angefertigten Stellungnahme der JVA H. vom 17.07.2013 ergibt sich, dass der Kläger während seiner Haftzeit mehrfach disziplinarisch habe belangt werden müssen und sein Verhalten nicht über einen längeren Zeitraum beanstandungsfrei gewesen sei. So sei er während der Haft mehrfach durch manipulierte (am 18.05.2010) bzw. positive Urinkontrollen (am 08.11.2011 und 06.03.2012 sowie 28.04.2012) und Drogenkonsum aufgefallen. Der Kläger habe sich durch seine kriminellen Handlungen dem strengen Erziehungsdiktat seines Vaters und seines Bruders entziehen wollen, es nicht vermocht, sich eine schulische oder berufliche Qualifikation anzueignen und folglich keine stabile Identität aufgebaut. Er sei zwecks Erschaffung selbstwertfördernder Faktoren straffällig geworden, er sei eher ein Mitläufer, der sich Anerkennung in Cliquen verschaffen wolle. Er sei tief in kriminellen Subkulturen verhaftet und – mit Ausnahme des Tötungsdelikts – zur Verantwortungsübernahme für seine Taten nicht bereit. Es mangele ihm an Handlungsalternativen zur Problembewältigung, er habe eine hohe Affinität zu Drogen und eine geringe Abgrenzungsfähigkeit. Seine selbst behauptete 6 Monate andauernde Abstinenz von Drogen könne nicht durch negative Urinkontrollen bestätigt werden. Er bereue zwar das Tötungsdelikt und habe schon vor dieser Tat versucht, sein Leben in eine prosoziale Richtung zu verändern, sein Vollzugsverhalten zeige aber eine Änderung in eine dissoziale Richtung. Die erfolgte Rückkehr in seine Familie wirke eher ungünstig. Bei anhaltendem Drogenkonsum sei ein erneutes Abrutschen in subkulturelle Kreise zu befürchten. Zu den eigentlich beabsichtigten Vollzugslockerungen sei es nicht gekommen, da er am 17.01.2013 zum wiederholten Male positiv auf Drogen getestet worden sei. Außerdem sei bei dem Kläger am 22.03.2013 erneut ein Handy gefunden worden, bei der Abnahme desselben sei er in seiner Zelle höchst aggressiv geworden und habe eine Schranktür zerschlagen.
31Mit Schreiben vom 14.01.2014 forderte die Beklagte den Kläger zur Vorsprache für den 23.01.2014 mit Unterlagen zu einem aktuellen Drogenscreening, Arbeitsbemühungen und zur Kontaktaufnahme mit seinem Sohn auf.
32Bei seiner Vorsprache einen Tag zuvor am 22.01.2014 konnte der Kläger kein aktuelles Drogenscreening vorlegen, er teilte aber mit, keine Drogen mehr zu konsumieren, in zwei Tagen einen entsprechenden Arzttermin zu haben und das Ergebnis faxen zu lassen. Er konzentriere sich auf die Gründung seines eigenen Unternehmens (Imbiss, Verkauf einer wenig bekannten türkischen Spezialität), so dass er keine weiteren Arbeitsbemühungen entfaltet habe. Trotz seiner Rückkehr in sein früheres Wohnumfeld pflege er zu seinen früheren Freunden keinen Kontakt mehr. Er habe auch eine neue Partnerin, die er seit seiner Haftentlassung kenne.
33Trotz einer Erinnerung unter dem 03.02.2014 kam der Kläger der Aufforderung der Beklagten zur Vorlage des Drogenscreenings nicht nach mit der Begründung, er habe die Kosten von 45,00 € hierfür nicht aufbringen können und seine Familie nicht habe dafür anbetteln wollen. Auch seine Zusage, das Drogenscreening bis zum 17.02.2014 vorzulegen, hielt er nicht ein. Eine weitere Erinnerung der Beklagten vom 28.02.2014 mit Frist bis zum 13.03.2014 blieb erfolglos. Erst mehrere Monate später legte er ein am 03.07.2014 erstelltes Laborblatt mit einem (negativen) Drogenscreening vor.
34Die beabsichtigte selbständige Tätigkeit realisierte der Kläger letztlich nicht. Auch eine nichtselbständige Tätigkeit nahm er nicht auf.
35Mit Schreiben vom 23.04.2014 hörte die Beklagte den Kläger zu seiner beabsichtigten Ausweisung an.
36Mit Ordnungsverfügung vom 13.05.2014 wies die Beklagte den Kläger aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1) und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist, an. Die Wirkungen der Ausweisung wurde auf sieben Jahre nach erfolgter Ausreise befristet (Nr. 3). Für die Befristung setzte die Beklagte eine Gebühr von 30 EUR fest (Nr. 4). Wegen der Einzelheiten wird auf die eingehend begründete Ordnungsverfügung verwiesen. U.a. heißt es dort zur Begründung der Ausweisung:
37„Im Rahmen meines Ermessens habe ich alle wesentlichen Umstände Ihres Falles… gegeneinander abgewogen…Demgegenüber komme ich bei Betrachtung der von Ihnen gezeigten Verhaltensweisen zu dem Ergebnis, dass von Ihnen ein unvermindert hohes Risiko der Begehung weiterer, erheblicher Straftaten ausgeht…Sie haben über die gesamte Dauer des Haftverlaufs gezeigt, dass es Ihnen nicht gelingt bzw. Sie nicht willens sind, sich an geltende Normen und Regeln zu halten…ebenso ließen Sie bis zum heutigen Tage die Möglichkeit ungenutzt, mir Ihre Drogenabstinenz nachzuweisen. Der Konsum von Alkohol als auch von Betäubungsmitteln war ursächlich für die von Ihnen begangene Tat… Vor dem Hintergrund, dass ich davon ausgehe, dass Sie nach wie vor Alkohol und Betäubungsmittel konsumieren, komme ich zu dem Schluss, dass sich hierbei jederzeit die Gefahr ergibt, dass Sie erneut in aggressive und enthemmte Verhaltensmuster zurückfallen und in diesem Zustand von Ihnen die Gefahr der erneuten Begehung erheblicher Gewaltstraftaten ausgeht…“
38Der Kläger hat am 26.05.2014 die vorliegende Klage erhoben, mit der er sich gegen die Ordnungsverfügung wendet.
39Er ist der Auffassung, die Ausweisung sei wegen des ihm zustehenden Assoziationsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Rahmen einer Ermessensentscheidung unter sachgerechter Abwägung öffentlicher Interessen an der Ausreise zur Abwehr vom Ausländer drohender Gefahren mit den privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet möglich. Diese falle vorliegend zu seinen Gunsten aus. Er sei nachgereift und lebe enthaltsam von Drogen und Alkohol. Er sei in einem festen Empfangsraum seiner Familie aufgenommen worden, bemühe sich um Kontakt zu seinem deutschen Sohn und – nach dem Scheitern der Selbstständigkeit - um Aufnahme einer Angestelltentätigkeit. Er sei nicht wieder straffällig geworden. Vor diesem Hintergrund erscheine es nicht notwendig, die Ausweisung durchzusetzen.
40Inzwischen lebe er in einer festen Beziehung und sei aus dem für problematisch erachteten Umfeld seiner Familie herausgetreten. Er werde in Kürze mit seiner neuen Freundin Frau T3. C. , die er im März 2014 kennengelernt und mit der er seit Juni 2014 liiert sei, zusammenziehen und nach dem Scheitern seiner Selbständigkeit ein Angestelltenverhältnis aufnehmen.
41Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung lebt der Kläger noch immer in seinem Elternhaus, er plane jedoch weiterhin, mit seiner Freundin zusammenzuziehen.
42Er bemühe sich nach wie vor um ein Umgangsrecht mit seinem Sohn, demnächst sei eine Anhörung des Kindes vor dem Familiengericht geplant. Unterlagen dazu könne er aber nicht vorlegen.
43Der Kläger beantragt,
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die Ordnungsverfügung der Ausländerbehörde der Beklagten vom 13.05.2014 aufzuheben und
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hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung der Ordnungsverfügung vom 13.05.2014 zu verpflichten, die Wirkungen der Ausweisung auf 5 Jahre zu befristen.
Die Beklagte beantragt,
48die Klage abzuweisen.
49Sie verweist zur Begründung im Wesentlichen auf ihre Ordnungsverfügung.
50Ergänzend führt sie aus, der Kläger habe durch sein Verhalten nicht erkennen lassen, dass er sich mit seiner Tat ausreichend auseinandergesetzt habe. Er habe bereits in der Haftzeit gezeigt, dass es ihm nicht möglich sei, sich an Regeln zu halten, dieses Verhalten setze sich nunmehr nach der Haftentlassung fort. Sie gehe davon aus, dass der Kläger sich durch gezielte Schutzbehauptungen dem angeforderten Drogenscreening habe entziehen wollen.
51Mit Schreiben vom 26.10.2015 begründet die Beklagte eine Ermessensentscheidung hinsichtlich der Befristung des durch die Ausweisung entstandenen Einreise- und Aufenthaltsverbots. In diesem Zusammenhang führt sie aus, sie halte auch aktuell eine Frist von 7 Jahren für ermessensgerecht. Ein am 10.09.2015 angefordertes Drogenscreening habe der Kläger erst verspätet am 14.10.2015 mit der Begründung vorgelegt, der Urin habe aus labortechnischen Gründen nicht verwertet werden können, da die Urinabgabe im Beisein eines Arztes zu erfolgen habe. Daher dränge sich der Verdacht auf, der Kläger konsumiere weiterhin Drogen. Der Kläger stelle sich insgesamt sehr unzuverlässig dar. So habe er über einen Zeitraum von 1 ½ Jahren keinen Nationalpass vorgelegt. Es sei davon auszugehen, dass er die Beschaffung des Passes gezielt und absichtlich unterdrückt habe, um eine Abschiebung zu verhindern.
52Das Gericht hat mit Beschluss (7 L 1792/14) vom 23.09.2014 den Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt, wobei Gegenstand der Prüfung nicht die Befristung der Wirkungen der Ausweisung war. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) hat die hiergegen eingelegte Beschwerde des Klägers mit Beschluss vom 02.12.2014 zurückgewiesen (18 B 1187/14). Wegen der Einzelheiten wird auf diese Beschlüsse verwiesen.
53Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten einschließlich des Eilverfahrens 7 L 1792/14, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Ausländerbehörde der Beklagten, die Strafakten 133 Js 198/05 sowie die Gefangenpersonalakte der JVA H. ergänzend Bezug genommen.
54Entscheidungsgründe:
55Die zulässige Klage hat sowohl im Hauptantrag (I.) als auch im Hilfsantrag (II.) keinen Erfolg.
56I. Die Klage ist im Hauptantrag als Anfechtungsklage zulässig, aber unbegründet. Die angegriffene Ordnungsverfügung vom 13.05.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
57Die Ausweisungsverfügung, die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung, für deren Überprüfung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist,
58Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - Rz. 20, und vom 13. Januar.2009 - 1 C 2.08 -, AuAS 2009, 110, 112f, InfAuslR 2009, 227ff,
59findet ihre Grundlage in § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (juris: EWGAssRBes 1/80, nachfolgend: ARB 1/80).
60Zwar verwirklicht der Kläger mit der im Tatbestand genannten Verurteilung wegen Totschlags den zwingenden Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG, weil er wegen einer vorsätzlichen Straftat rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist (Nr. 1).
61Urteil des Landgerichts E. vom 20.07. 2006 (rkr.) – 133 Js 198/05 –
62Er gehört jedoch zum privilegierten Personenkreis der durch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 besonderen Ausweisungsschutz genießenden assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen.
63Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger eine Rechtsposition nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 erworben hat. Er ist als Kind eines türkischen Arbeitnehmers im Bundesgebiet geboren, hat bei seinen Eltern gelebt und erfüllt unstreitig die Mindestaufenthaltszeiten des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80.
64In Anwendung von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 kann er daher nur im Ermessenswege ausgewiesen werden.
65vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 – C-371/08 -, Ziebell , juris; BVerwG, Urteile vom 10. Juli 2012 – 1 C 19/11 , 13. Dezember 2012 – 1 C 20.11 -, 15. Januar 2013 – 1 C 10/12 – und 14. Mai 2013 – 1 C 13/12 –, jeweils juris; hierbei kann derzeit offenbleiben, ob dies nach Inkrafttreten der §§ 53 – 56 AufenthG n.F. am 1. Januar 2016 noch gelten kann, wenn man davon ausgeht die Neuregelung des Ausweisungsrechts biete keine Ermächtigungsgrundlage für eine Ermessensentscheidung (a.A. Marx, Zur Reform des Ausweisungsrechts, ZAR 2015, 245). Es spricht allerdings viel dafür, dass die Verortung als nationale Ermächtigungsgrundlage für Ausweisungen assoziationsberechtigter Personen nach dem ARB 1/80 im § 55 AufenthG a.F. lediglich der Ermöglichung einer Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalles und Wahrung der Verhältnismäßigkeit diente, die auch ohne Eröffnung eines Ermessens nach §§ 53 – 56 AufenthG n.F. möglich und – nach Fassung der Tatbestände - auch geboten sein wird.
66Darüber hinaus steht dem Kläger auch der besondere Ausweisungsschutz des § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG zu, weil er im Zeitpunkt der Ausweisung im Besitz einer Niederlassungserlaubnis war und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Aus diesem Grund kann er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG.
67Stellt das persönliche Verhalten des Klägers indes gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland dar und ist die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich im Sinne des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, liegen damit auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vor.
68Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. August 2015, - 18 B 1245/14 -, (unter Berufung auf BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2013 – 1 C 13/12 –) ist die Gefahrenschwelle des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG a.F. jedenfalls nicht höher als diejenige des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 und reicht damit der nationale Ausweisungsschutz nicht weiter als der unionsrechtliche.
69Auf den weitergehenden – erhöhten – Ausweisungsschutz in § 6 Abs. 5 S. 1 und 3 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU), den der deutsche Gesetzgeber in Umsetzung des Art. 28 Abs. 3 Unionsbürgerrichtlinie
70Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten vom 29. April 2004, ABl. Nr. L 141 S. 1;
71normiert hat, kann sich der Kläger indes nicht berufen, weil der gemeinschaftsrechtliche Ausweisungsschutz auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nicht übertragbar ist.
72vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 – Rs. C-371/08
Zur Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 enthaltenen Schranke der öffentlichen Ordnung ist nach Aufhebung des Art. 3 der Richtlinie 64/221/EWG nunmehr auf Art. 12 Daueraufenthaltsrichtlinie
74Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 203 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen, ABl. Nr. L 16, S. 44;
75zurückzugreifen. Danach können assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige nur ausgewiesen werden, wenn ihr persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist,
76vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 75 ff.; BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 – 1 C 19.11 –, Juris Rn. 14); OVG NRW, Urteil vom 22. März 2012 – 18 A 951/09 –, Juris Rn. 60 ff..
77Die Ausweisungsentscheidung der Beklagten (Nr. 1. der Ordnungsverfügung) ist - vor diesem rechtlichen Hintergrund - nicht zu beanstanden.
78Das Verhalten des Klägers stellt eine Gefahr in dem vorgenannten Sinne dar, so dass im Übrigen auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 S. 2 AufenthG gegeben sind; es besteht ein entsprechend gewichtiger Ausweisungsanlass und eine konkrete Wiederholungsgefahr. Auch ist die darauf aufbauende Ermessensentscheidung der Beklagten zur Ausweisung des Klägers ermessensfehlerfrei ergangen.
79Zur Begründung wird auf die streitgegenständliche Ordnungsverfügung der Beklagten, auf den Beschluss des Gerichts vom 22. Februar 2013 im Verfahren 7 L 1792/14 sowie den dies bestätigenden Beschluss des OVG NRW vom 02.12.2014 - 18 B 1187/14 - verwiesen, denen nach wie vor zu folgen ist.
80Das Verhalten des Klägers stellt auch noch gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik, namentlich für die bedeutsamen Rechtsgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit dar.
81Die sich hierauf beziehende, nach Unionsrecht bestimmende Prognose richtet sich nicht nach strafrechtlichen Gesichtspunkten, auch nicht nach dem Gedanken der Resozialisierung. Vielmehr haben die zuständigen Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose über die Wiederholungsgefahr des Klägers zu treffen.
82BVerwG, Urteil v. 15.01.2013 - 1 C 10.12 -; BVerwG, Urteil v. 13.12.2012 - 1 C 20.11
83Bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr hängen die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts vom Schutzbedürfnis des gefährdeten Rechtsguts und von der Größe der drohenden Schäden ab. Für die Feststellung der Wiederholungsgefahr gilt auch bei Art. 14 ARB 1/80 ein differenzierender, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind - wie ganz allgemein - auch bei Art. 14 ARB 1/80 umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch bei hochrangigen Rechtsgütern begründet danach allerdings nicht bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr. Vielmehr dürfen im Hinblick auf Art. 14 ARB 1/80 an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.
84BVerwG, Urteil v. 15.01.2013 - 1 C 10.12 -; BVerwG, Beschluss v. 04.10.2012 - 1 C 13.11 –
85Bei der Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, aber auch die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt, der Entscheidung des Gerichts.
86vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Mai 2011 – 10 B 30.10 –, Juris Rn. 6 und Urteil vom 16. November 2009 – 9 C 6.00 –, Juris Rn. 16.
87Gemessen daran ist für den Kläger die Gefahr der Wiederholung seines strafbaren Verhaltens für den Bereich schwerer Gewalttaten zu bejahen und die entsprechende Einschätzung der Beklagten nicht zu beanstanden.
88Vor dem Hintergrund, dass das begangene Totschlagsdelikt unter dem Einfluss von Alkohol und einer ggf. geringen Restwirkung von Kokain erfolgt ist und der Drogenkonsum offenbar das Verlangen nach Alkohol steigert, ist hinsichtlich der anzustellenden Prognose davon auszugehen, dass auch noch aktuell von dem Kläger – jedenfalls unter dem Einfluss von Alkohol und Rauschmitteln – eine erhebliche Gefahr der erneuten Begehung erheblicher Gewaltstraftaten ausgeht. Eine nachhaltige Distanzierung von diesen Drogen ist beim Kläger nicht feststellbar.
89Zum einen folgt diese Einschätzung aus der Tatsache, dass sich der Kläger während seiner Haft nicht ansatzweise beanstandungsfrei geführt hat.
90Aus der Stellungnahme des Leiters der JVA H. vom 18. Juli 2013 ist zu entnehmen, dass der psychologische Dienst der Anstalt angesichts in der Vergangenheit regelmäßig vorgekommener Auffälligkeiten des Antragstellers in der Haft erst weniger als sechs Monate vor Ende der Haftzeit erstmals Hafterleichterungen in Form begleiteter Ausgänge für vertretbar hielt. Der geplante offene Vollzug konnte dann aber nicht realisiert werden, weil am 17. Januar 2013 ein positives Drogenscreening durchgeführt wurde und am 22. März 2013, wie schon häufig zuvor, bei dem Kläger ein Mobiltelefon aufgefunden wurde. Der Kläger hat die Strafhaft deshalb nicht im Zustand der Bewährung verlassen.
91Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass der Kläger es vermocht hat und in der Zukunft vermag, ohne Drogen zu leben.
92Er ist während seiner Haftzeit wiederholt durch positive Urinkontrollen und Drogenkonsum aufgefallen, insbesondere im letzten Drittel der Haftzeit, zuletzt lediglich 4 Monate vor seiner Entlassung. Hat er aber selbst während der Haft nicht abstinent leben können, so spricht wenig dafür, dass er das in Freiheit kann. Diese Einschätzung wird gestützt durch die verspätete Abgabe des im Januar 2014 von der Beklagten angeforderten Drogenscreenings bei der Ausländerbehörde. Es ist kein nachvollziehbarer Grund für die Verzögerung der Vorlage des Drogenscreenings über einen Zeitraum von einem halben Jahr ersichtlich. Dass er das Geld dafür nicht habe aufbringen können, ist nicht glaubhaft, insbesondere vor dem Hintergrund, dass seine Eltern ihn auch in sonstiger Weise finanziell, z.B. bei seinem Vorhaben der Selbständigkeit, unterstützt haben, so dass sich das wiederholte Vertrösten als Schutzbehauptung darstellt und ersichtlich nur dem Zweck diente, durch eine Abstinenzphase in der Lage zu sein, einen negativen Befund vorzuweisen. Dieser Eindruck wird noch durch das Verschleppen eines weiteren im September 2015 angeforderten Drogenscreenings verstärkt. Dass dem Kläger nicht bewusst gewesen sein soll, dass die Urinabgabe in Anwesenheit eines Arztes stattzufinden hat, ist vor dem Hintergrund seiner entsprechend einschlägigen Erfahrungen mit solchen Tests wenig glaubhaft. Auch die Vorlage eines aktuellen Screenings im Termin zur mündlichen Verhandlung vermag nichts an dieser Einschätzung zu ändern, da sich der Kläger offenbar gezielt die Termine für Drogentests aussucht, was für einen zeitlich gesteuerten Konsum spricht.
93Damit ist davon auszugehen, dass der Kläger nach wie vor nicht drogenfrei leben kann, auch wenn dem Bewährungshelfer im Rahmen der bis Mai 2015 laufenden Führungsaufsicht kein Drogenkonsum bekannt geworden war. Dieser Tatsache kommt deshalb besondere Bedeutung zu, weil die letzte abgeurteilte Straftat des Klägers, die Tötung des R, offenbar in ursächlichem Zusammenhang mit Drogen- und Alkoholkonsum stand. Gerade in dem zu seiner Entlastung von dem Kläger angeführten Gutachten des Dr. D. vom 24. Juni 2011 war eine positive Prognose für ihn davon abhängig gemacht worden, dass es ihm gelinge, sich von Alkohol- und Drogenkonsum freizumachen; der Sachverständige führte aus, wenn der Kläger in Freiheit wieder in die falschen Kreise gerate und deshalb den Alkohol- und Drogenkonsum wieder aufnehme, könne das zu erhöhter Impulsivität und Aggressivität führen. Diese waren nach Aktenlage Auslöser für das Tötungsdelikt gewesen. Die Tat zeichnete sich dadurch aus, dass der Kläger aus Streitlust und um aufgestaute Wut abzulassen, auf der Straße ihm unbekannte Personen angefallen und mit seinem Messer bedroht hatte. Der Straftat hatte nicht, wie sonst oft bei vergleichbaren Taten, eine besondere persönliche Konfliktlage im Verhältnis zu dem Opfer oder eine außergewöhnliche und einmalige Situation zu Grunde gelegen, von der im Ansatz vermutet werden könnte, sie werde sich so nicht wiederholen. Die Tat des Klägers hatte ihren Grund vielmehr offensichtlich in dessen Persönlichkeitsstruktur und in seinem Rauschmittelkonsum. Dass er diesen bis heute nicht unter Kontrolle hat, lässt es nicht als fernliegend erscheinen, dass er jederzeit wieder „ausrasten“ und schwerste Gewalttaten begehen kann. Es kommt hinzu, dass er auch weitere aus Sicht der mit seinem Fall befasst gewesenen Psychologen günstige Rahmenbedingungen bis heute nicht erfüllt. Schon Dr. D. hielt es für nützlich, dass sich der Kläger über den offenen Vollzug einen „Empfangsraum“ für die Zeit nach der Haft schaffe, der es ihm ermögliche, unabhängig von seiner Familie zu leben und ihn nicht der Versuchung aussetze, sich dem Diktat von Bruder und Vater erneut durch Flucht in ein schädliches Milieu zu entziehen. Auch die Diplom-Psychologin vom Psychologischen Dienst der JVA H. vertrat in ihrer letzten Stellungnahme vom 17. Juli 2013 die Auffassung, es sei problematisch, wenn der Kläger in das Elternhaus zurückkehre; besser sei es für ihn, eine eigene Wohnung und einen unabhängigen Arbeitsplatz zu finden. Beides ist bis heute nicht der Fall. Der Kläger wohnt wieder im Haus der Eltern (wenn auch in einer eigenen Wohnung im Haus) und hat seit der Haftentlassung keine nachhaltige längerfristige Erwerbstätigkeit aufgenommen. Dieser Umstand zeigt jedoch einen Mangel an Sozialisierung, der wiederum das Risiko für Straftaten erhöht. Auch insoweit wird das Verhalten aus dem Vollzug fortgesetzt. Im Strafvollzug übte der Kläger zwar verschiedene Tätigkeiten aus, ist jedoch bei keiner auf Dauer geblieben und zeigte sich für deren Wahrnehmung wenig motiviert, wie sich aus dem bereits zitierten Bericht der Justizvollzugsanstalt ergibt.
94Auch die Tatsache, dass der Kläger nach seiner Haftentlassung straffrei geblieben ist, ist angesichts der Vorgeschichte nicht geeignet, die von dem Kläger weiterhin ausgehende Gefahr unter Berücksichtigung des oben beschriebenen differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstabes in einer Weise zu relativieren, dass die Ausweisung in dem maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtswidrig wäre. Im Hinblick auf die Schwere der begangenen Tat kann bei nicht nachgewiesener vollständiger Abstinenz von Alkohol und Drogen nicht davon ausgegangen werden, dass die von ihm ausgehende Gefahr durch Gewalttätigkeiten, insbesondere unter dem Einfluss von berauschenden Mitteln, beseitigt ist.
95Die Ermessensentscheidung der Beklagten - die gemäß § 114 Satz 1 VwGO nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterworfen ist - den Kläger aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auszuweisen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
96Diese erfordert eine sachgerechte Abwägung des öffentlichen Interesses am Schutz der öffentlichen Ordnung und damit an der Ausreise des Ausländers mit dessen privatem Interesse an seinem Verbleib im Bundesgebiet, wobei dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besondere Bedeutung zukommt.
97EuGH, Urteil v. 08.12.2011 - C-371/08 (Ziebell/Örnek); BVerwG, Urteil v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 –
98Dabei sind die schützenswerten Belange des Klägers, die sich auf sein Privat- und Familienleben beziehen, unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Kriterien umfassend zu würdigen.
99vgl. Urteile vom 2. August 2001 - Nr. 54273/00, Boultif/Schweiz - InfAuslR 2001, 476 und vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279
100Dieser Kriterienkatalog kann ohne weiteres auch Geltung für die Beantwortung der Frage beanspruchen, ob ein derartiger Eingriff verhältnismäßig im Sinne von Art. 6 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ist. Es handelt sich dabei um folgende Kriterien:
101- Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat;
102- das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten;
103- der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll;
104- die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und
105- das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug;
106- die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten;
107- die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen;
108- der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das ggfs. abgeschoben werden soll;
109- ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte;
110- ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll
111sowie
112- die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
113Die Ausweisung des Klägers erweist sich vorliegend auch unter Würdigung seiner schützenswerten Belange im Einzelfall angesichts der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses und der nach wie vor von ihm ausgehenden Gefahr als unerlässlich, um das oben näher beschriebene Grundinteresse der Gesellschaft zu wahren.
114Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Erwägungen der Beklagten in der angegriffenen Ordnungsverfügung verwiesen, denen sich das Gericht nach eigener Prüfung anschließt. Darüber hinaus ist zu konstatieren, dass auch die weitere Entwicklung nach Erlass der Ordnungsverfügung zu keiner abweichenden Beurteilung führt.
115Ein persönlicher Umgang mit seinem deutschen Kind im Sinne einer persönlich-emotionalen Beziehung ist nicht ersichtlich. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, er verfolge – trotz Widerstandes der Kindsmutter - weiterhin das Ziel einer Einräumung eines Umgangsrechts mit seinem Sohn und es stehe demnächst vor dem Familiengericht eine Anhörung des Kindes an. Der Kläger war aber nicht in der Lage, diese Behauptung durch die Vorlage von Unterlagen zu substantiieren.
116Die Beziehung zu seiner jetzigen Lebensgefährtin Frau T3. C. ist er in Kenntnis seiner aufenthaltsrechtlichen Situation eingegangen. Es ist nicht ersichtlich, ob und wann er mit dieser in einem gemeinsamen Haushalt leben wird. Hat er noch im Juni 2015 vorgetragen, eine gemeinsame Wohnung sei schon gemietet und der Zusammenzug stehe unmittelbar bevor, so sind diese Pläne offenbar nicht realisiert worden. Nach seinen eigenen Aussagen lebt er immer noch im Haus seiner Eltern und hat Skrupel, sich von diesen räumlich zu entfernen. Diese Nichtablösung von seinem Elternhaus wirkt sich aber gerade negativ auf die Zukunftsprognose des Klägers aus.
117Ebensowenig hat er ein (längerfristiges) Arbeitsverhältnis aufgenommen, so dass eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht erfolgt ist und auch nicht absehbar erscheint. Vielmehr setzt sich sein in der JVA gezeigtes Verhalten im Sinne einer Unbeständigkeit und mangelndem Interesse an einer Erwerbstätigkeit bis heute fort.
118Auch die Ausreiseaufforderung nebst Abschiebeandrohung (Nr.2) und die Gebührenfestsetzung (Nr. 4) sind nicht zu beanstanden. Die Abschiebungsandrohung entspricht den gesetzlichen Vorschriften des § 59 Absätze 1, 2 und 5 AufenthG. Die Gebühren waren gemäß § 69 AufenthG i.V.m. §§ 45, 47, 49 AufenthV festzusetzen.
119II. Auch der nach Erfolglosigkeit des Hauptantrags zu entscheidende Hilfsantrag – gerichtet auf eine Verkürzung der Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf 5 Jahre - hat keinen Erfolg.
120Der Hilfsantrag ist zulässig, aber unbegründet.
121Die Festsetzung der Frist durch die Beklagte in der angefochtenen Ordnungsverfügung ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Festsetzung einer kürzeren Frist, § 113 Abs. 5 VwGO.
122Die Festsetzung der Frist in der angefochtenen Ordnungsverfügung auf 7 Jahre nach Ausreise ist formell nicht zu beanstanden, insbesondere ist die Frist gem. § 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG n.F. gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung in der Ordnungsverfügung festgesetzt worden. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte ihre Ermessensentscheidung erst mit Schriftsatz vom 26.10.2015 im laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren nachgeholt hat. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
123Urteil vom 13. Dezember 2011, - 1 C 14.10 -, juris Rz. 8,
124hindert schon § 114 Satz 2 VwGO nicht das Nachschieben einer erstmaligen Ermessensentscheidung, wenn sich erst nach Klageerhebung auf Grund neuer Umstände die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung ergibt. Dies ist auch auf Fälle anwendbar, in denen - wie hier – durch Rechtsänderungen sich erstmals die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung ergibt. Mit der Neufassung des § 11 Abs. 3 AufenthG hat der Gesetzgeber zum 1. August 2015 die Festsetzung der Frist ins Ermessen der zuständigen Behörde gestellt, während zuvor nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bei der Befristungsentscheidung von einer voll justiziablen Verhältnismäßigkeitsentscheidung auszugehen war.
125Vgl zuletzt Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. März 2015 – 1 C 18/14 –, juris zu Befristungsentscheidungen im Rahmen des § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU.
126Da zum Zeitpunkt des Erlasses der Befristungsentscheidung lediglich eine Abwägungsentscheidung zu treffen war, maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Befristungsentscheidung jedoch der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ist,
127Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 - 1 C 14.12 -, juris
128musste der Beklagten die Möglichkeit eingeräumt werden, die nunmehr nach der ab dem 01.08.2015 geltenden Rechtslage eine erstmalige Ermessensentscheidung zu treffen.
129Dann kann auch die Nachbesserung einer zunächst (nur) nach Verhältnismäßig-keitsgrundsätzen getroffenen Entscheidung mit einer Ermessensentscheidung während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung in formeller Hinsicht führen (vgl. auch § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG).
130Die Festsetzung der Frist auf 7 Jahre stellt sich nach den im gerichtlichen Verfahren angestellten Ermessenserwägungen als materiell rechtmäßig dar.
131Rechtsgrundlage für die Befristung ist § 11 Abs. 1 AufenthG. Nach dem dortigen Satz 1 darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt.
132§ 11 Abs. 2 AufenthG ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen von Amts wegen befristet werden. Über die Frist ist gemäß Absatz 3 Satz 1 nach Ermessen zu entscheiden.
133Die Beklagte hat die Vorgaben des § 11 Abs. 3 AufenthG beachtet, das ihr eingeräumte Ermessen erkannt und in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt.
134Nach § 11 Abs. 3 Satz 2, 3 AufenthG n.F. darf die Frist fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwer wiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Diese Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten.
135Bei der Bemessung der Frist sind zunächst das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag.
136Diesen Vorgaben ist die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung gerecht geworden.
137Nach dem Vorstehenden (unter I.) ist die Ausweisung des Klägers sowohl auf Grund strafrechtlicher Verurteilungen verfügt worden als auch deshalb, weil von ihm eine schwer wiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Die Regelhöchstfrist von zehn Jahren wurde nicht überschritten.
138Die Beklagte hat bei der Festsetzung der Frist auch die Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Verhältnismäßigkeit
139zuletzt Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. März 2015, a.a.O.
140im Ergebnis beachtet. Diese Vorgaben haben auch unter Geltung des § 11 Abs. 3 AufenthG n.F. ihre Berechtigung, da auch einer Ermessensentscheidung durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt werden. Die maximale noch verhältnismäßige Länge der Befristung beschreibt die im Ermessen maximal zulässige Befristung. Die Festsetzung einer im Vergleich dazu kürzeren Frist steht im freien Ermessen der Behörde.
141Die nach § 11 Abs. 3 Satz 2, 3 AufenthG n.F. ermittelte Frist muss sich an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK messen lassen und ist daher ggf. zu relativieren. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie ggf. seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen.
142vgl. BVerwG, Urteile vom 11. August 2000 - 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> und vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 19 ff.
143Ausgehend von der Schwere der vom Kläger ausgehenden Gefahren (Tötungsdelikt und weitere Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit), die kausal mit dem Konsum von Drogen und Alkohol in Zusammenhang stehen, sind die in der zweiten Stufe zur möglichen Relativierung heranzuziehenden persönlichen Interessen des Klägers an einer baldigen Rückkehr in das Bundesgebiet gewichtet und eingestellt worden. Insbesondere im Hinblick auf das weitere Verhalten des Klägers seit Erlass der Ordnungsverfügung hat die Beklagte erneut die Gesamtumstände in Erkenntnis und Ausübung des ihr nunmehr zustehenden Ermessens abgewogen und das Festhalten an der ursprünglichen Entscheidung umfassend begründet. Die Festsetzung der Frist auf 7 Jahre nach Ausreise ist damit nicht zu beanstanden und ein Anspruch auf Verkürzung nicht gegeben.
144Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
145Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO und 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
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